Israelkritik und der Antisemitismus der Linken (2/2)

 In Politik (Ausland), Politik (Inland)
Autorin Sandra Kreisler

Autorin Sandra Kreisler

Linke wähnen sich ja gern grundsätzlich auf der Seite der Guten und der Unterdrückten. Da passt es schlecht ins Bild, dass Jüdinnen und Juden zunehmend über einen immer “selbstverständlicher” daherkommenden Antisemitismus in der linken Szene klagen. Freilich “darf man” Israel kritisieren, und man findet dort einiges Kritisierenswertes. Beunruhigend ist nur die Einseitigkeit, mit der dies oft geschieht, die Verleugnung plausibler Gegenargumente, die Verzerrung der Proportionen bis hin zur Dämonisierung des jüdischen Staates. Sandra Kreisler, die Frontfrau des Chanson-Duos “Wortfront”, macht diese neue “Man wird doch wohl noch sagen dürfen”-Mentalität zunehmend unruhig – und wütend. Ihr Artikel zielt auf einige blinde Flecken linker (Selbst)gerechtigkeit. (Der ersten Teil dieses Artikels war am vergangenen Montag auf HdS und ist dort noch nachzulesen.)

Natürlich ist die israelische Politik inzwischen längst nicht mehr akzeptabel. Man kann auch kaum behaupten, dass die derzeitige Regierung für die Israelis selbst von großem Vorteil ist. Nicht einmal innenpolitisch. Die irrationale Wut der Israelis nimmt ganz offensichtlich zu: Es wird zunehmend rechts gewählt, und zunehmend häufiger geht die Armee mit unnötiger Heftigkeit und Brutalität vor. Das ist so, und es ist nicht schön für mich zu sehen.

Es geht mir hier nicht darum, Israel per se in Schutz zu nehmen, wenn ich auch naturgemäß als links, also humanistisch und empathisch denkender Mensch zumindest nachvollziehen kann, dass man nach über 60 Jahren der Angriffe, der ausgeschlagenen Friedensangebote und der persönlichen Bedrohungen das Augenmaß leichter verliert. Ich heiße das nicht gut – keineswegs!

Aber das Thema dieses Artikels ist eben nicht die Güte der Israelischen Politik, sondern die erschreckende und vor allem entlarvende Einseitigkeit, mit der Israel von weiten Teilen der Linken in Europa gesehen und dargestellt wird. Ich möchte hier Gegenargumente und selten gehörte Fakten bündeln, und zwar gerade für jene Menschen, denen ich mich weltanschaulich eigentlich näher fühlen möchte.

Israel hat ziemlich große Gebiete, die es in einem Verteidigungskrieg (!) errungen hatte, freiwillig wieder aufgegeben, um Frieden zu haben. Weil auf diesem Gebiet Ölfunde erwartet wurden, hat Ägypten im Austausch für den Sinai zugestimmt, Israels Existenzrecht anzuerkennen. So war das. Wer spricht davon? Es passt halt nicht zur postulierten Geschichte.

Denn auch die ist wieder und wieder falsch erklärt worden – und so geglaubt. Erstaunlich eigentlich, weil es ja alles nicht SO lange her ist – wir müssen nicht zurück bis zu biblischen Zeiten, trotzdem weiß kaum jemand mehr, wie es wirklich war. Daran sieht man, wie gut Propaganda funktioniert. Die Geschichte kann man hier in aller Kürze (11 Minuten) nachgucken, übrigens von einem arabischen Account reingestellt, soweit ich das überprüfen konnte.

In Israel liegen die Nerven blank. Falsch, aber verständlich, wie ich meine. Wenn man sich vorstellte, es wäre nicht Israel, sondern – vergleichbare Größenverhältnisse – Hessen hätte einen Streit, weil Gesamteuropa rundherum es „auslöschen und ins Meer treiben“ möchte – und zwar unverändert seit Jahrzehnten, dann hätte man hierzulande mehr Verständnis für ausufernde Retourkutschen, da bin ich sicher.

Sie würden auch seltener postulieren: der „G’scheitere gibt doch nach“, was man aber im Falle Israels immer wieder von angeblich Wohlmeinenden hört. Dass so etwas den Palästinensern höchst perfide das Selbst-denken-können abspricht, ist hier nur ein Nebeneffekt – entscheidender ist der Gedanke, dass wenn Israel den Wünschen der Palästinenser nachgäbe, es einfach aufhören würde, zu existieren.

Cui Bono?

In Wahrheit ist, wie bei fast allem, eine Antwort am leichtesten zu finden wenn man sich die Frage stellt: Wer profitiert davon, dass dieser Konflikt immer und immer weiter geht?

Komisch, es scheint sich keiner diese Frage zu stellen. Denn die Millionen und Abermillionen an Hilfsgeldern, die ja zumeist in den Taschen der jeweiligen Palästinenserführer versickern – die Tatsache, dass mit dem UNHCR eine eigene – Flüchtlingsorganisation NUR für die Palästinenser gegründet wurde, das alles zeigt sehr rasch, wer tatsächlich davon profitiert, dass der Konflikt bestehen bleibt.

Für Israel bedeutet dieser Konflikt seit Jahren in erster Linie KOSTEN, für die Palästinenser(-führer!) ist er von NUTZEN. Leiden tut dann das Volk, das seit Jahrzehnten aufgehetzt, benützt und in Armut gehalten wird – trotz Milliardenspenden (!) aus aller Welt.

Warum also wird diese einfache Frage – die in jedem billigen Fernsehkrimi zuerst gestellt wird – just in diesem Konflikt fast nie aufgeworfen? Und vor allem nicht von der Linken, die doch gerade diese Geldgier, diese Art des Umgangs mit einem Brudervolk anprangern müsste?

Denn eines ist jedenfalls klar: Die Arabischen Führer haben sich noch nie um das Wohl ihrer eigenen Brüder geschert – das ist immer wieder leicht zu erkennen:

Zum Beispiel daran, dass die Palästinensischen Kämpfer ihre Waffenlager mit Duldung ihrer jeweiligen Führer stets unter Palästinensischen Zivilbauten anlegen – darunter auch Kindergärten und Schulen – während Israel die Palästinensische Zivilbevölkerung regelmäßig vor Angriffen mit Flugblättern warnt.

Zum Beispiel daran, dass es Israelische Ärzte sind, die unter Lebensgefahr heimlich nach Syrien einreisen, um aus dem dortigen Bürgerkrieg Verletzte zu bergen, sie in Israel zu heilen und dann wieder nach Syrien zu bringen – und zwar ebenfalls heimlich, denn wenn deren Freunde erführen, dass sie in Israel im Spital waren, würden sie umgebracht. Wie die Syrer mit ihresgleichen umgehen, ist hinlänglich bekannt.

Zum Beispiel daran, dass jede einzelne Initiative, die sich darum bemüht, Palästinenser und Israelis zusammen zu bringen – gemischte Kindergärten, Das Divan Orchester von Barenboim, die Treffen der Eltern von getöteten Soldaten beider Seiten –, jede einzelne zivilgesellschaftliche Initiative zur Friedensbildung in der Region von Juden ins Leben gerufen wird und nur in nicht-arabischen Ländern realisiert werden kann.

Oder zum Beispiel, dass Israel bereits mehrmals einen Friedensplan akzeptiert hat. Es hat nur nichts genützt.
Denn nicht nur zum Streiten, auch zum Frieden braucht es zwei.

Man erfährt hierzulande in Wahrheit wenig – und noch weniger Ungefärbtes – über die tatsächlichen Begebenheiten und über das wirkliche Leben in diesem Fleckchen Welt.

Also warum ist dieses Eckchen Welt überhaupt so ein Thema? Gibt es nicht Naheliegendere und also hierzulande wichtigere Problemstellen?

Es ist ebenso ernüchternd wie verblüffend, dass gerade die Linke, die sich ja als Schutzpatron der Schwächeren versteht, ein Volk von heute noch 0,2 % der Weltbevölkerung (und schwindend) als stärker empfindet als ein Volk, das heute ca 23%, und angeblich bis 2030 über ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachen wird.

Vielleicht ist es einfach nur so, dass viele Nachkriegskinder sehr automatisch und quasi subkutan von zu Hause aus einen gewissen Gewohnheits-Antisemitismus mitbekommen haben, den sie zwar weder merken noch wahrhaben wollen, der aber flüssig und wie automatisch beispringt, wenn es hilft, die eigene Vergangenheit zu exkulpieren.

Ich hoffe und glaube jedenfalls: Nicht alle merken und benützen ihren eigenen Antisemitismus so bewusst wie Herr Augstein oder der dazu noch offen antidemokratische Herr Jebsen (Zitat: “(…) die Zugvögel schaffen es jedes Jahr nach Afrika. Wenn die das demokratisch organisieren würden, kämen sie nur bis Sylt. Die kommen auch bestens ohne Demokratie zurecht.”) und andere halbintellektuelle und verschwörungsverschwurbelte Aluhüte, die sich damit eine Verkaufsnische und öffentliche Aufmerksamkeit schaffen.

Einst sind wir doch ausgezogen, die Schwachen zu unterstützen!

Ich möchte glauben und hoffen, dass immer noch viele Menschen mit linken Herzen Fakten und Argumenten zugänglich sind, dass sie sich noch einmal aufmerksamer in die Geschichte dieses Landes und seiner Nachbarn vertiefen und anfangen, ihre ehernen Meinungen noch mal zu hinterfragen.

Einst wollten wir doch Brüderlichkeit,Gleichheit und Menschlichkeit, und das passt einfach nicht zusammen mit einer Welthaltung, die jede mörderische Tat verzeiht, wenn sie nur von einer Kultur kommt, die weit genug entfernt ist. Es passt auch nicht zusammen mit Neid, mit Vorurteilen oder Verallgemeinerungen.

Ich hoffe und glaube, dass es nur Desinformation ist, die so viele Linke zu ihrer Haltung zu Israel und den wenigen verbliebenen Juden weltweit bringt.

Ich muss das hoffen.

Denn sonst bliebe nur die Erkenntnis, dass man zwar zurecht sieht, wie so viele Palästinenser leiden müssen, aber gerne verkennt, wer die beständigsten, die strukturellen Verursacher dieser Leiden sind – nämlich ihre eigenen Führer, die keine Skrupel kennen, sich für persönlichen Profit gegen die Brüder zu stellen. Dann würde gerne ignoriert, dass seit der Balfour Deklaration 1917 noch jeder palästinensische Führer zu jedem Friedensangebot stereotyp bekannt hat, es könne keinen Frieden geben, solange Israel in dieser Region überhaupt vorhanden ist – egal in welcher Größe und Form. Und es würde gerne außer Acht gelassen, dass ein Topf eben nur eine gewisse Weile zum Brunnen gehen kann – einfach nur, weil es ein passender Schuldiger ist, der dann dabei herauskommt?

Die Dynamik in diesem Konflikt ist mörderisch, aber sie wird weder entschärft, indem man die Geschichte ignoriert, noch indem man die Gegenwart einseitig zeichnet. Im Gegenteil, man macht sich selbst allzu schnell zum Handlanger bösartiger Propaganda. Und wir haben doch, scheint’s, schon einmal lernen können, wie schnell sprachliche Unsauberkeiten zu tödlicher Ausgrenzung werden.

Aber eines ist jedenfalls sehr klar: Dieser Konflikt im Nahen Osten verschlingt viel mehr europäisches Papier, Geschrei und Aufregung als wasweissich Osttimor, Tibet, der Kosovo, die Roma in Rumänien, Georgien, die Krim, Nigerien, der Sudan, die ZAR oder whathaveyou zusammen. Und das ist erstaunlich und lässt tief blicken, wenn man sich die tatsächliche europapolitische Bedeutung der Region vor Augen führt.

Die Liebe der heutigen Linken zu Despoten aus dem arabischen Herrscherkreis scheint seit dem Mufti von Jerusalem ungebrochen, egal, ob sie nun erwidert wird oder doch nur ausgenützt und für die eigenen Zwecke missbraucht.
Fast wie daheim beim Oberlinken Herrn Putin – oder ist der vielleicht auch nur einer, der seine despotischen Gelüste und antisemitischen Tendenzen gut mit Globalisierungskritik verbrämen kann?

Aber das ist ein anderes Thema.

Hoffe ich.

Sandra Kreisler, geboren 1961, US-Staatsbürgerin, Lale Andersen Preisträgerin

KünstlerischerAbriss:
Seit 1982 als Schauspielerin tätig.
Seit 1983 regelmäßig für den Österr. Rundfunk tätig, in den Sparten Kultur, Politik, Soziologie, Familie
auch gefragte Werbe- und Synchronisations-Stimme
Thomas Bernhard bezeichnete sie als „die beste Stimme Österreichs“.
Nachzahlreichen Engagements in verschiedenen Theatern, bei Filmen und Fernsehproduktionen in Österreich & Deutschland sowie für englische und amerikanische Filmproduktionen (SK ist zweisprachig englisch/deutsch aufgewachsen) seit 1992 ausschließlich als Solokünstler in mit Chansonprogrammen unterwegs. Tourneen in Deutschland, Österreich, Spanien, Polen, USA.
Inszeniert, coacht, unterrichtet Chanson-und Lied-Interpretation nach Amerikanischem Vorbild („Acting while Singing“). Ein diesbezügliches Lehrbuch „Das Chansonbuch“ erschien 2013 bei Henschel.
Seit 2002 gemeinsam mit Partner Dr. Roger Stein „WORTFRONT“ – neue deutsche Texte mit Musik im Spannungsfeld zwischen Klassik und HipHop.
Sandra Kreisler lebt in Berlin und in Wien.

CD–Veröffentlichungen:
1998: „Lieder“
2001: „Sandra Kreisler & das Open Mind Quartett – Live“
2003: „Kreisler singt Kreisler – die unbekannten Chansons von Georg Kreisler“
2005: „Schwanzersatz“ (Single)
2006: „Lieder eines postmodernen Arschlochs“
(Ausgezeichnet durch den Preis der deutschen Schallplattenkritik)
2006: „Penetrant Besinnlich“ – WORTFRONT
2008: „Von Vorn mit Anlauf“ – WORTFRONT
2010: „Freilandherz“ – WORTFRONT

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