Eulenfeder: Wolfsheim

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Einsiedler, Carl Spitzweg

Einsiedler, Carl Spitzweg

Wir wissen, dass Eulenfeder ein sehr kritischer Geist ist, der vieles heftig attackiert. Hier zeigt er uns, was er liebt und offenbart eine romantische Ader – dabei aber stets auch in sehr bodenständiger Art. In einer Zeit, in der sich Naturbezug oft nur noch darin zeigt, dass man Tierfilme downloadet, wirkt diese Idylle beruhigend und heilsam. Wir werden mit Kräften konfrontiert, die wir – bewusst oder unbewusst – vermisst haben, weil sie in einem vernachlässigten Winkel unserer Seele gegenwärtig sind. Es ist eine traurige Liebesgeschichte, die hier erzählt wird. Und es ist eine Geschichte über Lindenbäume, Füchse und Käfer, die unsere Freunde sein können, wenn wir sie nur lassen. Nicht zuletzt auch eine Erzählung über die unerhörte Freiheit, die uns Selbstversorgung und der Abschied von all dem Zivilisationsmüll schenken kann, von dem man uns abhängig zu machen versucht.

wolfsheim, den 21. november – im jahr des wanderfalken

Liebe Annemarie,

nun ist es schon bald ein jahr, seit Du fortgegangen bist. ja, ich weiss, dieser weg war wichtig für Dich. unbedingt zu achten, zu geben auch die freiheit in allen belangen – ist sie doch auch für mich unverzichtbar, die seele des daseins. und was wäre unser leben ohne sie, diese freiheit im denken, handeln und fühlen? was wäre die liebe, ohne ihr die freiheit zu geben? wie hätte sie wachsen können, wenn nicht auf diesem nährboden der freiwilligkeit?

oft denke ich nun an jene wunderbaren nächte am feuer, wie berauschend es war, uns in der philosophie zu verlieren, um uns unter dem grenzenlosen sternenhimmel immer wieder so tief und in so starken gefühlen zu finden. Deine schönheit im flackern des feuerscheins, unsere gefühle so heiss wie die glut, und wie heftig unsere liebe, körper und seele eins! und wie innig zärtlich sind wir dann eingeschlafen in unserem wildwuchs-garten, umgeben und behütet geradezu von allem leben darin. waren wir doch auch verbunden mit jedem strauch, dem wilden apfel, brombeere und hagebutte, den rosenhecken und allem was darin heimat gefunden hatte: den uns vertrauten tieren. jeder käfer und seine majestät der zaunkönig, falter und baumeister-hornisse… auch wenn sie still verborgen waren in unseren glücklichen nächten – sie waren da, und wie unsagbar freundlich war diese verbundenheit mit allem, was mit uns lebte – weil geachtet. und sie gaben es in gleicher weise zurück, jeder grashalm, jede pflanze, jedes tier. aber nicht weniger beglückend war es doch, als wir im morgengrauen frierend aufwachten, um uns aneinanderzudrücken, uns diese wärme zu geben für den neuen tag in unserem paradies. Dein lächeln im chor der längst wachen vögel. der morgentau funkelte in den strahlen der aufgehenden sonne, die wärme kroch in die erde, der geruch von kräutern und blumen, farbigkeit wächst unter dem weichenden nebel, die sonnenstrahlen kriechen wärmend in uns und alles lebendige hier. konnte unser glück grösser sein?

Du weisst ja, meine liebe Annemarie, wie sehr ich dieses leben hier brauche, dass kein anderes mich glücklich machen würde. wie ich untrennbar verbunden bin mit allem hier. es ist die grösste erfüllung, und ich würde zugrunde gehen ohne diese kraft, die meine natur mir gibt. mein herz schlägt mit allem hier, meine lebensader ist sie auch. so verwachsen bin ich längst auch mit den kiefern, pappeln und buchen, den schöngeistigen birken – schmunzle immer über ihre sympathisch-noble eigenheit -, den schutz der eiben. vor ihnen muss ja jeder böse zauber weichen, weil elfen und freundliche gnome in ihnen wohnen. die moosigen hügel hinunter zum bach: ich lausche seinem so beruhigenden murmeln und plätschern und ich würde ihm fehlen, wenn ich nicht mehr zuhörte. die eidechsen an den sandsteinfelsen. wie könnte ich den uhu, die eulen und käuze verlassen, mich ihren magischen blicken entziehen, ihrem freundlichen augenzwinkern! wie sehr würde ich die füchse vermissen und sie meine kleinen leckerbissen an frischem obst. wiesel, reh und hasen haben ihre scheu verloren, weil ich sie achte, auch das freche gegacker der elstern würde mir fehlen. erst recht der stets zu spässen aufgelegt rabe, und er würde wohl meine kleinen geschenke vermissen. wie arm wäre ich ohne diese gesamte so heilende natur und ihre unglaubliche vielfalt. bin längst nicht nur geduldet, sondern auch aufgenommen von allen geistern des waldes. und nicht einmal überheblich wäre es zu sagen: auch ich würde allem hier fehlen, sie brauchen mich. und meine uralte linde vor unserer hütte, die mir so vertraut ist wie mein eigenes wesen: was erzählte sie mir schon alles und wie stark ist die kraft, die sie mir schenkt! welch weisen rat hat sie mir schon gegeben in den stunden der zuflucht, an ihren mächtigen stamm gelehnt unter ihrem prächtigen kronendach! ein lebensbaum fürwahr – und in ihrem schutz schreibe ich Dir gerade, liebe Annemarie. wie ihre lebenssäfte fliessen meine gedanken zu Dir.

viel ist geschehen inzwischen. bin ja freudig fleissig am werkeln immer, wie Du weisst. habe neue schindeln mir gespalten und das dach repariert, wo es nicht mehr dicht ist vor regen und wind. die holzzäune geflickt. die alte, so wunderbar verwitterte und sympathisch schief gewordene gerätehütte hinter unserem sonnenblumenfeld nun abgestützt mit neuen balken. und meine kleine werkstatt fertig eingerichtet. von ihr aus kann ich nun alle dringenden reparaturen erledigen, und weisst ja, wie viel freude ich daran habe. einen vorrat an schönen hölzern angelegt. zimmere und baue neue möbel (auch eine überraschung für Dich dabei). aber auch einen grösseren alten kanonenofen besorgt. war den ganzen sommer über emsig am holzsammeln, gesägt und gehackt. wie sinnvoll und erfüllend diese arbeit! und es wird reichen für den bald kommenden winter. Ja, der eisgraue kriecht vom tal herauf, kommt näher von tag zu tag, und jetzt schon lasse ich das feuer nicht ausgehen. aber wie wohlig warm nun unser hexenhäuschen. es beginnen wieder die schönen tage am ofen, das knistern der holzscheite. der winter kann mich nicht schrecken. fleissig war ich auch beim einmachen von gurken, bohnen und knoblauch. das zwiebelregal ist voll. auch habe ich unsere beeren längst in gläsern, pilze und kräuter getrocknet. freue mich schon auf diese guten sachen, die mir den winter verkürzen werden. und stell Dir vor! Charlie, unser kater, ist wieder da. kennst ja seinen freiheitsdrang, er war wieder mal verschwunden, viele wochen. er saß vor ein paar tagen vor der haustür, und hab mich wirklich erschrocken: abgemagert bis auf die knochen, wild zerzaust, ein stück vom linken ohr fehlt. und nun sitzt er in Deinem geliebten alten ohrensessel und leckt sich die wunden. lässt sich pflegen, der alte freigeist! ich glaube, auch er vermisst Dich.

und das tue ich auch – sehr – liebe Annemarie! freilich, bin ja glücklich hier, könnte mir kein anderes leben mehr vorstellen. jedoch fehlst Du uns allen hier mehr und mehr. Dein liebevolles wesen, Dein lachen, Deine wärme und das wunderbare reden mit Dir, vermisse Deine stimme. es ist als hättest Du alles mit noch mehr leben erfüllt, noch mehr beseelt auch. und, naja – heute ist so ein abend, an dem ich Dich besonders stark vermisse. wie unsagbar schön es wäre, wenn Du jetzt hier wärst, Deine warme hand, Liebe Annemarie, Dein lächeln. heute ist wieder mal so ein abend, ja! und dann stelle ich immer eine kerze ins fenster. vielleicht kommst Du ja dann wieder … ? ist wohl nur das halbe glück trotz allem – ohne Dich!

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