“Aus dir wird mal nix”

 In Kurzgeschichte/Satire
Esel gelten als schwer erziehbar - wie unser Autor, Eulenfeder

Esel gelten als schwer erziehhbar – wie unser Autor, Eulenfeder

Nach Erfolg gieren alle. Wie können wir aber Erfolg haben, wenn es nicht wir selbst sind, die “oben” ankommen? Statt uns werden zu lassen, was wir sind, wird stets Druck auf uns ausgeübt, “etwas aus uns zu machen”. Das bedeutet natürlich: zu werden, wie Mächtige uns haben wollen, wie wir optimal für sie verwertbar werden. Die Deformationsbemühungen von Gesellschaft und Wirtschaft erstrecken sich nicht nur auf unser Verhalten in konkreten Situationen, sondern bis hinein in den innersten Bezirk unseres So-Seins. Einer, der sich immer geweigert hat, Knetmasse zu sein und der bereit war, dafür den Preis von Einsamkeit und Geringschätzung seitens der Harten und Smarten zu zahlen, ist unser Autor Eulenfeder. Hier skizziert er seinen dornenreichen Weg, der weniger im Mitschwimmen und Sich-Aufdrängen als in einem Ständigen Sich-Entziehen und Sich-Wehren gegen Umerziehungsversuche bestand.

ein erfolgreiches leben – fürwahr. ist ja noch nicht zu ende, zweiundsechzig werd ich erst – da wäre also noch luft nach oben auf einer erfolgsleiter. aber ich habe das geschafft ohne eine einzige sprosse erklimmen zu müssen. vielmehr gab es es eine solche leiter für mich überhaupt nicht. ein streben nach einem oben in diesem unsinnigen sinne war nie vorhanden. oben und unten? – hatte nie eine bedeutung. klar, sowas gab es, ohne zweifel, in gestalt von befehlendem, drohendem, irgendwie mir übergeordnetem zwang – ein ständiger druck, nötigende richtungsweiser, welchen zu folgen meist besser war, weil strafen, gewalt die folge war, wenn solchem nicht gefolgt wurde. aber in meiner ureigenen daseinswirklichkeit hatte ich keinen einzigen schritt in irgendeine richtung gemacht, stets nur beobachtet, was in diesem sog der vereinnahmung so alles an mir vorbeisauste. als sässe ich in einer geisterbahn mit allen ihren schrecken, bewegte mich dabei aber selbst nicht, sondern die bahn drehte sich um mich.

konfus, verwirrend, nicht wahr, geneigter leser? ich könnte durchaus verstehen, wenn derartiges daseinsempfinden anderen seltsam, nicht nachvollziehbar vorkäme, entwickeln sich doch die meisten auf gelenkten bahnen, folgen vorgegebenem. ‘viele wege gäbe es ein ziel zu erreichen’ – ‘aber das ziel sei der weg!’ und der lohn für die mühen wäre erfolg. und da sind wir wieder bei der leiter, die zu erklimmen es gelte, ‘weiterkommen’ im leben! der leitsatz ‘was aus sich machen !’ … aber was sollte ich denn aus meinem leben machen?, war doch schon lebendig und froh darüber! habe als so lebendiges kind nicht verstanden, wo denn ein sinn darin wäre, noch lebendiger zu werden.

und so sitze ich immer noch in dieser geisterbahn und staune, was da so vorbeifliegt an mir. eine sehr fremdartige welt insgesamt, menschen, die etwas aus sich gemacht haben, ‘erfolgreich’ wurden, irgendwie über mir stehen, weil nach ‘oben’ gekommen. die leiter ist lang, und je höher die sprosse, desto skurriler die erscheinungen: in künstlichen hüllen steckend, umgeben von besitz und sonstigen errungenschaften, die bedeutungslos erscheinen, stufenweise in hierarchischen strukturen steckend, die mir zunehmend unmenschlich vorkommen, undurchschaubaren wesen gleich – verformt. augen, gesichtszüge, sprache und gestik passen nicht zusammen, wiedersprechen sich sogar. und wenn sie sprechen, dann verstehe ich die sprache nicht. und sie schauen verächtlich auf mich herab. warum? weil ich unten stehe. das weiss ich inzwischen, denn diese ja durch ein ‘weiterkommen’ erhöhte position lässt ja nur einen blick auf mich von oben nach unten zu. mit der höhe steigt eine imaginäre ‘wertigkeit’, die zwar wertlos ist, aber das ziel ist ja, weiter nach oben zu kommen. und warum dann wieder nach unten schauen? der ‘lohnendere’ blick geht nach oben und hat dann einen anderen ausdruck, einer scheinheiligen freundlichkeit gleich. um mehr zu erreichen, bedarf es wohl dieser verstellung. ein künstlicher mehrwert soll wachsen, und nur weiter oben gibt es mehr davon !

‘was will der eigentlich sagen ?’ – einige unter euch wissen es sehr wohl und sehr genau, und darüber bin ich ebenso sehr froh! bin also nicht ganz so allein mit meiner vielleicht auch ins philosophische gehenden offenbarung einer für mich immer schon einzig richtigen sicht diesbezüglich. es geht vor allem um den begriff ‘wert’ oder ‘wertigkeit’ in bezug auf ein dasein von geburt an, um den erhalt eines von anfang an gegebenen individuellen wesens. und ein solches hat keinerlei bedarf daran, etwas anderes aus sich zu machen als es schon ist – allenfalls ein weiterentwickeln, ein weiterwachsen, ein vermehren und festigen jener eigentlichen werte, die da wären: das staunende und freudig mit allen sinnen erforschende kind – nicht verbogen und geschliffen, mit freundlich ausgestreckter hand die nähe zu anderen suchend, wärme, liebe zu erfahren, mensch zu sein und zu bleiben, zu geben statt zu nehmen, zu verzeihen, freiwillig zu geben statt zu fordern, zu respektieren, zu achten, sich geistig auszutauschen in Frieden ….

all das war in mir schon als kleines Kind gegeben und gewachsen. wie konnte ich also anders als mich zur wehr zu setzen (ohne mich dabei zu zersetzen) gegen allgegenwärtigen zwang und ständige agressiv nötigende versuche, aus mir etwas anderes zu machen als ich war! dieses widersetzen ist fürwahr nicht spurlos an mir vorrübergegangen, hat narben hinterlassen an körper und seele. zweiundsechzig jahre ständige abwehr kosten auch immens viel kraft. die ströme, die dich verschlingen wollen, sind stark. fangeisen und warnschüsse überall. fesseln und knebel gilt es auszuweichen unablässig. demütigende und erniedrigende behandlungen wollen sie dir verabreichen, mit einem entweder-oder unterwerfung erzwingen, dich verformen und zu einem der ihren machen, jenen also, die mir fremd sind und bleiben, deren welt nicht meine ist.

freilich wird man unzählige male gewaschen und geschleudert auch, gezwungenermassen, wo kein ausweichen möglich ist. man wehrt sich, schlägt um sich in notwehr oder aus vergangenen erfahrungen vermeintlich vorsorglich, kann manchmal freund und feind nicht sofort unterscheiden, ist oft selbst unfair, stösst andere vor den kopf… derart stark ist das reissen und zerren an dir. aber auf seinem weg trotzdem bleiben, diesem weg der so positiven ‘wertlosigkeit’ (im sinne dieser falschen wertigkeit). und da hatte ich als kleines kind dies ahnend mir den heiligen eid geleistet: ‘aus dir wird mal nix !’ und wie erfolgreich ich diesbezüglich doch heute immer noch bin. und wie stolz unten zu sein – immer noch!

einsam damit, ja. die meiste zeit, denn was wäre interessant an einem erfolglosen, was könne er vorweisen, was ihn interessanter machen würde. welche frau sollte sich denn dann für dich interessieren? hast du doch nicht einmal ein bedürfnis ‘mehr aus deinem typ zu machen’, dich äusserlich anders zu zeigen. ‘kannst du nicht wenigstens mal was gescheites anziehen? und löcher in den socken! eine frau sieht sowas sofort!’ bisher hat noch jede frau nach kurzer zeit versucht, mich zurechtzubiegen. aber wer sollte ich denn sein, wenn nicht ich selbst? und hätte ich mich jemals verbiegen lassen, wer wäre ich denn dann? und so gibt es wohl nicht viele, die es verstehend erkannt haben: dort unten im niemandsland bin ich zuhause, da kann ich noch eigen sein und bleiben. eine wirkliche freiheit ist es nicht, denn der sog dieser brutalen mühle der unterwerfung und gleichmacherei ist stark. aber ich widerstehe – immer noch!

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