Katheter statt Fürsorge

 In FEATURED, Politik (Inland)

Pflege in Deutschland bedeutet heutzutage nicht selten, dass Alte und Schwerkranke in ihrem eigenen Urin sitzen. In einer beklemmend prägnanten Sprache berichtet Jana Kerac aus einer deutschen Wirklichkeit, die auf ARD und ZDF nicht zu finden ist und so konkret auch in alternativen Medien nur am Rande vorkommt. Es ist die Wirklichkeit alter Menschen in Pflegeheimen. Über die Darstellung der konkreten Verheerung hinaus zeichnet Kerac das Bild einer „optimierten“ Zivilisation, die ihre Menschen verraten, ausgeliefert und aufgegeben hat. Es ist auch ein Bild davon, was aus der im Grundgesetz garantierten Würde des Menschen geworden ist. Herausgekommen ist weniger ein Bericht als ein Aufschrei des Entsetzens. Jana Kerac

 

Er ist noch jung. Noch nicht mal 65. Er ist krank. Schwerstkrank. Er kann sich nicht mehr bewegen. Liegt seit über einem Jahr im Bett. Er kann so gut wie nicht mehr sprechen. Er kann nicht mehr gut schlucken. Er ist noch nicht mal 65. Er lebt inzwischen in einem Pflegeheim. Das geht nicht anders. Wegen seiner schweren, fortschreitenden neurodegenerativen Erkrankung. Seine Frau schaut täglich nach ihm. Damit er zu essen bekommt.

Sie zerreißt sich zwischen ihrem Job und der Pflege. Was immer sonst auch ansteht, sie versucht, zu den Mahlzeiten im Heim zu sein. Ihr Mann braucht 45 Minuten, um zu essen. 45 Minuten! Wer, verdammt, hätte im Heim 45 Minuten Zeit! Für einen einzigen Bewohner! Natürlich würde man ihm, käme sie nicht, zu essen geben. Irgendetwas Püriertes. Pudding. Irgendeine Matsche aus Gemüse, Fleisch und Kartoffeln. Ekelhaft. Absolut ekelhaft. Aber das bringt man durchaus in 20 Minuten rein. 20 Minuten gehen. Dafür ist irgendwie Zeit.

Menschenunwürdig. So eine Behandlung ist menschenunwürdig. Doch so ist das in deutschen Pflegeheimen. Jeden Tag. Fast überall. Vor einer Woche telefonierte ich mit jemanden, der sich freiwillig um Schwerstkranke kümmert. Er kennt mehrere Heime. Er sagte zu mir am Telefon: Die Leute hocken in ihrer Pisse. Stundenlang. Es stinkt. Ekelerregend.

Er bekam einen Pfleger zu fassen. Er sprach ihn an. Muss das sein? Nein, meinte der Mann. Da gäbe es schon eine Alternative: Katheter. Man könnte auch Katheter legen. Da würden sie dann nicht mehr in ihrer Pisse hocken. Zum Glück gibt es Katheter! Doch manche wollen das nicht.

Katheter. Püriertes Essen… Oder warum nicht gleich eine Sonde legen. Direkt in den Magen. Sage niemand, irgendjemand müsste bei uns verhungern. Ich erfahre von Medikamenten, die falsch gegeben werden, und von notwendigen Medikamenten, die die Alten nicht bekommen. Nicht aus böser Absicht. Nicht, weil man Alte quälen will. Wer könnte so was wollen.

Wie alles stemmen?

Aber wie sollen sich die wenigen Leute, die den Laden noch stemmen, das alles merken. Wer was wann bekommt. Wie viel von was. Und das ändert sich ja dann auch ständig. Und dann sind halt so viele richtig krank. Nicht nur verwirrt. Ständig desorientiert. Sondern auch körperlich richtig schwer krank. Dann machen sie richtig viel Aufwand. Wie soll man das stemmen. Mit so wenig Personal.

Natürlich kann man sich fragen, warum die dann so oft draußen zusammenstehen und rauchen. Warum die die Zeit nicht nutzen, um fünf Minuten länger Essen einzugeben. Um fünf Minuten länger zu kontrollieren, ob sie tatsächlich mit den richtigen Tabletten ins richtige Zimmer tigern. Wer sich das fragt, hat keine Ahnung. Bekomme ich zu hören. Die stehen so oft da draußen und rauchen, weil sie es selbst alles einfach überhaupt nicht mehr ertragen.

Pflegenotstand. Vor mehr als 30 Jahren habe ich darüber das erste Mal geschrieben. Ich kann mich an eine große Demo in München erinnern. Claus Fussek sprach. Der Marienplatz war voll. Pflegenotstand. Damals war schon vieles schlimm. Pflegerinnen rebellierten gegen die unmenschliche Behandlung der Alten. Für einen kurzen Moment. Dann verpuffte alles wieder. Weiter ging’s. Was damals abging, ist ein Klacks gegen das, was inzwischen abgeht.

Warum darüber schon wieder schreiben! Warum darüber immer noch schreiben? Warum ausgerechnet jetzt darauf aufmerksam machen? Darum, weil die Widersprüche nicht mehr auszuhalten sind.

Da machen „sie“ Jagd auf Menschen, die angeblich menschenfeindlich sind. Die angeblich hassen. Die angeblich hetzen. Da geht die Empörungslawine los, wenn jemand nicht die Sprache so verhunzt, wie sie die Sprache aus lauter Menschenfreundlichkeit verhunzt haben wollen. Und gleich nebenan, da, wo sie nicht hinkucken wollen, wo niemand hinkuckt, gehen Stunde für Stunde krasseste Menschenunwürdigkeiten ab.

Gipfel der Menschenverachtung

Also – nach Corona. Ich rede hier jetzt nicht einmal von dem, was an absoluter Menschenverachtung in jenen Jahren passiert ist. Auch dazu habe ich recherchiert. Ich habe Allerbitterstes, absolut Menschenverachtendes erfahren. Wie sehr muss man Menschen hassen, um sie am Ende des Lebens einsam sterben zu lassen… Wie indolent muss man sein.

Aber davon rede ich gar nicht. Ich rede von Jetzt. Ich rede davon, was im Augenblick passiert. Jede Stunde passiert. Ich rede davon, dass da jemand liegt, der vor fünf Jahren noch im Berufsleben gestanden hat. Der schwerstkrank wurde. Rapide ging es abwärts. Nun kann er nicht mehr laufen. Nun kann er nicht mehr sprechen. Nun tut er sich beim Schlucken schwer. Verflucht schwer.

Es gibt nur noch wenig, was das Leben ihm bieten kann. Was hat man vom Leben, wenn man im Bett liegt. Den ganzen Tag. Fast regungslos. Was hat man vom Leben, wenn man nicht mehr kommunizieren kann. „Doch er will leben!“, sagt mir seine Frau.

Der Mann freut sich, wenn sie zu ihm kommt. Es gibt noch ein paar ganz wenige Dinge, die ihn freuen. Obwohl er so grottenelend beieinander ist. Obwohl es jeden Tag weiter abwärtsgeht. Zu diesen ganz, ganz wenigen Dingen gehört auch das Essen. Er kann richtiges Essen essen. Wenn man es ganz klein schneidet. Klitzeklein. Das macht seine Frau für ihn. Sie kocht zu Hause richtiges Essen. Und schneidet es dann ganz, ganz klein. Aber so kleingeschnitten es auch ist, man erkennt es noch. Man erkennt: Das da ist eine Bratwurst.

Verlockender Duft

Es dauert lange, bis so ein Tellerchen mit Bratwurst und Karotten, ganz klein geschnittenen Karotten, gegessen ist. Das dauert 45 Minuten. 45 Minuten, die ein klein wenig Freude bringen. Da sitzt seine Frau. Da verlockt der Duft des Essens. Riechen kann der Mann noch.

Diese 45 Minuten sind nicht drin. Im Budget sind sie zwar drin. Das Heim ist teuer. Wie Pflegeheime das nun mal sind. Aber was nützt das. Es gibt ja niemand, der hier noch arbeiten möchte. Der dieses Elend mit ansehen möchte. Der dieses Elend ertragen möchte. Und es ist ja nicht zu ändern. Nie ändert sich was. Seit 30 Jahren ändert sich nichts. Es wird immer nur schlimmer und schlimmer und schlimmer.

Es ist menschenunwürdig. Es ist menschenverachtend schlimm. Aber „sie“ machen Jagd auf Bürger, die nichts weiter tun, als auf Missstände hinzuweisen. Als Kritik zu üben. Die sind dann rechts. Die sind dann rassistisch. Menschenfeindlich sind sie. Angeblich. So das Framing.

Aber schaut doch mal ins Pflegeheim! Schaut mal in eine Klinik! Wie da die Leute auf dem Gang liegen. Die Frau, deren Mann so schwer krank ist, dass er 45 Minuten braucht, um klitzeklein geschnittenes Essen einzunehmen, sagt zu mir: In der Klinik ist es noch viel schlimmer. Die haben da oft nicht einmal mehr 20 Minuten, um einem Schwerkranken irgendeine Plörre in den Mund zu schieben.

Ich sage zu ihr: Das ist wirklich Dritte-Welt-Niveau. Denn ich erinnere mich an eine Geschichte, die ich recherchiert habe, von einer Klinik in irgendeinem Land in der Dritten Welt, da ist das Usus. Da müssen die Verwandten kommen und Essen geben. Sonst gibt es gar kein Essen. Nicht mal Püriertes.

Mein Maßstab ist das jedoch nicht. Wie es hierzulande ist, das ist menschenunwürdig. Und es widert mich an, wie hiervon abgelenkt wird. Wie „sie“ sich über vermeintliche Menschenverachtung empören. Und hinter den Kulissen lassen sie leiden. Rauben sie Menschenwürde.

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • altermann55
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    Sie wissen wie wichtig ihre Seite ist?

     

  • Ulrike Spurgat
    Antworten
    Darüber schreibe ich seit Jahren !!!
    Sie schreiben wahrlich nichts Neues. Was soll denn daran besonders erwähnenswert sein, wenn man Klartext spricht und schreibt ? Auch das tue ich grundsätzlich.

    Momentan ist die Pflege wieder einmal kurz in den Schlagzeilen.

    18 Jahre therapeutische Altenarbeit in den Pflegeheimen, in der häuslichen Pflege und in den psychiatrischen Abteilungen der Landeskrankenhäusern und nicht zuletzt in der Unterstützung von Angehörigen, die meist neben ihrer beruflichen Tätigkeit am Stock gehen, weil dieser Drecks Kapitalismus sie wie eine Zitrone auspresst. Die Arbeit (Sozialarbeit) bietet mehr als konkrete Einblicke in das jeweilige Arbeitsfeld, sie hinterlässt Spuren, d.h. einen unschätzbaren Erfahrungswert, der mir immer ermöglicht, den Menschen in den Mittelpunkt meiner Arbeit zu stellen.
    Kapitalisten sind davon ausgeschlossen und andere, die die Nase rümpfen, wenn sie mich im Gespräch mit obdachlosen Menschen sehen.

    Als eine vom Gericht bestellte Betreuern für einen unserer Freunde, der vergessen hatte eine Patientenverfügung, nebst Vorsorgevollmacht zu hinterlegen hatte ich eine Einrichtung akzeptieren müssen, da unser Freund auf Drängen des Krankenhauses mit Terminangabe dieses schnellstens zu verlassen hatte. Keine Einrichtung vor Ort hat mich aufgrund vieler Jahre, wo ich diese immer wieder aufsuchte um einige Bewohner zu besuchen überzeugt. Schweren Herzens habe ich ihn dort erst einmal hinbringen müssen, da es im privaten Rahmen einfach keine andere Möglichkeit gegeben hat. Ein Schlaganfall, der schwerste unter den Schlaganfällen, Aphasie genannt war die Diagnose, die ausdrückt, dass neben einer Lähmung der linken Körperhälfte, dass Sprachzentrum komplett ausgefallen war und somit war er ein Gefangener in seiner eigenen Welt, der alles mitbekam, aber sich nicht mehr hat sprachlich äußern können. Seine aufkommende Aggressivität, dass er von den Pflegekräften nicht verstanden wurde interpretierte man in der Einrichtung so, dass er dort nicht verbleiben könne……
    Mittags stellte man ihm sein Essen hin, dass er aber nicht selber hat Essen können, da es ihm nicht möglich war, die Gabel, den Löffel eigenständig halten zu können. So nahm man dann eben sein unangerührtes Essen wieder mit, mit der Antwort, als mir auffiel, dass er ständig an Gewicht verlor, man hätte die Order die Nahrung hinzustellen, aber zur Unterstützung beim Essen geben habe man keine Zeit. So haben seine Freunde und ich uns abgewechselt, sind Mittags hingefahren und ihn bei der Nahrungsaufnahme unterstützt. Eine Momentaufnahme….., eine grauenvolle, dazu…..

    Mit der Pflegedienstleitung und auch der Heimaufsicht hat es ständige harte, sehr harte Auseinandersetzungen gegeben und meine Kollegen haben nach Feierabend Kontakt aufgenommen und ihr Herz ausgeschüttet und erzählt unter welchen Arbeitsbedingungen sie arbeiten müssen. Viele haben das Handtuch geschmissen, da sie selber Eltern hatten oder haben. Sie haben nicht mehr ausgehalten, dass sie keine Zeit mehr für ein nettes Gespräch über die Sorgen und Nöte der Bewohner haben konnten, dass selbst im Sterben sie die Hand des Sterbenden nicht halten konnten, da ihre Pflegezeit im Minutentakt zu dokumentieren gewesen ist: Zeit für Sterben gehört nicht dazu !
    Konkrete Zahlen über die anfallenden Heimkosten kann ich gerne nachreichen, da bin ich bestens informiert, da ich auch Heimverträge für Bewohner abgeschlossen habe und deren Inhalt genauestens kenne.

    Sicherlich könnte ich Seiten über die seit Jahrzehnten bestehenden Missstände in den Pflegeheimen mir die Finger wund schreiben, über die Geldmaschine Pflege, über Milliarden, die jährlich in dunklen Kanälen verschwinden, Über teils grottenschlecht ausgebildete Pflegehelfer, über den Mangel an Altenpfleger schlechthin über miserables Essen, über Menschen die in ihren Ausscheidungen liegen und nicht zuletzt über unbehandelte Krankheiten, weil es zwar einen Friseur , aber keinen Arzt vor Ort gibt, da ja die freie ARZTWAHL? hier bedeutet, dass wenn Not am Arzt ist, dass der Bewohner oft Stunden auf diesen warten muss, oder aber ein Krankenwagen bestellt werden muss, um den Bewohner in die nächstliegende Klinik zu fahren, ein satter Verdienst pro Fahrt, für Johanniter, Malteser und wie sie alle heißen. Vom Drehtür Prinzip , dass bedeutet, dass der Bewohner, wie ein Arzt mir erzählt oftmals dehydriert ,d.h. ein zu wenig an Flüssigkeit eingeliefert wird, er an den Tropf für einige Stunden gehängt um dann wieder zurückgebracht, bis zum nächsten Mal.
    Natürlich könnte ich die Gossensprache wieder nutzen, denn als “Kind” der Arbeiterklasse bin ich damit aufgewachsen und das ist meine Sprache. Hier geht es mir aber mehr um ganz konkrete Einblicke, die ich vor Ort habe eingesammelt.

    Ein, wenn auch kurzer Einblick in den Alltag von konkreten Menschen, die in der Pflege arbeiten und die heute noch auf die versprochenen Zuwendungen aus Corona Zeiten warten.

    Kämpft weiter, Kollegen, für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Lohn, für mehr Zeit; ich bin immer an eurer Seite, denn es ist Klassenkampf !

    “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf sie zu verändern”. (Karl Marx) u.a. Doktor der Philosophie

    • Last man standing
      Antworten
      Irgendjemand wisperte hinter vorgehaltener Hand, bei einem gewissen Klaus aus Davos stünde eine Leninbüste im Regal. aber das ist bestimmt ein Zufall, oder ein Deep Fake, und Herr Marx war ein honoriger Gewährsmann für die Arbeiterklasse was denn sonst, habt Ihr daran etwa Zweifel, also ich habe das schon inder Grundschule gelernt, damals. Bitte stellt Autoritäten nicht in Zweifel. Vorwärts immer, rückwärts nimmer y  buenos sueños para todos, no hace falta decirlo

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