Gottes verleugnete Braut

 In Roland Rottenfußer, Spiritualität
"Noli me tangere" - Gemälde von Fra Angelico

“Noli me tangere” – Gemälde von Fra Angelico

Maria Magdalena und das Comeback der Heiligen Frau. »Ein Geheimnis, das, wenn es enthüllt würde, das Gebäude des Christentums zum Einstürzen brächte« – so verkündete großsprecherisch der Trailer zum Film »Der DaVinci-Code«, die Verfilmung des Bestsellers »Sakrileg« die 2006 mit Tom Hanks ins Kino kam. Als ich das hörte, musste ich beinahe lächeln, denn ich kenne ja das Geheimnis längst. Soll ich es verraten? Jesus hatte Geschlechtsverkehr! Maria Magdalena war seine Geliebte und gebar ihm Kinder, deren Nachkommen noch immer unter uns leben. Schockiert? Jedenfalls scheint es in der Historie um dieses Geheimnis Mord und Totschlag gegeben zu haben. Oder steckt noch etwas Anderes dahinter – ein Geheimnis hinter dem Geheimnis? Vieles spricht dafür, dass es um die unterdrückte weibliche Seite des Göttlichen, um die Heiligkeit des Weiblichen überhaupt geht. Und dass die heute wieder populären Figur der »heiligen Hure« Maria Magdalena den Schlüssel dazu darstellt (Roland Rottenfußer)

Die Nutte liegt grell geschminkt und mit gelangweiltem, leeren Blick auf ihrem Lager, während sich ein Freier stöhnend und schwitzend auf ihr wälzt. Als er fertig ist, erkennt man eine Schlange von Wartenden vor dem Zelt. Einer der Männer allerdings hat andere als sexuelle Absichten. Es ist der Exfreund der Nutte, der sich dafür entschuldigen möchte, dass er sie damals verlassen und so in die Hurenexistenz getrieben hat. Der Name des Exfreunds: Jesus. Hundert Filmminuten später hängt dieser Jesus am Kreuz und hat eine sehr lebhafte Vision: Er heiratet die Nutte und hat mit ihr ehelichen Geschlechtsverkehr. Bald darauf ist er von einer Schar Kinder umgeben – ein Familienidyll, eine sehr liebevoll ausgemalte Szene. Man kann kaum anders als Sympathie für diese kleine, ganz normale Familie zu empfinden.

Christliche Fundamentalisten in den USA sahen das anders: Sie stürmten die Kinos, in denen »Die letzte Versuchung Christi« von Martin Scorsese gezeigt wurde und warfen den Machern des Films »Gotteslästerung« vor. Ein ähnliches »Sakrileg« begingen in den 60er-Jahren Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Text) mit ihrem Hippie-Musical »Jesus Christ Superstar«. »He’s a man, he‘s just a man«, singt die Jesus-Freudin in einer berührenden Arie. Der Gottessohn und Erlöser – »just a man«? Das konnte den Kirchen-Oberen nicht recht sein, die doch immer auf einen unüberwindlichen Wesensunterschied zwischen dem Gott-Menschen und uns armseligen Erdenwürmern Wert gelegt haben.

Pretty Woman des Neuen Testaments

So sympathisch wir diese Vermenschlichung des Messias im Film und im Musical auch finden mögen – es wird doch in beiden Fällen ein Klischee zementiert, das zu den wohl infamsten Rufmordkampagnen der Menschheitsgeschichte zählt. Maria Magdalena – die Sünderin, die Hure, erlöst von einem asexuellen, heiligen und über die Maßen überlegenen Mann, reingewaschen und emporgehoben durch seine unverdiente Gnade. Diese Männerfantasie geistert in den verschiedensten Varianten durch die Köpfe. Parsifal erlöst Kundry in Richard Wagners Oper. Jean Valjean erlöst Fantine in Victor Hugos »Les Miserables«, Richard Gere erlöst Julia Roberts …

Für die Annahme, dass Maria Magdalena (eigentlich Mirjam aus der Stadt Magdala) eine Prostituierte gewesen sei, sprechen keine wirklich überzeugenden Belege – nicht einmal in der auf Linientreue gebürsteten offiziellen biblischen Versionen der Jesus-Vita. Selbst Maria als »Sünderin« zu bezeichnen (was immer man darunter verstehen mag) bedarf einiger schikanöser Verdrehungen der in den Evangelien gelegten Spuren. Zur Hure erklärt hat sie – natürlich! – ein Mann: Papst Gregor I., der im Jahr 591 erklärte: »Sie, die von Lukas als sündige Frau bezeichnet wird, die von Johannes Maria genannt wird, sie war, so glauben wir, jene Maria, aus der gemäß Markus sieben Teufel vertrieben wurden. Was aber bedeuten diese sieben Teufel, wenn nicht die sieben Laster? Es ist klar, Brüder, dass zuvor diese Frau die Salbe dazu benutzte, um ihr Fleisch bei verbotenen Handlungen zu parfümieren.«

Was der Papst als »klar« bezeichnet, ist eine wüste und spekulative Vermengung verschiedener Bibelstellen, von denen sich nicht einmal alle auf Maria aus Magdala beziehen. Es dauerte bis 1969 – immerhin 1378 Jahre! – bis die Katholische Kirche sie von dem Makel, eine Prostituierte zu sein, offiziell befreite. Die Mühlen des Vatikan mahlen eben langsam und drehen sich gelegentlich sogar rückwärts. Wie bei den meisten »Gegendarstellungen«, bleibt auch im Fall Maria Magdalena von dem Schmutz, der auf sie geworfen wurde, bis heute etwas hängen.

Eine »Hure« und sieben Teufel

Wie ist es also mit dem Bild der Magdalena in der Bibel? In der Vorstellung vermischen sich dabei nicht weniger als drei Frauengestalten. An nur ganz wenigen Stellen wird Maria aus Magdala unter diesem Namen erwähnt – vor allem als treue Anhängerin Jesu, deren Anwesenheit bei der Kreuzigung vermerkt und die den Auferstandenen als erster Mensch überhaupt bezeugen konnte. Besonders letzteres verleiht ihr eine einzigartige Bedeutung. Mit Sicherheit bezieht sich auch die Geschichte mit der Austreibung der »sieben Teufel« (Markus-Evangelium) auf Maria Magdalena.

Nicht gesichert ist die häufig (gerade in der Literatur um das Geheimnis des Heiligen Grals) vorgenommene Identifizierung der Maria Magdalena mit Maria aus Bethanien, der Schwester des Lazarus und der Martha, die Jesus die Füße salbte und dafür von den Jüngern als Verschwenderin gerügt wurde (Johannes-Evangelium). Von Sünde oder gar Prostitution ist auch bei Johannes nirgends die Rede. Da Lukas (7,37) aber eine anonyme »Sünderin« erwähnt, die Jesus das Haupt salbt und seine Füßen mit Tränen wäscht, scheint die Indizienkette perfekt: Eine Sünderin (und was kann das für Männerfantasien schon anderes bedeuten als »geschlechtliche« Verfehlungen) salbte Jesus – Eine Frau, die an einer anderen Bibelstelle Jesus salbte, hieß Maria – Maria aus Magdala hieß auch Maria. Angesichts dieser erdrückenden Beweislast beantrage ich die Höchststrafe, Euer Ehren: Jahrtausende lange Denunziation als »Hure«, strafmildernd getaucht in das rosige Zwielicht männlicher Gnade und Vergebung.

Das königliche Blut

In jüngster Zeit erweckte allerdings eine ganz andere Theorie über die Rolle Maria Magdalenas Aufsehen: Dan Brown, der Autor des Romanerfolgs »Sakrileg« (im Original: »The Da Vinci Code«) stellte eine Reihe von Behauptungen auf, die für diejenigen Leser, die mit ihnen nicht vertraut sind, wahrhaft atemberaubend klingen. Der Held, Symbolforscher Robert Langdon und seine Begleiterin, die hübsche Französin Sophie geraten bei ihren Bemühungen, den Mord an Louvre-Direktor Jacques Saunière aufzuklären an den schrulligen älteren Gralsexperten Sir Leigh Teabing, der die beiden zunächst mit einer neuartigen Deutung von Leonardo Da Vincis Gemälde »Das letzte Abendmahl« verblüfft. Dort macht Sir Leigh links von Jesus eine bartlose, weiblich anmutende Gestalt aus, die mit Jesus bildkompositorisch zu einem »M« verbunden ist – Maria Magdalena, behauptet der Wissenschaftler. »Dass Jesus und Maria ein Paar waren, schleudert da Vinci dem Betrachter in seinem Abendmahl geradezu ins Gesicht«, schreibt Dan Brown. Shocking! Aber ist es auch wahr? Ich selbst habe den von Dan Brown entdeckten »Busenansatz« bei der rätselhaften Figur vergebens gesucht und neige nach wie vor zu der Annahme, dass es sich bei dem jüngsten (daher bartlosen) Jünger um Johannes handelte. Dennoch ist dem für kunstfertige Zweideutigkeit bekannten Leonardo so manches zuzutrauen.

Als »Belege« für seine These, Maria Magdalena sei Jesu Frau und Geliebte gewesen, führt Dan Brown allerdings noch so manches schlüssig klingende Argument ins Feld. Im wesentlichen ist es die Theorie, die schon der Klassiker der Grals-Literatur vertrat: »Der Heilige Gral und seine Erben« von Lincoln, Baigent und Leigh. Zusammengefasst vertritt das Sachbuch etwa folgende These: Das Geheimnis des Heiligen Grals (San Gréal) ist das »königliche Blut« (Sang Réal), sprich das Blut (die Erbanlagen) Jesu, der mit Maria Magdalena verheiratet war und mit ihr mehrere Kinder zeugte. Es handelte sich den Autoren zufolge um eine Art Vernunftsehe zwischen den Nachkömmlingen zweier Adelsdynastien (Jesu Abstammung von König David wird im Neuen Testament betont) – geschlossen, um einen Anspruch auf den Thron zu begründen, der für König Herodes und die römische Besatzungsmacht gefährlich geworden wäre. Nach dem Tod ihres Mannes floh Maria dem Buch zufolge mit ihrem Bruder (!) Lazarus und einigen anderen Begleitern sowie dem Gralskelch (der Abendmahlsschale) im Gepäck nach Frankreich, wo sie sich der Weiterbreitung der Lehre Jesu widmete. Aus der Verbindung ging eine Nachkommenschaft hervor, die historisch vor allem in dem geheimnisvollen Priesterkönigs-Geschlecht der Merowinger hervortrat.

Küsse und geheime Botschaften

Welche Belege gibt es aber für die Behauptung, dass Maria Magdalena die Braut Jesu gewesen ist? Hier verweisen die Autoren auf zwei Zeugnisse in den apokryphen (nicht offziell in den Kanon der Bibel aufgenommenen) Evangelien. Das erste wurde 1945 in der ägyptischen Wüste bei Nag Hammadi ausgegraben und verursachte eine theologische Sensation. Im apokryphen »Evangelium des Philippus« heißt es: »Und die Gefährtin des Erlösers war Maria Magdalena. Christus liebte sie mehr als seine Jünger und küsste sie auf den Mund. Die Jünger waren darüber erzürnt und verliehen ihrer Enttäuschung Ausdruck. Sie sprachen zu ihm: Warum liebst du sie mehr als uns?« Neben »skandalösen« erotischen Details (ein Kuss auf den Mund!) deutet dieses Evangelium eine Rivalität zwischen der Gefährtin des Meisters und des männlichen Jüngern an – ein Konflikt, der vielleicht die Keimzelle der Verdrängung Maria Magdalenas und der »weiblichen Energie« aus dem Glaubens-Mainstream bildete.

Dan Brown nennt als Quelle noch ein zweites apokryphes Evangelium, jenes, das nach Maria Magdalena selbst benannt wurde. Auch hier tritt ein vertrautes Verhältnis zwischen Jesus und seiner »Lieblingsschülerin« deutlich zu Tage. Maria erscheint darüber hinaus auch als Mitwisserin einer geheimen Botschaft des Meisters. »Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich mehr liebt als die anderen Frauen. Sage uns daher die Worte des Erlösers, an die du dich erinnerst«. Maria erzählte den Jüngern, was sie wusste. Seltsamerweise fehlt in der Texthandschrift aber genau jene Passage, aus der man die Inhalte von Jesu geheimer Lehre hätte entnehmen können. Wurden die Seiten bewusst von »interessierten Kreisen« entfernt? Wir wissen nur noch, wie die Jünger auf jene Enthüllung reagierten: mit Entsetzen und Abwehr. »Sollte er wirklich mit einem Weibe unter vier Augen gesprochen haben und uns davon ausgeschlossen haben?«

Die verhinderte Päpstin

Wenn die Geliebte Jesu, mutmaßlich seine Ehefrau, schon zu Lebzeiten ihres Mannes innerhalb der von ihm geleiteten Gemeinschaft einen so schweren Stand hatte, um wie viel schwerer muss es für sie nach dessen Tod gewesen sein? Ist es denkbar, dass sie von einer Männerclique aus der urchristlichen Gemeinde »herausgemobbt« wurde? Ist ihre im Volksglauben (vor allem in Frankreich) hartnäckig verwurzelte Reise über das Meer nach Les-Saintes-Maries-de-la-Mer (Provence) vielleicht eine Flucht gewesen – nicht etwas vor den Römern, sondern vor ihren »eigenen Leuten«? Hat das Apostel-Establishment, das sich nach dem Jesu Tod herauszubilden begann, versucht, die Spuren von Marias herausragender Bedeutung für ihren Meister aus den Schriften und aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen? Diese These vertritt nicht etwa ein fanatischer Feminist, sondern der Autor Walter-Jörg Langbein in seinem Werk »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen«, das im Zuge des Dan Brown-Booms entstand, aber durchaus eigenständig argumentiert.

Langbein wirft insbesondere dem Evangelisten Lukas vor, Magdalenas Rolle im Leben Jesu klein geredet zu haben und den drögen Patriarchen Petrus durch verklärende Textstellen zum einzig legitimen geistigen Kronprinzen des verstorbenen »Königs der Juden« aufgebaut zu haben. »Die Ausgangslage nach Jesu Tod war mehr als brisant«, deutet Langbein. »Petrus wollte, unterstützt vom Textverfälscher Lukas, die Nachfolge Jesu antreten. Er fürchtete die Rivalin Maria Magdalena, die Jesus offensichtlich als seine Nachfolgerin gewünscht hat – im Amt der Apostelin. (…) Maria Magdalena wusste dies selbst. Sie hatte Angst vor Petrus, den sie einen Frauenhasser nannte und der als jähzornig bekannt war.«

Madonnen/Huren-Komplex

Hier wird auch ein Grundkonflikt zwischen einem – wenn man stark verallgemeinert – männlichen und einem weiblichen Prinzip angedeutet. Die Männerclique der Apostel (und in deren Nachfolge die Kirche) versuchte die Nachfolge Christi ausschließlich aus geistigen Prinzipien, auf der Auslegung und Weiterverbreitung der Lehre, abzuleiten. Faktoren wie Liebe und sexuelle Bindung, auch die rational nicht nachvollziehbare Bevorzugung Magdalenas durch den lebenden wie den auferstandenen Jesus – all dies schien den Männern suspekt zu sein. Und gar ein Führungsanspruch, der sich aus Abstammung, aus einer »Blutlinie« der leiblichen Nachkommenschaft Christi, ableiten würde – das durfte nicht sein und musste mit allen Mitteln unterdrückt werden.
Die Religionsgeschichte des Abendlands mutet jedenfalls im Rückblick wie ein ins Grandiose aufgeblähter krankhafter Madonnen/Huren-Komplex an. In der Psychoanalyse bezeichnet dieser Begriff die Neigung von Männern, einen Teil der Frauen nach dem Bild der Mutter als heilig, rein, unberührbar und asexuell zu verklären, den anderen Teil als sexuell reizvoll, jedoch verrucht und verachtenswert abzustempeln. »Wen ich begehre, kann ich nicht achten; wen ich achte, kann ich nicht begehren.«

Maria, die Mutter, die »Unbefleckte« und Maria die Hure, die Sünderin sind zu den beiden zeitlosen Archetypen dieser künstlichen Spaltung geworden. Vielleicht könnte eine kollektive psychische Gesundung des (vor allem männlichen) Abendlands in die Erkenntnis münden, dass Maria, Jesu Mutter und Maria Magdalena ziemlich normale Frauen gewesen sind. Mutter Maria dürfte eine sexuell aktive Ehefrau und Mutter mehrerer Kinder (wie einige Bibelstellen eindeutig sagen) gewesen sein; Maria Magdalena wiederum war wohl kaum eine »Schlampe«, sondern wie ihre Schwiegermama eine Geliebte, Ehefrau und Mutter, überdies eine kluge, spirituell reife Frau, vielleicht sogar eine ebenbürtige Partnerin des großen Religionsstifters.

Jahwehs verheimlichte Geliebte

Als Indiz dafür, dass es sich bei der Verbindung von Jesus und Maria Magdalena um eine »Heilige Hochzeit« gehandelt haben musste, nennt Jörg Langbein die Salbung Jesu durch Maria Magdalena. Heidnische Heilige Frauen hätten ihrem auserwählten Gatten Haupt und Füße mit kostbarem Öl gesalbt – im Übrigen auch die Genitalien, welches Detail wir in der Bibel vergeblich suche. Die Verdrängung dieser Eheschließung durch das orthodox-jüdische und später christliche Establishment sei darauf zurückzuführen, dass man solche heidnischen Bräuche und insbesondere die Verbindung des Sakralen mit dem Erotischen nicht dulden wollte. Langbein meint sogar aufgedeckt zu haben, dass Jahweh, der Gott des Alten Testaments, eine Gefährtin hatte: die Himmelskönigin Aschera. Einige Bibelstellen erwähnten im Original noch ihren Namen. Aschera, deren Statue zeitweise noch in den jüdischen Tempeln an der Seite ihres Lovers ausgestellt war, sei schließlich einem konsequenten Verdrängungswettbewerb durch das jüdische Patriarchat zum Opfer gefallen. Ein anderer großer Patriarch, Martin Luther, habe in seiner Bibelübersetzung wissentlich mehrmals das Wort »Aschera-Bild« getilgt und durch das neutralere, jedoch sinnentstellende »Hain« ersetzt.

Sich den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nicht als chronischen Single, sondern – ähnlich den Kollegen Wotan oder Zeus – mit Bettgefährtin vorzustellen, erscheint freilich gewöhnungsbedürftig. Die enge Verbindung zwischen Maria Magdalenas und Jesus deutet Langbein konsequenterweise als Rückkehr der Heiligen Frau in einen einseitig vermännlichten Glaubenskontext. Langbein stützt sich mit dieser These auch auf die Untersuchungen von Margaret Starbird (»Die Frau mit dem Alabaster-Krug«), die sich besonders intensiv mit den heidnischen Ritualen um Heilige Frauen und Göttinnen auseinandergesetzt hat. Starbird berichtet von einem vorchristlichen Mythos, wonach die Heilige Frau das Grab ihres Bräutigams aufgesucht und zu ihrer unbeschreiblichen Freude seine Auferstehung bezeugt hätte. Einen Rückfall in heidnische Vorstellungswelten, insbesondere in das ungeliebte Matriarchat, hätten die Kirchenoberen des sich etablierenden Christentums um jeden Preis verhindern wollen. »Zwei Jahrtausende haben Christen Gott ausschließlich mit männlichen Begriffen umschrieben«, meint Starbird. »Sie benützten männliche Begriffe, wenn sie vom Schöpfer sprachen. (…) Die Heilige Frau ist das andere Gesicht Gottes, das die letzten zwei Jahrtausende nicht geehrt wurde.«

Eine »Shakti« des Westens

Können wir diese zweitausend Jahre währende Entwicklung rückgängig machen und der Heiligen Frau wieder einen Platz in unserer spirituellen Vorstellungswelt einräumen? Und könnte Mirjam aus Magdala in diesem Zusammenhang ein würdiger Gegenstand unserer Verehrung sein? Kann sie für Menschen, die sich nach Vorbildern und Heiligenbildern sehnen, zu einer »christlichen Isis« oder »westlichen Shakti« werden, zur sinnlichen Verkörperung eines Archetypus: Gottes verleugneter Braut? Jedenfalls wirft ihr Comeback als Film- und Romanheldin – als Popikone beinahe – Fragen auf, deren Verdrängung dem christlichen Abendland sichtlich nicht gut getan hat.

Kann ein Heiliges Paar nicht weitaus mehr bewirken als ein – wenn auch spirituell noch so hoch entwickelter – Mann? Können nicht beide zusammen viel besser als einer allein die Gesamtheit des Menschenmöglichen in seinem weiblichen wie seinem männlichen Aspekt umfassen und heiligen? Nicht zuletzt gilt dies für die Sexualität. Wozu hätte, wenn wir christlicher Terminologie folgen, »Gott in Jesus Mensch werden« sollen, wenn er bei dieser Menschwerdung auf halber Strecke stehen geblieben wäre und Liebe, Sexualität und Vaterschaft ausgeklammert hätte? Das eigentliche und einzige »Sakrileg« besteht doch darin, dass das Abendland die Sexualität und mit ihr das Weibliche so lange aus dem Raum des Heiligen verbannt hat.

»Hätten sie nur diesem christlichen Gott das Fleisch gelassen«, fordert der Liedermacher Konstantin Wecker. »Hätten sie uns nur einmal erzählt wie Jesus gierig in den Schoß der Magdalena getaucht ist. Hätten sie doch die Götter weiterhin vögeln lassen. Ließen sie nur die Liebenden auf ihren Altären zeugen und gebären. Man muss die Wollust zum Sakrament machen anstatt sie aus den Kirchen zu verbannen.« Die Popularität der Maria Magdalena – wer immer sie in Wirklichkeit auch gewesen sein mag – deutet darauf hin, dass unser Jahrhundert solchen Einsichten wieder offener gegenüber steht.


Maria Magdalena erscheint auch in dem Buch:

Monika Herz, Roland Rottenfußer: „Gesundbeten mit Heiligen“. Kailash Verlag, 224 Seiten, € 14,99

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