„Lautlos der Krieg, der in unseren Erfolgen tobt“

 In Holdger Platta, Poesie
Unsere Sozialisation fördert nicht gerade warmherzige Individualisten (Szene aus "The Matrix)

Unsere Sozialisation fördert nicht gerade warmherzige Individualisten (Szene aus „The Matrix)

Menschen hinter Masken: belogen, verbogen, sich selbst fremd, Gefangene ihrer eigenen „Erfolge“, in denen sich eigentlich nur die die Erfolge derer offenbaren, die uns ihre menschenfeindlichen Weltsicht einpflanzen konnten. Auf der Strecke bleibt: das was wir eigentlich sind oder hätten sein können. Holdger Platta präsentiert in diesen Gedichten einen schonungslosen und Augen öffnenden Blick auf unsere Gesellschaft. Sie stammen aus seinem Lyrikband „Grünanlagen. Politische und andere Gedichte“ vor, der 1985 im Göttinger Verlag sage & schreibe erschien. Der NDR machte damals aus diesen Gedichten eine halbstündige Sendung, wunderbar gesprochen von Wolfgang Kaven (Schauspieler und Adorno-Schüler).

Mensch/wer/dung

Er sollte
was werden.

Er wollte
was werden.

Er ist
was geworden.

Ist er
nun wer?

Vom Grimassenschneiden

Kinder schneiden
gern Grimassen.

Erwachsene dürfen
nicht mehr.

So bekommen viele
Gesichter wie aus Beton.

Keine Grimassen?

In diesem Herbst

In diesem Herbst kriegten
wir es alle
mit uns selber zu tun.

Unsere Köpfe
wurden enger
wie unsere Einsichten.

Jeder Gedanke bedachte
erst einmal sich selbst,
das eigene Haupt,
die Hauptsache,
die Folgen.

Alle sprachen plötzlich
hastig und viel
von Bauernhöfen und Jura
oder noch immer
von der Resignation und
ihrer Bewaffnung.

Anderen wurde der Nacken
nun härter,
dieses empfindliche Gebiet
voller Andenken.

In diesem Herbst
fielen
Schüsse,
Blätter,
Entscheidungen,
Masken.

Manchen rückte nun
das Eigenheim näher,
wer schultert da gern noch
weitere Hoffnung?

Kaum einer kriegte
die Angst nur einfach
als Angst.

Die meisten
fanden eine Antwort
und bildeten Lösungen.

Es war ein dunkler
und strahlender Herbst,
und drüben,
hinter dem Zaun

billigten,
freundlich lauernd,
die Nachbarn
jede Veränderung
in Richtung

des Winters.

…sed vitae…

Nehmt Euch das Leben,
sagte der Lehrer,

:

der Großen
zum Vorbild!

Eltern-Soll

Du sollst mal
was Besseres werden,
sagten die Eltern.

:

So kann’s einem
schlecht gehen.

Das zweite Gesicht

Wird dies schon zur ersten Natur,
nur noch zu zeigen sein zweites Gesicht,
womit man doppelt lebt
und doch nur halb?

Ach, verdammt all die guten Gründe
für unsere Falschheit, wohin
bringen sie uns?

Lautlos der Krieg, der in unseren Erfolgen tobt,
lautlos das Unbestimmte, hörst Du
den Kampf überhaupt noch?

Die Tabletten gibt’s schon beim Frühstück
Und danach vielleicht,
wenn Du Glück hast,
das unglückliche Gesicht
Deiner Frau,
die noch nicht einverstanden ist
mit Deiner Karriere.

Ja, wenn man noch zuhause wär
in der Sehnsucht, zuhause zu sein nach wie vor
in der eigenen Fußspur!

So aber wechselst Du Deine Gründe,
gerissen,
wie Du nun bist,
und gehst den sanft nachgebenden
Kiesweg hinauf zur Garage,
ganz fest
und bestimmt
und unerkennbar
für jeden.

Verschiedene Gründe

Da hocken sie nun
mitten im Establishment
ihrer Zimmer und Zäune
und kommen sich
in ihren Engpässen
wichtig vor.

Auf die eigene
Vergangenheit
ist man nun böse
aus verschiedenen Gründen,
die alle recht neu
sind. Gelernt

ist schließlich gelernt.
Man zieht
Beete im Garten
und Ruhe am Sonnabend
vor. Läßt schon
der Bartwuchs nach?

Oder nur
das Verlangen
nach dem Verlangen?
Wieviel Anfänge
hat noch ein Jahr?
Der Terminkalender

notiert
nur die Lücken
in der Lückenlosigkeit
und
die nächste Untersuchung
beim Facharzt

für Inneres,
nächste Woche,
Dienstag,
acht Uhr,
Krankenschein mitbringen
und nüchtern erscheinen!

Feierabend

Der Tag geht,
Johnny Walker kommt.
Die Scheiße bleibt.

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