Alexanders CD-Tipp der Woche: Sarah Straub – Alles das und mehr

 In CD-Tipp

Künstlerisch hochambitioniert mutig, neu beseelt und dabei stets demütig den Originalen ihre selbstbewusst-würdige Reverenz erweisend, belebt Sarah Straub auf ihrem im September 2019 bei Sturm & Klang veröffentlichten Album „Alles das und mehr“ auch Konstantin Wecker Lieder von den man bisher dachte die können ausschließlich von ihm selbst gesungen werden völlig neu. (Alexander Kinsky)

Als Emanuel Schikaneder 1791 den Papageno aus der Taufe hob, als Johann Nestroy Mitte des 19. Jahrhunderts seine Komödienhauptrollen für sich selbst maßschneiderte, als Helmut Qualtinger die sich´s neu eingerichtet habenden Mitläufer Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts als Herr Karl mit der Fratze ihres vermeintlich reingewaschenen Gesichts konfrontierte, schienen dies singuläre, auf die Urheber fixierte Rollen zu sein.

Mehr noch Theater- als Filmfiguren leben aber davon, über Generationen hinweg immer wieder neu belebt zu werden.

Erwin Steinhauer spielte in den 80er Jahren im Wiener Akademietheater Qualtingers „Der Herr Karl“ nach. In der vom Schreiber dieser Zeilen damals besuchten Vorstellung, die eine virtuos-tiefgründige Neuinterpretation schuf, zerlachte das Publikum die Anklage und eigene Betroffenheit weg zu einer Farce und damit sich selbst als weiter lieber Verdrängende als sich auch dem dunklen Ich Stellende.

Auch Lieder – zumal seit es Aufzeichnungen gibt – sind vielfach fixiert auf bestimmte Interpretinnen und Interpreten. Es gibt Lieder die so verwachsen scheinen mit bestimmten Interpretationen von Künstlerinnen und Künstlern, dass es undenkbar scheint, sie könnten jemals von Anderen vorgetragen werden. Man will sie ausschließlich in der geliebten Aufnahme oder Interpretation hören, so sind sie einem ans Herz gewachsen, so ist man ganz in ihnen zu Hause.

Aber was ist ein Lied? So wie die Theaterrolle immer wieder neue Körper, neue Charakterdarstellerinnen und – darsteller benötigt, die sie verlebendigt, so verselbständigt sich selbst das auf ganz bestimmte Personen fixierte Lied schon allein, indem man es für sich mitsummt, mitsingt, innerlich mitmusiziert. Ob Amateur oder Profi, nahezu jedes Lied will dann auch irgendwann nachgesungen werden, sich vom Urheber lösen, nicht nur indem die Aufnahmen weiter gehört werden, sondern indem man es neu interpretiert, von innen heraus neu belebt. Was ganz persönliche Aussage ist, wird zur ganz persönlichen Aussage nun der neuen Interpretation.

Auf den Musikhochschulen gibt es Liedgestaltungsklassen, in denen die unüberschaubare Welt der Klavierkunstlieder täglich neu belebt wird. Tausende Tondokumente etwa der Schubert Lieder offenbaren, welch interpretatorische Vielfalt hier möglich ist.

Ob ein Lied allgemeingültig oder nur auf bestimmte Interpretationen festlegbar ist – solange es die Urheber nicht dezidiert klarstellen, wer ist die Instanz, das zu bestimmen?

Und man bedenke erst recht solche Dimensionen, wie sie Udo Jürgens besingt: „Du kannst den Sänger in Ketten legen, aber niemals sein Lied.“

Ein Lied, eine Liedmelodie, eine Liedzeile als letzte Hoffnung, als Lebenszeichen in völlig ausweglosen Situationen, ein Lied das man kennt, das vielleicht wirklich “anderen gehört“, aber im Augenblick gerade noch Halt gibt, letzten Halt, allein das muss doch rechtfertigen, Lieder lösen zu dürfen von bestimmten Interpretationen.

Und wer legt fest, ob Neuinterpretationen „gültig“ sind? Herz und Seele und Körper dessen der damit konfrontiert wird legen das für diesen fest. Manches kommt an, manches nicht. Manches kann als ausschließlich kommerziell motiviert durchschaut werden, manches mischt raffiniert kommerzielles Kalkül und musikalisch hochwertige professionelle Leistung und ganz, ganz vieles ist einfach der ehrliche Versuch, ein Lied auf persönliche Art neu zu beleben und andere Menschen daran teilhaben zu lassen.

Die 1986 in Lauingen im Landkreis Dillingen in Bayern geborene Singer-Songwriterin Sarah Straub, sie ist auch promovierte Psychologin, hat den mutigen Schritt getan, nach einigen englischsprachigen Projekten eine CD ausschließlich mit Liedern von Konstantin Wecker vorzulegen – und zwar teilweise mit Liedern die bisher absolut fixiert auf Konstantin selbst schienen, etwa Das ganze schrecklich schöne Leben, Du bist so hässlich oder Uferlos.

Auch wenn gerade in diesen Liedern Textzeilen enthalten sind die man sich (bisher) kaum von Konstantin gelöst öffentlich gesungen vorstellen kann: Warum soll man nicht respektieren, dass Sarah Straub sich mit ihnen so identifiziert, sie nun aus sich heraus völlig neu zu beleben?

Eintauchen in dieses ambitionierte, staunenswerte Projekt, Eintauchen in Sarah Straubs Konstantin Wecker Liedwelt…

Sarah Straub kommt wie Konstantin Wecker vom Klavier her. Stärker als Konstantin die letzten Jahre setzt ihr Interpretationskonzept der CD mit den darauf enthaltenen 12 Liedern (eines gibt es in zwei Versionen) auf das Klavier als zentrales Instrument der Liedaufnahmen. Das von Dominik Scherer produzierte, am 6.9.2019 in Konstantin Weckers Label Sturm & Klang (S&K 041) veröffentlichte Album stellt die meisten Lieder mit Sarahs zentralem Klavierspiel und feinfühlig transparenter, kammermusikalisch farbiger Bereicherung vor: Klarinette, Geigen, Akkordeon, Gitarre, Flügelhorn, Glockenspiel und Schlagzeug kommen zum Einsatz. Dabei wird deutlich, dass den Originalen höchster Respekt gezollt aber gleichzeitig angestrebt wird, den Liedern eine ganz neue, sehr persönliche Note zu geben, sie neu zu beseelen.

Vielleicht bedarf es eines gewissen Einhörens, einer Gewöhnung, eines Akzeptierens dieser Stimme, der Seele dieser Neuinterpretationen nahezukommen, zumal angesichts dieses überwältigend übermächtig scheinenden Originals Konstantin Wecker. Aber dann, wenn man einmal „drin“ ist, dann ist man auch hier „ganz“ drin, in diesen neuen Schwingungen und Grooves der Lieder.

Konstantins zentrale Bekenntnislieder wie Ich singe, weil ich ein Lied hab’, die Lothar Zenetti-Vertonung Was keiner wagt oder Die weiße Rose können doch gar nicht oft genug neu gelebt, neu gesungen werden. Hier auch künstlerisch: Es geht ums Tun und nicht ums Siegen!

„Trotz“ Klavier überraschend ungewohnt und sehr reizvoll hören sich etwa Niemand kann die Liebe binden, Leben im Leben und Uferlos an.

Empört euch ist einer der Höhepunkte der Produktion, weil es dem bei Konstantin sensationell kraftvollen Aufschrei die mutig sensible innere Stimme hinzufügt, das Bekenntnis derer, die keine so kräftige Stimme haben, die einfachen Musikanten die man lange Zigeuner nannte bis diese Bezeichnung als Abwertung erkannt wurde. Wie ganz anders bewegt und berührt hier das klezmerartige Geigenspiel, wie genauso vehement aber eben kammermusikalisch feingliedrig besticht die musikalische Kraft und eindringliche Aussage dieses textintensiven Liedes mit diesem kreativen Ansatz.

Verblüffend die Idee bei Den Parolen keine Chance, das einzige Lied das gar nicht aufs Klavier als zentrales Instrument baut, zu Beginn und am Ende eine Schreibmaschine wie in einem bürokratischen Amtsraum einer Diktatur des 20. Jahrhunderts, dann ausschließlich Perkussion und Chor zu Sarahs herzlich fröhlich bekenntnishaftem Gesang – ja, das ist auch mutig, dieses Lied so vorzustellen, und (man gibt es zu) das reißt mit, das will man gleich mehrmals hören.

Du bist so hässlich – geht das, wenn das eine Frau singt? Nein, nicht plakativ voyeuristisch denken, vielmehr individuell die Liedaussage beim Persönlichen belassen. Es ist nicht wichtig ob Sarah Straub mit einer Frau zusammenlebt, sondern dass sie sich in die Rolle versetzt, eine Beziehung nicht mehr auszuhalten. Und – jawohl – diese Rolle spielt oder lebt sie verdammt gut. Gerade auch dieses Lied erfährt damit eine grandiose neue Belebung.

Inwendig warm singt Sarah in ihrer eigenen bayerischen Mundart. Damit erreicht sie auch hier eine ganz eigene Authentizität.

Alles das und mehr, dieses vielleicht größte Konstantin Wecker Lied, kompositorisch wie textlich wie nur wenige Lieder die jemals in deutscher Sprache geschrieben wurden stimmig bis ins letzte Detail, diese philosophische Betrachtung zu Schwermut, Not und dem Leben allgemein in feinster harmonischer Auflösung, ist eines, das die Zeiten unbedingt überdauern muss. Sarah Straub hat den Liedtitel selbstbewusst zum Albumtitel erhoben, ein Statement für sich, eine starke Vorgabe, die vielleicht schönste Reverenz an den Schöpfer des Liedes.  

Am Ende der CD bieten Sarah Straub und Konstantin Wecker eine Duettaufnahme des Wecker Klassikers Niemand kann die Liebe binden, aufwendiger arrangiert als Sarahs Aufnahme ohne Konstantin die davor zu hören ist. Hier wird das Chanson auf jeden Fall auch zum Kunstlied, unterstrichen nicht zuletzt mit dem Livevideo zum Lied, aufgenommen beim Irschenberg Festival 2019 im Rahmen eines Konstantin Wecker Triokonzerts.

Wer bereit ist, auf Sarah Straubs Neuinterpretationen der Konstantin Wecker Lieder offen zuzugehen, wird ganz viel Bereicherndes dabei entdecken.

Nichtsdestotrotz wäre nun aber auch der eine wohl noch entscheidendere Schritt spannend, der zu eigenen deutschsprachigen Liedern Sarahs.

Die Homepage von Sarah Straub: https://www.sarah-straub.de/

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