Adrette Botschafterin des Tötens 1/2

 In Allgemein, Ellen Diederich, Politik (Ausland), Politik (Inland)

B 0201Ursula von der Leyen, die Bundeswehr in Afghanistan und die „Attraktivitäts-offensive“ der Europäischen Union. “Soldaten sind, man glaubt es nicht, aufs Sterben gar nicht so erpicht”, sang Reinhard Mey in “Alle Soldaten wollen nach Haus”. Das soll sich jetzt ändern, denn Ursula von der Leyen, neue “Mutter aller Schlachten”, möchte den Soldatenberuf attraktiver und familienfreundlicher machen. Dazu gehört auch eine bessere Kinderbetreuung, quasi am Rand der Schlachtfelder. Soldaten soll der Rücken frei gehalten werden, damit sie getrost im Ausland kämpfen – und wenn’s blöd läuft die Frauen und Kinder anderer töten – können. Diesen gefährlichen Wahnsinn entlarvt die langjährige Friedensarbeiterin Ellen Diederich in ihrem leidenschaftlichen, gut recherchierten Artikel. “Nebenbei” deckt sie auf, worum es in Afghanistan eigentlich geht und was Krieg für Betroffene wirklich bedeutet.

Ursula von der Leyen ist als neue Kriegsministerin zuständig für Bundeswehr, Krieg und Verteidigung. Ihr erster Auslandsbesuch deutscher Truppen in einem Kriegsgebiet führte sie nach Afghanistan.

In Deutschland wurde das Wort „Krieg“ für den Zustand in Afghanistan lange umgangen. Karl-Theodor zu Guttenberg bezeichnete ihn als „kriegsähnlichen Zustand“, später sagte er: „Man könne umgangssprachlich vom Krieg reden.“ (wikipedia) Frau von der Leyen ist die erste der MinisterInnen, die für die Bundeswehr zuständig waren und sind, die den Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan ohne wenn und aber als „Krieg“ bezeichnet. „Wir sind die Leitnation im Norden Afghanistans gewesen über viele, viele Jahre und haben dort eben auch gekämpft. Das ist zu Recht als Krieg bezeichnet worden“, sagte sie im ARD-Morgenmagazin. Die Bezeichnung Kriegsministerin ist also passend.

„Die Truppenbesuche von Verteidigungsministern sind spätestens seit dem Polit-Popstar Karl-Theodor zu Guttenberg eine Art Emotions-Show für die Soldaten und das Publikum daheim. Von der Leyen allerdings gab ihrem Antrittsbesuch noch mal einen neuen Dreh. Statt mit Stahlhelm und Schussweste präsentiert sie sich als zivile Mutter der Kompanie, als menschliche Kümmerin, eine Art Wehrbeauftragte mit Ministertitel.“ (Spiegel online, 22.12.2013)
Afghanistan ist das Land, in dem jetzt seit 33 Jahren Krieg ist. In Deutschland gab es unter den vielen Kriegen einen, der dreißig Jahre gedauert hat, von 1618 bis 1648. Er ist bis heute im Bewusstsein der Menschen präsent. Am Ende dieses Krieges war die Hälfte der Bevölkerung tot, die Länder zerstört, Krankheiten und Seuchen hatten sich flächendeckend ausgebreitet.

Was weiß Frau von der Leyen von der afghanischen Geschichte der letzten 33 Jahre Kriegsrealität? Durch eine Beobachtung des Einsatzes der Bundeswehr bekommt man die notwendigen Kenntnisse nicht.

33 Jahre also ununterbrochen Krieg. Vor dieser direkten Kriegszeit waren es verschiedene Kolonialherren, die versuchten, dieses Land für ihre Interessen zu missbrauchen. Die Kriege der letzten 33 Jahre wurden und werden von unterschiedlichen Mächten geführt. Mal waren es kapitalistische Länder, allen voran die USA und Großbritannien, dann die kommunistische Sowjetunion, dazwischen fundamentalistische Islamisten und Gruppen wie die Taliban. Alle versuchten, diesem Land ihr politisches System aufzudrücken.

Von den zu Ende der siebziger Jahre geschätzten 16 Millionen Afghanen wurden mehr als zwei Millionen im Widerstandskampf gegen die sowjetischen Besatzer, im Bürgerkrieg, der durch die fundamentalistischen Gruppierungen mit Hilfe ausländischer Kräfte entfesselt wurde oder durch die Invasion der NATO umgebracht, Andere wurden durch radioaktive Substanzen (abgereichertes Uran) verstümmelt oder mit Missbildungen geboren. Anderthalb Millionen mussten in Flüchtlingslager in den Iran und Pakistan fliehen. Ein großer Teil der Menschen, die im Land blieben, wurde in Folge des nicht enden wollenden Krieges intern umgesiedelt.

Eine der zentralen Orte der Bundeswehr war Kunduz

„Angst materialisiert sich. Angst, die über die Straße heranrollt, durch den Hof kommt, aus den Wänden tritt, über meinem Lager zusammenschwappt. Plötzlich ist jede Angst, die sich in der Stadt je befunden hat, zielgerichtet und bei mir. Sie hat keine genießbare Seite und erlaubt auch kein Abschweifen. Vielmehr meint sie es ernst, als Einschüchterung, als Bedrohung.

Wenn Orte geronnene Erfahrung sind, wenn sie sich zusammensetzen aus allem, was je in ihnen gefühlt wurde, dann ist diese Angst eine Art Offenbarung. Kunduz gibt sich zu erkennen. In das Weichbild der Stadt haben sich Bombenabwürfe und Raketenbeschuss, Vergewaltigungen, Folter und Morde eingedrückt. Heckenschützen haben gelauert, Späher haben Häuser auf der Suche nach Versteckten durchsucht, Marodierende haben zerstört, Soldatentrupps haben Bauwerke gestürmt und verwüstet, Frauen haben geschrieen, Kinder das Weite gesucht. Jede denkbare Konstellation kann sich wiederholen. Es ist alles noch zu frisch. Die Gewalt ist nicht Vergangenheit, ist nicht archaisch, nicht Kultus.“
(Roger Willemsen, Kriegstagebuch in: Terrorismus, Öl und die geheime Außenpolitik der USA – oder Der 11. September und die Hintergründe des Krieges gegen den Terrorismus, S. 116 f.)

In Gesprächen mit Soldaten in Masar-i-Sharif verkündete die neue Ministerin ihre ersten Pläne: Es sollen bessere Lösungen für Soldaten mit Familie und Kindern gefunden und mehr Respekt vor dem SoldatInnenberuf in der Öffentlichkeit hergestellt werden. Den SoldatInnen versicherte sie: „Sie können sich auf mich verlassen“ und sprach ihnen Respekt für die Arbeit aus, über deren Gefahren sie sich bewusst sei. Frau von der Leyen will sich besonders um die Familien kümmern, die Bundeswehr soll familienfreundlicher werden, Kinderkrippen in die Kasernen.

Mich schaudert es, wenn ich mir das vorstelle. Da sollen Kinder in diesem Land besonders gut behütet werden, damit ihre Väter und Mütter guten Gewissens Krieg machen können, in andere Länder fliegen, um dort Gewalt gegen „den Feind“ auszuüben, der nur zu oft aus Frauen, Kindern und Männern des anderen Landes besteht.

Der Feind ist nur allzu oft der Feind, weil er eine andere Vorstellung davon hat, was mit den Ressourcen seines Landes geschehen soll als sie den reichen Industrieländern zu geben.

Die Ressourcen Afghanistans

Neben riesigen Gasvorkommen sind vor kurzem in Afghanistan Bodenschätze von nahezu einer Billion Dollar entdeckt worden. Da ist Lithium, ein heiß begehrter Stoff, der wegen seiner Energiedichte in Batterien als Anode verwendet wird. Es wird für Mobiltelefone, Laptops und in der Autoindustrie gebraucht. „Jetzt könnte das kriegsverwüstete Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Welt, zum „Saudi-Arabien des Lithium“ werden. Das schreibt das Pentagon in einem internen Bericht zu gewaltigen Mineralvorkommen im Land am Hindukusch, aus dem die „New York Times“ zitiert. Darin geht es um unberührte Bodenschätze im Wert von nahezu einer Billion Dollar (825 Milliarden Euro), die amerikanische Geologen in Afghanistan entdeckt haben.

Neben dem begehrten chemischen Element, das in ähnlicher Masse bislang nur in Bolivien gefördert wird, handelt es sich unter anderem um Eisen, Kupfer, Kobalt und Gold. „Das Potenzial ist atemberaubend“, sagte General David H. Petraeus, Oberkommandierender der US- und Nato-Truppen und Chef des Central Command dem Blatt.“
(Die Welt vom 14.6.2010)

Die Einstellung, mehr Respekt für den Soldatenberuf herzustellen, passt perfekt in die Strategie für die geplante weitere Militarisierung der Europäischen Union.

Am 19. und 20. Dezember 2013 fand in Brüssel der EU-Ratsgipfel statt. Zentraler Tagungsordnungspunkt war die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Margaret Ashton, (Baroness Ashton of Upholland), eine britische Politikerin, ist heute die „Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“ und „Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission“. Im Vorfeld der Konferenz erhielt sie den Auftrag, zu dem Inhalt des EU Ratsgipfels ein Arbeitspapier vorzubereiten. In diesem Papier heißt es u.a.:

“Es ist wichtig, der Öffentlichkeit zu kommunizieren, dass Fragen der Sicherheit und Verteidigung heute von Bedeutung sind und sie für ihren künftigen Wohlstand wichtig sein werden, auch wenn unsere Bürger nicht notwendigerweise immer eine unmittelbare äußere Gefahr sehen müssen. Die Staats- und Regierungschefs sind genau die richtigen, um diese Botschaft einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln und wir sollten diese Gelegenheit nicht verpassen.” (S. 13)

Worum geht es bei dieser „Sicherheit und Verteidigung des künftigen Wohlstands“?

Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times, stellte fest, dass für eine funktionierende Globalisierung die USA als unüberwindliche Macht handeln müssten. Die unsichtbare Hand des Marktes brauche die sichtbare Faust der amerikanischen Streitkräfte. Mac Donalds mit seinem Fast Food könne nicht ohne die Kampfjets von McDonnellDouglas expandieren.

Die militärische Sicherung der für die Industrieländer wichtigen Ressourcen wurde zum 50sten Jahrestag der NATO in Washington im April 1999 zum Bestandteil der neuen NATO-Strategie. Bei diesem Treffen gab es eine einschneidende Veränderung: Anstelle der Verteidigung der Mitgliedsstaaten sah die neue Strategie eine Garantie vor, jederzeit den freien Zugangs zu den Ressourcen zu gewähren, die für die Mitgliedsländer von Interesse sind.

Auf diesem Weg sind wir weit gekommen.

„Im Kontext der Globalisierung der Konzerne zerrinnen Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Wohlstand für die Mehrheit der Menschen, und stattdessen hat eine Verarmung und Zerstörung begonnen, die immer kriegerischere Züge annimmt. (…)

Aus der Systemsicht ist nur das am Profit orientierte Geld akzeptabel, nicht aber der allgemeine soziale Wohlstand. Umgekehrt gibt es aber sehr wohl eine dramatisch gesteigerte Umverteilung von unten nach oben. (…) Die Riesen-Vermögen sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf parasitäre Weise zustande gekommen, ohne eigene Arbeit und Produktion, sondern durch Enteignung, Subventionierung, Spekulation und Geldverleihung gegen hohe Zinsen. (…) Wir befinden uns aus dieser Sicht in einem Wirtschaftskrieg/einer Kriegswirtschaft, die inzwischen in eine wahrhaftige Zivilisationskrise münden. Denn es ist absehbar, dass eine Fortführung dieser Umverteilungspolitik von unten nach oben zu einem Kollaps von Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft führen muss.

Die Global Players sind zu einem Amoklauf gestartet, um die letzten Märkte, Investitionsfelder und Ressourcen der Welt so hemmungslos und ausgiebig und so lange wie noch möglich auszubeuten. Der Name dieses Projektes heißt WTO, also Welthandelsorganisation, bzw. Freihandel weltweit, unterstützt vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und den transnationalen Konzernvereinigungen.“
(Claudia von Werlhof in: Maria Mies, Krieg ohne Grenzen, Köln 2004, S.40 f. )

Der militärische Arm dieser neuen Ordnung sind vor allem das US Militär und die NATO, deren Militärausgaben ins Unermessliche steigen. So entsprich das NATO Budget eines Tages heute dem Jahresbudget der Vereinten Nationen einschließlich all ihrer Hilfsprogramme gegen Hunger, Analphabetentum, dem Kinderhilfswerk usw. sowie der friedenserhaltenden Maßnahmen. Unter der neuen Weltordnung bestimmen die Militärplaner des Außenministeriums, des Pentagons und der CIA die Außenpolitik der USA. Sie unterhalten Kontakte zu Vertretern des IWF, der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO).

Das Verhältnis von Militärausgaben zu denen des Wiederaufbaus beträgt in Afghanistan 900 zu 1. Das heißt 900 Dollar für den Krieg steht ein Dollar für den zivilen Wiederaufbau zur Verfügung. Die Militärstrategien, wie sie im Dezember 2013 in Brüssel diskutiert wurden,
passen in das Konzept.

Auf der Agenda des Gipfeltreffens im Dezember standen aber nicht nur eine Forcierung der Militarisierung, sondern auch die einer Militarisierungs-Propaganda. Der Begriff, den Frau Ashton dafür gefunden hat, heißt: „Attraktivitätsoffensive“.

Das Militär attraktiver zu machen, wird Teil des neuen Jobs von Frau von der Leyen sein.
In ihrem ersten Tagesbefehl definierte sie drei Aufgaben als zentrale Ziele:
– „Wir werden verlässlich unsere sicherheitspolitische Verantwortung erfüllen,
– die Neuausrichtung der Bundeswehr mit Umsicht und Augenmaß vorantreiben
– und nicht zuletzt die Bundeswehr breit in der Gesellschaft verankern.”

Der Dienst in der Bundeswehr verdiene große Wertschätzung, betonte von der Leyen. „Dafür will ich alles tun, was in meinen Kräften steht. Die Bundeswehrreform, die vor drei Jahren angestoßen wurde, bringe erhebliche Belastungen für die Soldaten und ihre Familien mit sich. Auch diese Dimension der Neuausrichtung habe ich im Blick, schrieb sie weiter“.
(Spiegel online, 18.12.2013)

Als ehemalige Familienministerin wolle sie sich besonders um die Familien von Soldaten kümmern, die durch ihren Kriegseinsatz verwundet und/oder traumatisiert zurückkommen.

Die USA haben größere Erfahrungen mit Traumata oder Selbstmorden zurückgekehrter Soldaten. Bereits nach dem Vietnamkrieg haben sich mehr ehemalige Soldaten das Leben genommen, als im Krieg in Vietnam umgekommen sind.

Irak- und Afghanistankrieg haben hohe Raten an Traumatisierungen, Selbstmorden hervorgerufen, die Gewaltanwendungen in den Familien zurück gekehrter Soldaten sind dramatisch hoch.

Die Zahl der Selbstmordversuche ist noch fünfmal so hoch wie die der vollendeten Selbstmorde. Eine Umfrage des Pentagon zeigte ein „gefährliches Ausmaß“ des Alkohol-Missbrauchs und des illegalen Gebrauches von Rauschgiften und starken Schmerzmitteln bei 12 Prozent aller Angehörigen der Streitkräfte. Weitere Studien schätzen, dass 20 – 30% der zurückgekehrten Soldaten an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Das zerstört Beziehungen und macht es schwer, eine Arbeit zu finden, vom Drogenmissbrauch wegzukommen und den Willen zum Weiterleben aufrecht zu erhalten. Die derzeitige wirtschaftliche Lage der USA erschwert darüber hinaus die Suche nach Arbeitsplätzen.
(Vergleiche: James Cogan, World Socialist website, 6.1.2010)

Durch Selbstmord sterben mehr US-Soldaten als im Afghanistan-Krieg gefallen sind

Frau von der Leyen sagt, sie sei „dankbar und stolz, für Menschen zu arbeiten, die Deutschland in einer so außergewöhnlichen Form dienen“ und freue sich „einen Teil dazu beizutragen.“

Was ist diese „außergewöhnliche Form“?

Diese Form heißt Krieg, dem hat sie unmissverständlich zugestimmt.

(Der 2. Teil dieses Artikels wird morgen an dieser Stelle veröffentlicht)

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen