Petitionen – eine Bürgerin in der Vergeblichkeitshölle
Karl Valentins “Buchbinder Wanninger”? Franz Kafkas “Schloss”? Reinhard Meys “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars”? Es sind Ikonen der Vergeblichkeit angesichts einer übermächtigen Bürokratie. All diese Beispiele sind aber noch harmlos gegen das, was einem Bürger in Deutschland blüht, wenn er versucht, eine Petition einzureichen. Das Volk, dem echte Einflussnahme in bundesweiten Volksabstimmungen seit Jahrzehnten vorenthalten wird, “darf” den Bundestag um etwas bitten. Gegrüßet seist Du, Bundestag, voll der Gnade! Ebenso regelmäßig wie Petitionen eintreffen, werden sie mangels Erfolgsaussichten abgeschmettert. Monika Herz, Gegen-Windmühlen-Kämpferin aus Passion, hat es ausprobiert. Ihr erschreckendes Fazit: Der Bundestag hat in Deutschland gar nichts zu sagen. Er ist dem Votum einer dubiosen “GmbH” unterworfen, die von uns keiner gewählt hat. Sie glauben es nicht? Lesen Sie selbst!
Lieber Deutscher Bundestag,
vielen Dank, dass Sie mein Petitionsverfahren abgeschlossen haben, ohne dass irgendjemand vom so genannten „gemeinen Volk“ die Möglichkeit gehabt hätte, meine Petition zu unterstützen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt!
Ich muss etwas weiter ausholen, damit Sie verstehen, wie ich mir das stattdessen vorgestellt hätte. Zuerst einmal gibt es da das Grundgesetz Artikel 17: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“
Ich weile ja nun schon mehrere Jahrzehnte auf dem wunderbaren blauen Planeten. Das Grundgesetz mit seinen Artikeln wurde mir mit in die Wiege gelegt und hin und wieder werfe ich einen Blick hinein. Beim Artikel 17 musste ich mich nun etwas wundern, denn da ist zwar mein Recht von Geburt an „artikuliert“, aber noch vor meiner Geburt im Jahr 1953 hat das allerhöchste Gericht, das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass ich zwar das Recht habe, so eine Petition, ein „Ersuchen“ in meinem Fall, einzureichen und dass ich ein Recht darauf habe, dass mein Ersuchen entgegengenommen wird und dass ich sogar noch ein Recht darauf habe, dass mein Ersuchen sachlich geprüft und mir die Art der Erledigung mitgeteilt wird. Aber ein Recht darauf, dass mein Ersuchen auch umgesetzt wird, habe ich natürlich nicht. Dazu müsste nämlich der Artikel 20/2 dann erstmal geregelt werden. Das mit dem Artikel 20/2 hat aber nicht das Bundesverfassungsgericht gesagt. Das sag ich. Jetzt.
Ehrlich gesagt wird mir allein beim Abschreiben dieser Verfahrensregelungen schon schwindlig. Diese juristische Sprache! Grauenhaft! Ohne jegliche Poesie, kein Funken Freude! Im Ergebnis sah das dann bei mir so aus.
Ich verfasste am 1. April 2013 ein Ersuchen. Es lautete:
“Der Deutsche Bundestag möge ein Gesetz verabschieden, das erlaubt, die Zinszahlungen für die
Staatsverschuldung für nur 1 Tag auszusetzen. Die eingesparte Summe in Höhe von derzeit etwa 89 Millionen Euro (bei ca. 32,5 Milliarden Euro Zinsleistung/ Jahr 2012) soll den Studierenden aller Universitäten in Form einer Preisvergabe zur Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise zugute kommen.”
Nichts geschah. Ich übte mich mehr als drei Monate in Geduld und ersuchte Sie am 12. Juli 2013 ein zweites Mal. Vorsorglich teilte ich Ihnen mit, dass mein erstes Ersuchen kein Aprilscherz gewesen sei, sondern wirklich ernst gemeint. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass mein 1. April-Ersuchen die Nummer 41290 hatte, mein Juli-Ersuchen die Nummer 44106. Das deutet darauf hin, dass in diesen drei Monaten 2816 Petitionen bei Ihnen eingegangen sind. Im Schnitt etwa 100 Beschwerden und Ersuchen pro Tag! Wenn man die Sonntage abzieht. Am Sonntag soll der Mensch schließlich ruhen. 100 Beschwerden und Verbesserungsvorschläge am Tag! Gibt Ihnen das eigentlich nicht zu denken?
Meine Begründung für mein Ersuchen lautete sinngemäß:
Weil Sie, der Deutsche Bundestag bis zum heutigen Tag keine vernünftige Lösung der Finanzkrise zustande gebracht haben, sollte man die jungen Leute mal an das Problem ranlassen.
Ja, ich weiß, wenn ich in Saudi-Arabien leben würde, dann würde ich für die unverschämte Behauptung, dass Sie unfähig sind, schätzungsweise 50.000 Peitschenhiebe, 50 Jahren Gefängnis und dazu noch 1 Million Euro Strafgeld kassieren. Ich bin wirklich froh, dass ich im paradiesischen Bayern leben darf und nicht in der Hölle in Saudi- Arabien. Warum aber ausgerechnet direkt aus dem Paradies ständig Waffen in die Hölle geliefert werden, das habe ich immer noch nicht so ganz verstanden. Diese Frage war übrigens Gegenstand einer meiner früheren Petitionen, die ich hier nur am Rande erwähnen will. Und die ebenfalls zu den Akten gelegt wurde. Ich fürchte, mein Aktenstapel bei Ihnen ist inzwischen beträchtlich.
Jedenfalls erhielt ich im September 2013 ein Schreiben, aus dem hervorging, dass mein Ersuchen abgelehnt werde, weil es keine Aussicht auf Erfolg habe.
Ich legte Widerspruch ein, denn ob etwas Erfolg hat, das kann man erst sagen, wenn man es ausprobiert hat. Wenn man etwas gar nicht erst ausprobiert, dann kann es auch zu keinem Erfolg führen. Ist schon logisch, oder? Außerdem fragte ich ganz unverblümt, ob es etwa sein könne, dass der Deutsche Bundestag einfach keine Lust habe, meinen guten Ideen zu folgen.
Ich finde meine Idee nämlich wirklich gut! Nur 1 Tag Zinsverzicht der Bundesschätzchen-Sparer – und schon könnte im Schnitt jede der 140 Universitäten 635.000 Euro Preisgeld ausrufen. Stellen Sie sich mal vor, wie das Echo auf diese Ausrufung in den Massenmedien ausfallen würde! 1 Tag Zinsverzicht der Sparer – und 89 Millionen Euro Gewinnchancen für clevere junge Leute! Göttlich!
Es gibt dazu übrigens auch eine passende kleine Geschichte. In einem Indianerdorf in den Anden, ganz weit hinten in Bolivien, wenn es da ein richtig großes Problem gab, dann wurden immer die Jungen mit der Lösung des Problems beauftragt. Die Jungen, die wussten nämlich noch nicht, dass es aussichtslos ist, das Problem zu lösen. Das soll gut funktioniert haben!
Sie werden es nicht glauben, aber es ist wahr. Ich habe meine gute Idee damals in einen kleinen Kreis junger Piraten hinausposaunt und am nächsten Tag lag mir schon das erste Konzept vor. Sauber ausgearbeitet mit Grafiken und allem Pipapo. Eigentlich schade, dass die Piraten nach der Phase des Chaos nun in die Phase des Absterbens eingetreten sind. Aber wer weiß, vielleicht stehen sie wieder auf, neu, mit goldenen Federn, den indigoblauen Himmel hinaufschwebend wie der legendäre Vogel Phönix.
Ich will ja nicht leugnen, dass Sie sich mit meiner Petition durchaus Mühe gegeben haben. In dem Schreiben, das ich gestern erhielt, sagen Sie, dass sogar die Bundesregierung sich damit befasst hätte. Der Petitionsausschuss habe der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, sich zu meinem Ersuchen zu äußern und es habe eine parlamentarische Prüfung stattgefunden. Tatsächlich? Ich kann es kaum glauben. Nun ja, es hat ja auch über ein Jahr gedauert, bis mein Ersuchen dann doch abgeschlossen und zu den Akten gelegt wurde. In der Zeit musste dieser ermüdende Wahlkampf geführt werden, die Kanzlerin musste wegen der Handy-Spionage mit dem Präsidenten der USA reden, Waffengeschäfte mussten eingefädelt werden, da hat es eben gedauert, bis sich jemand mit meiner Petition beschäftigen konnte. Versteh ich. Kein Problem. Ich hab ja Zeit.
Die Zusammenfassung der Äußerungen der Bundesregierung und des Parlaments lassen mich jedoch verzweifeln. Sie haben allesamt einfach keine Fantasie. Weder Bundesregierung noch Parlament kann sich vorstellen, dass das, was ich vorschlage, Wirklichkeit werden kann.
Sie behaupten einfach: Das geht nicht! Deshalb wird das Verfahren jetzt abgeschlossen. Ende der Ansage.
Die Begründung ist wirklich abenteuerlich: Man würde sonst Scherereien mit der so genannten „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“ bekommen. Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Bundesregierung und Bundestag stehe in zwingenden Rechtsbeziehungen zu dieser ominösen Finanzagentur GmbH. Zwingend!
Darf ich noch mal nachfragen: Wo bin ich hier eigentlich? Eine Finanzagentur GmbH kann die Bundesrepublik zu etwas zwingen? Wegen der Rechtslage? Wer macht gleich noch mal die Gesetze hier?
Hallo!? Das war doch gerade mein Ersuchen, dass Sie ein Gesetz machen sollen! Ein Gesetz, das diese Finanzagentur GmbH zwingt, auf einen Tag Zinsen zu verzichten. Wer denn sonst soll bitte so ein Gesetz machen? Ich? Ich würde ja gern, aber obwohl ich laut Grundgesetz Artikel 20/2 das Recht dazu habe, kann ich dieses mein Recht nicht in Anspruch nehmen. Seit etwa 30 Jahren fordere ich die Umsetzung von Grundgesetz Artikel 20/2: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen … ausgeübt.“ Abstimmungen? Hab ich schon mal an einer bundesweiten Abstimmung teilgenommen? Wo bin ich gleich wieder? Ach ja, was für ein Glück, dass ich nicht in Saudi-Arabien bin.
Eins kann ich Ihnen jedenfalls versichern: Wenn Sie mich gefragt hätten, ob ich einverstanden bin, dass im Jahr 2012 Waffen im Wert von 1,2 Milliarden Euro nach Saudi- Arabien geliefert werden, ich hätte „Nein!“ gesagt. Genauso, wie ich „Nein!“ sagen würde, wenn Sie mich fragen würden, ob diese eigentümliche „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“ eine solch zwingende Macht ausüben darf. Eine GmbH! Ein Ding mit beschränkter Haftung? Wer soll dann gleich wieder haften, wenn die Mist bauen? Ich? Alleiniger Gesellschafter dieser GmbH ist allerdings wiederum der Bund. Warum also soll da keine Einwirkung durch ein Gesetz möglich sein? Vielleicht dann doch, weil Sie, lieber Bundestag, halt keine Lust da drauf haben, nicht wahr?
Weil: Das Ergebnis, das die jungen Leute da – unterstützt durch mein fantastisches Preisgeld – zustande bringen könnten, die Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise, das könnte nämlich womöglich so richtig Lust machen, auf dem schönen blauen Planeten weiterzuleben. Aber darauf haben Sie, werter Bundestag, scheinbar wirklich keine Lust.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Monika Herz
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesrepublik_Deutschland_%E2%80%93_Finanzagentur_GmbH