Neue Heimat Erde (1/3)
Woher überhaupt noch Hoffnung nehmen? In der Absicht, die Realität ehrlich und ungeschönt darzustellen, versteifen wir uns oft auf das Negative – nach dem Motto “Je schlechter sich die Leser bei der Lektüre fühlen, desto besser das Webmagazin”. Tatsächlich bedeutete “Realismus” aber nicht, die vielen konstruktiven Aktionen, die überall auf der Welt laufen, zu ignorieren. Gerd Soballa, beheimatet auf der schönen Insel La Palma, ist Zukunftsforscher und beschäftigt sich sei Jahrzehnten fachübergreifend mit positiven Projekten auf Gebieten wie Ökologie, Architektur, Wirtschaft, Politik, Gesundheit und Bewusstsein. In diesem dreiteiligen Artikel spricht er über Agenda-Gruppen, Transition Towns und anderen Pilot- und Modellprojekten für eine Neue Erde.
“The world is our temple – the world is our church”
(Tracy Chapman auf der CD “New beginning”, Track “Heaven’s here on earth” )
Gibt es überhaupt noch Hoffnung auf einen Neuanfang hier auf dieser Erde – auf ein neues Beheimatsein, das nicht nur vertraute Orte, sondern auch die Erde als Ganzes meint? Für Ernst Bloch, den Philosophen der Hoffnung, beginnt die wirkliche Genesis nicht am Anfang, sondern am Ende dieser Menschheitsepoche, in der es für die meisten Menschen bislang noch keine wirkliche planetarische Heimat gab. Und erst dann, wenn so etwas in der Welt entsteht, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (Ernst Bloch) – ein wahres Aufgehoben Sein, das sich auf die ganze Erde bezieht –, kann von einer Genesis im Sinne einer wahren göttlichen und auch menschlichen Schöpfung gesprochen werden. Und diese Schöpfung verlegt ihr Paradies nicht in ein Jenseits, sondern macht es hier auf unserer Erde möglich.
Doch so weit ist es noch nicht. Viele Menschen haben diese Hoffnung auf eine wirklich gute und nachhaltige lebenswerte Erdenheimat nicht mehr. Und es scheint, dass der gute alte Häuptling Seattle mit seinen Prophezeiungen in seiner berühmten Rede Mitte des letzten Jahrhunderts Recht behalten hätte. „Jeder Teil dieses Landes ist meinem Volk heilig.“ Wird dieses Gut immer wieder verletzt durch die Lebenskultur des „Weißen Mannes“, dem nichts mehr heilig zu sein scheint, so wird irgendwann ein Zustand eingetreten sein, wo es nicht mehr um ein Leben auf dieser Erde, sondern nur noch um ein Überleben geht. Dieser Zustand scheint – darauf deutet alles hin – heute eingetreten zu sein. Kommen wir wieder heraus aus diesem Dilemma? Gibt es so etwas wie eine „Heimkehr“, wie sie Ervin Laszlo, der Begründer des „Club of Budapest“, in seinem Handbuch zur „Weltwende 2012“ thematisiert hat? Und wenn ja, wie kann dieser Welterneuerungspfad aussehen?
Burn In oder Burn Out? Weltschöpfung oder Welterschöpfung?
„Die Erde hat Aids“ stand lange Zeit in großen Lettern – geschrieben von jungen Leuten der autonomen Szene – auf einer Brücke in Basel. Und fürwahr: Die Wiedergesundungs- und Erneuerungskraft unserer Erde lässt Jahr für Jahr nach. Es steht nicht gut um Mutter Erde, und auch nicht um uns, denn wir Menschen sind ein Teil der Erde und mit ihr untrennbar verbunden.
Es gibt dazu einen bekannten Witz, der, wenn wir tiefer hineinspüren, gar nicht mehr so witzig ist:
Ein unbekannter Planet, der von weit her kommt, trifft auf die Erde und sagt:
“Mensch Erde, du siehst aber gar nicht gut aus. Was hast du denn?“
Darauf antwortet die Erde: “Ich habe Homo sapien.s” “Oh”, sagt der fremde Planet, “die hatte ich auch schon einmal, das geht vorbei!”
Die Erde ist – postmodern gesprochen – geburnoutet, und nicht sie. Auch immer mehr Menschen sind es. Tendenz: exponentiell steigend – fast parallel zu den Megagewinnen der wenigen „Gewinner“ im neoliberalen globalen Casinokapitalismus und auch parallel zu den Megaverlusten der vielen „Verlierer“. Doch es gibt in Wirklichkeit keine Gewinner und Verlierer, das ist eine Illusion, denn wenn wir unser „Bett“, die Erde – wie der Häuptling Seattle sagt – weiter so erschöpfen und vergiften (und uns selbst mit), dann werden wir alle die Verlierer sein.
Der sogenannte „Welterschöpfungstag“ – das ist eine Art „Burn Out – Messpegel“ für den Zustand der Erde – war 2013 am 20. August. Was ist das genau, der Welterschöpfungstag?
„Das Global Footprint Network berechnet jährlich die auf der Erde verfügbare Biokapazität und stellt sie dem Ökologischen Fußabdruck gegenüber, also dem Maß für die menschliche Inanspruchnahme der Naturleistungen. Ist die Beanspruchung größer als der Nachschub, spricht man von einem “Overshoot”. Somit lebt die Menschheit ab dem 22. August – dem Welterschöpfungstag – bis zum Jahresende 2012 über ihre Verhältnisse – sozusagen auf Pump. (Zitat: “Der Standard”)
2012 war der Welterschöpfungstag noch der 22.August, und 2050 wird er laut Prognosen schon auf Ende Juni fallen. Das bedeutet, dass wir ab ca. 2050 zwei „Erden“ für unsere globale Lebenskultur benötigen. In den USA liegt dieser „Erden-Burnout-Tag“, wie ich ihn hier nenne, heute schon bei Ende März. Würden alle Menschen so leben wie die US-Amerikaner, bräuchten wir vier „Erden“. Wir Europäer bräuchten hingegen bei unserem aktuellen Lebensstil „nur“ drei „Erden“. Doch woher diese nehmen? Virtuelle Welten lassen sich verdoppeln, vervielfachen, doch im Materiellen – ein Begriff der auf Mater, auf unsere Erdenmutter zurückgeht – sind uns Grenzen gesetzt. Die „Grenzen des Wachstums“, vor denen der „Club of Rome“ schon Anfang der 70er Jahren gewarnt hatte.
Doch alle Warnungen und Signale der letzten Jahre haben noch nicht wirklich jenen globalen Wandel herbeigeführt, der für eine neue Erdenkultur not-wendig wäre. Es gibt aber nicht nur den Aspekt des Ökologischen, sondern auch den des Wirtschaftlichen, Soziokulturellen, Religiös-Spirituellen und andere. Und da sieht es nicht viel anders aus als im ökologischen Bereich. Denken wir allein an die weltweite Situation der Menschenrechte, an Kinderarbeit, an den zunehmenden Waffenhandel und an immer wieder entflammende Kriege oder auch an die Geldwirtschaft mit dem zunehmenden Auseinanderklaffen von extremem Reichtum und extremer Armut! Hat man das alles vor Augen, dann schwärzt sich unser Erdenhorizont doch sehr.
Müssen wir auf ein Wunder warten?
“Lasst uns gemeinsam das Wunder sein!”
(aus einer Neujahrsbotschaft für das Jahr 2014)
So lange wir glauben, wir könnten uns die Erde weiterhin auf diese Weise „untertan“ machen, wie es uns die patriarchalen Herrschaftsreligionen bisher nahe legten, und uns dann – nach unserem Tode – im wortwörtlichen Sinne einfach „aus dem Staub machen“ in ein jenseitiges „Paradies“, wird sich nicht viel ändern auf dieser Erde. Verlegen wir jedoch diese „Jenseits“- Dimensionen, d.h. den „Himmel und die Hölle“, als konkrete Manifestations-Möglichkeiten in unser planetarisches Erdendasein, dann sieht das Ganze schon ein wenig anders aus. Denn dann liegt die Schaffung dieses Erdenparadieses mit in unserer eigenen Verantwortung – so wie es Tracy Chapman in „Heaven on Earth“ oder auch John Lennon in „Imagine“ eindringlich und bilderreich besungen haben.
Das Wunder, das einen planetarischen und somit für uns auch persönlichen Neubeginn impulsieren wird, kommt dann also nicht aus einer „Wundertüte“, z.B. aufgrund einer Bahn brechenden technischen Neuerung, sondern aus uns. Wir selbst sind das Wunder, auf das wir so lange gewartet haben. Und womöglich wartet auch „Gott“, wer oder was dies auch sein mag, darauf, dass wir zum Wunder werden.
Dazu gibt es eine schöne kleine Story, die wir zum Jahreswechsel 2013/2014 erhalten haben und an viele Menschen weiterschickten: Darin spricht Gott:
„Ich habe gehört, dass viele von euch auf ein Wunder warten, dass ich, euer Gott, die Welt retten soll. Aber wie soll ich retten ohne eure Hände? Wie soll Gerechtigkeit geschehen ohne eure Stimme? Wie soll ich lieben ohne euer Herz? Am siebten Tag habe ich alles aus meinen Händen gegeben – in die Hände meiner Schöpfung, in eure. Nicht ihr, sondern ICH warte nun auf ein Wunder“
Die Welt als Ganzes im Blickfeld – Vom „Club of Rome“ zu den Transition Towns
“Wir beginnen individuell und kollektiv – als bewusste Menschen und als bewusste Spezies – zu erwachen. Es muss nicht sein, dass wir uns auslöschen. Wir können uns transformieren.“
(Ervin Laszlo in „Weltwende 2012 – wie eine grüne Wirtschaft, neue Politik und ein höheres Bewusstsein zusammen wirken “)
Wir selbst sind der Wandel. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte wäre, auf den Wandel nur zu warten und dann unserem eigenen Untergang als Zaungäste beizuwohnen, wenn der Wandel nicht kommt.
„Global denken und lokal handeln“ hieß es noch vor einiger Zeit. Dies war ein Leitspruch der Agenda 21 von Rio, einer der sieben Weltkonferenzen der UNO aus den 90er Jahren mit ihren völkerrechtlich verbindlichen Beschlüssen und ihrem Weltrettungs- und Erneuerungsplanplan für die Erde in 40 Kapiteln. Über 170 Nationen waren daran beteiligt, und es war nicht nur ein deklamatorischer und absichtserklärender „Bla Bla“, was da beschlossen wurde, sondern eine konkrete Utopie mit Umsetzungsrelevanz. Nicht nur auf globaler Ebene, sondern in allen Gemeinden sollten weltweit auf lokaler Ebene Aktionsprogramme für das 21. Jahrhundert, die Ökologie, Soziokulturelles und Ökonomisches ganzheitlich verbinden, entwickelt werden, und diese sollten gemeinsam mit Bürgern an Runden Tischen umgesetzt werden. Wer kennt sie nicht noch, diese Lokalen Agenden 21, die der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet waren. Vor allem in Deutschland gab es viele dieser Initiativen, die neuen Schwung in Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft in die Gemeinden und Städte brachten.
Die globalkapitalistische so genannte „neoliberale“ Strömung hat zwar vieles davon um die Jahrtausendwende und danach wieder überspült und zunichte gemacht. Doch immerhin war es ein vielversprechender Anfang in Richtung planetarische Zukunft. Schon vor Rio gab es Ansätze für eine verantwortliche Erdpolitik – den „Club of Rome“ aus den 70er Jahren mit seinen periodisch erscheinenden Weltsimulationsmodellen zu den „Grenzen des Wachstums“, Global 2000 und den Folgeband „Zeit zum Handeln“ des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter Anfang der 80er Jahre. Worldwatch, Greenpeace, der Weltzukunftsrat, der Club of Budapest, der Global Marshallplan, die Sozialforen, das Potsdamer Manifest der Quantenphysiker, um hier nur einige zu nennen, waren Initiativen und Organisationen , die sich diesem planetarischen Geist verpflichtet fühlten. Es bildeten sich seit dieser Zeit auch noch viele andere Nichtregierungsorganisationen, die sich einzeln oder vernetzt für eine Neue Erde einsetzten. Später kamen Netzinitiativen wie Avaaz und Campact dazu, welche die Möglichkeiten des WWW intelligent für gezielte Aktionen im globalen Maßstab nutzten.
Heute gilt es sowohl global als auch lokal wahrzunehmen, mitzufühlen, zu denken und zu handeln. Die „Transition Towns“ als neue Bewegung für nachhaltiges, effektives Handel verwirklichen dies optimal.
Transition Towns – Urbanes Aikido im Geist der Nachhaltigkeit
„Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, muss aber vorwärts gelebt werden.“
(Sören Kierkegaard)
Die „Transition Towns“ sind neueren Datums und arbeiten auf sehr intelligente und
konkrete Weise für eine Kultur des Wandels – eine Art urbanes Aikido im Geiste der Nachhaltigkeit, das den „Gegner“ als Partner einbezieht und so gemeinsame Lernprozesse ermöglicht. Z.B. Detroit in den USA, eine Stadt, die von der dort „untergegangenen“ Automobilindustrie verlassen wurde, wodurch viele Brachflächen – sozusagen urbane Wüsten – entstanden. Hier wurden mit „essbaren Gärten“ und anderen innovativen Modellprojekten jenseits aller Profitmaximierungsstrategien neue lebenserhaltende Impulse auf den Weg gebracht. Diese Initiativen arbeiten mit (!) dem „Gegenwind“ der Mainstream-Kultur, so z.B. auch die Earthship-Häuser, die kleinen „Arche Noahs“, die als Nullenergiehäuser recycelte Materialien integrieren. Die Transition Towns entstanden aus der Permakultur-Bewegung heraus:
„Im Rahmen der Transition-Town-Bewegung (etwa „Stadt im Wandel“) gestalten seit 2006 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt den geplanten Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft. Initiiert wurde die Bewegung u. a. von dem irischen Permakulturalisten Rob Hopkins und Studenten des Kinsale Further Education College in Irland.“ (Wikipedia)
Ihr Erfolg beruht darauf, dass begehbare, erfahrbare, riech- und schmeckbare, berühr- und sichtbare konkrete Gemeinschaftsprojekte geschaffen werden, und damit „Zukunft“ in der Gegenwart schon erlebbar wird. Das weckt Hoffnung dass in diesem neuen Geist auch andere „Projekte des Wandels“, auch viele, die gescheitert sind und brachliegen, auf eine ungewöhnliche und neue Weise wieder belebt werden können.