Auf den Spuren Armin T. Wegners

 In Holdger Platta, Politik (Inland)

Armin T. Wegner

Armin T. Wegner

Am vergangenen Wochenende hat Holdger Platta an den weitgehend vergessenen expressionistischen Dichter Armin T. Wegner erinnert, der in einem mutigen (viele würden sagen: naiven) Brief an Adolf Hitler appelliert hatte, seine Politik zu überdenken. https://hinter-den-schlagzeilen.de/2014/05/10/die-sprache-verschlagen/ 74 Jahre nach der Verhaftung Wegners durch die Gestapo recherchierte der Autor am Ort des Geschehens. War es Denunziation, was Wegner Folter und Konzentrationslager einbrachte? Den Dorfbewohnern sind die Fragen Plattas auch nach so langer Zeit jedenfalls offenbar unangenehm, man hat sich mit Schweigen und der Verdrängung der Vergangenheit bequem eingerichtet.

Am 24. Juli 2007 versuchten meine Frau und ich, anlässlich eines Berlinbesuches, mehr über die Verhaftung des Dichters Armin T. Wegner zu erfahren. Wir machten einen Tagesausflug zum Sacrower See, per Auto über Potsdam, und hatten auch Glück. Wir fanden nicht nur das Waldgebiet, in dem der Autor vermutlich gezeltet hatte, wir entdeckten in dem Dörfchen Sacrow auch ohne große Sucherei den fraglichen Gasthof, in den sich Wegner vor vielen Jahren seine Post hatte nachschicken lassen. Um zu dem See zu gelangen, kamen wir direkt an diesem Ausflugslokal vorbei. Hier das Ergebnis unserer Recherchen:

Das damals einzige Landgasthaus, in das sich Armin T. Wegner seine Post nachschicken ließ, heißt heute „Restaurant zum Sacrower See“ (wie offenbar auch damals schon, im August 1933, als Wegner von der Gestapo verhaftet wurde: ein altes Foto im Innern des Lokals, holzgerahmt an einer Wand, bewies uns dies). Heute ist diese Gasthofbenennung allerdings mit dem Zusatz versehen: „Sacrower Rittersaal“. Zur Erklärung: DEFA-Leute halfen bei dem Umbau eines Gebäudeteils hinter dem eigentlichen Restaurant zu einem „Rittersaal“. Herausgekommen dabei: eine gruftige Atmosphäre bzw. eine Mischung aus Dunkelheit und Mief und Pappmachee.

Das Landgasthaus ist nach VEB-Zeiten heute wieder im Familienbesitz derer, die das Gasthaus seit Mitte der 20er Jahre bewirtschafteten. Eine Tochter des ehemaligen Gastwirts lebt heute noch bzw. wieder im Haus, außerdem dessen Enkeltochter, die heute auch mit ihrem Ehemann diese Gastwirtschaft führt.

Am 23. April 1993 wurde das Restaurant im Familienbesitz wiedereröffnet.

Die heutige Besitzerin sprach ich nach dem Mittagessen in dem Gasthof folgendermaßen an: ich sei Literaturwissenschaftler und arbeite über einen heute längst vergessenen expressionistischen Lyriker mit Namen Armin T. Wegner. Aus einer Biographie über ihn hätte ich erfahren, daß er 1933 mal am Sacrower See gezeltet habe und daß er sich seine Post in das Landgasthaus ihres Großvaters habe nachschicken lassen. Ob sie etwas darüber wisse. Mehr sagte ich nicht. Also: ich erwähnte mit keinem Wort die Denunziation ihres Großvaters, mit keinem Wort auch die Verhaftung des Autors und dessen späteres Schicksal.

Die Reaktion der Enkeltochter: sie wisse davon gar nichts, aber ihr Großvater sei von der DDR irgendwann nach Kriegsende enteignet worden, weil er, so wörtlich, „in der falschen Partei“ gewesen sei. Diese Reaktion empfanden meine Frau und ich als merkwürdig, weil unsere ganz harmlose Frage nach einem zeltenden Dichter am See gleich mit einer politisch-dimensionierten Geschichte zur Parteimitgliedschaft des eigenen Großvaters beantwortet wurde. Außerdem hatten meine Frau und ich den Eindruck, daß die heutige Gasthofsbesitzerin nach der Nennung des Namens Armin T. Wegner sozusagen nur noch „auf Zehenspitzen“ weitersprach. Im übrigen verwies sie uns dann ganz rasch – spürbar im Wunsch, das Gespräch über dieses Thema (tja, über welches Thema?) zu beenden, an ihren Nachbarn, einen Gärtnereibesitzer, der um einiges älter sei als sie und mir vielleicht etwas mehr erzählen könne.

Mit diesem Nachbarn, einen Mann Mitte siebzig etwa, groß und stämmig, sprach ich dann anschließend auch, draußen zwischen den Blumenbeeten der Gärtnerei. Als ich ihm meine Frage nach Wegner stellte, wiederum ohne jegliches Erwähnen der Denunziation und der Verhaftung, reagierte der ältere Herr ebenfalls mit der Antwort, er wisse von diesem zeltenden Dichter nichts. Doch ebenso unmotiviert wie die Enkeltochter des damaligen Gastwirts, kam er sogleich auf die Enteignungsgeschichte zu sprechen, auch auf die Parteimitgliedschaft des Gasthofbesitzers, wobei der Gärtnereibesitzer die damalige NS-Mitgliedschaft des Großvaters mit immer neuen Worten zu rechtfertigen versuchte: man habe doch von gar nichts gewusst, es sei ein gewisser Druck dagewesen undsoweiterundsofort. Auch dort also mein deutlicher Eindruck: der Nachbar wußte mehr, als er mir gegenüber zugeben wollte, auch er stieg unverzüglich in eine historisch-politische Rechtfertigungsgeschichte ein, ohne daß ich dafür irgendeinen Anlaß gegeben hätte – denn noch einmal: auf meine offenkundig doch völlig ahnungslose Frage nach einem zeltenden Expressionisten, der sich 1933 in das benachbarte Gasthaus seine Post habe nachschicken lassen, wurde so geantwortet, als hätte ich nach der Parteimitgliedschaft des früheren Gasthausbesitzers gefragt…

Abschließend zu diesen beiden Gesprächen: beide, die Enkeltochter wie der Gärtnereibesitzer, bestätigten mir, daß es früher nur diese eine Gaststätte in Sacrow gegeben habe. Ein weiteres Ausflugslokal, das heute dort existiert (direkt am Havelsee gelegen), sei neueren Datums. Abschließend, nach einer langen Suada gegen den Kommunismus, erging sich der Gärtnereibesitzer dann noch ausführlichst gegen die ALG-II-BezieherInnen: „Denen geht es viel zu gut…“

Unsere Erkundungen am See

Unsere Erkundungen am See-Ufer – grob gesagt: an dessen Südost-Seite (an der auch der Ort Sacrow liegt) – ergaben, daß sich auf ihm tatsächlich jene Anhöhen befinden, bewaldet (Mischwald), von denen in den Quellen die Rede ist, zumindest indirekt. Die andere Seite des Sees haben wir nicht erkundet, ich halte aber aus zwei Gründen diese andere Seeseite als Zeltplatz für Armin T. Wegner auch für unwahrscheinlich: a. zu weit weg von dem Gasthaus (ca. 1,5 Stunden Fußweg), ungünstig also für Essensnachschub, fürs Abholen der Post usw; b. der Wirt hätte gegenüber der Gestapo die Lage des Zeltplatzes deshalb womöglich nicht so genau angeben können, wenn dieser Zeltplatz sich weit entfernt vom Gasthaus befunden hätte. Die Entfernung Zeltplatz-Wirtshaus wohl maximal eine halbe Stunde Fußweg.

Auch heute noch ist Sicht auf den See von den Anhöhen aus möglich, aber doch sehr eingeschränkt, da alles mittlerweile mehr oder minder zugewachsen ist (Fichten, Birken usw.). Verstecktes Zelten würde jedoch heute dort eher unwahrscheinlich sein, da der Zeltplatz vom Rundweg unten am See aus leicht zu entdecken wäre und da auch oben offenbar häufig begangene Waldwege existieren, zumeist parallel zum Seeufer unten (Abstand kaum mehr als 300/400 Meter im Mittel). Die Wege unten wie oben könnten erst viel später, nach Armin T. Wegners Aufenthalt dort, angelegt worden sein.

Nachbemerkung

Ich vermute, daß der Gastwirt eher ein ‚Alt’mitglied der NSDAP gewesen ist, da wegen der zahlreichen Parteieintritte nach den Märzwahlen 1933 die NSDAP bis 1937 einen Aufnahmestopp verhängte, was natürlich sämtliche Rechtfertigungen dieser Parteimitgliedschaft durch den Gärtnereibesitzer – Druck undsoweiter – ins Reich der Märchen verweist; diesen Druck gab es vor der Kanzlerschaft Adolf Hitlers noch nicht, und ab 1. Mai 1933 war der Eintritt in die Partei nicht mehr erwünscht oder verboten (von Ausnahmen abgesehen). Im NS-Jargon wurden die neuen Parteimitglieder verachtungsvoll-hämisch „Märzgefallene“ genannt, in Anspielung auf die Menschen, die 1848 in Berlin und Wien bei ihrem Revolutionsversuch ums Leben gekommen waren. Man warf diesen Neumitgliedern – vor allem den Angestellten und Beamten im Staatsdienst, die urplötzlich in die NSDAP drängten – Opportunismus vor.

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