Narzissmus und Macht in der Politik: Das Beispiel Donald Trump (1/3)

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik

„Die Ausübung von Macht wird dann problematisch, wenn die Leitungsfunktion vom pathologischen Narzissmus der Führungsperson bestimmt wird. Wenn der Führer seine Macht dazu benutzt, seine unbewussten narzisstischen Konflikte auszuagieren oder abzuwehren.“ Es fehlt uns nicht an kurzatmiger Entrüstung über die jeweils aktuellen Fehlleistungen des US-Präsidenten; vielmehr vermissen wir in der Berichterstattung meist tiefer gehende Analysen der Motive und der Wesensart Donald Trumps. Der Psychoanalytiker und Verleger Hans-Jürgen Wirth schließt diese Lücke, indem er sich vor allem der inneren Biografie des Präsidenten zuwendet. In diesem ersten Teil fragt er vor allem nach dem Einfluss von Psychopathologie auf politisches Handeln. Was will jemand kompensieren, wenn er nach der Macht greift? (Hans-Jürgen Wirth)

Vorbemerkung

Historische und politische Theorien spielen in der Regel die Bedeutung der Persönlichkeit eines politischen Führers für historische Ereignisse herunter, weil sie sich an rationalen Handlungsmodellen orientieren, die davon ausgehen, dass politischen Entscheidungen letztlich rationale bzw. interessengeleitete Kosten-Nutzen-Rechnungen zu Grunde liegen, auch wenn diese durch ideologische Begründungen verschleiert werden.

Ich möchte hingegen die These vertreten, dass die Persönlichkeit eines Politikers, seine psychischen Konflikte und Besonderheiten durchaus einen maßgeblichen Einfluss auf politische Prozesse historischen Ausmaßes haben können. Das gilt auch für einen Staat wie die USA, in dem ein ausgefeiltes System von »Checks and Balances« die Politik vor dem Einfluss der Persönlichkeit eines einzelnen Politikers schützen soll. Trump ist dafür ein gutes Beispiel, auch wenn er selbst vorgibt, seine politischen Entscheidungen ausschließlich an wirtschaftlichen Kriterien ausrichten zu wollen.

Das schlechte Image der Macht

»Keine Macht für niemand«, lautete einer der Slogans der 68er-Bewegung. Und Historiker Jacob Burckhardt schrieb exakt 100 Jahre früher in seinen »Weltgeschichtliche Betrachtungen« (1868): »Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe.« Aber die Studenten forderten nicht nur die Abschaffung der Macht, sondern formulierten auch: »Die Phantasie an die Macht!«. Macht ist offenbar ein schillerndes Phänomen, das teils ambivalente, überwiegend aber negative Gefühle, Fantasien und Wertungen auslöst. Zu Macht assoziiert man: Unterdrückung, Ausbeutung, Gewalt, aber auch Eitelkeit, pathologischer Narzissmus, Egoismus, Autoritarismus, Rücksichtslosigkeit und Größenwahn.

Dabei wird leicht übersehen, dass Macht ein elementarer Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens ist, der alle sozialen, kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse prägt. Ein solch elementarer Baustein des sozialen Lebens kann oder sollte nicht ausschließlich negativ bewertet werden. Da Macht konstitutiv für alle gesellschaftlichen Prozesse ist, kommt ihr eine konstruktive, Struktur schaffende Funktion zu. Dem entsprechen auf der psychologischen Ebene der Persönlichkeitsentwicklung konstruktive Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, gesunder Narzissmus, Selbstfürsorge, Führungsqualitäten, Durchsetzungsfähigkeit und der Mut zu Visionen.

Macht findet nicht nur in den oberen Ebenen der Politik statt, sondern sie ist ein Grundelement des menschlichen Zusammenlebens. Sie spielt in der Therapeut-Patient-Beziehung ebenso eine Rolle wie in der Mann-Frau-Beziehung und in allen möglichen Gruppierungen, Vereinen, Organisationen und Institutionen. Macht ist notwendig, weil das Zusammenleben der Menschen nicht durch Naturgesetze festgelegt ist, sondern durch gesellschaftliche Regeln immer wieder neu hergestellt werden muss. Macht kann sowohl für gute als auch für schlechte Zwecke eingesetzt werden. Allerdings existiert auch der Missbrauch von Macht. In diesem Fall ist die Machtausübung an sich ethisch verwerflich, unabhängig vom normativen Kontext, in dem sie steht. Machtmissbrauch ist also auch dann ethisch zu verurteilen, wenn er angeblich oder tatsächlich einem guten Zweck dient.

Das schlechte Image des Narzissmus

Interessanterweise ergeht es dem Begriff des Narzissmus ähnlich wie dem der Macht: Auch ihm haftet eine höchst ambivalente Tönung an. Der Narzissmus erscheint mit dem Egoismus assoziiert und demnach als eine antisoziale Eigenschaft. Wenn wir einen Menschen als narzisstisch bezeichnen, werten wir ihn ab und charakterisieren ihn als egoistisch, ichbezogen und in seinen sozialen Beziehungen beeinträchtigt. Narzisstisch gestörte Persönlichkeiten gelten als psychotherapeutisch schwer behandelbar, und die von manchen Autoren postulierte Zunahme narzisstischer Störungen im »Zeitalter des Narzissmus«, das der amerikanische Sozialpsychologe Christopher Lasch bereits 1982 diagnostizierte, wird als Zeichen eines tief greifenden sozialen Verfalls gedeutet.

Die Psychoanalyse versteht unter Narzissmus den Umstand, dass man das eigene Ich, das eigene Selbst, die eigene Person, den eigenen Körper, genauso zum Objekt libidinöser (und aggressiver) Wünsche und Impulse machen kann wie ein äußeres Objekt. Auch kann sich die narzisstische Besetzung auf bestimmte Aspekte der eigenen Person konzentrieren. Man ist dann beispielsweise besonders stolz auf seine musikalischen Fähigkeiten, seinen scharfen Verstand oder seinen durchtrainierten Körper. Man kann sich selbst oder den eigenen Körper genauso lieben, idealisieren, umsorgen, aber auch hassen, verachten und beschädigen, wie man dies alles einer anderen Person antun kann.

Wie die Macht stellt auch der Narzissmus ein Grundelement des menschlichen Lebens dar, ja ich möchte noch weiter gehen und sagen, dass der Narzissmus geradezu eines der anthropologisch zentralen Merkmale ist, die den Menschen auszeichnen. Psychoanalytiker greifen bei der Entwicklung ihrer theoretischen Konzepte gerne auf mythologische Erzählungen – vor allem die der Griechen – zurück, um ihre Konstrukte zu verdeutlichen und auch zu untermauern. Das psychische Phänomen des Narzissmus verdankt seinen Namen dem griechischen Mythos vom Jüngling »Narkissos«, der sich in sein eigenes, vom Wasser gespiegeltes Bild verliebt und dabei ertrinkt. Narziss stirbt also an seiner übersteigerten Selbstbezogenheit und seiner Unfähigkeit, sich auf die Beziehung zu einem anderen Menschen – im Mythos die Nymphe Echo – einzulassen.

Sowohl die Säuglings- und die Bindungsforschung als auch die psychotherapeutische Praxis zeigen, dass Menschen, die eine von Liebe und Anerkennung geprägte Kindheit genossen haben, auch eher dazu fähig sind, im späteren Leben stabile Liebes- und Partnerbeziehungen einzugehen. Auch entwickeln sie eher einen positiven Selbstbezug, sind also in der Lage, sich selbst zu lieben und einen gesunden Narzissmus zu entwickeln. Selbst- und Objektliebe sind keine absoluten Gegensätze, sondern ergänzen und verstärken sich wechselseitig.

Das wechselseitige affektive Spiegeln, das emotionale Sich-aufeinander-Einlassen zwischen Mutter und Kind, das die Säuglingsforschung so eindrucksvoll beschrieben hat, stellt die Matrix der grundsätzlich kommunikativen Existenzweise des Menschen dar. Diese Erkenntnis verbindet die psychoanalytische Säuglingsforschung mit der Philosophie der kommunikativen Anerkennung, wie sie Jürgen Habermas und Axel Honneth entwickelt haben. Die Erfahrung, auf den anderen und seine Aufmerksamkeit und Anerkennung in fundamentaler Weise angewiesen zu sein, gehört zu den schmerzlichsten, aber auch beglückendsten Erfahrungen, denen jeder Mensch vom Beginn seines Lebens an immer wieder ausgesetzt ist.

Ein Weg, um Anerkennung zu erlangen, ist die Ausübung von Macht. Um seine Abhängigkeit, Verletzlichkeit und narzisstische Bedürftigkeit nicht fühlen zu müssen, verzichtet man darauf, anderen zu vertrauen und setzt stattdessen auf Macht und Kontrolle. Mithilfe von Macht kann man versuchen, andere zu manipulieren, einzuschüchtern, gar zu unterjochen oder sie sich in anderer Form gefügig zu machen. Der andere soll gezwungen werden, seine Anerkennung auszudrücken, ohne selbst Anerkennung zu ernten. Wer Macht hat, kann sich Anerkennung erzwingen und erkaufen. Jedoch verschleiert er damit nur seine fundamentale Abhängigkeit, ohne sie wirklich aufheben zu können. Denn erzwungene oder gekaufte Anerkennung ist nicht authentisch und nährt im Mächtigen die Ungewissheit, ob sie denn echt und ernst gemeint sei. Die daraus entstehenden Zweifel und Selbstzweifel führen zu narzisstischer Bedürftigkeit und narzisstischer Wut, die mit einer weiteren Steigerung des Machtgebarens beantwortet wird. Aus dieser Dynamik leitet sich der suchtartige Charakter von Machtprozessen ab, die sich aus narzisstischen Konflikten speisen.

Narzissmus, Macht und antisoziales Verhalten

So wie der Narzissmus ein allgegenwärtiger Aspekt des Seelenlebens ist, so stellt die Macht einen unvermeidlichen Bestandteil des sozialen Lebens dar. Der Soziologe Max Weber definiert Macht als »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht«. In seinem berühmten Essay »Politik als Beruf« (1919) richtet Weber im Zusammenhang mit den negativen Wirkungen der Macht seinen soziologischen Blick auf »einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind (…): die ganz gemeine Eitelkeit«. Er bezeichnet die Eitelkeit als eine »Berufskrankheit« der Politiker und der Wissenschaftler und vermutet, die Eitelkeit sei eine Eigenschaft, von der sich niemand so ganz frei wähnen könne. Implizit gibt Weber damit auch eine psychologische Definition von Machtmissbrauch: »Die Sünde gegen den heiligen Geist seines Berufs aber beginnt da, wo dieses Machtstreben unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung wird, anstatt ausschließlich in den Dienst der ›Sache‹ zu treten«. Weber thematisiert hier implizit den engen Zusammenhang zwischen Narzissmus und Macht, auch wenn ihm der Begriff des Narzissmus nicht geläufig war.
Eine an Max Weber orientierte Definition von Machtmissbrauch lässt sich psychoanalytisch wie folgt präzisieren: Wir können dann von Machtmissbrauch sprechen, wenn der Machtausübende seine Stellung dazu benutzt, Interessen und Bedürfnisse zu befriedigen, die mit der sachlichen Aufgabe, die ihm qua seiner Rolle aufgetragen ist, nichts zu tun haben, sondern primär oder ausschließlich seiner »persönlichen Selbstberauschung«, seiner »eitlen Selbstbespiegelung«, also seinem pathologischen Narzissmus dienen.

So wie zwischen rationaler Machtausübung und Machtmissbrauch unterschieden werden kann, so muss auch zwischen gesundem und pathologischem Narzissmus unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist theoretisch wichtig, auch wenn sie praktisch oft nicht leicht zu treffen ist und wenn die Übergänge fließend sind.

Es ist einer Führungsperson durchaus erlaubt, ihre gesunden narzisstischen Strebungen in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Beispielsweise ist es unproblematisch, wenn eine Leitungsperson stolz auf die Arbeit und die Erfolge ist, die sie selbst und die von ihr geleitete Gruppe erbracht haben. Ihr Selbstwertgefühl sollte sich durch solche Erfolge steigern, sie sollte sich auch gerne mit ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit zeigen und sich dafür anerkennen, feiern und ggf. auch wählen lassen. Das alles sind Ausdrucksformen eines gesunden Narzissmus, die der sachlichen Arbeit und auch der Entwicklung der Persönlichkeit des Leiters und der Weiterentwicklung der Gruppen-Identität förderlich sind.

Die Ausübung von Macht wird dann problematisch, wenn die Leitungsfunktion vom pathologischen Narzissmus der Führungsperson bestimmt wird. Wenn der Führer seine Macht dazu benutzt, seine unbewussten narzisstischen Konflikte auszuagieren oder abzuwehren. Die Position der Macht beinhaltet generell die Verführung zum Machtmissbrauch das heißt zum Ausagieren eigener unbewusster Konflikte, Bedürfnisse, unbearbeiteter traumatischer Erfahrungen usw., die auf die Untergebenen abgewälzt und an ihnen ausagiert werden. Diejenigen, über die Macht ausgeübt wird, werden für die eigene Konfliktbewältigung instrumentalisiert.

Besonders dramatische Formen nimmt der Machtmissbrauch dann an, wenn sich die Gemeinschaft in einer existenziellen Krise befindet, ein narzisstisch gestörter Führer die Macht erringt, ein großer Teil der Gemeinschaft sich subjektiv bedroht und ungerecht behandelt fühlt und ein gemeinsam »gewähltes Trauma« im Sinne des Konfliktforschers Vamik Volkan (»Das Versagen der Diplomatie«, 1999) ausgewählt hat, um die emotionale Krise, in der sich die Gemeinschaft befindet, zu bewältigen.

Bei der missbräuchlichen Ausübung von Macht ergänzen sich die Machtgelüste des Herrschers mit den Unterwerfungs- und Schutzbedürfnissen der Beherrschten. Gesellschaftliche Macht wird gesucht, um innere Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Minderwertigkeit zu kompensieren und paranoide Ängste in Schach zu halten. Macht übt deshalb gerade auf solche Personen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, die an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden. Ungezügelte Selbstbezogenheit, Sieger-Mentalität, und Größenfantasien sind Eigenschaften, die der narzisstisch gestörten Persönlichkeit den Weg in die Schaltzentralen der Macht ebnen. Indem sich der narzisstisch gestörte Führer vorzugsweise mit Ja-Sagern, Bewunderern und gewitzten Manipulatoren umgibt, verschafft er sich eine Bestätigung seines Selbstbildes, untergräbt jedoch zugleich seine realistische Selbstwahrnehmung und verfestigt seinen illusionären und von Feindbildern geprägten Weltbezug. Fremdenhass und Gewalt gegen Sündenböcke zu schüren, gehört zu den bevorzugten Herrschaftstechniken narzisstischer Führerpersönlichkeiten. Geblendet von seinen eigenen Größen- und Allmachtsfantasien und von der Bewunderung, die ihm seine Anhänger entgegenbringen, verliert der Narzisst den Kontakt zur gesellschaftlichen Realität und muss letztlich scheitern, auch wenn er zeitweise noch so grandiose Erfolge feiern kann. Häufig folgt nach glänzenden Siegen ein jäher und unerwarteter Absturz, weil der narzisstische Herrscher einerseits im Vollgefühl seiner Omnipotenz den Bogen überspannt und andererseits seine paranoide Weltsicht stets neue Feinde sucht und hervorbringt, an denen er schließlich scheitert.

Hans-Jürgen Wirth, geb. 1951, ist Psychoanalytiker in eigener Praxis und Professor für Psychoanalytische Sozialpsychologie in Frankfurt/Main sowie Verleger des Psychosozial-Verlags. Wichtigste Buch-Veröffentlichung: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. Gießen 2002 (Psychosozial-Verlag).

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