Narziss und Coltmund

 In Holdger Platta, Kultur, Politik (Inland)
"Naziss" - Gemälde von Caravaggio

“Naziss” – Gemälde von Caravaggio

Der Mut der Menschen, die sich gegen das DDR-Regime aufgelehnt haben, ist zu würdigen. Auch Wolf Biermann kann man solchen Mut nicht absprechen. Allerdings hinterlassen seine jüngsten Äußerungen – wie die Joachim Gaucks – mehr als einen schlechten Nachgeschmack. Die mittlerweile etablierten Erinnerungsroutinen zum Mauerfall dienen hauptsächlich dazu, soziale Alternativen zum Neoliberalismus zu diskreditieren: Widerstandskitsch als Mittel, um dem Widerstand gegen Krieg, Überwachung und Sozialabbau die Spitze zu nehmen. “Denn wer aufrecht geht, ist in jedem System nur historisch hoch angesehen” (Konstantin Wecker). Holdger Platta beschreibt kenntnisreich und ironisch die Wandlung Wolf Biermanns zum hyperangepassten System-Chorknaben.

Wir alle kennen ja “Rotkäppchen und der böse Wolf”. Nun, am vergangenen Freitag gab’s das Märchen verkehrt herum. Ein Wolf trat gegen 64 böse Rotkäppchen an. Biermann, der einstmals linke Sänger, inszenierte im deutschen Bundestag den Grimm’schen Text neu – und vor allem sich selbst (was allerdings keinesfalls neu war).

Achja, Wolf Biermann, der Ex-Kommunist und DDR-Dissident, Wolf Biermann, der während seines legendären Konzerts in der Kölner Sporthalle am 13. November 1976 Che Guevara als „Jesus mit der Knarre“ feierte und in seinem Lied auf den „Kameramann“ die Lehren der chilenischen Volksfront mit dem Refrain bilanzierte: „Und unser Kampf geht weiter, wo dieser Film abbricht, mit Knarre und Gitarre, Genossen, das ist klar, und das ist die ganze Wahrheit der ‚Unidad Popular’“: dieser Wolf Biermann hatte zur Gedenkfeier aus Anlass des Mauerfalls vor 25 Jahren zwar die Knarre zuhause gelassen und nur seine Gitarre mitgebracht, aber verbal schoss er stattdessen aus allen Rohren gegen die Linksfraktion.

„Reaktionär“ seien diese PolitikerInnen, keine Linken, „Drachenbrut“ und der „elende Rest dessen, was überwunden ist“. Dass lediglich 17 der 64 Linksparlamentarier noch Mitglied der SED waren – die meisten haben schon aus Altersgründen mit der alten DDR nichts mehr am Hut gehabt -, was scherte diese heutige Wahrheit den in der Vergangenheit steckengebliebenen Biermann.

Aber der Knarrenbefürworter von einst erging sich vor allem in der Selbstlobhudelei – und man konnte verblüfft sein, wieviel Eitelkeit in knapp 6 Redeminuten passt.

„Ich habe Euch zersungen mit meinen Liedern, als Ihr noch an der Macht wart!“ – So Biermann an die Adresse der toten DDR und an die Adresse der lebendigen Linksfraktion. Da muss wohl Geschichte umgeschrieben werden, und die Hunderttausende, die in der DDR aufgestanden waren gegen das Regime, mitsamt Gorbatschow, der letztlich den friedlichen Fall der Mauer ermöglichte, die kann man alle wohl vergessen. Biermann hat die DDR gestürzt.

Und dann auch noch dieses:

„Ich weiß, dass manche mit meinem Lied“ – gemeint seine „Emutigung“, die Biermann dann anschließend sang – „in der Zelle überlebt haben.“ – Biermann als Menschenretter von der fernen Bundesrepublik aus! Tja, wer könnte das noch toppen!

Was wir da am 7. November im deutschen Bundestag erleben durften, diesen um Selbstlob nicht verlegenen Knarrenbefürworter von einst, hat mich jedenfalls an einen alten Buchtitel von Hermann Hesse erinnert, bei, zugegeben, leichter Veränderung, was zwei Buchstaben betrifft: an „Narziß und Coltmund“.

Wie hatte doch der frühe Biermann solche Veränderungen von Menschen mit ironischer Bejahung in Zweifel gezogen? – „Junge, ich hab Leute sich verändern sehen, Junge, das war schon richtig schön!“ Recht hatte er gehabt, dieser junge Biermann bei seinem Auftritt mit Wolfgang Neuss in Frankfurt am Main – im April 1965 war das gewesen –, und er hätte immer noch Recht mit seiner Ironie, der alte Barde, der einmal so wunderbare Lieder schrieb wie den „Hugenottenfriedhof“ zum Beispiel!

Aber noch lebt er ja, der Wolf, und von mir aus soll das auch noch lange der Fall sein. Um es in seinen Worten zu sagen, aus eben diesem Lied, dem „Hugenottenfriedhof“:

„Wie nah sind uns manche Tote, doch wie fern sind uns manche, die leben.“

In der Tat: wie fern ist uns dieser Lebende, der vor wenigen Tagen – in der NMZ, Neue Musikzeitung – die weltweite Überwachung von uns allen durch die NSA mit dem Satz kommentierte: „Das berührt mich überhaupt nicht. Ich halte das für eine hysterische Propagandaidiotie.“

Schön, dass es einen so unberührten Nichthysteriker wie Biermann gibt! Gefeit vor jeder Propaganda, einen Nichtidioten schlechthin! Einen guten und tapferen Wolf, der sich auch vor 64 bösen Rotkäppchen nicht gefürchtet hat.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen