Der Privatbundeskanzler
Nachdem vor Kurzem erst unter großer öffentlicher Anteilnahme ein neuer Bundespräsident gewählt wurde, der in den nächsten Jahren durch einen direkten Nachfahren aus
dem Hause Hohenzollern abgelöste werden soll, steht jetzt die Reform der Amtsgeschäfte des Bundeskanzlers an. Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, sollen die Geschäfte dem sogenannten Zeitgeist entsprechend demnächst auf privater Basis geführt werden. Aus dem Kanzleramt war zu vernehmen, man verspreche sich von einer solchen Privatisierung der Staatsaufgaben ganz wesentliche Impulse. An Wahlversprechungen wäre kein einziger Gedanke mehr zu verschwenden; der Kanzler könnte sich voll auf seine Regierungsarbeit konzentrieren, weil er den Bürgern nicht mehr zu erklären brauchte, was er tut.
Weiter geplant ist im Zuge dieser Reform unseres Staatswesens einschließlich seiner Verwaltung noch die Privatisierung der Bundestagsmandate sowie der Minister- und Staatssekretärsposten – so war aus der Bundeshauptstadt zu hören. Das hätte den unbestreitbaren Vorteil, dass durch den Verkauf solcher Ämter, Mandate und Posten, vielleicht auch durch deren Versteigerung, erhebliche Mittel in die leere Staatskasse flössen. Endlich wäre die leidige Diäten-Diskussion vom Tisch. Außerdem brauchten wir keine Korruptionsskandale mehr zu fürchten, denn private Politiker hätten selbstverständlich das Recht, „Beratungsgelder“ in beliebiger Höhe in Empfang zu nehmen. Was zurzeit illegal und somit eigentlich strafbar ist, könnte mit einem Federstrich legalisiert werden. Kriminalpolizei, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, MAD und Justiz, die auf diesem Gebiet oft jahrzehntelange Nachforschungen betreiben, wären spürbar entlastet (auch für diese heiklen Gefilde sind übrigens Privatisierungsabsichten im Gespräch).
Aufwändige Bundestagswahlen werden sich erübrigen, so dass die ungeheuren Wahlkampfkosten eingespart werden können. War bislang in der Bevölkerung eine deutliche Politikverdrossenheit zu registrieren, hat eine neuere Meinungsumfrage ergeben, dass sich die „Menschen draußen im Lande“ von einer unzumutbaren Verantwortung befreit fühlen.
Vor allem die Fernsehzuschauer sind erleichtert, weil die ermüdende politische Berichterstattung in Zukunft entfallen könnte, so dass mehr Raum bleibt für die beliebten Shows, Krimiserien und Sexfilme, was wiederum die Möglichkeit für Werbung erweitert. Nachdem die Sendung “Der Preis ist heiß”, in der bekanntlich Kandidaten die Preise von bestimmten Waren wie Waschmaschinen, Kühlschränken und Staubsaugern erraten mussten, so überaus hohe Einschaltquoten erzielt hatte, wird die Einführung einer neuen Sendung “Wie hoch ist ihr Preis?” über Politiker und Spitzenmanager erwogen. Die Verantwortlichen in den Anstalten versprechen sich für eine solche, doch ein wenig persönlichere Sendung, noch erheblich höhere Einschaltquoten, dazu eine grundlegende Erneuerung der politischen Kultur in unserem Lande.
Zu diesem Aufbruch, der unter dem zukunftsweisenden Motto „Wir sind wir!“ stehen soll, wird die geplante Reform der Verwaltung sicherlich flankierend beitragen. Nachdem bereits die Arbeitsämter durch die Umbenennung in Agenturen außerordentlich effektiviert wurden, ist im Gespräch, sämtliche Ämter nicht nur in Agenturen umzuwandeln, sondern darüber hinaus zu verkaufen, also auch Stadtverwaltungen, Finanzämter usw. Natürlich werden Polizei und Bundeswehr an diesen Reformen teilhaben, zumal die Weichen durch Outsourcing ohnehin schon seit Jahren in diese Richtung gestellt worden sind.
Unsere amtierende Kanzlerin, stets darauf bedacht in ihrem Wirken angemessen gewürdigt zu werden, wird allerdings nach ihrer Amtszeit zu ihrem Bedauern und dem ihrer Medienberater nicht als erste Privatbundeskanzlerin in die Geschichte eingehen und auch nicht an der Verwaltungsreform weiter mitwirken können. Für den Ankauf des Kanzlerpostens gibt es nämlich schon zahlreiche solvente Interessenten. Gemunkelt wird, dass sich sowohl die Scientology-Gesellschaft als auch die Russenmafia unter den Bewerbern befindet. Die noch amtierende Bundeskanzlerin soll sich zunächst abwartend zu den Bewerbungen geäußert haben. Als glühende Demokratin – so hieß es – sei sie jedoch nach allen Seiten offen und vorurteilsfrei; sie hoffe, dass Deutschlands unerschrockenes Beispiel in Europa und der Welt Schule machen werde.