100 Prozent – ein Rückblick

 In Politik (Inland)

St. Martin reloaded

Monsieur 100.000 Volt war nichts gegen ihn: Martin Schulz, nun auch bekannt als “Mister 100 Prozent”. Nun steht natürlich auch der Slogan der SPD für den kommenden Wahlkampf fest: “100 Prozent Gerechtigkeit”. Wie – war da angesichts der ohnehin schon total gerechten Politik der Hartz IV-Partei überhaupt noch eine Steigerung möglich? Unser Autor hat mal einen Blick in die höchst güldene Zukunft im Zeichen von St. Martin geworfen: Wie sähe eine Gesellschaft aus, die zu 100 Prozent gerecht wäre? (Egon W. Kreutzer, www.egon-w-kreutzer.de)

Nun ist wieder Wahlkampf. Das ganze Land ist voller roter Fähnchen und roter Plakate, im Fernsehen die Werbespots der SPD. Wahlkampf muss eben sein, in einer Demokratie, obwohl bereits 100-%-ige Gerechtigkeit herrscht und sich daran auch in Zukunft nichts ändern wird. Denn obwohl Martin Schulz seit dem denkwürdigen Oktober 2017 sein Arbeitszimmer nicht mehr verlassen hat und in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen wurde – er regiert! Und wie!

Erinnern wir uns kurz zurück an den Beginn der Zeitalteres der Gerechtigkeit:

Wie seit dem 19. März 2017 von allen Instituten erwartet, hatte die SPD im September 2017 die Wahlen zum Deutschen Bundestag mit 100 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen gewonnen. Martin Schulz wurde, wie ebenfalls erwartet, am 1. Oktober 2017 von allen 711 SPD-Abgeordneten (es gab jede Menge Überschwangmandate für die SPD) zum Bundekanzler gewählt und nahm ungerührt die Glückwünsche seiner Vorgängerin, Angela Merkel, entgegen, die ihm von der Besuchertribüne im Reichstag aus unter Aufbietung aller Stimmkräfte zurief: “Ich hab’s ja immer schon gesagt. Der Martin!”

Seine erste Rede als Bundeskanzler, wir erinnern uns alle gut daran, war soldatisch kurz und knapp. “Hohes Haus, liebe Genossinnen und Genossen, euer Bundeskanzler Martin Schulz meldet sich zum Dienst. Ab sofort wird 100% Gerechtigkeit im Lande hergestellt. Ich danke euch. Feiert schön.”

Danach verschwand St. Martin, Mr. 100 Prozent, im Bundeskanzleramt, griff zum abhörsichersten Telefon, das er erreichen konnte und stöpselte eine Konferenzschaltung zusammen. Dann befahl er die Tür zu seinem Arbeitszimmer zu schließen und ward fortan nicht mehr gesehen.

Der Bundestag, nahezu identisch mit der SPD-Delegiertenversammlung, löste sich zum Ende seiner zweiten Sitzung selbst auf. Sie nannten es Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und begründeten diesen feierlichen Akt damit, dass es schließlich nichts mehr zu debattieren gäbe weil man sich in allem einig sei, und für eine permanente Selbstbeweihräucherung vor leeren Plenumssitzen gäbe schließlich es keinen Anlass.

Von da an wurden im Bundesgesetzblatt nur noch Dekrete veröffentlicht, die zunächst noch interessiert zur Kenntnis genommen wurden, doch als wir merkten, dass jedes Dekret die Gerechtigkeit nur noch hundertprozentiger macht, schwand das öffentliche Interesse dahin, so dass auch die Medien nur noch selten einen Anlass sahen, über die Zunahme der Gerechtigkeit zu berichten.

Wie schön war es, als wir alle, die wir hier leben, am Nikolaustag 2017 in unseren Briefkästen unser Abiturzeugnis vorfanden, womit die bildungsfernen Schichten in Deutschland mit einem Federstrich des großen Vorsitzenden Martin in gebildete Schichten umgeformt waren.

Zum 1. Januar 2018 wurde die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen hergestellt. In allen Familien, Partnerschaften und losen Lebensgemeinschaften gilt seitem: Was der Mann verdient, bekommt auch seine Frau – und zwar unabhängig davon, ob sie einer Arbeit nachgeht oder nicht. Für homoerotische Beziehungen wurde das Gehalt der/des Besserverdienenden als maßgebliche Bezugsgröße festgelegt. Alleinstehenden und Alleinerziehenden wurden die bisherigen Bezüge aus Gründen der 100-%-Gerechtigkeit verdoppelt. Zur Finanzierung wurde bei der Bundesbank der so genannte Lohngerechtigkeitsfonds eingerichtet, der den zahlungspflichtigen Unternehmen mit großzügigen zinslosen und tilgungsfreien Krediten half, die sprunghaft gestiegenen Personalkosten zu bezahlen.

Schon vier Wochen später wurde die Steuerpflicht in sämtlichen Steuerarten abgeschafft, denn die hier herrschenden, himmelschreienden Ungerechtigkeiten ließen sich durch Reformen nicht beseitigen, nur durch einen mutigen und totalen Kahlschlag. Die Bundesbank richtete nach Rücksprache mit der EZB den Staatsfinanzierungsfonds ein, aus dem seitdem alle staatlichen Aufgaben bestritten werden. Den damit arbeitslos gewordenen Finanzbeamten, Steuerberatern und Steuergehilfinnen und -gehilfen, sowie Steuerfahndern, Steueranwälten und Steuerhinterziehern wurde lebenslange Fortzahlung ihrer Bezüge, bzw. die Auszahlung der bislang hinterzogenen Steuern notariell beglaubigt zugesichert.

Im Sommer 2018 kam dann das Recht auf kostenlosen Wohnraum für alle, die hier leben, womit eine weitere himmelschreiende Ungerechtigkeit aus der Welt war. Nicht mehr nur die von den Hartz-Reformen bereits Begünstigten, sondern alle Bürger konnten nun unbeschwert und kostenlos wohnen. Wer über eigenen Wohnraum verfügte, erhielt – gerechtigkeitshalber – monatlich 12 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche aus dem Wohnraumfinanzierungsfonds der Bundesbank überwiesen, für eigenen Wohnraum in Ballungsgebieten konnten auf Antrag bis zu 20 Euro pro Quadratmeter ausgezahlt werden.

Die nächste große Gerechtigkeitsvermehrung kam mit der Justizreform. Für alle Straftatbestände des Strafgesetzbuches wurde die gerechte Einheitsstrafe festgesetzt, nämlich 2 Jahre Haft auf Bewährung. Für alle privatrechtlichen Streitigkeiten wurde beschlossen, dass der vom Geschädigten geltend gemachte Schaden nach einmaliger Anhörung aus Mitteln des Gerechtigkeitsfonds ersetzt wird, während der Schädiger die gerechte Einheitsstrafe, 1 Jahr Haft auf Bewährung, erhält. Aus Gründen der Gerechtigkeit wurde zugleich festgelegt, dass zum Ende eines jeden Monats automatisch eine Generalamnestie verfügt wird, womit sämtliche Strafregister auf Null gestellt werden und die Diskriminierung von Straftätern gegenüber Nichtstraftätern beendet wird. Bezüglich der durch die Justizreform arbeitslos gewordenen Staatsdiener wurden die gleichen gerechten Regelungen getroffen, wie bereits vorher im Rahmen der Steuerreform. Für die Zeit zwischen Steuerreform und Justizreform erhielten alle Betroffenen eine einmalige Sonderzahlung für die ungerechterweise erbrachte justitielle Mehrarbeit.

Endlich, kurz nach Anbruch des letzten Jahres seiner ersten Kanzlerschaft, erließ Martin Schulz dann die Fluchtursachenbekämpfungsreform, die ihm so schlicht, einfach und ergreifend gelungen ist, dass wir auch heute aus dem Staunen noch nicht herausgekommen sind. Da allen Menschen ein Gerechtigkeitssinn angeboren ist und sie sich nach Gerechtigkeit sehnen, so Schulz, sei es ein Denkirrtum, ja geradezu ein Gedankenverbrechen, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und das Nachgeben dieser Sehnsucht als Flucht zu bezeichnen. Es handle sich stattdessen um Heimkehrer. Um verlorene Töchter und Söhne, zu deren Ehren gemästete Kälber zu schlachten seien, wie es im Evangelium des Lukas, im 15. Kapitel vorgeschrieben ist. Wo aber Heimkehrer heimkehren und niemand mehr flüchtet, gibt es auch keine Fluchtursachen mehr, die zu bekämpfen wären, womit die Fluchtursachenbekämpfungsreform wieder so klar und einfach ausfiel, dass sie jeder verstehen, begreifen und verinnerlichen konnte: Die Bekämpfung der Fluchtursachen wird wegen erwiesener Sinnlosigkeit eingestellt.

Noch nie ist es hier, wo wir leben gerechter zugegangen! Hossiannah!

Aber zurück in die Gegenwart.

Schon ist wieder Wahlkampf. Soeben hat Martin Schulz das in roten Marmor gemeißelte Wahlprogramm der SPD auf der Fanmeile vor dem Brandenburgertor vor gefühlten 150 Millionen SPD-Mitgliedern feierlich enthüllt. Wir dürfen uns alle freuen! Ab 2021 sind ihm, der Inkarnation des Geistes der SPD, 100% Gerechtigkeit nicht mehr genug! Martin Schulz hat sich hehre Ziele gesetzt: 200% Gerechtigkeit bis Ende 2022, 300 Prozent Gerechtigkeit bis Ende 2023, 400 Prozent Gerechtigkeit bis Ende 2024 und 500 + X Prozent Gerechtigkeit zum Ende seiner zweiten Amtszeit 2025.

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