Fall Edathy: nur eine Schmierenkomödie?
Das wichtigste Problem unserer Zeit – da sind sich alle einig – ist der Fall Edathy. Natürlich findet jeder Kinderpornografie schlimm. Dennoch ist einiges faul an dem „Fall“: Nach dem ehernen juristischen Grundsatz der Schuldvermutung wird eine Existenz ruiniert, lange bevor ein Urteil vorliegt. Hans-Peter Friedrich musste gehen – nicht etwa wegen seines sehr gefährlichen Satzes vom „Supergrundrecht“ Sicherheit. Und die Parteien erkennen in „Geheimnisverrat“ die Quelle alles Bösen, was stark nach dem altbackenen Vokabular der Repression und Intransparenz riecht. Wolfgang Bittner hat sich mit diesem Artikel das Verdienst erworben, sich eine wirklich unabhängige Meinung zu dem leidigen Thema zu erarbeiten.
Gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy aus Rehburg-Loccum im Kreis Nienburg/Niedersachsen finden Ermittlungen wegen des eventuellen Besitzes von Kinderpornographie statt, und aufgrund vager Verdachtsmomente werden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei wird kein belastendes, also unter strafrechtlichen Gesichtspunkten relevantes Material gefunden. Dennoch ist der in Verdacht geratene Politiker weiter verdächtig, weil bei ihm kein belastendes Material gefunden wurde (das erinnert an den Fall des französischen Hauptmanns Dreyfus). Edathy sei gewarnt worden, eventuell von Parteifreunden, heißt es daraufhin, und das sei Geheimnisverrat.
Der ehemalige Innenminister Friedrich (CSU), jetzt kurioserweise Landwirtschaftsminister, tritt zurück. Er war vom BKA-Präsidenten Jörg Zierke informiert worden und gab sein Wissen im Oktober 2013 weiter an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der wiederum die Parteispitze, u.a. Thomas Oppermann, informierte. Dadurch gerät im Februar 2014 die SPD-Führungsriege in Verdacht, Geheimnisverrat begangen zu haben, die CDU/CSU fordert Konsequenzen.
Dabei plaudert der Polizeipräsident von Göttingen Robert Kruse gegenüber einem lokalen Verbraucherblatt (Göttinger Extra Tip vom 16.2.2014), dass er bereits im Oktober 2013 von Ermittlungen gegen Sebastian Edathy gewusst habe, ebenso wie der Leiter der Polizeiinspektion Nienburg Frank Kreykenbohm, der Präsident des LKA Niedersachsen Uwe Kolmey und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius. Es ist die Rede von der „Einbindung niedersächsischer Polizeibeamter in die Maßnahme“.
Die Informationen zum „Fall Edathy“ waren also bereits im Oktober 2013 breit gestreut. Jetzt wird scheinheilig über Geheimnisverrat oder „Nötigung“ des BKA-Präsidenten durch den damaligen SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oppermann lamentiert. Offenbar wird ein weiteres „Bauernopfer“ verlangt. Aber die Frage bleibt offen, wer mit dem Verrat von Geheimnissen begonnen hat und warum.
Dass sich einige Politiker und Journalisten als Moralapostel aufspielen und über etwaige sexuelle Vorlieben des Abgeordneten Edathy den Stab brechen, ist umso unerträglicher, als es ganz andere „Vorlieben“ und Verfehlungen von Politikern zu kritisieren gäbe. Skandalös ist, dass mit Vermutungen, Unterstellungen und vagen Vorermittlungsergebnissen die Existenz eines Politikers vernichtet wurde, lange bevor es – wenn überhaupt – zu einer Anklage kommt. Hatte man ihn auf der „Abschussliste“? Und wer könnte ein Interesse daran gehabt haben, den Politiker Edathy zu demontieren?
Nach Aufdeckung der NSU-„Informations- und Ermittlungspannen“ kam es zu mehreren Rücktritten leitender Beamter der Staatsschutzorgane. Seither ist zu vermuten, dass eine Kumpanei zwischen sogenannten Staats- und Verfassungsschützern und Rechtsextremisten bestanden hat und eventuell noch besteht. Edathy hatte sich als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses in diesen Kreisen sehr unbeliebt gemacht.
Ist es gewagt, auf solche Hintergründe aufmerksam zu machen? Natürlich kommt sofort der Einwand, es handele sich um eine Verschwörungstheorie. Aber in der Vergangenheit haben sich bekanntlich viele Verschwörungstheorien als wahr erwiesen. Die Affäre um den Politiker Edathy entwickelt sich immer mehr zu einer Schmierenkomödie. Und die Frage, der bisher aus dem Weg gegangen wird, lautet: Wer steckt dahinter? Was ist die Absicht? Noch wichtiger ist allerdings die Frage, die sich inzwischen viele Bürger stellen: Gibt es keine dringenderen Probleme in Deutschland?