Der erste Weltkrieg war vermeidbar

 In Politik (Inland)
Karl Liebknecht

Karl Liebknecht

Wie bringt man ein Volk in Kriegsstimmung, Menschen die sich normalerweise nichts als ein gutes, bequemes Leben wünschen? Wie bringt man Fremde dazu, aufeinander zu schießen? Wie bricht man den Eigenwillen der Menschen und motiviert sie, sich als Werkzeuge herrschaftlichen Willens “verheizen” zu lassen? Diese Fragen sind heute hochaktuell. Statt für Kaiser, Volk und Vaterland sollen wir nun töten und sterben, damit Deutschland die Weltgeschichte nicht “von der Seitenlinie” aus mitverfolgt. Um die Zukunft zu gestalten, hilft es aus der Vergangenheit zu lernen. Der Erste Weltkrieg brach vor 100 Jahren aus. Nur wenige stellten sich damals der hohlköpfigen Kriegspropaganda in den Weg. Höchste Zeit, an Karl Liebknecht zu erinnern, den großen Friedensfreund und Sozialisten. Rainer Thiel schlägt in seinem kenntnisreichen und leidenschaftlichen Beitrag immer auch die Brücke zu heutigen Ereignissen und erweist auch dem christlichen Pazifismus seine Referenz.

War es möglich, den Massenmord zu verhindern? Ja, es war möglich. Dazu hätte es tausend Charaktere vom Format des Karl Liebknecht bedurft und das Tausendfache christlicher Friedensfreunde. 1944 schrieb der US-Unterstaatssekretär in „Time for decisions“: „Hätte es mehr Karl Liebknechts gegeben, die Zukunft Deutschlands wäre anders gewesen.“ (Zitiert in Pieck, S. 511)

Karl Liebknecht entstammte einem Elternhaus, das nicht so sehr auf individuelles Wohlbefinden bedacht war. Familie Liebknecht dachte hinaus über die engen Grenzen ihres Leipziger Wohnbezirks. Sie hatte das gesellschaftliche Ganze im Blick. Heute, im Jahre 2014, erinnere ich mich eines Gesprächs, das ich im Landkreis Oder-Spree, kurz nach den Kundgebungen der Jahre 2003 und 2004 gegen den damaligen Irak-Krieg und gegen die Fesselung unserer Mitbürger durch Hartz IV, mit einem Kirchenmann in der Stadt Fürstenwalde geführt habe, mit dem pensionierten Superintendenten der evangelischen Kirche, Herrn Günter Kuhn, drei Jahre älter als ich. Wir beide hatten im Weltkrieg II im Bombenhagel gestanden. Und nun, 2003 und 2004, hatte Kuhn wie ich auf vier Kundgebungen gesprochen. Danach lud mich Kuhn ein zu einem Gespräch unter vier Augen, wir erzählten uns unsre Lebensläufe, und am Schluss sagte der Christ zu mir: Wir beide sollten öffentlich über die Frage sprechen: „Wie wir es lernten, gesamtgesellschaftlich zu denken.“ Da habe ich meinen linken und meinen rechten Arm geschwungen, um zwei Bögen zu beschreiben, und habe gesagt: „Sie, Herr Kuhn, sind so herum, und ich bin so herum dazu gekommen.“ In meinem Hinterkopf gab´s einen Klick: „Weltall, Erde, Mensch“.

Wie war das bei Karl Liebknecht? Dank seiner Familie hatte Karl schon in früher Jugend gelernt, gesamtgesellschaftlich zu denken. Er wusste von den tiefgründigsten Analysen der Gesamtgesellschaft, die jemals vollbracht wurden. Karl Marx war Freund der Familie Liebknecht. Deshalb wusste schon der junge Mann, dass die schrankenlose, die formelle Freiheit, wie sie das Kapital für sich beansprucht, vor allem das Eine bedeutet: Schrankenlosen Konkurrenz-Kampf, sodass man sich wehren muss auf Teufel komm raus. Marx hatte einen seiner Zeitgenossen folgendermaßen zitiert: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit. (…) Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert.“ (Zitat in MEW 23, S. 788, Fußnote 250) Interessant im Zitat ist auch das Wörtchen „riskiert“. Ohne weiteres kann man kein Verbrechen begehen, das wissen auch die Gehilfen des Kapitals, die Politiker. Deshalb lag ihnen am Bündnis mit dem Feudal-Adel, der seit Jahrhunderten die Offiziere stellte für Kriege um Landbesitz und Macht der Könige.

Das alles hatte der junge Liebknecht verstanden. Und er hatte noch mehr verstanden: Es gibt ja die Klasse von Menschen, die allen Reichtum schafft und gerade deshalb an Armut leidet – das Proletariat. Das sind Nachfahren der bitterarmen Menschen, um die sich einst schon Jesus gesorgt hatte, als er sagte: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus Kapitel 25). Seinen Freunden sagte Jesus auch: „Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (ebd. Kap. 6) So dachte auch Familie Liebknecht. Nur zwei Unterschiede gab es, der fortgeschrittenen Zeit gemäß: Erstens, der Mammon hat sich zunehmend als Kapital konstituiert, und zweitens, den Geringsten der Schwestern und Brüder ist vor allem zu helfen, sich selber zu befreien von der Macht des Mammon.

Als Karl Liebknecht 29 Jahre alt war, anno 1900, war er schon Rechtsanwalt und hatte sich im Reden geübt. Karl Liebknecht wurde bald auch Parlamentarier: Er gehörte dem preußischen Abgeordnetenhaus und dem Reichstag an. Seine Wahlkreise hatten die Stadt Potsdam als Zentrum. Zum Beispiel gewann er den Wahlkreis Oberhavel, den sogenannten „Kaiserwahlkreis“. (KLB Seite 150) Gibt es in Potsdam schon ein Denkmal für Karl Liebknecht? Heute lese ich in Zeitungen: Es wird beantragt, für Karl Liebknecht eine Ehrentafel am Reichstagsgebäude anzubringen.

Anno 1900 hatte Karl Liebknecht eine öffentliche Rede im Arbeitermilieu beendet mit den Worten: „Um sich einen Einfluss auf die Gesetzgebung zu sichern, haben die Arbeiter nur das eine zu tun: sich zusammenschließen und sich organisieren, denn bilden sie eine starke Macht, dann muss eben auch der Gesetzgeber mit ihnen rechnen. Darum immer und immer wieder: Organisiert euch, schließt euch zusammen, werbt, arbeitet, kämpft!“ Da war Karl Liebknecht weiter als die heutige Linkspartei. Den brausenden Beifall nach seiner Rede hatte er sich verdient. Die „Sächsische Arbeiterzeitung“ vermerkte: „Brausender Beifall“. (KLG I S. 7) Für eine Zeitschrift schrieb Karl Liebknecht auch die Worte: „Was nützte es der Sozialdemokratie, wenn sie eine ganze Welt aller erdenklichen Reförmchen gewänne und nähme doch Schaden an ihrer Seele, das heißt würde verwirrt, verkleinlicht, kleinmütig und selbstzufrieden, verlöre ihr Edelstes und Bestes, den Elan ihrer revolutionären Energie, die auch den Boden für Reformen am fruchtbarsten düngt.“ (Die neue Zeit, Jahrgang 1901/02. KLG I Seite 27) Karl Liebknecht bestand auf revolutionärer Energie. Sie zeigte sich auch im Kampf um den Frieden:

1. Karl Liebknecht sagte 1904: Das Hauptbollwerk des Kapitalismus ist der Militarismus, das wisse die Partei (KLG Seiten 81, 83, 157, 200f.) Aber – so fragt Karl Liebknecht – stets im Blick das Ganze auch seiner Partei: Was ist mit der jungen Generation, was ist mit den jungen Männern, die zum Wehrdienst einberufen werden? Damals gab es eine liebliche Volksmelodie zu dem Text: „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, öffnen die Mädchen Herzen und die Türen. Ei warum, ei warum: Nur wegen Tschingdarassa bum.“

Karl Liebknecht erarbeitet ehrenamtlich ein Kompendium unter dem Titel „Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung“, Leipzig 1907, auch heute aufwühlend, trotz allem was heute anders aufscheint. Ich zitiere abkürzend aus zwei Sätzen: „… den Soldaten gewissermaßen in eine Besoffenheitsstimmung zu versetzen, seine Seele zu narkotisieren, sein Gefühls- und Phantasieleben zu exaltieren (…) zurechtgestutztes Weltbild einzupauken.“ (KLG I Seite 294) Also Narkotisieren, verbunden mit Kadavergehorsam, erträglich gemacht durch Tschingdarassa bum. Karl Liebknecht hat auch daran gedacht – ich zitiere noch einen Satz: „Und in stumpfsinniger Wut stürzt sich der proletarische Soldat auf seine streikenden Brüder.“ (KLG I S. 376, 446) Schon 1906 hatte Liebknecht zum Kaiser geblickt. (KLA Seite 95) Dieser Kaiser hatte schon 1891 vor Rekruten gesagt: „Ihr habt Mir Treue geschworen, das heißt Ihr seid jetzt Meine Soldaten, Ihr habt Euch Mir mit Leib und Seele ergeben. Es gibt für Euch nur einen Feind, und der ist Mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass Ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen. Aber auch dann müsst Ihr Meinen Befehl ohne Murren befolgen.“ (KLA S. 95, 535) Kaisertreue Prediger hatten den Kaiser in einem Atemzug mit Gott gelobt.

Als Sozialdemokrat meinte Liebknecht: Möge jede Population, jede Körperschaft Narkotisierung besiegen, jede vor ihrer Haustür. Heute wird Narkotisierung betrieben per Stolz auf Millionen Frequenzen. Jugendliche Lust an Sinnlichkeit wird poppig narkotisiert.

Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bemerkte Karl Liebknecht: Dem Kampf gegen Narkotisierung, dem Kampf um Arbeiterlöhne und für Neugestaltung des Wahlrechts fehlt noch etwas: Ihm fehlt noch eine positive, konstruktive Vision, eine Vision von dem Weg, auf dem sich die latente Kraft des Proletariats entfalten kann. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg entwickelten die Idee des Generalstreiks und des politischen Streiks. Dann könnten die Massen der Lohnabhängigen auch alle Wege abschneiden, die zum Krieg führen. Sie hätten dann auch Erfahrung gewonnen, um eine neue Gesellschaft zu entwickeln.

Für sein Anti-Militarismus-Kompendium wurde Karl Liebknecht vor dem Reichsgericht angeklagt. Am ersten Verhandlungstag hielt ihm der Präsident vor, niemals den Beifall der Majorität in seiner Partei gefunden zu haben. Er – der Präsident – wisse aus der Zeitung, dass seine – Liebknechts – Anträge von Bebel und Vollmar bekämpft worden seien. Am Ende des Prozesses wird Karl Liebknecht zu anderthalb Jahren Festungshaft verurteilt, die er auch absitzt. Vor dem Reichsgericht hatte er unter anderem ausgeführt: „Nach meiner Meinung müsste jedem Menschen, wenn er ein Kulturmensch, wenn er ein ´Christ´ sein will, das Blut der Empörung ins Gesicht steigen, wenn zum Beispiel ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbräche.“ (L II Seite 144)

In den Köpfen deutscher Machthaber konnte sogar die lockende Intuition entstehen: Es gehe um die Weltherrschaft. Das hat der Kaiser auch durch seine Worte bekundet: „Wir Deutschen sind das Salz der Erde.“ Leider habe ich den Beleg für diesen Ausspruch nicht wiedergefunden, ich bin kein Historiker. Doch wie lebendig die Idee vom Salz der Erde ist, habe ich vor und während des Weltkriegs II erlebt. Sie ist immer noch nicht ganz erledigt.

Heutige Liebknecht-Verehrer werden sich fragen: Wann ist der Charakter-Starke noch konkreter geworden mit Enthüllungen und Visionen, um einem Krieg vorzubeugen? Hatten doch deutschländische Bürger gesagt: Was ist denn Besonderes daran, dass viele Länder um die Aufteilung der Erde besorgt sind? 1911 war Marokko noch nicht endgültig durch Frankreich fixiert. Da schickte der deutsche Kaiser Kriegsschiffe zur marokkanischen Küste, bekannt als „Panthersprung“, weil eines der Kriegsschiffe „Panther“ hieß. Mir scheint, der Panthersprung entsprang dem Wunsch nach Weltherrschaft. Dieser Wunsch beseelte nicht nur den Kaiser, sondern auch den Alldeutschen Verband und deutsche Industrielle, z.B. die Gebrüder Mannesmann (Klein Seite 229 und 392). Was der Alldeutsche Verband wollte, publizierte er 1913 in einem Handelsschul-Leitfaden mit dem Titel „Die deutsche Eisenindustrie“. Die Marokko-Krise wurde auch in der SPD diskutiert. Sehr sensibel reagierten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Diese beiden hatten Klarsicht und Charakter, nicht nur parlamentarische Reförmchen zu erstreben, sondern das kapitalistische System zu überwinden.

Ab 1913 wird Karl Liebknecht noch konkreter. Wohl als weltweit erster Friedensfreund leuchtet er hinein in die Praxis der Groß-Industrie. Darüber spricht er ausführlich zum deutschen Reichstag, am 18. und am 26. April. Ich muss 60 Buchseiten auf 60 Zeilen zusammenpressen, in 8 topoi a) bis h):

a) Die Deutsche Munitions- und Waffenfabrik will im französischen „Figaro“ das Gerücht publiziert sehen, die französische Heeresverwaltung hätte sich entschlossen, die Neubewaffnung mit Maschinengewehren „erheblich zu beschleunigen und die doppelte Anzahl, als zuerst beabsichtigt, zu bestelle (…). Wir bitten Sie, alles aufzubieten, um die Aufnahme eines derartigen Artikels zu erreichen.“ Eine solche Absicht gab es aber in Frankreich gar nicht. Die Deutsche Munitions- und Waffenfabrik wollte eine Falschmeldung im französischen Figaro, um dann in Deutschland zu sagen: Seht mal, wie die Franzosen aufrüsten. (KLA Seite 192 f)

b) Die Gußstahlfabrik Friedrich Krupp unterhielt in Berlin Agenten, um Beamte der Armee und der Marine zu bestechen. Von den Beamten wollte Krupp erfahren, welche Preise andere Rüstungsfirmen fordern. (KLA Seite 194)

c) Schon 1868, am 29. April, hatte Friedrich Krupp an Napoleon III geschrieben: „Ermutigt durch das Interesse, welches Eure erhabene Majestät für einen einfachen Industriellen und die glücklichen Ergebnisse seiner Bemühungen und seiner unerhörten Opfer bewiesen haben, wage ich von neuem, mich Allerhöchstderselben mit der Bitte zu nahen, geruhen zu wollen, beifolgenden Atlas anzunehmen. Er enthält eine Sammlung von Zeichnungen verschiedener in meinen Werkstätten eingeführter Gegenstände. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß besonders die vier letzten Seiten, welche die Gußstahlkanonen darstellen, die ich für verschiedene hohe Regierungen Europas angefertigt habe, einen Augenblick die Aufmerksamkeit Eurer Majestät auf sich lenken und meine Kühnheit entschuldigen werden. Mit dem tiefsten Respekt, mit der größten Bewunderung bin ich Eurer Majestät untertänigster und ergebenster Diener.“

d) Der deutsche Kriegsminister bestätigte, dass es die erwähnten Dokumente gibt. Liebknecht sagte vorm Reichstag außerdem: Dann werden wohl auch andere Firmen nicht wesentlich anders, anständiger als diese beiden großen Firmen Krupp und DMW handeln. (KLA S. 208) Liebknecht schloss seine Rede vorm Reichstag mit den Worten: „Wir wollen abwarten, ob auch die Mehrheit dieses Reichstags die erforderlichen Schlussfolgerungen ziehen wird, die im Interesse des deutschen Volk, im Interesse des europäischen Friedens gezogen werden müssen.“ (KLA Seite 210)

e) In seiner Reichstagsrede am 26. April 1913 wird Liebknecht noch schärfer: „Es sind gewaltige Kapitalcliquen, die die Rüstungsproduktion in der Hand haben, und es sind mit diesen Kapitalcliquen aufs engste versippt andere großkapitalistische Unternehmungen zum Teil industrieller Art, zum Teil Banken von großem Einfluß.“ Karl Liebknecht befasst sich mit den Firmen Siemens-Schuckert, Loewe und Daimler-Benz. (KLB S. 187 u.a.) Kennen lernte er auch Alfred Hugenberg, der später Protegé von Hitler wurde.

f) Liebknecht spricht es vorm Deutschen Reichstag aus: es besteht das Risiko, dass die Industrie auch die Lunte ans Pulverfass legt. Außerdem – so Liebknecht – könne es immer leichter gelingen, die große Masse der Bevölkerung „daran zu gewöhnen, hinter dem gleißenden Prunk des patriotischen Aufputzes“ die „Gier nach Gold“ grinsen zu sehen. (KLA S. 224) Vorm Reichstag hatte Liebknecht über das deutsche Vaterland gesagt: „Es ist aber nicht in Gefahr vor dem äußeren Feinde, sondern vor jenen gefährlichen inneren Feinden, vor allem vor der internationalen Rüstungsindustrie.“ (KLA S. 226) Mit Kruppzündern wurden dann „in England 123 Millionen Handgranaten hergestellt. (…). Krupp aber verdiente an jeder dieser englischen Granaten.“ (Pieck in der Deutschen Staatsoper zu Berlin 1951 über Karl Liebknecht. In KLA S. 16)

g) In einer Reichstagsrede im September 1913 spricht Liebknecht zum Thema „Das preußische Militär, das Gewaltmittel gegen das arbeitende Volk“. Da erwähnt Liebknecht auch die markanten Worte des Kaisers an seine Soldaten, die ich schon zitiert hatte: Notfalls müsst Ihr auch auf Eure Eltern schießen. Liebknecht benennt die aktuellen Gewalt-Drohungen, Missetaten und Menschentötungen des kaiserlichen Militärs. Sind Liebknechts Anklagen des Militärs auch noch relevant in unsrer Gegenwart? Ich sage „Ja“ und „Nein“:

„Ja“ sage ich, denn ich möchte verhindern: dass deutsches Militär in Konflikte eingreift, dass Drohnen gegen Menschen-Ansammlungen beschafft werden und Pharma-Unternehmen noch raffiniertere Gifte entwickeln als bekannt.

„Nein“ sage ich, weil schon mal bewaffnete Kräfte in Deutschland ein Sicherheits-Bündnis mit dem Volke geschlossen hatten, im November 1989, mit Auswirkung auf die ganze DDR. Deshalb freue ich mich, dass ich fünfzehn Jahre später – zusammen mit Ralf Schulz aus Königs Wusterhausen – zwei Mal gewaltbereite Polizisten in Berlin abwehren konnte, und dass meine Unabhängige Montags-Demo, seit 2004 in Berlin an der Weltzeituhr und vorm Fernsehturm, klar und freundlich von Polizisten respektiert wird.

h) Ab 1913 wendet sich Karl Liebknecht verstärkt dem Kriegs-Verhinderungs-Mittel „Massenstreik“ zu. Seine Rede auf dem SPD-Parteitag in Jena ist dem Thema „Massenstreik“ gewidmet. Der Parteivorstand wollte die Ansicht durchsetzen, alle Organe der Arbeiterbewegung müssten sich „vollkommen“ über den Massenstreik einigen: „Vollkommen“. Dazu Karl Liebknecht: „Eine solche vollkommene Einigung wird sich schwerlich jemals durchführen lassen“, der Parteivorstand neige dazu – so Liebknecht – „den Massenstreikgedanken zu lähmen, nicht aber zu fördern.“ Dabei handelt es sich – so Liebknecht – um eine demokratische, noch keine rein proletarische Forderung, „bei der in gewissem Umfang auf Sukkurs sogar von nicht proletarischer Seite zu rechnen ist.“ (KLA S. 269)

Anmerkung von mir: Wir haben jetzt 2014. Aber was heute das Verhältnis zwischen Partei und außerparlamentarischen Bewegungen betrifft, fühle ich mich an Karl Liebknecht auf dem Parteitag 1913 erinnert. Liebknecht hatte fortgesetzt: Wenn es nicht zum „wilden Streik“ kommen soll, „dann muss er vorher in den Massen in seiner ganzen Bedeutung mit der vollen Verantwortung verstanden werden. Deshalb bedarf es der Diskussion, der Gedanke muß lebendig werden (…). innerhalb der Massen selbst. (…). Auch in einer Zeit der Not wie gegenwärtig dürfen und müssen wir neue Waffen bereiten für die Zukunft (…).“ Liebknecht meinte natürlich nicht Schusswaffen, sondern neue Methoden für die Zukunft. Ich habe das Zitat abgekürzt, doch ich wollte deutlich machen, was Liebknecht einem roten Parteivorstand heute genauso zu sagen hat wie vorm Weltkrieg.

Die epochale Entwicklung des Kapitalismus analysierend waren noch stärker als Liebknecht seine Genossen Rosa Luxemburg und Wladimir Iljitsch Uljanow-Lenin. Doch Liebknecht konnte sich auf etliche Freunde mit Charakter stützen: Rosa Luxemburg, Klara Zetkin, Franz Mehring, auch Karl Kautsky, Alexandra Kollontai, Vera Figner, Sofia Ryhs und viele andere. Franz Mehring (geb. 1846) schrieb 1914, das internationale Proletariat „kann dem Weltkriege heute schon Hindernisse in den Weg legen.“ (Zitiert nach Pätzold S. 98 f.) August Bebel, schon ins Alter gekommen, schrieb 1908 an Karl Liebknecht, dass tüchtiger Nachwuchs in der Partei leider sehr rar sei: Du bist der einzige, auf den ich meine Hoffnung setze.“ (Zitiert nach Klein Seite 252)

Da bin ich glücklich, Charakterstärke auch in der Population unserer christlichen Mitbürger zu finden. Karl Liebknecht selber schrieb 1908, er habe Sympathiebekundungen empfangen „auch aus den Kreisen der deutschen Beamten; nicht minder von Geistlichen, die mich unter Anrufung der Bibel rechtfertigten, sogar prießen.“ (wörtlich in KL II S. 260. Vgl. S. 284, 330, 351)

Fanden auch Liebknecht und Berta v. Suttner zueinander? Die Zeit war allzu kurz. Dergleichen erleben wir heute: Friedensfreunde kommen aus unterschiedlichsten Richtungen. Damit sie zueinander finden, brauchen sie Zeit. Trotzdem schrieb Berta v. Suttner: „(…) wie die internationale Waffenindustrie das Schüren nationaler Furcht- oder Trutzgefühle betreibt, um den Absatz der vertrusteten Mordware zu sichern, das hat der Abgeordnete Liebknecht dokumentarisch aufgedeckt.“ (In Erinnerung gerufen von Historikern der DDR. Siehe KLB, Seite 180 und 182)

Nun ein Beispiel aus der Gegenwart. Es war im Januar 2003, da kam zu mir eine e-mail aus dem Schwabenland, vom christlichen „Lebenshaus Gammertingen“ in der Schwäbischen Alb. Für mich die erste Info über Widerstand gegen die USA, die zum Krieg im Irak ansetzten. Daraufhin begann ich zu telefonieren. Durch einen Bürger christlichen Glaubens im Landkreis Oder-Spree fand ich die Spur, die mich auch den erwähnten Superintendenten in Fürstenwalde finden ließ. Seitdem empfange ich auch regelmäßig die Rundbriefe aus dem Lebenshaus Schwäbische Alb. Die neueste Nummer (Juni 2014) gilt dem Thema „100 Jahre Erster Weltkrieg – 125 Jahre ‘Die Waffen nieder’“.

In dieser Nummer finde ich auch Auseinandersetzung mit der eigenen Konvenienz. Dazu erlaube ich mir ein langes Zitat aus dem Rundbrief Juni 2014: „Die große Mehrzahl der christlichen PazifistInnen in Deutschland wurde nicht durch das Evangelium, sondern erst durch die Kriegserfahrung belehrt.“ (S. 11) Auf der nächsten Seite: „Häufig fehlt uns die Rückendeckung von den offiziellen Kirchenleitungen. (…). Der aktuellen gemeinsamen Sozialinitiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz widersprechen wir deshalb in ihrer Akzeptanz eines neoliberalen Sozialstaats mit ökologischem Anstrich. (…). Unser derzeitiges Wohlstandsmodell und unsere Wirtschaftsordnung sind ethisch und ökologisch nicht akzeptabel. Das ganze Leben wird von einer kapitalistischen Anhäufungs- und Wachstumslogik beherrscht, die zur ‘Staatsreligion’ geworden ist. (…). wir lassen uns immer noch benutzen, dieses System bereitwillig oder gedankenlos zu legitimieren. Wir machen uns dabei eines Verbrechens gegenüber einem Großteil der Menschheit schuldig, (…). Rüstungsproduktion und bewaffnete Konflikte auch für wirtschaftliches Wachstum, die mit unserem Steuergeld finanziert werden (…). Wir lehnen die aktuell diskutierten transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP (EU-USA) (..). ab.“ (S. 14).

Die christlichen Friedensfreunde erkennen auch: Der Mammon, von dem Jesus sprach, ist heute das Kapital. Die jahrzehntelange Hemmung, von „Kapital“ und „Kapitalismus“ zu sprechen, ist im Bröckeln. Möge auch die Linkspartei bemerken, was im Bröckeln ist. Und was finde ich noch in diesem Rundbrief unserer christlichen Mitbürger? Überschriften wie „Bewahrung der Schöpfung“, „Abkehr vom Wachstumsdogma“ und „Ende der Ausbeutung“. Und zweitens finde ich bei den Mitbürgern christlichen Glaubens: ein Portrait von Rosa Luxemburg und zwei Gedichte von Bert Brecht. Eines dieser Gedichte schließt: „Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“

Wie soll der aufzuhalten sein? Da ist noch einmal ins Jahr 1914 zu springen: Im Juli 1914, vierzehn Tage nach den Schüssen von Sarajewo, vierzehn Tage vorm deutsch-österreichischen Kriegs-Ultimatum an Serbien, dem Ultimatum der beiden Kaiserreiche zum erwünschten Weltkrieg, trafen sich in Frankreich, im französisch-belgischen Industrie-Gebiet bei Valenciennes, die Charakter-Starken der europäischen Arbeiterbewegung. Über 20 000 Arbeiter mit hunderten Fahnen waren zusammengekommen. Karl Liebknecht war dabei und rief: „Es lebe der Friede!“, „Es lebe die Internationale“, und stimmte Arbeiterlieder an. Die Arbeiter französischer Zunge riefen minutenlang „Vive Liebknecht! Vive l´Internationale! Vive l´Allemagne“. Die französischen Arbeiter ließen Deutschland hochleben! (KLB, Seiten 197, 211) Noch in der letzten Juli-Woche protestierten auch in Deutschland hunderttausende Arbeiter gegen das Kriegs-Ultimatum der beiden Kaiserreiche.

Und nun schließe ich meine Rede mit Worten aus dem zweiten der Brecht-Zitate, die ich 2014 im Rundbrief der Mitbürger christlichen Glaubens aus Gammertingen fand: Im zweiten der zitierten Brecht-Gedichte heißt es:

„Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang. Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich.“

Zitierte Literatur:

KLG: Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Bände I bis VII, Berlin 1961

KLA: Karl Liebknecht, Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze, Berlin 1952

KLB: Karl Liebknecht – Eine Biographie in Dokumenten, hrg. Von Annelies Laschitza, Berlin 1982

Klein: Fritz Klein, Deutschland 1897/98-1917, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Lehrbuch der Deutschen Geschichte. Berlin 1961

Lebenshaus Schwäbische Alb: Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden & Ökologie e.V. , Rundbrief. 72501 Gammertingen, www.lebenshaus-alb.de

Pätzold: Kurt Pätzold in „Zeitschrift für marxistische Erneuerung Nr. 98, Juni 2014

Pieck: Wilhelm Pieck, Reden und Aufsätze, Berlin 1950

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen