Eulenfeder: parole peaceful changes, Teil 1/2

 In Kurzgeschichte/Satire
Expeditionen ins Tierreich. Dieser Wauwau repräsentiert nicht den Artikel, sondern einen Persönlichkeitsaspekt des Autors, Eulenfeder

Expeditionen ins Tierreich. Dieser Wauwau repräsentiert nicht den Artikel, sondern einen Persönlichkeitsaspekt des Autors, Eulenfeder

Damit es nicht heißt, unser Webmagazin sei negativ und immer nur “dagegen”, kommt hier einmal etwas wirklich Aufbauendes. In Zeiten öder “Realpolitik” und eines schmerzlichen Utopieverlusts wagt unser Autor Eulenfeder eine Vision, die wirklich begeistert. Wir finden ihn anfangs als Aussteiger an einem Ort vor, wo sich Rabe und Wolf gute Nacht sagen. Doch wie bei jeder echten Heldenreise ereilt den Einsiedler der “Call to adventure”. Wird er dem Ruf folgen? …

…die letzten schläge auf den japanischen fünfziger zimmererbeitel mit meinem selbstgedrehten birnbaumklüpfel, dabei rittlings auf eben diesem letzten noch fehlenden dachsparren sitzend, der letzte schlitz also für den schon fertigen zapfen zum gegenstück auf der firstpfette – dann ist es geschafft, der dachstuhl fertig! wie ein besessener hatte ich geschuftet – von sonnenaufgang bis untergang, die tage und wochen nicht gezählt, in einem berauschenden glücksgefühl, weil alles allein gemacht, mit meinen händen geschaffen, mein dach über den kopf als krönenden abschluss quasi auf die hütte in blockbauweise, die ich zuvor schon balken für balken in nur einem halben jahr hochgezogen hatte, die freude an der zeder die so unvergleichlich widerstandsfähig gegen wind und wetter mein heim und meine schutzhütte wurde. ja – alles mit den händen gemacht, gesägt und gehobelt, unzählige verbindungen geschaffen, keine nägel verwendet – in traditioneller bauweise verbunden – für die ewigkeit! stück für stück wachsen sehen und das mit einer zufriedenheit, die kaum zu beschreiben ist – eine erfüllung und ein grosses glücksgefühl. geschlafen am lagerfeuer oder in der notdürftig eingerichteten werkstatt in einer halbverfallenen sehr alten holzhütte auf dem boden, gewaschen am ziehbrunnen, mich nur mit dem nötigsten an essen und trinken versorgt – das auskommen mit dem wenigsten und trotzdem meinen traum mir erschaffend – mein wolfsheim auf meinem grund!

nun kommt es mir vor als hätte ich zum ersten mal den zimmererbeitel weggelegt, den klüpfel mal aus der hand gegeben – derart zeitlos und glücklich besessen arbeitend und sinnvoll ist dieses halbe jahr vergangen. nun sitze ich also auf diesem fertigen dachstuhl, schaue zufrieden über meinen grund am waldrand, der mir längst heimat geworden war, über die hügelige landschaft, die mir vertraut inzwischen. das auge erfreut sich an allem was mich umgibt, wurde eins mit der wunderschönen ländlichen gegend hier inmitten von nichts als natur, die mich erfüllt und die ich achte, keine nachbarn weit und breit. dieses eigentliche sinnvolle leben hatte schon mit dem ersten tag begonnen. musste mich zurechtfinden, mein heim schaffen und dieses schaffen ist die erfüllung.

aber ganz so allein war ich nicht – hatte eine treue begleiterin von anfang an, und sie hatte meinen wildwuchsgrund in dieser zeit von sämtlichen nacktschnecken befreit, alle aufgefressen! die edeltraut – eine polnische gans – war mir ans herz gewachsen, wachsamer als jeder wachhund mich beschützt, alarm geschlagen, neben mir gechlafen, weil sicherer vor dem fuchs, der immer nachts sein glück versuchte. in diesem moment meines triumphes schaut sie zu mir hoch als wollte sie mein glück mit mir teilen – wir verstanden uns.

ein schwaches motorengeräusch lässt uns beide richtung schlehenweg schauen, der einzige weg zu uns herauf, stellenweise kaum als solcher zu erkennen – und wir beide kannten das geräusch, konnte nur das postauto sein, aber um diese zeit? – dämmerung zog schon herauf vom eibengrund, sehr ungewöhnlich für uns beide und wie gwohnt bekam sie einen steifen hals und watschelte zielgenau fauchend und zischend zum gartentor, bereit alles anzugreifen, was immer sich auch näherte. tatsächlich der postmann, ich steige vom dachstuhl herunter, versuche edeltraut zu besänftigen, der wagen hält, wie immer traut sich der arme postler nicht auszusteigen, kurbelt das fenster herunter und hält briefe in die höhe: “hallo – ein telegramm, eiltelegramm sogar, und weitere briefe, die ich morgen erst gebracht hätte, aber wenn ich schon mal rauf muss zu ihnen…”

ich nehms dankend an, und er verschwindet eilig. – ein grauer, ein grünlicher und ein brauner – nix gutes also, lese kurz die absender im adressfenster – finanzamt, bundesagentur für arbeit, landgericht … überlege kurz – was wollen die noch von mir, bin endgültig glücklich ausgestiegen – sollen mich am arsch lecken! – zerreisse sie ungeöffnet und schmeisse den mist ins feuer. also habe ich noch das telegramm in den händen – kann mir kaum vorstellen wer dieses an mich geschickt, öffne es neugierig, eine gewisse neugier auch bei edeltraut, sie legt den kopf auf die seite und ihren schnabel auf mein bein, als ich am feuerschein mit grossem erstaunen und einer gewissen ungläubigkeit folgendes lese: “hallo eulenfeder – alter mitstreiter – wir brauchen dich hier in berlin – bitte komm so schnell wie möglich – findest uns im parlament – parole ‘peaceful changes’ – lieber gruss ‘die revolte'”.

was ? – denke ich mir, nach berlin – ich? was war geschehen? ja – freilich, war verbunden immer noch mit den leuten seit damals ,als der aufruf zur revolte begann, hatte mit allen diesen grossartigen kämpfern für einen friedlichen umsturz gehofft, es als meine verpflichtung gesehen mitzuhelfen, mitzuwirken dafür, aber – was ist passiert? – keine verbindung zum rest der welt seit ich hier meinen lebenstraum real begonnen hatte, in und mit der natur – endlich! – meine erfüllung hier gefunden, selbstverständlich ohne telefon, computer, fernseher … ein kleines radio ja – aber schon lange vergessen, es nie gebraucht in meinem glück! also ist was geschehen nun – tatsächlich!? der umsturz geglückt!? – kann nicht anders sein – welchen sinn hätte dieses telegramm sonst? und wenn, dann hatte ich nichts davon mitbekommen.
aber alles spekulieren nützt nix – wenn ich genaueres wissen will, muss ich diesem notruf folgen, jedoch fällt es schwer, mich zu entscheiden trotzdem, “nur mit den füssen voran bringt ihr mich hier wieder weg” – hatte ich mir geschworen. doch es hilft nix – kann mich nicht drücken, nun da sie mich brauchen – also schnür ich meinen rucksack, packe das nötigste ein, setze edeltraut in den kleinen fahrrad-anhänger und mach mich auf den weg zu häuptling ‘schlauer biber’, meinem freund und einzigem nachbarn im torfgrund, ca. fünf kilometer von hier. er wird sich um edeltraut kümmern für die zeit meiner abwesenheit, und es gab eine bushaltestelle dort, irgendwie dann nach berlin kommen – wird schon gehen!

in mehreren kleinen etappen mit bussen und zügen und dann im zug nach berlin sitzend überkommt mich eine grosse müdigkeit, müssen nun 20 stunden gewesen sein nach dem letzten aufstehen am feuer und meinem triumph der fertigstellung des dachstuhls, also suche ich mir einen platz zum hinlegen, überfliege kurz die schlagzeile einer liegen gebliebenen bild-zeitung “die roten sind los! leute sperrt eure kinder ein!” – na warte du schmierfink, denke ich mir vergnüglich, wird dein letzter hetzartikel gewesen sein – und schlafe ein.

(Morgen lesen Sie an dieser Stelle den zweiten Teil dieser Erzählung. Der individuellen Utopie vom Aussteigerleben im Wald folgt dann eine viel größere, kollektive Utopie. Sie werden staunen und unter den “Roten” einige gute Bekannte wieder entdecken.)

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