Nordkoreanische Atomtests und die Doppelmoral der USA

 In Ellen Diederich, FEATURED, Politik (Ausland)

Der Mond? Nein, das Atomtestgelände in Nevada, USA

In den letzten Monaten gab es viele Berichte und Diskussionen um die Raketentests in Nordkorea. Zeit, um sich über die Geschichte und aktuelle Situation von Atomwaffen und Atomtests und die Beteiligung an Kriegen Gedanken zu machen und darüber nachzudenken, warum die weitaus größere Gefährdung durch die großen Atommächte in diesen Berichten so gar keine Rolle spielen. Das einzige Land der Erde, das bislang Atombomben über bewohnte Städte abgeworfen und so hunderttausende Menschen tötete, sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Gerade in diesen Tagen, den Jahrestagen des Abwurfs der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ist das Nachdenken darüber eine besondere Notwendigkeit. (Ellen Diederich)

Seit den 60er Jahren, als wir begriffen, wie gefährlich die radioaktiven Strahlungen sind, die durch die Atomtests freigesetzt werden, haben wir uns gegen jede Form von Atomtests, den Bau von Atomwaffen, in welchem Land auch immer, engagiert. Auf den  Friedensmärsche sind wir Tausende Kilometer gelaufen, haben mit jeder/m BürgermeisterIn, jedem Stadtparlament geredet und gefordert: Macht Eure Stadt, Euren Kreis zur atomfreien Zone. Wir haben tagelang in Brüssel vor der NATO gesessen, so lange John Lennons „All we are saying is give peace a chance“ gesungen, bis die Generäle uns eingelassen und mit uns geredet haben. Jede von uns bekam zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Begleiter für die Gespräche.

Wir sind zu allen Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und Reagan, später Bush sen., gefahren, um die Abrüstungsverhandlungen zu unterstützen. Und wir waren sehr froh, als zumindest ein Teil dieser entsetzlichen Waffen abgerüstet wurden.

Die USA blicken auf eine blutige Geschichte zurück. Sie beginnt mit der weitgehenden Vernichtung der Urbevölkerung, der nordamerikanischen IndianerInnen. Seit ihrer Gründung 1776 sind die USA während 93% der Zeit bis heute, das sind 222 Jahre, in Kriege verwickelt.

„Betrachtet man allein die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, so hat die Welt in diesem Zeitraum ganze 248 bewaffnete Konflikte erlebt. Ganze 201 davon (81 Prozent) liefen mit aktiver US-Beteiligung ab. Zudem wurden in diesen Konflikten und Kriegen über 30 Millionen Menschen – davon rund 90 Prozent unschuldiger Zivilisten – von US-Militärs getötet. Soldaten und bewaffnete Kräfte kamen nur zu geringen Teilen zu Schaden.

Dass sich dieses Land dann auch als „Führungsnation der westlichen Welt“ und als „Weltpolizei“ (und „Weltrichter und „Welthenker“) aufspielt, sollte uns „Westlern“ zu denken geben. Denn wir werden zwangsläufig in dieser Mordmaschinerie des Militärisch-Industriellen-Komplexes (MIK) hineingezogen und somit auch zu feindlichen Zielen jener, welche von den USA zuerst mit Terror und Gewalt überzogen wurden.“ (Marco Maier, Contra Magazin 2017)

Die Atommächte – siehe Auflistung weiter unten – testeten ihre Atomwaffen niemals in Washington, Paris, London, Moskau, Peking, Neu Delhi, sondern immer auf dem Land von UreinwohnerInnen. Entweder waren es frühere Kolonien der Kolonialherren, wie z.B. Frankreich auf dem Land der Polynesier, dem Mururoa Atoll, weitere in Algerien in der Sahara, Großbritannien in Montebello und Maralinga vor der australischen Westküste, die USA auf dem Bikini Atoll, oder Gebiete am Rande der Länder wie z.B. Lop Nor in China, es ist das Ursprungsland der Uiguren,  die UdSSR auf Novaja Semlja im arktischen Ozean im Norden Russlands oder in Semipalatinsk in Kasachstan. Kasachstan ist etwa so groß wie Westeuropa. Ein Drittel des Landes ist durch die Tests atomar verseucht. Wir haben uns mehrfach mit ÄrztInnen aus Semipalatinsk getroffen, um uns über die aktuelle Lage zu informieren. Die Shoshone und die UreinwohnerInnen von Semipalatinsk trafen sich, tauschten ihre Erfahrungen aus und begannen, gemeinsame Aktionen gegen die Tests zu machen.

Das Bewusstsein über die verbrecherischen Auswirkungen der Tests rief in fast allen Ländern, die Atomwaffen stationiert haben, Aktionen nahe der Testgebiete oder Blockaden vor den Atomwaffenbasen ins Leben. In Großbritannien haben Frauen etwa 10 Jahre lang die Basis Greenham Common, eine Cruise Missile Basis, etwa 60 Meilen südlich von London,  belagert und Widerstand organisiert. 1982 kamen an die 30.000 Frauen dorthin und umarmten die Basis. In Anspielung auf die doppelte Bedeutung des Wortes „arm“ –  im Englischen, Arm und Waffe – sagten sie: Arms are for linking! Arme sind zum Umarmen da. Sie verwandelten den Zaun, der den Tod einschloß in einen Zaun des Lebens, in dem sie Kinderzeichnungen, Kinderkleidung, Symbole des Lebens in den Zaun flochten. Die Cruise missiles dort wurden abgezogen.

Das Atomtestgelände der USA liegt im Bundesstaat Nevada. Es hat die Größe von Dänemark. Nevada ist durch die Atomtests das am meisten bombardierte Land der Erde. Auf diesem Land lebt seit Jahrtausenden die indianische Nation der Western Shoshone. Das Land ist den Shoshone widerrechtlich weggenommen und durch die Tests zerstört worden. Die US Regierung wollte das Land bezahlen, sie überwies einen Betrag auf ein Konto. Die Shoshone haben das Land niemals verkauft, das Geld niemals abgehoben.

 

„Wasser, Luft, Erde verkauft man nicht.

Mutter Erde versorgt uns mit Nahrung

Versorgt uns mit Luft, versorgt uns mit Wasser

Wir, die Menschen, werden anfangen

Unsere Gedanken, unsere Kraft zusammenzubringen

Um den Planeten Erde zu retten.

Wir haben nur ein Wasser, eine Luft, eine Mutter Erde.“

 

(Corbin Harney, spiritueller Häuptling der Western Shoshone)

 

Das Testgelände ist etwa 250 Meilen von Las Vegas, einem der größten Vergnügungszentren der Welt, entfernt. Die Folgen der Tests haben große Auswirkungen. Die Krebserkrankungen sind dort und bei den Shoshone weit über dem Durchschnitt der USA.

Mit vielen anderen zusammen unterstützten wir den Kampf der indianischen Nation der Shoshone gegen die Atomtests. Jedes Jahr machten wir dort am Testgelände Widerstandsaktionen. Das Gelände ist dem Energieministerium, nicht dem Kriegsministerium unterstellt. Bewacht wird es durch örtliche Sheriffs, vor allem aber durch die private Organisation Bechtel. Diese ist auch im Irak Krieg als Ergänzung zum US-Militär aktiv geworden, zeichnet sich durch besonders aggressive und brutale Verhaltensweisen aus.

Bei diesen Aktionen haben viele von uns den Zaun zum Testgelände überschritten. Sobald wir das getan haben, wurden wir festgenommen. Auch die Shoshone, die eigentlichen Eigentümer des Landes, wurden fest genommen. Es ist tagsüber sehr heiß, über 40 Grad, nachts um den Gefrierpunkt, in der Wüste dort. Wir wurden in Käfige eingesperrt, ohne Wasser zum Trinken, am späten Abend dann meistens mit Bussen 20 km weit weggebracht und dort ausgesetzt.

Die US-amerikanische Friedensstiftung „Foundation for a compassionate society“, gegründet und finanziert von der Texanerin Genevieve Vaughan, unterstützt den Kampf gegen die Tests seit vielen Jahren. 1992 kaufte die Stiftung ein großes Stück Land, etwa 10 Meilen vom Testgebiet entfernt. Am 12. Oktober 1992, dem 500sten Jahrestag von Kolumbus Landung in den Amerikas, schenkte sie es den Shoshone zurück. Sie sollen ihren Widerstand in Ruhe organisieren und nicht mehr vertrieben werden können. Die Stiftung machte auch unsere Teilnahme an den Aktionen möglich, indem sie Reisen finanzierte.

Wir machten viele Radio- und Fernsehinterviews, Fotoausstellungen, schrieben Broschüren, luden Shoshone ein, um die Öffentlichkeit über die Tests  zu informieren. Es war uns manchmal nicht wohl bei den Aktionen, weil das ganze Gelände auch außerhalb des Testgebiets atomar verseucht ist. Eine ganze Reihe von uns ist inzwischen an Krebs erkrankt, einige sind verstorben.

„Freitag, 7. Dezember 2012 , von Freeman um 12:05

Das US-Energieministerium hat am Mittwoch verkündet, sie hätten einen Atomtest in der Wüste von Nevada durchgeführt. Ziel des Tests war es die Effektivität ihrer Atomwaffen zu untersuchen. Das so genannte subkritische Experiment, bekannt als Pollux, wurde vom Nevada National Security Site, Los Alamos National Laboratory und dem Sandia National Laboratories überwacht. Es wurde das Verhalten von Plutonium beobachtet, wenn es einer Schockwelle von hochexplosiven chemischen Sprengstoff ausgesetzt ist.“

Hier weiterlesen: Alles Schall und Rauch: USA führten Atomtest in Nevada durch http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2012/12/usa-fuhren-atomtest-in-nevada-durch.html#ixzz4p47900Im

Durch die oberirdischen Tests hat das Gelände eine Struktur, die von Kratern durchzogen ist, dem Mond nicht unähnlich. Teilweise nutzten US Astronauten das Gebiet als Übungsgelände für ihre Mondflüge.

In unmittelbarer Nähe des Testgeländes liegt Yucca Mountain, gehört ebenfalls zum Gelände der Shoshone. Dort soll nach den Plänen der Regierung das größte Nukleare Endlager für Atomare Abfälle aus zivilem und militärischem Gebrauch entstehen.

Weltweit gab es seit 1945  2056 Atomtests

Davon 1023 Tests durch die USA

Davon waren 210 atmosphärische, 815 unterirdische Tests. Diese sind zum Teil subkritische Tests, was bedeutet: „Bei diesen Tests wird das Verhalten von Plutonium und hoch angereichertem Uran aus Kernwaffen unter Schockbedingungen getestet, ohne dass es zur Freisetzung von Energie aus Kernreaktionen kommt. Die Tests werden in einem unterirdischen Versuchsfeld in hermetisch abgeschlossenen Stahlbehältern durchgeführt. Diese verbleiben nach dem Test untertage. Die USA haben bisher 27 solche Experimente seit 1997 durchgeführt. Der letzte Test, Pollux genannt, fand am 12. Dezember 2012 statt.“ (Wikipedia)

5 Tests waren Unterwassertests zur Abwehr von Atom-U-Booten.

Ein Poseidon U-Boot schließt z.B. neun Megatonnen Sprengstoff ein, genug, um alle Städte der nördlichen Erdkugel zu zerstören.

Eine 1450 Kilotonne schwere Bombe wurde im Weltraum getestet.

Unendlich viele Menschen wurden als Folge der Atomtests durch die Strahlung beschädigt, wurden sehr krank und starben an den Folgen.

1990 verabschiedete der US-Kongress mit dem sogenannten Radiation Exposure Compensation Act ein Gesetz zur Entschädigung von Strahlungsopfern, die durch Atomtests oder während ihrer Arbeit im Uran-Bergwerken Strahlungsschäden erlitten haben. Bis 2010 wurden über dieses Gesetz über 22.000 Ansprüche in einer Gesamthöhe von fst 1,5 Mrd US-Doller bewilligt.

Die anderen Tests gliedern sich so auf:

UdSSR 715

China 45

Frankreich 198

Indien 3

GB 45

Pakistan 2

„Nordkorea führte im Verlauf seines Kernwaffenprogramms bisher fünf gesicherte Kernwaffentests in den Jahren 2006, 2009, 2013 und zweimal 2016 durch. Ob es im Jahr 2010 einen weiteren Test gab, ist umstritten. Zudem gab es einen weiteren Kernwaffentest am 6. Januar 2016, laut der nordkoreanischen staatlichen Nachrichtenagentur wurde hierbei eine Wasserstoffbombe getestet, dies wird allerdings von Experten bezweifelt. Am 9. September 2016 fand ein weiterer Test statt.“ (Wikipedia)

Jetzt eben auch in der letzten Woche. Die UN haben auf Antrag der USA verschärfte Sanktionen gegen Nordkorea erlassen.

„Im Atomkonflikt mit Nordkorea hat der UN-Sicherheitsrat die bislang schärfsten Sanktionen gegen das Land verhängt. Das höchste UN-Gremium stimmte am Samstag einstimmig für eine von den USA eingebrachte Resolution, die unter anderem Ausfuhrverbote für Kohle, Eisen, Eisenerz, Blei, Bleierz sowie Fisch und Meeresfrüchte enthält. Rund eine Milliarde US-Dollar (rund 843 Millionen Euro) an Exporteinnahmen sollen Nordkorea auf diese Weise entzogen werden. Das entspräche einer Kürzung der Exporterlöse des Landes um mindestens ein Drittel, berichtete die New York Times. Es ist die achte UN-Resolution im Zusammenhang mit Nordkoreas Atom- und Raketentests seit dem Jahr 2006.“ (Die Zeit, 5.8.2017)

Die politische Struktur Nordkoreas ist nach unserem Verständnis undemokratisch und diktatorisch.  Natürlich sind wir gegen eine Atommacht Nordkorea, so wie wir gegen alle Atommächte sind.

Am 14.4.2017  warfen die USA die größte Bombe unterhalb der Atombombe, die so genannte „Mutter aller Bomben“ über Afghanistan ab. „Der Abwurf hatte dem Pentagon zufolge Stellungen der Islamisten in Nangarhars Bezirk Achin zum Ziel. Die Bombe vom Typ GBU-43/B wurde aus einer MC-130-Transportmaschine abgeworfen. Sie ist auch bekannt als „Mutter aller Bomben“. Sie gilt mit mehr als 8000 Kilogramm Sprengstoff und elf Tonnen TNT-Äquivalent als größter konventioneller Sprengkörper der US-Streitkräfte. Als konventionell bezeichnet man Waffen, die keine chemischen, biologischen oder nuklearen Kampfstoffe enthalten.“ (Spiegel online, 15.4.2017)

Den nicht kontrollierbaren Berichten zufolge gab es 96 getötete Islamisten. „Zum Glück gibt es keine Berichte über getötete Zivilisten“, sagte sein Sprecher des US Verteidigungsministeriums. Die Zahl der Toten könne noch weiter steigen. Derzeit werde der Ort der Detonation in Augenschein genommen.“ (Spiegel online ebd.)

Wie können wir die öffentliche Diskussion neu entfachen, um die Gefährlichkeit dieser Waffen deutlich zu machen, zumal bei einem Präsidenten Donald Trump, in dessen kranken Vorstellung der Gebrauch von Atomwaffen als Mittel des Krieges vorhanden ist. Das ist eine reale beängstigende Bedrohung.

Meine Vision: Eine weltweite Demonstration wie 2003 vor dem Beginn des Irak Krieges gegen Trump und seine Vorstellung eines Atomangriffs auf Nordkorea. Am 15. Februar 2003 waren etwa 15 Millionen Menschen auf der Straße, um für Frieden und gegen den Irak Krieg zu demonstrieren. Von Neuseeland bis San Francisco, von Barcelona bis Südafrika. In Spanien demonstrierten 10% der gesamten Bevölkerung. In Italien weigerten sich Hafenarbeiter, Schiffe mit Waffen zu beladen, die in den Irak gehen sollten. Die New York Times schrieb anschließend: Jetzt gäbe es zwei Supermächte auf der Erde: Die USA und die öffentliche Meinung der Welt.

Wir haben den Irak Krieg mit all seinen Folgen nicht verhindern können. Jetzt ist es an der Zeit, die Wahnsinnsvorstellung eines Atomkrieges zu stoppen. Ich bin sicher, wir haben die Mehrheit der Menschen auf der Welt auf unserer Seite. Die Aktion könnte heißen:

NICHT IN MEINEM NAMEN!

 

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