Alexanders CD-Tipp der Woche: Masako Ohta – Poetry Album
Das Klavier-Solo-Konzeptalbum zum Thema Liaison der japanischen Pianistin Masako Ohta fügt populäre und unbekannte Klavierstücke vom Barock bis zum 20. Jahrhundert zu einem in sich abgerundeten Klang- und Poesiebogen zusammen. (Alexander Kinsky)
Masako Ohta, die in Tokyo und Berlin ausgebildet wurde und ihre CD im September und Oktober 2017 im Waldhaus Grandsberg in Deutschland auf einem C. Bechstein Flügel aufgenommen und im Februar 2018 auf dem Label Winter & Winter veröffentlicht hat, gelingt es, ihr Konzept nicht primär als Aufeinanderfolge stilistisch unterschiedlicher Piecen die man musikhistorisch miteinander vergleichen kann (was natürlich auch möglich ist) umzusetzen, sondern vielmehr als eine klangliche und klavierpoetische Reise, die dazu einlädt, den verinnerlichten, beseelten Facetten der Liaisonen die hier angedeutet werden nachzuspüren.
Man kann die CD bewusst mit den Stücktiteln im Blick hören und dazu die Innigkeit weiter denken, mit der die Komponisten ihre Zuwendung auszudrücken versuchen, man kann sie aber auch einfach als klavierpoetische CD durchlaufen lassen und sich den unterschiedlichen Stimmungen hingeben.
Masako Ohta spielt wie spontan, wie aus dem Augenblick geboren. Man hört deutlich, wie sie barocke und klassische Musik (Bach, Couperin, Beethoven) aus einem Spinett-Anschlag heraus versteht, wie sie der Romantik (Clara und Robert Schumann, Brahms und Ravel) in den Stücken aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert pianistische Entfaltung ermöglicht und wie sie die spirituellen bis sperrigen Klangkristalle des 20. Jahrhunderts (Kurtág, Pärt, Takemitsu) als kreative Kontrapunkte zur bis dahin gewohnten Musiktradition einsetzt. Sie fügt das aber nicht didaktisch aneinander, sondern hochmusikalisch, wie intuitiv, als würde sie ähnlich Keith Jarrett in seinen berühmten Solokonzerten am Klavier immer ganz Neues aus dem Nichts stilistisch vielfältig und farbenreich schattiert im Augenblick zum Klingen bringen.
Der 1926 geborene György Kurtág zählt neben György Ligeti und Péter Eötvös zu den bekanntesten ungarischen Komponisten nach 1945. Von ihm spielt Masako Ohta die Hommage a Farkas Ferenc 4 mit dem Untertitel „Liebe im Herzen, bittere Schmerzen…“ sowie eine Hommage à Kurtág Márta. Barockes und Vorklassisches ist mit Johann Sebastian Bachs populärem Präludium und Fuge I C-Dur BWV 846, von der Pianistin bewusst schlicht und klar gespielt, und mit François Couperins Rondeau Les Bergeries vertreten. Couperin (1668-1733) war ein berühmter Organist und Hofkomponist Ludwigs XIV.
Die Wiener Klassik erfährt auch eine bewusst schlichte Würdigung, mit Ludwig van Beethovens Für Elise WoO 59, bei der man ja nicht sicher ist, ob es nicht eine Therese gewesen sein könnte. Wer das Stück selbst am Klavier zu spielen imstande ist, hört vielleicht noch genauer, wie sich die Pianistin hier um Anschlagskultur und bewusste Schlichtheit bemüht.
Robert Schumanns Protegé Johannes Brahms hat Roberts Frau und spätere Witwe Clara Schumann (1819-1896), selbst Pianistin und Komponistin, ja zumindest sehr verehrt. Masako Ohta verrät mit ihrer Stückauswahl zu diesem „Dreieck“ nobel und dezent allenfalls tiefste ehrliche Empfindungsdimensionen – mit Brahms´ Intermezzo op. 119 No. 1, mit Clara Schumanns entdeckenswerter Romanze op. 11 No. 1 und mit Robert Schumanns No. 2 aus den Sechs Stücken in kanonischer Form op. 56, wie vorgeschrieben „mit innigem Ausdruck“ zusammen mit Mariko Takahashi als die CD kongenial abrundendes Stück gespielt, das einzige drei(!)händige Stück der CD (Liaison!).
(Auf Clara Schumann als Komponistin macht 2018 übrigens auch die Münchner Pianistin Sophie Pacini aufmerksam, sie spielt auf ihrer im Mai 2018 erschienenen CD „In Between“ unter anderem Clara Schumanns Scherzo No. 2 c-Moll op.14.)
In wieder ganz andere und doch im Komplex ganz eigen passende, nun impressionistische Klavierwelten führt Maurice Ravels belebte dreisätzige Sonatine (I Modéré, II Mouvement de Menuet und III Animé). Dazu kann man sich etwa Monet Gemälde vorstellen.
Klangkristalle im offenen Raum, sphärischer mit Arvo Pärts Für Alina (Tempoangabe Ruhig, erhaben, in sich hineinhorchend), sperriger mit Tōru Takemitsus drei Pause Ininterrompue Stücken (1. Slowly, sadly and as if to converse with, 2. Quietly and with a cruel reverberation und 3. A song of love), bringen neben Kurtág das 20. Jahrhundert ein.
Der 1935 geborene estnische Komponist Arvo Pärt ist in der Fachwelt umstritten – ist seine „weltverlorene Kompositionsweise“ eine raffinierte kommerzielle Masche oder tief spirituell? Masako Ohtas Für Alina Interpretation vermag es, für zweiteres zu plädieren.
Aus den Klängen des aus Tokyo stammenden Tōru Takemitsu (1930-1996) Spirituelles herauszuholen gelingt der Pianistin genauso bzw. schafft sie es auch hier, den Hörer den Kontext was man gerade hört vergessen zu lassen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich ganz in die Musik an sich hineinfallen zu lassen.
Die Homepage von Masako Ohta: http://www.masako-ohta.de/index.html