Die Friedensbewegung – zerstritten, gespalten, zergliedert

 In Friedenspolitik
Wie nahe darf man dem politischen Gegner kommen? Kipping und Friedrich beim Bundespresseball.

Wie nahe darf man dem politischen Gegner kommen? Kipping und Friedrich beim Bundespresseball.

Traditionelle Friedensbewegung. „Neue Friedensbewegung“. Montags-Mahnwachen mit vielleicht rechtslastigen Protagonisten. Pegida. NoPegia. Je suis Charlie-Demos. Das Feld der „Volksbewegungen“ wird unübersichtlich. Wo mitmachen, wo sich abgrenzen? Es wird auch für linke Pazifisten und Antifaschisten zunehmend schwer, sich zu positionieren, denn man ist ja (um einige Beispiele zu nennen) gegen Islamismus und für Pressefreiheit, aber gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen Mainstream-Meinungsmache, für den Frieden, aber gegen Querfront-Verbrüderung um jeden Preis. Hier ist Wolfgang Bittners besonnen Art, gedankliche Ordnung herzustellen, Gold wert. Er unterscheidet deutlich zwischen Kräften, von denen man sich klar distanzieren muss und solchen, mit denen man – trotz Differenzen – reden kann und sollte. Sein wichtigstes Anliegen: Der Frieden ist in der derzeitigen angespannten Situation so wichtig, dass sich die Friedensbewegung nach Möglichkeit allen Versuchen widersetzen sollte, sie zu spalten.
(Wolfgang Bittner)

Ein Freund schrieb mir zum Jahreswechsel, ihn erfülle Angst und Sorge, und er zitierte dazu den geblendeten Grafen Gloster aus Shakespeares „König Lear“: „Das ist die Seuche dieser Zeit: Verrückte führen Blinde“ („Tis the times plague, when mad men lead the blind“). Auch mich treibt es um, denn wir leben wieder in einer Zeit des Kalten Krieges und der West-Ost-Konfrontation, in der es jederzeit zu einem militärischen Schlagabtausch der Atommächte USA und Russland mit unabsehbaren Folgen kommen könnte. Wäre es in dieser heutigen politischen Situation nicht dringend geboten, dass Millionen Menschen für den Frieden auf die Straße gingen, um eine Änderung der Politik zu bewirken? Stattdessen ist die deutsche Friedensbewegung zerstritten und in einzelne Gruppen gespalten.

Im Wesentlichenlassen sich zurzeit in Deutschland drei Protestbewegungen unterscheiden: Erstens die herkömmliche Friedensbewegung, wie sie in Form des Friedenswinters 2014/2015 auftritt; zweitens die Mahnwachen oder auch Montagsdemonstrationen; drittens die Pegida, die aber nichts mit dem Anliegen der Friedensbewegung gemein hat. Des Weiteren gibt es neben den seit Langem existierenden Bündnissen gegen Rechtsextremismus seit einigen Wochen zahlreiche Anti-Pegida-Bewegungen, Kundgebungen gegen Rassismus und Ausgrenzungen oder – nach den Terroranschlägen in Paris – Pro-Charlie-Demonstrationen.

Friedenswinter 2014/2015

Die einst mächtige Friedensbewegung hat in Deutschland eine lange Tradition. Vereinzelt bereits im 19. Jahrhundert und verstärkt in den 1950er Jahren aus den Kriegserfahrungen entstanden, tritt sie zum Beispiel immer noch jedes Jahr bei den Ostermärschen öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Da wurde gegen die Wiederbewaffnung, den Vietnamkrieg, gegen Atomkraft und Atomwaffen, gegen die Stationierung von Raketen in Deutschland oder gegen den Irakkrieg von 2003 demonstriert, und zeitweise nahmen Hunderttausende an diesen Kundgebungen teil, darunter Persönlichkeiten wie Heinrich Böll, Willy Brandt oder Günter Grass.

In dieser Tradition ist meines Erachtens der Friedenswinter 2014/2015 zu sehen. Am 13. Dezember 2014 versammelten sich in Berlin über 4.000 Bürger vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten, und auch diesmal nahmen wieder viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an derKundgebung teil. Anlass waren die besorgniserregende Situation in der Ukraine wie auch die Aussagen von Politikern, insbesondere des Bundespräsidenten Gauck und der Kanzlerin Merkel, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, auch militärisch.

Das Motto war: „Verantwortung für unser Land heißt: Nein zu Krieg und Konfrontation.“ Ich habe eine beeindruckende Rede des bekannten Theologen Eugen Drewermann gehört, der absolut nicht im Verdacht steht, irgendwie ferngesteuert zu sein. Wie auch andere Redner, trat er überzeugend und vehement für Frieden und Abrüstung ein, für zivile Konfliktlösungen sowie gegen eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Das ist die aktuelle Friedensbewegung: Kooperation statt Konfrontation, eine Politik der gemeinsamen Sicherheit, in die auch Russland einbezogen werden muss. Keine militärischen Interventionen mehr, keine Atomwaffen …

Die Mahnwachen oder auch Montagsdemonstrationen

Daneben gibt es die Mahnwachen oder Montagsdemonstrationen. Sie sind nach eigenem Verständnis eine politisch unabhängige Bewegung, und die Organisatoren sehen sich in der Tradition der Montagsdemonstrationen von 1989 und 1990 in der damaligen DDR, aber auch der antimilitaristischen und pazifistischen deutschen Friedensbewegung zugehörig. Vor allem geht es gegen die Verschärfung des Krieges in der Ukraine, gegen die Ausspähung der Bevölkerung durch die US-amerikanische National Security Agency (NSA) und auch gegen die Einseitigkeit der Medien.

Solche Kundgebungen finden in zahlreichen Orten statt, und die Beteiligung wie auch die Anliegen sind manchmal sehr unterschiedlich. Oft stimmen Programm und Realität nicht überein. Zwar gibt es durchaus seriöse, engagierte Teilnehmer, die sich von inhumanen Ansichten abgrenzen; aber nicht wenige Demonstranten gehören unter dem Motto „Bei uns gibt es alle Farben“ ganz offensichtlich der rechten Szene an. Dadurch ist diese Bewegung in Verruf geraten. Hinzu kommt eine äußerst kritische, zum Teil bösartige Berichterstattung in den Medien.

Das ist ein Problem für diese Bewegung, wie ja auch aus Stellungnahmen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund des Antifaschisten (VVN/BdA), der Partei DIE LINKE und gewerkschaftlicher Organisationen hervorgeht, die vor einer Teilnahme an den Kundgebungen warnen. Hier droht meines Erachtens eine Spaltung der Friedensbewegung, weil an den Montagsdemonstrationen in den verschiedenen Orten Pazifisten, Ostermarschierer, Linke, Sozialdemokraten oder Gewerkschafter teilnehmen, was ihnen dann zum Vorwurf gemacht wird.

Aber auch der Friedenswinter wurde von vielen Medien mit Häme, böswilligen Unterstellungen und Beschuldigungen begleitet. Dabei ist nicht auszuschließen, dass subversive Kräfte an der Spaltung und Diskreditierung der gesamten Friedensbewegung beteiligt sind. Denn eine starke Bewegung für Frieden, Abrüstung und zivile Konfliktlösungen ist mit Sicherheit nicht im Interesse der Regierenden in diesem Land, nicht in Europa und nicht in den USA.

Die PEGIDA-Bewegung und deren Ursachen

PEGIDA bedeutet: Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Schon die Bezeichnung macht deutlich, dass Pegida nichts mit der Friedensbewegung zu tun hat, zumal bei den Kundgebungen fremdenfeindliche und nationalistische Ansichten vertreten werden. Insofern warnen viele beunruhigte Mitbürger zu Recht vor einer Teilnahme an den Aufmärschen dieser Protestbewegung. Andere rufen zu Besonnenheit und Differenzierung auf, weil an den Pegida-Demonstrationen Menschen unterschiedlichster Orientierung teilnehmen, also auch Menschen, die ein oftmals nur diffuses Unbehagen mit der Politik empfinden, was sich dann – statt gegen die herrschende Politik – gegen die Ausländer und den Islam richtet. Hier führen Populisten das Wort. Am 22. Dezember 2014 haben in Dresden 17.000, am 12. Januar sogar 25.000 Menschen demonstriert, und es ist nicht auszuschließen, dass sich diese Bewegung zu einer neonazistischen Gefahr entwickelt könnte.

Viele Bürger merken heute mehr oder weniger – oft nur intuitiv – dass etwas nicht stimmt, dass sie von den amtierenden Politikern und den nahezu einheitlich agierenden Massenmedien nicht ernst genommen und sogar belogen und betrogen werden. Die Menschen leiden unter der Entsolidarisierung in der Gesellschaft, die durch eine verantwortungslose Politik verursacht wird: Arbeitslosigkeit, zunehmende Altersarmut, übermäßig teure Mieten, mangelnde Krankenversorgung, soziale Unsicherheit … Ein Viertel der deutschen Bevölkerung, das sind etwa zwanzig Millionen, leben unterhalb oder am Rande des Existenzminimums, und das in einem der reichsten Länder der Welt.
Während Schwimmbäder, Jugendzentren, Bibliotheken, Theater und andere Kultur- und Sozialeinrichtungen geschlossen werden und Hartz-4-Empfänger nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, wachsen Einkommen und Vermögen gar nicht so Weniger auf Kosten der großen Mehrheit ins Unermessliche. Zugleich gehen Milliarden in die Rüstung, an Banken oder jetzt an die Kiewer Ukraine, wo eine von den USA unterstützte kriminelle Regierung Krieg gegen die eigene ostukrainische Bevölkerung führt und den Militärhaushalt soeben auf 2,4 Milliarden Euro verdoppelt hat.

Das ist eine brandgefährliche Situation, und das macht sich unreflektiert Luft in einer Bewegung wie der Pegida. Aber dadurch ändert sich nichts, denn die Demonstranten fordern nicht ihre in der Verfassung verbürgten Rechte ein, sondern sie verlangen ein starkes Deutschland ohne Islam, sie wenden sich gegen Menschen, denen es noch schlechter geht als ihnen. Und die Politiker fragen bisher nicht nach den Motiven so einer Protestbewegung, sie ignorieren zum Beispiel die Ursachen der Flüchtlingsströme aus den zerstörten Ländern (zerstört von wem und warum?). Das bedeutet: Wenn die Politik – im Einvernehmen mit korrumpierten Medien – weitermacht wie bisher und sich nicht den existenziellen Fragen der Bevölkerung stellt, braucht sich niemand darüber zu ereifern, dass Pegida und eine Partei wie die Alternative für Deutschland (AfD) zu einer ernsten Gefahr für die – ohnehin mehr und mehr ruinierte – Demokratie anwachsen.

Wie mit der Propaganda umgehen?

Selbstverständlich muss sich eine Friedensbewegung, die den Namen verdient, gegen inhumane Ansichten und Parolen abgrenzen. Was aber ist davon zu halten, wenn durchaus gutwillige, antimilitaristisch und pazifistisch orientierte Bürger, die an Friedensmärschen oder Mahnwachen teilnehmen, pauschal als Nazis, Antiamerikaner, Putinfreunde oder Querfrontler diffamiert werden? Waren etwa die Millionen, die nach den Anschlägen von Paris demonstriert haben, sämtlich lupenreine Demokraten? Wer von den Politikern und Journalisten, die diese Demonstrationen zum Anlass für ihre Propaganda machten, hat danach gefragt, ob Teilnehmer mehr rechts oder links orientiert waren?

Zu registrieren ist, dass in letzter Zeit mehr und mehr ehrabschneiderisch gegen Menschen polemisiert wird, die sich für Frieden und gegen Militarisierung wenden. Da sollen offensichtlich auch kritische Publizisten zum Schweigen gebracht werden, indem man ihnen durch Diffamierungen die Existenz entzieht. Einer der Kampfbegriffe ist Antiamerikanismus. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Arno Klönne hat dazu kürzlich in der Zeitschrift Ossietzky(Nr. 1/2015) wie folgt Stellung genommen:
„Eine geopolitische ‚Führungsmacht‘, deren Regierung immer wieder Feldzüge unternimmt, um andere Staaten zu ruinieren; die geheimdienstlich einen weltweiten Big-Brother-Betrieb unterhält, sich massenmediale Beihilfe für ihre Operationen out of area kauft, zerstörerische ‚Revolutionen‘ anzettelt, per Drohne illegal Widersacher tötet, auch Folterungen nicht scheute – wenn ich dieser US-amerikanischen Politik widerspreche, ziehe ich mir hierzulande leicht den Vorwurf zu, ich sei ‚Antiamerikaner‘, ein Feind der ‚westlichen Wertewelt‘, vermutlich ideologisch infiziert von nazistischen Hinterlassenschaften.“

Arno Klönne hat sich geprüft, er kommt zu dem Schluss: „Nationen haben keine kollektive Identität. Keineswegs in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, nur in der Propaganda von Machteliten. ‚Antiamerikaner‘? Bin ich nicht.“ Ich stimme ihm uneingeschränkt zu, seine Einschätzung gilt für viele Intellektuelle, die jetzt angefeindet werden. Aber ich möchte das Spektrum der Argumente noch erweitern: Ist jemand ein Antiamerikaner, Verschwörungstheoretiker, Putinversteher, Querfrontler oder was auch immer, wenn er die Frage stellt: Müssen wir, die wir für Frieden eintreten, jemanden maßregeln, der neben uns „undifferenziert“, „einseitig“, „platt“ oder „simpel“ gegen die Ungeheuerlichkeiten demonstriert, die uns geboten werden? Wer will hier wem das verbürgte Recht zu demonstrieren aberkennen, soweit nicht offensichtlich gegen die Grundsätze der Verfassung verstoßen wird? Ich bin kein Meinungswächter in einer Atmosphäre geschürter Terrorismushysterie, die offensichtlich von den eigentlichen Problemen unserer Gesellschaft ablenken soll.

Allerdings fühle mich dazu verpflichtet, mich jeglicher Form von Gewalt entgegenzustellen und von Mitdemonstranten zu distanzieren, die neonazistische, menschenverachtende Ansichten vertreten. Dagegen bin ich bereit, mit Mitdemonstranten darüber zu diskutieren, ob sich die israelische Regierung völkerrechtswidrig verhält, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, ob das Schlagwort von der „Willkommenskultur“ nur die Phrase einer saturierten Politikerkaste und ihrer Sprachrohre ist und ob sich die deutsche Politik nicht gegen das aggressive, verbrecherische Machtstreben US-amerikanischer Wirtschaftseliten abgrenzen müsste. Im Übrigen halte ich es für an der Zeit, dass Millionen auf die Straße gingen, alle, die intellektuell oder intuitiv begriffen haben, worum es geht: Um die Bewahrung des akut gefährdeten Friedens.

Wolfgang Bittner ist Jurist und Schriftsteller. Kürzlich erschien sein Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“.

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