Die dunkle Seite des revolutionären Bewusstseins

 In Politik (Inland)
Maximilian Robespierre

Maximilian Robespierre

Die Opfer Stalins und die Mauertoten unter Ulbricht können sich freuen: Sie wurden nicht von irgendjemandem getötet, sondern von den Guten, ausdrücklich im Dienst einer gerechten, revolutionären Sache. Das fühlt sich doch schon viel besser an, als wenn man einfach nur so erschossen wird! Freilich sind das alte Kamellen. Aber sie sollten uns warnen, nicht zu blauäugig jedem hinterherzurennen, der sich “links” oder “sozialrevolutionär” gibt. Immer können sich gute Absichten auch mit Machtgelüsten oder gar blankem Sadismus verbinden. Wir müssen deshalb nicht nur darauf achten, was jemand sagt, sondern auch, wie er es sagt – wie er z.B. mit innerparteilichen Gegnern umgeht. Anmerkungen zu oft unbeachteten Aspekten eines linken Wertbegriffs von Holdger Platta.

Eindeutig ist die Formulierung „revolutionäres Bewusstsein“ aus linker Sicht eine überaus positive und wichtige Zentralkategorie. Allerdings ist zweierlei an diesem Begriffspaar „revolutionäres Bewusstsein“ oft irreführend bzw. auch nur ein halbes Ding.

Verstanden wird darunter bei uns Linken im allgemeinen die Tatsache, dass der Träger eines solchen Bewusstseins eine grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse wünscht – und zwar eine Änderung der Verhältnisse in Richtung einer humaneren Verfassung der Gesamtzustände, unter denen wir leben, eine gesellschaftliche Umgestaltung, die nicht zuletzt auch eine konsequente – wir sagen gerne auch: radikale – Demokratisierung der Wirtschaft miteinschließt. Abschaffung von Unterdrückung und Ausbeutung, das könnte man daher als das grundlegende, als das alles bestimmende, Ziel dieses positiven „revolutionären Bewusstseins“ bezeichnen. Aber:

1. „Revolutionäres Bewusstsein“ umfasst mehr als nur das Bewusstsein der Betreffenden – also, abgekürzt, lediglich kognitive Eigenschaften des jeweiligen Menschen. „Revolutionäres Bewusstsein“, das schließt – positiv – auch entsprechende affektive und unbewusste Anteile im Menschen mit ein: innere emotionale Unabhängigkeit zum Beispiel vom gegenteiligen “Mainstream”-Denken im Sinne des kapitalistischen “status quo”, Verbundenheitsgefühle mit anderen Menschen und Empathie, Angstfreiheit und Initiativität, Elan und vieles mehr.

Deswegen greift das Verständnis vom „revolutionären Bewusstsein“ als bloßem Bewusstsein auch viel zu kurz: es ist, wie ich anfangs bereits sagte, bestenfalls die halbe Miete. Doch andererseits gilt:

2. „Revolutionäres Bewusstsein“ zeigt sich nicht immer und prinzipiell und bei allen Linken derart ausschließlich erfüllt von positiver Emotionalität, wie sie soeben in wenigen Begriffen skizziert worden ist. Dieses „revolutionäre Bewusstsein“ kann und muss durchaus nicht nur fasziniert sein vom humanen Versprechen, das mit solcherart definierter „Revolution“ verknüpft ist. Nein, nicht selten ist auch das genaue Gegenteil erkennbar. Im Klartext: für manche geht von der Revolution sehr wohl auch höchst ungute Faszination aus – nämlich die Aussicht auf eigene Karriere, Herrschaft und Macht. Und darüberhinaus: Angezogensein von der Brutalität, die oft ebenfalls zutagezutreten ist oder zutagezutreten pflegt bei revolutionären Prozessen. Also: auch Faszination, ausgelöst durch Gewalttätigkeitserwartungen, kann Inhalt revolutionärer Bedürfnisse – sprich: Inhalt des „revolutionären Bewusstseins“ – sein.

Kurz: im „revolutionären Bewusstsein“ lauern potentiell auch sadistische Bedürfnisse, es ist durchaus nicht unbedingt und ausschließlich und bei jedem initiiert und geprägt von reinen, guten, humanen Gefühlen. Dieses sollten wir Linken, in Konfrontation mit der tatsächlichen Geschichte aller bisherigen Revolutionen, niemals übersehen. Nicht nur die Dantons, die Luxemburgs und Blochs verbinden sich in der Geschichte der Linken mit diesem „revolutionären Bewusstsein“, sondern auch die Robespierres, Stalins und MLPD-Sektierer à la Roland Meister, der jetzt schon wieder öffentlich vom zukünftigen „Blutvergießen“ spricht (letzteres ein wörtliches Zitat aus dessen Mund).

Fazit: es ist deswegen sehr genau hinzuhören und hinzusehen und hinzufühlen, was einer sagt, wenn er von Revolution redet, und es ist sehr genau zu beachten, wie er es sagt, wenn er von Revolution spricht. Wir sollten also nicht aufs Intellektuelle halbiert den Revolutionsplädoyers anderer lauschen und auch affektiv-verstümmelt nicht. Wir sollten auch diese negativen Anteile bei unserer Wahrnehmung solcher Plädoyers für die Revolution in Betracht ziehen und Sensibilität entwickeln für die Wahrnehmung dieser Sadismus- und/oder Machtbedürfnisse. Wir stehen ansonsten in der Gefahr, auf die falschen Personen und die falschen Bewegungen zu setzen: nicht auf die zukünftigen linken Befreier, sondern auf die linken Killer von morgen. Nur genaue Diagnose verhilft potentiell zu einigermaßen genauer Prognose, gerade auch, was linke Bewegungen und Menschen betrifft! Nur solcherart erweiterte Einsicht ermöglicht potentiell entsprechende Voraussicht und Vorsicht. Denn manche Menschen mit sogenanntem „revolutionären Bewußtsein“ haben nicht Humanität, sondern nur die Knarre im Kopf!

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