Eulenfeder: parole peaceful change, Teil 2/2

 In Kurzgeschichte/Satire

Barn OwlGestern haben wir gelesen, wie unser Held Eulenfeder an seiner Blockhütte inmitten der Waldeinsamkeit bastelte. Da ereilte ihn ein Telegramm, das ihn nach Berlin einlud. Eigentlich mag der Natur- und Tierfreund zu große Zusammenballungen von Menschen ja gar nicht, aber dort, in der Großstadt, schien sich Weltbewegendes anzubahnen. Da durfte er mit seinem erprobten revolutionären Potenzial doch nicht fehlen! … Lesen Sie, wie es Eulenfeder in Berlin erging und welchen – für manche Leser überraschenden – “Helden” und “Heldinnen” er dort begegnete.

in berlin angekommen, weckt mich eine lautsprecher-durchsage, torkle noch schlaftrunken aus dem zug und schau mich um. tausende von reisenden und feiernden, fröhliche leuten bevölkern den berliner bahnhof, ein durcheinander von stimmen und rufen, von klängen und gesängen, gitarren und bongos, parolen und aufrufen, aus lautsprechern in kaum zu verstehenden wortfetzen. “bitte bewahren sie ruhe … eskalation … geben auskunft … hilfe …” ich spüre panik, habe das beängstigende gefühl, die massen kommen auf mich zu, stehe wie eine singularität bewegungslos in der halle, versuche mein verwirren in den griff zu bekommen, die angst abzuschütteln – war es nicht mehr gewohnt, mich in solchen menschenmassen zu bewegen, massenaufläufe schon immer panisch für mich, immer gemieden – muss hier raus! sofort! – also kämpfe ich mich gegen diesen strom beharrlich geradewegs mittendurch und auf die strasse. erstmal durchschnaufen, eine rauchen, die panik besiegen. welch ein krasser gegensatz nun zu meinem erfüllten leben in der heilenden einsamkeit der natur, und nun fällt mir der grund auf, warum die leute mich so anstarren wie einen alien, kopfschütteln und lachen auch – ich musste auffallen wie robinson crusoe, hatte immer noch meine längst zerschlissene übergrosse latzhose an, ein löchriges t-shirt, mein alltägliches gewand eben und war barfuss! unwillkürlich fasse ich mir ans kinn und spüre einen wilden bart – meine hände schwielig von monatelanger handarbeit … nun also hält mir die zivilisation einen spiegel vor, eine zivilisation, die ich befriedigend abgeschüttelt hatte, weil dumm und die sinne abstumpfend!

lache über mich selbst und damit kommt die ruhe zurück, mein selbstwertgefühl und stolz als einziger normaler in diesen massen! aber da war auch eine wiederkehr längst vergangener gefühle aus meiner jugendzeit, damals 1968, als ich in der hippie-zeit wiedergeboren wurde, sehe und spüre hier wieder den aufruhr, den aufbruch, ein neues lebensgefühl wie es damals greifbar überall, und in diesem moment erkenne ich veränderungen vielfältiger art, eine nicht geordnete vielfalt des unbeschwerten, als wäre diesen leuten eine last genommen. waren das schon die ersten auswirkungen einer nun geglückten revolte? frage einen polizisten mit einer weissen armbinde ‘friedenswacht’ nach dem weg zum parlamentsgebäude, bekomme freundliche antwort und besteige einen shuttle-bus dorthin, ‘nun muss ich den reichstag nicht mehr anzünden’, denke ich mir grinsend.

durch kaum mehr überschaubare massen bahne ich mir meinen weg in diesen protzbau, auffällig obwohl nie hier gewesen: keine absperrungen, schranken, keine sicherheitskontrollen, nur polizisten mit jener weissen armbinde. eine überall spürbare friedlichkeit, fahnen und parolen – ja, jedoch nichts beängstigendes. eine erstürmung in friedlicher absicht musste stattgefunden haben, schon tage zuvor, dieser riesige bau war bevölkert mit feiernden, eine bunte anarchie – die leute schienen begriffen zu haben, dass frieden und freiheit nicht durch gewalt gefährdet werden dürfen. wo könnten sie sein – die gefährten der revolte? – frage mich durch und bekomme hinweise, komme langsam in einen etwas ruhigeren bereich, von vielen ‘friedenswächtern’ etwas abgeschirmt, und lese plötzlich ‘übergangs-kommittee’ an einer tür, ein riesiger posten hält mich auf, als ich hinein will, fragt mich nach einer parole. ‘peaceful changes’ – sage ich, er grinst, nickt verstehend und lässt mich hinein.

ich betrete einen grossen saal, geradezu verloren darin wirkend ein runder, grosser tisch, schlichte stühle, computer und telefone überall, eine gruppe von ca. 10 leuten diskutiert heftig, bierkisten und wasserflaschen am boden, einige drehen sich nach mir um, ich gehe auf sie zu, die meisten wundern sich über diese skurrile erscheinung, fragende blicke. ‘was will der denn hier’ in etwa. ich erkenne den Holdger (sowieso hatte ich die leute von “hinter-den-schlagzeilen” nie persönlich kennengelernt, kannte nur einige von ihnen vom eingestellten foto), – und Holdger ruft: “häuptling eulenfeder – grüss dich!”, dabei hält er die hände in die höhe, in der einen ein taschenmesser, in der anderen ein stück holz, “schon mein dritter handschmeichler, zwetschgenwurzel diesmal!”, um sogleich fröhlich ein lied anzustimmen: “sehr gut!”, lache ich, weiter so, vor ihm auf dem tisch ein halb leeres glas wein, wie glücklich und erfüllt musste dieser so besonnene mensch sein! mein name nun gefallen, weichen die verwunderten blicke einem fröhlichen “hallo, schön dass du gekommen bist”. ich erkenne den Roland, er begrüsst mich: “hab’s gewusst, auf den häuptling können wir uns verlassen, herzlich willkommen.” nach und nach stellen wir uns vor und ich staune, kannte alle vom schreiben, von den kommentaren, aber nie gesehen zuvor, schüttele die hand von “Charlie” und “Piranha”, auch sie waren dabei, freute mich, war angenehm überrascht, lerne den bisher unsichtbaren Alexander kennen, den so sympathisch bescheidenen aber wichtigen mann im hintergrund.

mache mir ein bier auf und dreh mir einen joint, erstmal runterkommen von diesem allgemeinen durcheinander draussen, den so vielfältigen eindrücken, die ich nicht mehr gewohnt war. “nun bin ich aber gespannt wie ich euch nützlich sein könnte”, sage ich. “ihr habt mich aus meinem paradies geholt, meinem wolfsheim, meiner einöde, in der ich so glücklich bin. und – wie ist die revolte nun gelungen? habe keine ahnung, völlig abgechnitten vom zeitgeschehen seit ca. sieben monaten, kein fernseher, pc oder zeitung!” ich werde aufgeklärt und staune über den ablauf, wie es gelingen konnte, also, wenn ich’s richtig verstanden habe, dann war die revolte quasi im untergrund schon derart gewachsen, verbreitet überall in allen schichten, in der politik sogar, dass ein friedlicher rückzug der mächtigen die einzige möglichkeit war, einen gewaltfreien systemwechsel hin zu einer neuen sozialen odrnung zu vollziehen und den leuten vom “aufruf zur revolte” wurde diese neuordnung in allen bereichen in die hände gelegt, als übergang zunächst mal.

fühle mich wohl in dieser ungezwungenen, fröhlichen wenn auch begierig diskutierenden runde, “wo sind denn die ober-revoluzzer”- wollte ich wissen, “der Konstantin und Seine Hoheit Prinz Chaos der Viertelvorzwölfte – “sind gerade auf tournee in südamerika”, meint Roland. “kommen sobald sie können und haben schon durchblicken lassen, dass sie künstler bleiben, aber gerne den bereich kunst und kultur übernehmen wollen. “und wie kann ich euch helfen”, wollte ich nun wissen. “ja eulenfeder, wir sind der meinung, dass es keinen besseren gibt für den bereich natur, umwelt, schutz der tiere – was meinst du dazu? traust du dir das zu?” “zutrauen allemal”, entgegne ich. “aber ihr kennt meine einstellung zur politik, werde mich niemals politisch engagieren.” – “ja ja, haben schon heftig darüber gestritten auch und eine lösung gefunden, eine möglichkeit für dich, deine ideen und deine konsequente haltung einzubringen, zu diktieren auch wenn’s sein muss und trotzdem ausserhalb politischer agitation zu bleiben.” – “und ihr meint, das funktioniert tatsächlich?” – “sollte gehen, zumal wir alle den schutz unseres planeten insgesamt für unbedingt vorrangig halten!” – “o.k., wenn’s so geht, warum nicht, aber ich werde auf jeden fall zurückgehen in mein paradies, dort im einklang mit der natur tatsächlich leben. also wenn’s trotzdem geht, o.k. muss mir halt ein telefon anschaffen nun, aber auf kosten der revolutionskasse – haha. handy bleibt tabu für mich, und auch in stress darf es nicht ausarten. und ihr wisst auch was es bedeutet, wenn ich mich für die tiere einsetze? ich meine: die rechtliche gleichstellung, was wiederum das verbot von tierhaltung allgemein zur folge hat. das schlachten, metzgereien werden abgeschafft, jeglicher handel mit tieren, schaffung neuer lebensräume für sie und viel mehr, ist euch das wirklich bewusst??”

ein etwas betroffener ausdruck plötzlich in den gesichtern der kameraden, mit dieser konsequenz hatten sie nicht gerechnet, obwohl der notwendigkeit bewusst. “schon gut”, lenke ich ein. ” wird nur in schritten zu machen sein, aber letztendlich gibt es da keinen kompromiss” um die situation wieder etwas aufzulockern, bemerke ich mit einem grinsen: “und – wer kümmert sich um die frauen – ähhhh – ich meine die frauenrechte natürlich, die endgültige völlige gleichstellung?” – “Ich natürlich!”, tönt es powerful vom eingang her. “oh, hallo Ellen!”, meint Roland freudig. “wunderbar, dass du kommst”. sie wird allgemein willkommen geheissen, beklatscht sogar, ich bin ebenso überrascht und erfreut, stehe abrupt auf, um dieser “alten” kämpferin mal persönlich die hand geben zu können … und haue mir dabei den schädel an etwas sehr hartem an, derart heftig, dass ich meinen eigenen aufschrei noch höre, bevor es schwarz wird und ich zu boden sinke! …

eine hand rüttelt an meinem arm, die dunkelheit gibt allmählich das gesicht meines sohnes frei. ein besorgtes “papa – was ist los?” – ich schaue mich um, sehe mich völlig upside-down auf meinem schlafsofa liegen, kopfkissen und bettdecke fehlanzeige, wohl heftig geträumt und alles weggestrampelt dabei, über meinem gesicht die kante des steinernen fensterbretts, taste nach meinem hinterkopf und spüre etwas blut – “geht schon”, sage ich. “wohl geträumt – alles klar!” – torkle in die küche – kanne kaffe durchlaufen lassen – zum computer, schmeisse ihn an – unter dem türschlitz am boden drei briefe, ein grauer, ein grünlicher und ein brauner. setz mich mit kaffe und zigarette an den pc, überfliege die absender in den adressfenstern: finanzamt, agentur für arbeit, landgericht! – was wollen die arschlöcher schon wieder? überlege kurz – reisse alle drei in der mitte durch und schmeisse den mist in den papierkorb. ‘alle programme’ – ‘zubehör’ – ‘word pad’ – beginne diese geschichte aufzuschreiben, solange noch im kopf, noch rückspulbar, bis sich die traumfetzen ins nichts auflösen …

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen