Bunter Totalitarismus

 In Buchtipp, FEATURED, Politik (Inland)

Ein „Kritisches Wörterbuch“, verfasst von Rudolph Bauer, macht deutlich, dass der Barbarei des Handelns stets eine Barbarei der Sprache vorausgeht. Das „Wörterbuch des Unmenschen“, verfasst von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind und 1957 veröffentlicht, enthält eine Sammlung von Begriffen, die in Deutschland von den Nationalsozialisten — und ihren Handlangern in den Institutionen und Medien — verwendet wurden, um die NS-Ideologie zu verbreiten und das Staatsvolk auf eine gemeinsame weltanschauliche Linie zu bringen (1). Der Bremer Künstler und Antifaschist Rudolph Bauer, der wegen seiner herrschafts- und systemkritischen Bildmontagen, die zum Beispiel die gegenwärtige Kriegstreiberei anprangern, schon mit der geballten Macht von Exekutive und Judikative konfrontiert wurde, hatte vielleicht diesen Gedanken im Hinterkopf, als er sich seinem neuesten Buchprojekt zuwandte. Herausgekommen ist das im pad-Verlag erschienene „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“. Gunther Sosna

 

„Die Barbarei der Sprache ist die Barbarei des Geistes, es gibt da keinen Unterschied“, notierte Dolf Sternberger 1960 (2). Damit wurde den Nachkriegsgenerationen in Deutschland — ohne dass dies offen ausgesprochen werden müsste — ein gesellschaftspolitischer Auftrag erteilt, der kein Verfallsdatum kennt: die Sprache derjenigen Kräfte, die nach politischer Macht im Staat streben, und die jener Repräsentanten, Funktionsträger und Kapital- und Wirschaftseliten, die die Macht innehaben, zu analysieren, um die wirklichen Absichten hinter ihren Worten zu erkennen.

Es ist geboten, sprachliche Verdrehungen zu entwirren, den realen Inhalt der gebetsmühlenartig wiederholten Begrifflichkeiten offenzulegen und die damit verbundene Ideologie zu entblößen.

Anders gesagt: Einer politisch erwünschten Semantik ist immer und ständig mit Misstrauen zu begegnen, um Barbarei zu demaskieren und aufzuhalten, bevor sie beginnen kann, zügellos zu wüten.

Die Oberfläche des Erkennbaren

Im Vorwort seines Wörterbuchs schreibt Bauer, dass es aufklären soll, und merkt an: „Sein Inhalt — in Summe als ‚Bunter Totalitarismus‘ bezeichnet — ist zwar makaber und katastrophal. Aber noch erschreckender wäre es, die Verhältnisse erst im Nachhinein, wenn es zu spät ist, als bunt-totalitär zu erkennen und zu verurteilen. Die Frage, ab wann es zu spät ist, bleibt offen.“

Den Sinn hinter den Worten sichtbar und verständlich zu machen ist die Herausforderung, die kritische Kunst und Publizistik annehmen muss, damit sich ein mit Wissen bewaffneter Widerstand gegen drohendes Unrecht und Tyrannei formieren kann. Aber erst das Verständnis der Zusammenhänge, allen voran der ökonomischen Aspekte, die das herrschende System antreiben, schafft eine brauchbare, wenn auch unvollständige Klarheit. Das „Kritische Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“, das seine Legitimation aus der historischen Erfahrung mit dem NS-Regime zieht, folgt dieser gedanklichen Linie der Unvollkommenheit.

Rudolph Bauer schreibt:

„Die Stichworte des Wörterbuchs sind von handlungstheoretischer Bedeutung. (…) Was dabei unterhalb der Oberfläche des Sicht- und Erkennbaren bleibt, ist der strukturelle Gesamtzusammenhang, wie er von Marx in der ‚Kritik der Politischen Ökonomie‘ analysiert und dargestellt worden ist. Das gilt es bei der Lektüre zu beachten, und insofern bilden die Wörterbuch-Stichworte immer nur die halbe Wahrheit ab.“

Die ganze Wahrheit würde aus der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise resultieren, die „auf eine Maximierung der Gewinne ausgerichtet ist. Wo diese an Grenzen stößt beziehungsweise wenn die Profitrate zu sinken droht, wird aus struktureller und systemischer Sicht Krisenalarm ausgelöst. Dieser hat politische Folgen, führt zu ökonomischen, auch finanzwirtschaftlichen Umstellungen und wirkt sich gesellschaftlich in Gestalt von Verelendung, Spaltung und Brutalisierung aus“.

A wie Agenda 2030

Im Wörterbuch von Rudolph Bauer werden die Begriffe einer in der Gegenwart wirkenden Totalität dechiffriert, die den nationalen Charakter abgelegt hat, um die ganze Welt zu umarmen. Im ideologischen Sinne wäre Internationalsozialismus wohl der passende Ausdruck. Der schaffte es aber noch nicht in das „Kritische Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“.

Das Register des ersten Heftes reicht von A wie Ausnahmezustand bis zu H wie Humanitäre Intervention. Es ist die erste Etappe auf einer Entdeckungsreise durch den Dschungel schrecklicher Begrifflichkeiten, die bestimmt schon gehört oder gelesen wurden, ohne ihnen genauer auf den — ideologischen — Zahn zu fühlen.

Allein die politische Analyse des harmlosen Wörtchens „alternativlos“ könnte Bibliotheken füllen. Bauer belässt es bei einer holzschnittartigen Beschreibung, die die wichtigsten Ansätze aufgreift, relevante Protagonisten benennt und eine historische Parallele aufzeigt.

„Alternativlos: Autoritäres Nonsens-Wort; 2010 zum ‚Unwort des Jahres‘ erklärt; (…). Ab 2009 Devise von Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderer Regierungsmitglieder. Die Verwendung des Slogans verweist auf ein technokratisches, tendenziell autoritäres Politikverständnis und erfolgt in der Absicht, eine getroffene politische Entscheidung als die einzig mögliche jedem Widerspruch und jeder Diskussion zu entziehen. (…) Alternativloses Basta-Denken und das autoritäre Politikverständnis ohne Duldung von Widerworten haben ihre Vorläufer im NS-Totalitarismus.“

Unter A findet sich beispielsweise eine Beschreibung vom „Ausnahmezustand“, zwölf gechliffene Zeilen zur „pseudodemokratischen“ Amadeu Antonio Stiftung, eine Skizze des Trojaner-Begriffs „Antidiskriminierung“, durch den erwünschte Diskriminierung mittels Cancel-Culture und Political Correctness gerechtfertigt wird, eine Würdigung der längst vergessenen „Agenda 21“, die 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von 178 Staaten beschlossen wurde, und eine bissige Erläuterung der aktuell propagierten „Agenda 2030“.

Der Leser erfährt in wenigen Sätzen, dass „Demokratie“ nicht zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (englisch: Sustainable Development Goals) zählt, sondern solche Ziele definiert wurden, für die „global-durchgreifende Institutionen geschaffen wurden wie der Weltklimarat IPCC und die Weltgesundheitsorganisation WHO, deren Wirkung schon heute als verheerend für freie Gesellschaften, freie Wissenschaft und Meinungsfreiheit zu erkennen ist“. Dass der japanische Philosoph Kohei Saito, der zur Rettung von Umwelt und Menschheit nicht weniger als einen Systemsturz fordert, die Ziele der Agenda als neues „Opium für das Volk“ bezeichnete, rundet die Ausführungen ab.

Nicht minder interessant ist die kurze Darstellung des Begriffs „Aufklärung“:

„In Wortverbindungen wie ‚sexuelle Aufklärung‘ oder ‚Feindaufklärung‘ wurde die ursprünglich kritische Bedeutung des Begriffs entschärft und das damit verbundene Konzept verwässert. — Heute verschleiert der Begriff einerseits die Propaganda-Funktion dessen, was von den Medien als ‚Aufklärung‘ verbreitet wird. Andererseits werden Zeitgenossen, die in kritischer Absicht aufklären beziehungsweise Aufklärung (‚Aufarbeitung‘) fordern, als Schwurbler, Querdenker, Covidioten, Corona- beziehungsweise Klimaleugner und Impfgegner diffamiert.“

Begriffe, Abkürzungen und Namen wie Big Tech, BlackRock, das Bundeskriminalamt (BKA), eine „Spionage- und Zensur-Agentur mit brauner Vergangenheit“, das Center for Countering Disinformation der Ukraine oder das European Resilience Initiative Center, das die „Demokratie“ in Europa fördert, finden sich ebenso im Wörterbuch wie das Demokratiefördergesetz, die European Digital Media Observatory, eine Art Lenkungseinheit der „Faktenchecker-Industrie“, die Energiewende, Epidemiegesetze, die Fachstelle Gender, das unvergessliche „Flatten the Curve“ und die von Herman Hollerith Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Lochkartenmaschinen, die als Vorläufer der modernen Datenverarbeitung ein Beispiel für „den totalitären Verwendungszusammenhang in der Frühgeschichte der Datenverarbeitung“ sind.

Was nicht fehlt

Das „Wörterbuch des Unmenschen“ ist ein bedeutsamer Beitrag und ein unverzichtbares Instrument zur Erforschung der Sprache und Ideologie des Nationalsozialismus sowie der Propaganda der NS-Diktatur. Das „Kritische Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“ schließt eine Vielzahl der seit den 1980er-Jahren entstandenen Lücken im Sprach- und Begriffsverständnis, die der Siegeszug des Neoliberalismus, der sich im globalen Finanzkapitalismus manifestiert und in dem Wort „alternativlos“ seinen negativen Ausdruck findet, hervorbrachte. Dadurch wird das „Kritische Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“ zum unverzichtbaren Werkzeug bei der Analyse der herrschenden Verhältnisse und der Entwicklung von Gegenstrategien.

Nach dem Horror des Nationalsozialismus und dem Grauen des Zweiten Weltkriegs ist es belanglos, wie viele Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergangen sind. Über den im Dritten Reich organisierten Massenmord, an dem sich direkt und indirekt der gesamte organisatorische und soziokulturelle Überbau Deutschlands, das Beamtentum, Polizei, Justiz, Militär, Journalisten, „Kunstschaffende“, Konzernbosse und so weiter und das Großkapital signifikant beteiligten, wächst kein Gras. Deshalb verdient die in diesen gesellschaftlichen Subkulturen gepflegte Sprache in Gegenwart und Zukunft besondere Aufmerksamkeit.

Es spielt ebenfalls deshalb auch keine Rolle, ob der Antifaschismus, für den Bekundungen wie „Nie wieder Krieg“, „Nie wieder Faschismus“ und „Nie wieder Auschwitz“ überdauernde Verbindlichkeiten darstellen und keine beliebigen Phrasen sind, die auf dem Altar „realpolitischer“ Scharlatanerie geopfert werden, sich mit einer Monarchie, einer Diktatur oder einer Repräsentativen Demokratie auseinanderzusetzen hat.

Hinter jedem Vorhang kann der Schrecken lauern.

Die Barbarei ist ein Chamäleon. Sie versteckt sich, tarnt sich geschickt und passt sich an. Sie versucht, durch ihre Sprache in die Köpfe der Menschen einzudringen, um ihre Gedanken zu manipulieren und mit ihrem Gift politische, intellektuelle und moralische Vorbehalte zu zersetzen und geistige Uniformität zu implantieren.

Das „Kritische Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“ ist eine Medizin gegen diesen Befall. Die Anwendung ist zu empfehlen, eine Erweiterung um I bis Z dringend erforderlich.

 

Hier können Sie das Buch bestellen: „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“

Comments
  • piggyinthemiddle
    Antworten
    Dieser Buchtipp wird mir sicher ein Andenken an dieses Magazin sein, ich habe das Lexikon bestellt. Sprachanalyse ist eines der wichtigsten Felder der („querdenkerischen“) Aufklärung, dazu dürfte das Werk des geschätzten Rudolph Bauer ein wertvoller Beitrag sein. Ein Beitrag, der seinerseits aber auch reflektiert werden sollte. Sprachkritik kann leicht in Gratiswiderstand abdriften. Es gibt schlichtweg keinen Begriff in einem numerisch begrenzten Wortschatz, der die Vielfältigkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens und -agierens adäquat abbilden könnte. Sprache vereinfacht immer und wird damit immer angreifbar bleiben. Mir scheint, dass Bauer diesbezüglich womöglich an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießt. Kritik um der Kritik willen verschleiert auch Prioritäten und verhindert, dass Brücken gebaut werden können. In der Gesellschafts- und Regierungskritik fehlt mir zurzeit sehr das Wohlwollen dem Andersdenkenden gegenüber (genau das, was dem Mainstream vorgeworfen wird). Beispiel ist für mich die Fundamentalopposition gegen die „Agenda 2030“. Der Begriff ist mit Sicherheit schlecht gewählt und die Einzelziele sind begrifflich natürlich angreifbar (siehe Ausführung oben), aber die 17 Haupt- und 169 Unterziele scheinen mir mehrheitlich unterstützenswert, in jedem Fall diskussionswürdig als ein Analyserahmen für eine zukunftsorientierte Gesellschaft. Was Bauer zu ignorieren scheint, die (repräsentative) Demokratie wird bei den Unterzielen durchaus mit anvisiert. Die direkte Demokratie fehlt gleichwohl, sie war als Ziel auf der Ebene der UN wohl nicht konsensfähig, aber das entwertet die Sammlung insgesamt nicht.

    Wenn sich die Alternativmedien auf die „Agenda 2030“ einschießen, erkenne ich darin hauptsächlich Kritik um der Kritik willen und einen Unwillen zum Dialog und zur sachlichen Auseinandersetzung mit Einzelforderungen.

    Wo Bauer möglicherweise Recht hat, die Agenda 2030 streut (ihren Anhängern und ihren Gegnern) Sand in die Augen, denn die realen Ziele von Politik und Konzernen sind Digitalisierung und Transhumanismus. Diese kommen in den Zielen mit keinem Wort vor, weshalb der „Great Reset“ mit der Agenda 2030 nichts zu tun hat, auch wenn es in den Alternativmedien immer wieder behauptet wird.

    Dies nur zum Abschluss, danke für die anregenden Artikel und die Möglichkeit zur Kommentierung hier. Alles Gute für die weiteren Projekte!

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