Der Tanz mit dem offenen Raum
Monika Herz taucht in die Weisheit der Sufis ein und stellt fest: ihre Essenz ist nur jenseits der Worte zu finden.
Die Weisheit der Sufis sei sogar älter als der Islam, dessen mystischer Zweig der Sufismus sei, so hörte ich einmal. Die Sufis hätten sich zwar dem Islam angeschlossen, ihr Weg aber hätte sich nicht wesentlich verändert. Was also ist ein Sufi? Eine mögliche Antwort ist: Das ist Einer, der sich nach Freiheit sehnt. Was macht ein Sufi, um die Freiheit zu erlangen? Ein Sufi atmet mit, in und durch Allah, ein Sufi tanzt mit, in und durch Allah und ein Sufi singt für, mit, durch und in Allah. So weitet sich das Herz eines Sufi – bis es schließlich Allah ganz und gar in sich aufnehmen kann.
Sufi- Meister oder Sufi- Meisterinnen, das sind Leute, die wissen, was einem Sufi auf dem Weg begegnet: Das universale Heilige, die goldene Mitte, die immerwährende Präsenz und der offene Raum, Erfüllung und Befreiung. Das ist aber nicht alles, denn genauso warten Krisen, Ängste und Schmerzen, schwierige Aufgaben und der Tod am Wegesrand. Wie begegnet nun ein Sufi dem Einen wie dem Anderen?
Ein Sufi atmet, singt und tanzt mit dem offenen Raum und der ewigen Liebe Allahs ebenso wie mit dem Schmerz und dem Tod. Das ist der Weg der Sufis.
Wie genau atmet singt und tanzt ein Sufi? Sufimeisterinnen haben hunderte von Übungen im Köcher, eine davon heißt „ALLAH HU“.
Die Übung hat zwei Aspekte, nämlich den Klang der Worte und die Bewegung. Die Bedeutung des Wortes Allah ist allgemein bekannt, im Christentum würde man „Gott“ zu Allah sagen, die beiden Religionen entspringen ja derselben Quelle, der selben Sprache und der selben Wüstengegend. Im Hebräischen deutet die Silbe „AL“ oder „EL“ hin auf den Ursprung, von wo der Mensch hergekommen ist. Vielleicht könnte man sagen, die Silbe „Al“ von „Allah“ deutet auf „das All“, das Unendliche und Ewige, das Gefüge aus Raum und Zeit. Die zweite Silbe von Allah, das „AH“ kenne ich auch aus dem Sanskrit, sie bedeutet etwa „Das, was ist“ – oder auch „Es ist, wie es ist“. Kann gut sein, dass die uralten Sprachen näher mit einander verwandt sind, als wir annehmen möchten.
Was aber bedeutet „HU“? Mein Sufimeister Andre Shanteem sagt „HU“, das ist der geheime Namen Allahs. Der Überlieferung nach hat Allah 99 Namen – und eben jenen hundertsten Namen, den geheimen Namen. Wie kann etwas geheim sein, wenn es doch von den Sufis jedem bekannt gemacht wird, der das Geheimnis wissen will? Womöglich ist es das Wesen Allahs, dass das Geheimnis in Wahrheit überhaupt kein Geheimnis ist, sondern vollkommen offen vor uns liegt. In jedem Moment, in jedem Ding, in jedem Ton, in jedem Atemzug, in jedem Schritt. Wie wunderbar! Wie unbegreiflich! Wenn wir auf dem mystischen Zweig der Sufis wandern, dann wird die paradoxe Wahrheit das Denken in uns eines Tages ergreifen und es ersetzen durch ein klares, leuchtendes Wissen, das keine Worte hat. Wenn dieses Wissen, das nichts mit Denken zu tun hat, Worte hätte, dann wären es die Worte „ALLAH HU“!
Und so geht es immer weiter auf dem ewigen und endlichen Weg und die Übungen der Sufis sind wie hilfreiche Geister, die mit uns zusammen mal so, mal anders das Namenlose preisen und dazu tanzen. Wie wunderbar!
Literaturtipps:
Sufismus: Das mystische Herz des Islam – Eine Einführung von Andre Shanteem Ahmed Al Habib
Vom endlichen Weg – eine Symphonie der Hoffnung von Heinz Esp. Kindl