Das Holon der Spiritualität – Hans‑Peter Dürr

 In FEATURED, Spiritualität, Vermischtes

Hans-Peter Dürr

Hans-Peter Dürr als großer Physiker, Friedens- und Umweltbewegter, als geschätzter Freund Konstantin Weckers dürfte vielen unserer Leserinnen und Leser ein Begriff sein. Spiritualität bringen die meisten nicht auf Anhieb mit ihm in Verbindung. Dabei sind seine Aussagen hierzu eindeutig. Spiritualität war für Dürr der größere Rahmen, innerhalb dessen sich Naturwissenschaft entfalten kann. Naturwissenschaft, die Macht zum Guten wie zum Schlechten verleihen kann, bedarf der Rückverbindung zur Religion und ihren ethischen Maßstäben, wollen wir viel Leid und Zerstörung auf der Erde vermeiden. (Roland Ropers)

In seinem Buch „Mystiker unserer Zeit im Porträt“ beschreibt Roland Ropers 75 spirituelle Persönlichkeiten. Er skizziert ihre Lebensläufe und zitiert zentrale Aussagen aus ihren Werken. Dabei überwindet der Autor nicht nur die Grenzen zwischen den Religionen, indem er z.B. Mystiker mit christlichem, buddhistischem und hinduistischem Hintergrund porträtiert – er beleuchtet auch u.a. den Weg eines Rainer Maria Rilke, Leonard Bernstein, Martin Luther King oder des Physikers Hans-Peter Dürr. Es entsteht der Eindruck, dass Gottberührung überall und auf sehr verschiedenen Wegen geschehen kann.

Roland Ropers: Mystiker unserer Zeit im Porträt, Topos Premium, 272 Seite, € 19,95

 

„Für mich als Naturwissenschaftler bedeutet Versöhnung, dass wir nicht auf das Spirituelle verzichten können. Das Spirituelle kommt ohne das naturwissenschaftliche Denken aus, aber nicht umgekehrt. Das heißt, das Spirituelle ist sozusagen das größere Holon, in dem die Naturwissenschaft eine Art Unterholon ist. Die Naturwissenschaft hat das Ohr der Welt, weil sie angesehen wird als etwas, das Macht gibt – und deshalb werden Naturwissenschaftler anerkannt. Aber die Naturwissenschaft, wenn sie eine Verbindung zur Religion findet, könnte auch die Tendenz zur Weisheit verstärken und nicht nur zur Macht.

Wissen ist für mich nicht nur ein Mittel zur Macht, sondern auch zur Einsicht und zur Weisheit. Nicht direkt, aber indem wir und die anderen deutlicher unsere jeweiligen Begrenzungen sehen; deshalb interessiere ich mich für den Dialog. Wir müssen unbedingt die spirituelle Komponente wieder in diese Welt bringen, sonst gehen wir einem unendlichen Leid entgegen. Ich fühle mich verantwortlich. Daher auch die Frage, inwieweit Religion ebenfalls eine neue Verantwortung in der Welt übernehmen muss, wenn es darum geht, etwas tun zu wollen.“

 In den Kriegswirren des Zweiten Weltkriegs hat der weltberühmte Atom- und Quantenphysiker Hans-Peter Dürr, am 7. Oktober 1929 in Stuttgart geboren, sein Abitur gemacht. Sein Vater war Gymnasiallehrer für Mathematik, der 1943 in völliger Verzweiflung mit einer Pistole in der Hand nach Hause kam und die gesamte Familie (Frau, zwei Söhne und vier Töchter) erschießen wollte, um ihr zu erwartendes Leid zu ersparen. Die beherzte Mutter (im hohen Alter von 93 gestorben) konnte das Unglück verhindern.

1944 wurde der Vater kurzfristig eingezogen und starb wenige Monate später an der Front. Hans-Peter Dürr musste 15-jährig im letzten Kriegsjahr in den Dienst des „Führers“. Bei der totalen Zerstörung von Pforzheim verlor er u. a. seine beste Freundin, deren verbrannten Körper er eigenhändig begrub.

Dürr machte eine Feinmechanikerlehre und studierte Physik, obwohl er sich an einen sehr langweiligen Physikunterricht in der Schule erinnerte. Aufgrund seiner enormen Begabung erhielt er ein Stipendium für die USA und kam an die Elite-Universität in Berkeley, San Francisco. Er wurde Schüler von Edward Teller, dem Erfinder der Wasserstoffbombe, und promovierte bei ihm über das Thema Resonanzphänomene elektromagnetischer Felder (heute die Grundlage die Kernspintomografie in der Nuklear-Medizin).

Dürr lernte Robert Oppenheimer und andere namhafte Physiker jener Zeit persönlich kennen. Er trug dann das Erbe seines verehrten Lehrers und Weggefährten Werner Heisenberg fort, mit dem er zwanzig Jahre lang in München eng zusammengearbeitet hat. Dürr war die führende Kapazität im Bereich der Quantenphysik. Er war farbenblind und sah von Kindheit an nur auf dem rechten Auge. „Mein Weg zum Dritten Auge führt zunächst über das zweite Auge, das ich gar nicht nutzen kann“, sagt Dürr lächelnd, in Anspielung auf angeblich Sehende, die das Wesentliche zu erkennen glauben. Dürr zählt zur Familie der Physiker, wo es keine Geheimnisse, aber unterschiedliche Ansichten gibt. Zahllose Vorlesungen hat er an führenden Universitäten der Welt gehalten (USA, China, Japan, Indien, Südamerika). Dürr war Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und maßgeblich an der Rehabilitierung des Kernphysikers und Nobelpreisträgers Andrej Sacharow beteiligt. Ein Jahr lang war er Chef von Green Peace in Deutschland und hat dort Grundlegendes auf den Weg gebracht. Mit Michail Gorbatschow war er lange befreundet. Durch den engen Kontakt zu Gorbatschow war Hans-Peter Dürr über den „Fall der Mauer“ lange im Voraus informiert.

Er war Gründer des Global Challenges Network (1987 in Starnberg aus der Taufe gehoben) und in diversen internationalen Gremien maßgebend tätig. Zu der Zahl seiner besonderen Auszeichnungen gehören der Alternative Nobelpreis 1987, der Friedensnobelpreis 1995 zusammen mit den Mitgliedern der Pugwash Conferences on Science and World Affairs, und die Ehrenbürgerschaft der Stadt München 2007. Siebzig bis achtzig Vorträge hielt er pro Jahr, reiste ständig noch rund um den Globus und warnte vor der Gefahr einer großen Katastrophe, wobei er dennoch stets Hoffnung ausstrahlte und Lösungen anbot.

Am 12. September 2001 sollte er einen Vortrag im World Trade Center in New York halten zum Thema Moderne Waffensysteme und ihre Gefahren. Am 11. September 2001 flog er um 11 Uhr (in New York war es 5 Uhr morgens) mit einer Lufthansa-Maschine von München nach New York. Bei Erreichen der amerikanischen Ostküste wurden die Passagiere informiert, dass man aufgrund eines noch nicht bekannten Unglücks nach München zurück müsse. Da der Kerosinvorrat nicht ausreichte, wollte man nach Shannon,Irland, wo aber wegen Überfüllung des Flugplatzes keine Landungen mehr möglich waren. Nach vielen Versuchen bot sich nur noch Halifax, Nova Scotia an; dort konnten 45 Flugzeuge aufgenommen werden, der LH-Flug aus München mit Hans-Peter Dürr an Bord war auf Position 43. Wegen der begrenzten Verfügbarkeit von nur einer Treppe zum Aussteigen der Passagiere mussten Dürr und seine Mitreisenden zwölf Stunden im Flugzeug ausharren. In einer riesigen Zelt-Notunterkunft blieb Dürr zwei weitere Tage in Halifax und fuhr dann per Bus 28 Stunden nach New York. Er wollte seine Freunde sehen.

Über fünfzig Jahre war der musikalisch begabte Physiker Hans-Peter Dürr mit einer US-amerikanischen Folkloretänzerin glücklich verheiratetet (Vater von zwei Söhnen und zwei Töchtern und geliebter Großvater von zwölf Enkelkindern). Nach seinem Tod im Jahr 2014 darf uns der folgende Text als sein Vermächtnis gelten:

„Es geht um Rüstung und Weltherrschaft. Es ist erstaunlich, dass die Wissenschaft auf dem falschen Wege erkennt, dass sie gar nicht auf dem richtigen Weg ist. Unsere Vernunft gründet sich nicht nur auf unseren Verstand, unser Wissen über mögliche Wirkungszusammenhänge, sondern auch auf unsere Wertvorstellungen, die wir aus einer tieferen Schicht unseres Seins, aus den Traditionen der menschlichen Gesellschaft, aus den Religionen beziehen. Naturwissenschaft sagt uns wohl, was ist, aber sie gibt keine Auskunft darüber, was sein soll, wie wir handeln sollen. Der Mensch bedarf, um handeln zu können, einer über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse hinausreichenden Einsicht – er bedarf der Führung durch das Transzendente.“

Kommentare
  • Christian Schmidt
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    „Mir kam es gerade so in den Sinn, dass mich von allen Wissenschaften hauptsächlich das Physikalische interessiert. Was ist und was soll das Physikalische? Es ist ein großer Streitpunkt der Universalgelehrten schlechthin, weil es nicht wirklich restlos klar und eindeutig definiert ist, was physikalisch ist. Physikalisch ist im Grunde genommen alles das, was man anfassen kann. Das ist in der Tat meines Erachtens der größte Fehler, den man machen kann, alles Physikalische als Objekt des Berührbaren anzusehen. Was ist nun das Physikalische wirklich? Ich stelle mir hier die Frage hauptsächlich deswegen, weil dem Berührbaren immer das Geistige gegenüber steht. Der bekannte Quantenphysiker Hans-Peter Dürr hatte einmal ganz treffend postuliert, dass es das physikalische Materielle gar nicht gäbe. Alles sei Geist. Ganz teile ich diese Ansicht nicht. Aber ich halte sehr viel von dieser Ansicht, denn hauptsächlich stimme ich dieser Ansicht zu. Es ist nur ein Problem: Die Ansicht von Hans-Peter Dürr ist nicht vollständig und vor allem nicht widerspruchsfrei. Diese Ansicht provoziert geradezu einen Widerspruch. Ich bin der Ansicht, dass es das physikalisch Materielle doch gibt. Nur ist das physikalisch Materielle erst dann physikalisch, wenn es energisch ist. Also, wenn Energie im Spiel der physikalischen Kräfte ist. Natürlich ist da noch die Formel vom Großmeister der theoretischen Physik, von Albert Einstein ist die Rede. Er bringt die Energie ins Spiel mit der bekanntesten Formel in der Welt der Physik: E = mc². Demnach ist so ziemlich alles Energie, was physikalisch ist. Das ist so ziemlich genau richtig. Wo aber ist der Geist? Wo ist der Sinn? Wo ist das Physikalische und wo ist das Stoffliche? Das bekommen wir schon hin. Implizit ist es mir persönlich klar, was das Stoffliche, welches wir als mutmaßlichen Feststoff anfassen können, ist. Das ist in der Tat mindestens zu neunundneunzig Prozent reine Energie und zum Rest besteht das Feststoffliche aus Elementarteilchen, welche in ihrer eigenen Leichtigkeit, eben in ihrer Energie gefangen sind. Nun muss ich gestehen, dass das alles so ziemlich unverständliches Zeug ist, was ich hier schreibe. Deswegen muss das aber nicht falsch sein. Das Manko ist, dass es sich nur schwer, umständlich und langweilig erklären lässt. Beweisen lässt sich das jedenfalls nicht, zumal das eben naturphilosophisch ist. Ehe man das erklärt und gelesen hat, ist der Leser eingeschlafen. Sich solche Szenarien vorzustellen, ist zudem nahezu unmöglich, weil sich das Szenario auf engstem Raum abspielt. So besteht ein Kubikcentimeter stoffliches Eisen aus etwa drei Trilliarden Eisenatomen, welche wiederum aus den jeweiligen Atomkernen nebst jeweils sechsundzwanzig Elektronen pro Atomkern bestehen. Und diese Zahl von sechsundzwanzig Elektronen multipliziert mit der Anzahl der Atome von etwa drei Trilliarden Eisenatomen. Das ergibt so etwas wie unaussprechliche Zahlen. Man befindet sich im Reiche der mysteriösen Quantenmechanik. Es handelt sich dabei um astronomisch große Zahlen. Die Räume, in denen sich all das abspielt, nennt man Phasenräume und diese sind wiederum Wirkungsräume, welche wiederum extrem hohe Spannungen sind, Confinement genannt. Das Confinement ist reine Energie, welche aus reiner Ladung besteht, welche selbst als Bindung auf die Elementarteilchen wirkt. Man bezeichnet diese Ladungen als Farbladungen und diese wirken dann als Bindungsenergien. Diese Bindungsenergien bin ich geneigt als Spektrum zu bezeichnen. Als Spektrum in einem Spektralraum. Man könnte die Spektren auch als Quantenobjekte bezeichnen, welche der Berechnung dienen sollten. Die Ladungen, welche die positiv geladenen Elementarteilchen zu Protonen binden, die nennt man Gluonen. Das ist reine Energie, welche diese positiven Elementarteilchen zu Protonen binden. Diese stofflichen Wirkungen dessen, was wir als Materie bezeichnen, gehen also von diesen mysteriösen Gluonen aus!? Das ist mehr als merkwürdig und vor allem nebulös. Beweise dafür gibt es nicht. Es sind alles bloß meine persönlichen Vorstellungen, womit ich versuche, mir einen Reim auf das Physikalische zu machen.” (Regius Crossanus)

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