Altersarmut heute in Deutschland
In den Medien höre ich in letzter Zeit häufig: In der Zukunft wird es in diesem Land eine große Altersarmut geben. In der Zukunft?
Es gibt sie millionenfach bereits heute. Das reiche Bayern steht an der Spitze, dort sind die meisten Betroffenen eines Bundeslandes. Viele Frauen waren allein erziehend oder haben wegen der Kinder nicht voll arbeiten können, so dass die Renten zum Leben nicht ausreichen. Ein Teil der Menschen, die in diese Situation gekommen sind, wurde erwerbslos, ohne eine neue Arbeit finden zu können, sind in die Abhängigkeit von Hartz IV oder der Grundsicherung gekommen.
Nimmt man die römische IV als Buchstaben, so heißt Hartz IV abgekürzt HIV. Es gibt durchaus Parallelen mit Aids – HIV positiv – und Hartz IV: Ausgrenzung, keine Zukunftsperspektiven, Verweigerung von Heilung, von bezahlbaren Lösungen.
„Hartz IV heißt die neue Krankheit, die sich ab dem 1. Januar 2005 epidemieartig bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ausbreitet: Ursache: Soziale Ungerechtigkeit, Symptom: Armut.“
Gabriele Gillen, Hartz IV, Eine Abrechnung, Rowohlt 2003 (Für mich die beste Analyse der Misere)
„Und was ist denn Hartz IV? … (Ein Beitrag von Ellen Diederich)
… Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität. Wir brauchen ein Recht auf Einkommen. Ein Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Götz W. Werner (dm-Märkte), “Ein Grund für die Zukunft: Das Grundeinkommen”, rückseitiges Deckblatt.
Ich bin selber in die Lage der Abhängigkeit von Hartz IV gekommen. Mein ganzes Leben lang habe ich Friedensarbeit gemacht. Friedensarbeit wird, im Unterschied zur Arbeit mit dem Krieg schlecht oder nicht bezahlt, ist zumeist ehrenamtliche Arbeit. Ich gehe ganz krumm vor lauter Ehre. Wir haben meistens nicht gefragt, ob diese Arbeit bezahlt wurde. Es war notwendig, bestimmte Aktionen zu machen, sich zu den Betroffenen zu begeben, Solidarität zu zeigen, Öffentlichkeit herzustellen. Viele Jahre habe ich mit einer Frauenfriedens Stiftung aus den USA zusammen gearbeitet. Wir waren in vielen Teilen der Welt an Aktionen gegen die Atomgefahr, gegen Krieg, Rassismus, Frauenunterdrückung, für Menschenrechte, Frieden, den Erhalt des Planeten Erde beteiligt.
Meine Altersperspektive war: Eine internationale Schule, in der wir das in vielen Jahren gesammelte Wissen weitergeben konnten. Die Stiftung wollte diese Schule in Texas, dort war der Sitz der Stiftung, initiieren. Leider war nicht mehr genügend Geld vorhanden, der Plan nicht realisierbar. Mit 56 endete die Unterstützung der Stiftung, ich wurde Hartz IV abhängig, später Grundsicherung.
Vor einiger Zeit habe ich mich entstaatlicht. Ich konnte die Abhängigkeit von staatlichen Hilfen, die mit entwürdigenden Kontrollen verbunden sind, nicht mehr ertragen.
Ein Beispiel: Heizkosten: In einem Brief des Grundsicherungsbüros wurde ich aufgefordert, mein „Heizverhalten“ zu überprüfen:
Es heißt da: „Bei einem Heizkostenverbrauch über der Nichtprüfgrenze wird im Einzelfall geprüft, ob der tatsächliche Verbrauch als angemessen angesehen werden kann.“ Weiter: „Ich bitte Sie, sich ggf. auf ein wirtschaftliches Heizverhalten einzustellen.“
Mit meinem „Heizverhalten“ habe ich immerhin ein „Heizkosten-Guthaben“ von 78,04 Euro erwirtschaftet. D.h. ich habe weniger verbraucht, als zugewiesen wurde. Trotzdem wird mir mit Kürzung gedroht und mir gesagt, ich solle mich um ein wirtschaftlicheres Heizverhalten bemühen. Das erwirtschaftete, besser durch Einschränkung gesparte Geld, wird mir im nächsten Monat wieder von der Grundsicherung abgezogen.
Wie sieht mein „wirtschaftliches Heizverhalten“ aus?
Spüre die Einschränkungen beim Leben mit der Grundsicherung im Winter natürlich umso mehr. Heizen auf 18 Grad nur in dem Zimmer, in dem ich mich gerade aufhalte. Sitze in dicken Kleidungsstücken, Wolldecke über die Beine, dicke Socken, Handschuhe, wie sie die Marktfrauen tragen, in denen die Finger frei sind und warme Schuhe, wenn ich schreibe. Bin ich unterwegs bei einem Treffen in durchgängig geheizten Räumen, ist mir das inzwischen fremd. Dennoch ist der Gang zum Briefkasten mit Angst besetzt, Angst vor der nächsten Strom- und Heizkostenrechnung. Im letzten Jahr ist 344 000 Haushalten der Strom abgedreht worden. Zum Teil sind es Familien mit kleinen Kindern.
Wundere mich nicht, dass ich immer weniger schlafen kann, nachdem einer der Briefe, die viele hunderttausend Menschen erreicht haben, auch bei mir in den Briefkasten flattert: Ihre Wohnung ist zu teuer. Isolieren Sie Ihre Wohnung. (Das geht bestimmt gut von 424 Euro für sämtliche Lebenshaltungskosten im Monat!) Reduzieren Sie ihre Miete oder ziehen Sie aus. Wir werden aus unserem sozialen Umfeld herausgerissen.
Ich habe Glück. Der Besitzer des Hauses, in dem ich lebe, reduziert mir die Miete um 50%. Er möchte unsere Friedensarbeit unterstützen. So kann ich bleiben. Danke, Herr Köpper. Ich habe in über 20 Jahren ein Frauenfriedensarchiv aufgebaut. Es ist eine große Sammlung mit Büchern, Dokumenten, Filmen, Fotos, Kunstgegenständen aus vielen Ländern, die Frieden ausdrücken.
Wegen des Archivs habe ich diese große Wohnung gemietet. Für meinen eigenen Bedarf würde mir ein Zimmer, eine Küche, ein Bad genügen.
Wie sieht das Leben jetzt aus, nachdem ich mich aus der staatlichen Abhängigkeit entlassen habe? Ich wusste, dass 630 Euro Rente nicht ausreichen.
Ich hatte noch nie im Leben Schulden. Das hat sich geändert.
Was heißt Armut, Altersarmut?
Als erstes: Rückzug aus bestehenden Beziehungen mit Menschen, die weit weg sind von den Erfahrungen, denen so viele ausgesetzt sind.
Mein Umfeld war immer das von fortschrittlichen, gut informierten Menschen, viele LehrerInnen, AkademikerInnen. Immer häufiger begegnen mir gerade auch von wohlmeinenden Menschen, Unachtsamkeit in der Wahrnehmung der Situation armer Menschen, oberflächliche Stellungnahmen.
Ich habe es satt, mich entschuldigen zu müssen, dass ich dieses oder jenes nicht machen kann, Essen, ins Kino gehen z.B. Ich kann auch nicht einfach darüber berichten, weil es bei den anderen immer so ankommt, ich will etwas von ihnen.
Ich will auch meine Interessen nicht in erster Linie von den „wissenschaftlichen Fachleuten“ vertreten sehen. Wir sind die Fachleute, wir, die wir in der Situation sind!
Das “DU” entscheidet. Aufgenommen auf einem CDU-Parteitag nach der Show.
Besonders verletzend sind Fragen und Bemerkungen von FreundInnen, die sich einfach nicht in unsere Lage hineindenken können. M. fragt mich, ob ich zu einer Ausstellungseröffnung ins Haus der Frauengeschichte nach Bonn komme. Ich brauchte Hilfe in einigen computertechnischen Fragen, K. sagt mir, in Düsseldorf gibt es solche Kurse, ich werde gefragt, ob ich mit zu occupy Aktionen nach Frankfurt kommen möchte. Solche Fahrtkosten, Eintrittspreise kann ich mir nicht leisten.
Ich war in vielen Ländern der 2/3 Welt. Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Armut. Das weiß ich. Ich habe Zugang zu sauberem Wasser, Essen, Wohnraum. Ich gehöre nicht zu den Millionen von Menschen die in Afrika, Asien, Lateinamerika zurzeit vom Hungertod bedroht sind. Soweit es unsere Kräfte und Mittel zuließen, haben wir immer humanitäre Hilfe gelistet. Von diesem Hof hier in dem Haus, in dem ich lebe, sind eine Reihe von Lebensmittel- und Hilfstransporten in Kriegsgebiete z.B. ins ehemalige Jugoslawien gegangen. Irgendwann habe ich mich entschieden, keine humanitäre Hilfe mehr in dieser Form zu machen, sondern mit allen Mitteln zu versuchen, Aufklärung über die Hintergründe von Armut und Krieg öffentlich darzustellen. Solange wir humanitäre Hilfe leisteten, haben die Zeitungen gut berichtet. Seit unserer scharfen Kritik an NATO, Militarisierung und Kriegsbeteiligung ist es schwer geworden, Öffentlichkeit zu bekommen.
Ich habe immer stärker das Gefühl, nicht mehr in der realen Welt zu leben, verstehe so vieles nicht mehr. Kann z.B. diese unendlich vielen Kochsendungen im Fernsehen nicht ertragen. Ich würde gerne wissen, was sich diese Köche denken, wenn sie ihre Spezialitäten meistens im Konkurrenzkampf mit anderen zelebrieren. Bedeutet das einen Teil dessen, was immer nach Anschlägen gesagt wird: „Wir lassen uns unsere Lebensart nicht kaputt machen!“
Ich bin mein ganzes Leben lang politisch sehr aktiv gewesen. Altersarmut heißt u.a. wie gesagt, nicht mehr zu politischen Aktionen und Veranstaltungen gehen zu können. Zum Treffen in Bonn, 30 Jahre nach der großen Kundgebung der Friedensbewegung im Hofgarten, kann ich nicht gehen. Ich habe damals und bis heute unendlich viele Aktionen gegen den atomaren Wahnsinn, auch diese in Bonn mitorganisiert. Eine Fahrkarte nach Bonn und die Gebühr von 20 € kann ich mir heute nicht leisten.
Ich hätte sehr viel beizutragen zu diesem Treffen, da ich nicht aufgegeben, Fotoausstellungen, Dia-Schauen und Vorträge gemacht habe über Friedensaktionen, über Palästina/Israel, über Gewaltbereitschaft, die Friedensnobelpreisträgerinnen, die Weltfrauenkonferenzen in Nairobi und Peking, das Friedenszelt. das wir dort organisiert hatten als einen Ort, an dem Frauen aus so genannten Feindesländern in den Dialog kommen konnten, dokumentiert in dem Film „Facing tomorrow“, über das Atomtestgebiet in Nevada, über die Zapatisten in Mexiko, über Globalisierung und die Auswirkungen auf Krieg und Frieden, über die Komitees der Mütter der Verschwundenen in Lateinamerika usw.
Ich habe eine große Sammlung von kunstvoll gearbeiteten Bannern zu den verschiedenen Fragen des Friedens zusammengetragen. Zu Petra Kelly und Bertha von Suttner, zum Staatsterrorismus, zu Palästina/Israel, zu Star Wars usw.
Was heißt Ausschluss aus dem sozialen und kulturellen Leben? Ausschluss heißt: Neben dem Verzicht auf Teilnahme an Aktionen, weil ich mir das Fahrgeld nicht leisten kann, nur alle zwei Monate ein Buch, keine Musik CDs mehr kaufen zu können, kein Kinobesuch, keine Zeitung, kein Fotografieren mehr. Keine Möglichkeit, Wohnungs- oder Haushaltsgerätereparaturen vornehmen zu können. Kleidung war mir nie wichtig, ist aber manchmal notwendig. Mein Wintermantel ist 21 Jahre alt, das letzte Paar Schuhe habe ich vor 7 Jahren gekauft.
Es gibt Brutalitäten, die im Wortsinn herzzerreißend sind: Für Transport sind bei Hartz IV monatlich 24.05 € vorgesehen. Meine Mutter, sie war in ihren letzten Jahren todkrank, lebte in einem Altenheim in Dortmund. Eine Fahrt dort hin mit Bus und Bahn von Oberhausen aus kostete 21 €. Einmal im Monat also konnte ich mir einen Besuch leisten – oder musste das Geld vom Essensbudget, von den Ausgaben für Kommunikation abzweigen. Meine Mutter ist inzwischen gestorben.
Die Armutsrealität zwingt mich in die Knie, Sie ist begleitet von typischen Krankheiten, Herzprobleme, Diabetes, Schlaflosigkeit, wachsendem Unbehagen, sich mitzuteilen. Langezeiterwerbslose haben in Deutschland eine Lebenserwartung, die 7 – 8 Jahre unter der allgemeinen Lebenserwartung liegt, sagt eine Studie der Humboldtuniversität. Die Reparatur der Zahnprothese ist nicht drin, ich lächle nicht mehr, weil ich mich der Zahnlücken schäme.
Was den Armen zu wünschen wäre
Für eine bessere Zukunft?
Nur dass sie im Kampf gegen die Reichen
So unbeirrt sein sollen
So findig
Und so beständig wie die Reichen im Kampf
Gegen die Armen sind. – Erich Fried
BERECHNUNGEN FÜR DEN LEBENSUNTERHALT DURCH DIE Bundesarbeitsagentur FÜR MENSCHEN, DIE VON HARTZ IV ODER VON GRUNDSICHERUNG LEBEN MÜSSEN
Um Hartz IV und Grundsicherung aus der Abstraktion herauszuholen, hier einige Konkretisierungen:
Im alten Sozialhilfegesetz hieß es: „Sozialhilfe soll ein Leben in Würde ermöglichen.“ Das Wort „Würde“ ist im neuen Gesetz gestrichen. Bei der alten Sozialhilfe gab es einmalige Beihilfen zum Lebensunterhalt: Anschaffungs- und Reparaturkosten für Haushaltsgeräte, Bekleidungsbeihilfen, Schulbücher, Zahnbehandlungen.
Wie sieht es heute aus?
„Grundlage (für die Regelsätze) sind die tatsächlich statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen.“ § 28 Absatz 3 des SGB XII
Um die Armut ein Stück weit aus der Abstraktion herauszulösen, hier die konkreten Auflistungen des Hartz IV Satzes: Monatliches Hartz IV Einkommen 100% für 2019 424 €
Davon können nach den Berechnungen der Statistik ausgegeben werden für (Stand 2017, damals noch 409 Euro):
Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke 135.63 €
Das sind 4.52 € pro Tag
Dieser Teil des Budgets wird von den Betroffenen notwendigerweise gekürzt, wenn die Beträge für andere Teile, Telefon, Strom, Wasser usw. nicht ausreichen. Das ist der Normalfall.
Alkoholische Getränke, Zigaretten 0,00 €
Bekleidung und Schuhe 32.09 €
Von dem Budget für Schuhe: 6.15 €.
Von dem Budget für Schuhreparatur: 0.69 €. Eine Schuhreparatur (Sohle und Absätze kosten um die 20 €). Schuhe dürfen also nur alle 2 Jahre kaputt gehen.
Wohnung: Wasser, Strom, Brennstoffe 31.92 €. Das ist leider (k)ein Witz!
Einrichtungsgegenstände für den Haushalt 28.95 €
Gesundheitspflege 16.41 €
Hygieneartikel, Zahncreme, Seife, Toilettenpapier, Rezeptfreie Arzneimittel, Durchfall kann man sich nicht mehr leisten, Monatsbinden auch nicht
Verkehr 24.05 €
Eine Fahrt zum Arbeitsamt kostet 4 €
Wie gesagt, eine Fahrt ins Altenheim nach Dortmund zu meiner todkranken Mutter kostet 21.oo €.
Nachrichtenübermittlung 33.74 €, Telefon, Radio/Fernsehen, Computer
Die rote Linie ist schnell überschritten, Zeitung, Telefon und Internet werden zu Luxusgegenständen.
Was mich am meisten aufgeregt hat, ist diese Überlegung des Bundesarbeitsamtes: „Nicht mehr geschützt für Erwerbslose sind Gegenstände, die zur Befriedigung, geistiger, kultureller und wissenschaftlicher Bedürfnisse dienen. Bücher und Schallplatten z.B.“ Vorschlag von Seiten der Administration: Bücher und Schallplatten verkaufen! Das ist die Enteignung des gelebten Lebens. Mein ganzes Leben lang bin ich Pazifistin. Aber ich glaube, ich würde meinen Pazifismus verlieren, sollte jemand verlangen, dass ich mich von meinen Büchern und der Musik verabschieden soll. Zumal in diesem Land, in dem vor nicht allzu langer Zeit politische Bücher verbrannt wurden!
Vielleicht sollte man Erwerbslosen, Grundsicherungsabhängigen die Fernsehprogramme steuern, nur noch die privaten mit ihren Verdummungsprogrammen zeigen?
Jetzt sind wir nicht nur erwerbslos und arm, sondern sollen auch noch dumm und ungebildet sein.
Bildungswesen 1.47 € – Was kostet ein Buch, ein Kurs bei der VHS? (Für Kinder von 6–14 Jahren ist für Bildung vorgesehen) 1.23 €
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen 7.56 € – Ein Eis und einen Kaffee im Monat
Andere Waren- und Dienstleistungen 27.98 €
Davon Renovierung und Instandhaltung der Wohnung 1.69 € – Für 60 qm braucht man ca. 800 € man spart also 40 Jahre
Für Reparatur von Haushaltsgeräten sind 0.72 € im Monat vorgesehen. Kostet die Reparatur eines Haushaltsgerätes etwa 80 €, muss man 11 Jahre sparen.
Anschaffung von Radio und Fernsehen 2.48 € – Für ein Gerät von 300 € müsste man 11 Jahre sparen.
Ich will auch nicht, dass so viele Menschen inzwischen von Hilfsmitteln wie den Tafeln abhängig sind. Ich weiß, dass viele Menschen heute nicht überleben würden, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Es ist richtig, die sonst weggeworfenen Lebensmittel, Kleidungsstücke, Haushaltsgeräte und Möbel wieder zu verwenden. Aber es darf nicht zum Problem der Armen werden, sondern sollte eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe sein. Ich bin gegen eine Vertafelung der Gesellschaft, möchte, dass die Menschen selber in der Lage sind, ihren Unterhalt zu bestreiten, ohne dass sie devot dankbar sein müssen. Ich habe hier in Oberhausen den ersten interkulturellen Garten initiiert. Menschen aus verschiedenen Ländern bauen dort selber einen Teil ihrer Nahrung an. Das ist ein anderes Modell als das der Tafeln, hier können wir selber ein Stück weit unsere Nahrungssicherheit leisten.
Wie viele Erwerbslose und Alte, deren Rente nicht ausreicht, versinken in der Starre? Die keine Kraft mehr haben, Gerichts- oder Talkshows in den Privatsendern schauen. Die keine Zeitung mehr lesen, in den Alkohol abdriften. In diesen Talk- und Gerichtsshows, in so genannten „ExpertInnendebatten“, auch in den öffentlich rechtlichen Medien wird Stimmung gegen die Erwerbslosen, kaum gegen die Erwerbslosigkeit gemacht. Mit Unterstützung von PolitikerInnen und devoten Medien wird ein widerlicher Generalverdacht gegen Erwerbslose lanciert. Die Menschen hören so viel über die betrügerischen Absichten, die Abzockerei der Arbeitslosen, dass sie nach und nach ihre eigene Misere als selbst verschuldet empfinden.
Oberhausen, 12.9.2005 – Aktion gegen Zwangsumzüge im Rahmen der Anwendung der asozialen Hartz IV-Gesetze – Ellen Diederich (links) mit Tacheles-Frauen
Ich eine von denen? Ich doch nicht. Ich falle doch nicht in dieses Loch.
Ich analysiere. Das kann ich ja. Alles analysieren. Ich weiß ja Bescheid. Warum das so ist und wie mit der Globalisierung, wie es kommt, dass täglich mehr Menschen keine bezahlte Arbeit mehr haben. „Wenn man das weltweite Arbeitsvermögen betrachtet, so sind in den nächsten zehn Jahren etwa die Hälfte der Menschen überflüssige Menschen, die auf die eine oder andere Weise von diesem Planeten verschwinden müssen“, sagt die Ökonomin Susan George, eine der Gründerinnen von attac bei einem Vortrag in Stockholm. Der Satz trifft mich wie ein Blitzschlag. Genau das geschieht ja längst. Durch die Verweigerung von Nahrungsmitteln. Die Nahrungsmittelspekulanten, z.B. auch die der Deutschen Bank, sind schuldig am Tod von unzähligen Menschen. Die Menschen sterben am Vorenthalten von Lebensmitteln, von sauberem Wasser, bezahlbaren Medikamenten, durch Krieg um Ressourcen, die die Lebensmöglichkeiten unvorstellbar zerstören, durch die Geschäfte mit Landminen, Uranmunition, Streubomben und weiteren Grausamkeiten.
Ich analysiere weiter. Wie die Welthandelsorganisation arbeitet, welche Funktion die Weltbank und der Internationale Währungsfond haben, was eine Freihandelszone ist, wie die verschiedenen Formen der Sklaverei heute aussehen, wie viele Kinder täglich an Hunger, Mangel an Medikamenten und unsauberem Wasser sterben. Ich versuche zu begreifen, was das UNO Embargo für den Irak bedeutet hat, wie viel die etwa 30 Kriege, die zur Zeit wüten, immer noch im Irak, in Afghanistan, in Palästina, in vielen Teilen Afrikas täglich kosten, wie wenig im Unterschied für den Wiederaufbau vorhanden ist, dass jeder Mensch in Deutschland täglich 1.80 Euro für die Bundeswehr ausgibt, was die Gentechnologie ist, wie die Medien manipulieren, was alles an öffentlichem Eigentum verscherbelt wird, wie hoch die Auslandsschulden der Länder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens sind, in Wirklichkeit schulden wir diesen Ländern unendlich viel und das inzwischen wenige Prozente unserer Bevölkerung über die Hälfte des Vermögens besitzen.
Ich kann alles ableiten. Leiten wohin?
Wir brauchen einen internationalen Gerichtshof, vor dem diese Verbrechen verfolgt werden können.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich verstehe mich nicht in erster Linie als „Opfer“. Ich habe sehr klare Vorstellungen von dem, was ich will: Eine andere Welt, eine Welt, die frei ist von Ausbeutung und Krieg, von Machtinteressen, von Gewalt und immer größerer Gier nach materiellem Reichtum. In der Kinder aufwachsen, die alle Entwicklungsmöglichkeiten und Freude haben. Dafür habe ich mich immer eingesetzt und werde das auch weiter tun. Engagiere mich aktuell besonders für Roma Flüchtlinge, sie werden immer noch stark diskriminiert..
Ich habe viel Glück im Leben gehabt, konnte vieles machen, auch, weil ich finanzielle Unterstützung bekommen habe. Die Ziele waren oft nicht einfach zu verkraften, Kriegs- und Krisengebiete zu sehen, Menschen nahe zu kommen, die Krieg, Folter, Hunger, Vertreibung durchleben mussten. Wo ich das Gefühl hatte, hier muss etwas gemacht werden, um Öffentlichkeit herzustellen. Die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung: „Foundation for a compassionate society“ aus Austin/Texas, machte die Reisen möglich. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, was mit Geld gemacht werden kann, wenn es nicht für individuellen Reichtum und Konsum ausgegeben wird. Die Gründerin, Gen Vaughan, Erbin aus einer Öldynastie, hat all ihre Mittel zur Unterstützung der Frauenfriedensbewegung gegeben. Es gibt in den USA viele Menschen, die Friedensaktionen unterstützen. Leider erfahren wir sehr wenig von diesem Teil der USA. Die Stiftung schenkte uns den Friedensbus, mit dem ich 16 Jahre unterwegs sein konnte.
Oberstes Ziel der Busaktionen war: Der Abbau von Feindbildern durch direkte Begegnung mit Menschen aus den Ländern, die uns, vor allem in der Zeit der Ost-West Konfrontation, als Feinde bestimmt worden waren. Der Bus war ein großer Caravan, in dem gleichzeitig 5 Personen schlafen, kochen, duschen konnten. Nie hatte ich den Wunsch, ein Haus zu besitzen, aber mit diesem beweglichen Haus konnten wir überall hinfahren, wo Solidarität gebraucht wurde. Ich durfte sehr viele Länder kennen lernen, Landschaften, Meere, Flüsse, vor allem aber auch Menschen, die nicht aufgaben, sich für andere Lebensbedingungen einzusetzen.
Trotz der Probleme im Zusammenhang mit der Altersarmut würde ich kein anderes Leben haben wollen.
Wichtig wäre es auch, zu gemeinsamen Aktionen zu kommen, dass sich die von dieser Misere Betroffen zusammenschließen. Die Alten, die Erwerbslosen, die Mini-Jobber, die allein erziehenden Mütter und Väter, die Kinder (in meinem Stadtteil in Oberhausen Mitte leben inzwischen 48% der Kinder unterhalb der Armutsgrenze), die Flüchtlinge. Wie erreichen wir, dass wir uns nicht gegeneinander wenden, sondern beschreiben, welche Ursachen es sind, die uns alle begrenzen und was wir gemeinsam dagegen tun können.
Die Wellen von Angst, die durch den Körper gehen, vor der Bedrohung, die Wohnung zu verlieren und davor, von der Teilhabe am sozialen, kulturellen Leben ausgeschlossen zu sein, sind durch noch so viel Reflexion nicht wegzubringen.
„Freiheit, Wecker, Freiheit, das heißt keine Angst haben vor nix und niemand“, sagt der Willy im Lied von Konstantin Wecker.
„Angst essen Seele auf.“ (Rainer Werner Fassbinder)
Hartz IV ist offener Strafvollzug – Hartz IV ist Hochverrat
Ellen Diederich, Lothringer Str. 64 – 46045 Oberhausen – Tel. 0208/853607, email: Friedensa@aol.com
Du weißt vermutlich gar nicht, wie vielen Menschen Du mit diesem Beitrag aus dem Herzen gesprochen haben wirst! Dabei hast Du das hinbekommen, ohne irgendwo – wie sagen die Gegner so gern? – “sentimental” geworden zu sein. Die Fakten, die unendlich vielen Fakten, die Du benennst, allein diese sprechen für sich!
Ich selber fand und finde an Deinem Beitrag aber auch noch etwas anderes überaus bemerkenswert: daß Du nicht bereit bist, hinzunehmen, nur noch als “Opfer” gesehen zu werden, als “Opfer” behandelt zu werden und selber nur noch als “Opfer” dieser Welt gegenüberzutreten. Nein, Du bist selber engagiert und bleibst engagiert, Du setzt Dich selber – sogar finanziell! – auch noch für andere Menschen ein undundund. Hochachtung dafür!
Natürlich (tja, was daran ist ‘natürlich!?!) bringen so manche anderen Hartz-IV-Betroffenen diese Kraft nicht mehr auf – vielleicht haben sie niemals diese Kraft besessen (was ihre Schuld wahrlich nicht ist!) -, aber sehr wünsche ich mir, daß für viele andere Mitbetroffene Dein Beitrag ebenfalls im Sinne der Ermutigung wirkt! Und sei es nur – ‘nur’? -, sich nicht so verdammt alleine fühlen zu müssen in der eigenen, in jedweder Hinsicht, abgehängten Situation.
Ich danke Dir sehr für Deinen Beitrag!
Dein Holdger
Mein Projekt?
Kapitalismus?
Ich bin vielleicht häßlich…Aber ich könnte mir die schönste Frau kaufen…Wenn ich das nötige Klein-Geld hätte.
Kapitalismus?
Ich bin vielleicht schwachsinnig…Aber ich könnte mir einen SUV leisten…Für den Neid der Nachbarn.
Kapitalismus?
Ich bin bald alt…Aber die “Altenpflege-Maschine” wird mich so lang wie möglich als Ware erhalten.
Kapitalismus?
Ich war mal verliebt…Aber dafür war die Polizei zuständig. – Ein Blondinenwitz?
Kapitalismus?
Ich lebe in der Klimakrise…Aber der Billigflieger fliegt mich gerne zum Ballermannstrand.
Kapitalismus?
Ich soll im Hamsterrad bis zum Burnout malochen…Wegen dem dekadenten Wachstumswahnsinn?
Kapitalismus?
Ich soll da mitmachen… Bei dem neoliberalen Schwachsinn… Damit die Reichen nicht verhungern.
Kapitalismus?
Ich hab nie gewählt und meine Stimme abgegeben… Um irgendeiner Verblödungspartei meine politische und soziale Kompetenz zu überlassen.
Kapitalismus?
Ich hab den Durchblick…Aber irgendein neoliberaler “System-Psychologe” würde mir gerne Pillen verordnen…Damit ich mich nicht mehr kaputt lache.
Kapitalismus?
Ich spreche keine Frauen mehr in Supermärkten an…Wegen dem Plastikmüll.
Kapitalismus?
Ich biete mich als “Super-Single” trotzdem nicht bei einer “Internet-Partnervermittlung” als Verkaufs-Produkt an.
Kapitalismus?
Ich knipse das groteske-konsumistische konforme Spektakel bis es surreal wird?
Brauchen Sie noch mehr Informationen?
Oder lassen Sie mich diesmal lieber in Ruhe?
Thanks.
Habe die Ehre.
G.F.
Lesestoff!
Die subversive Page. – Für subversive Menschen.
https://anarchypeaceangel.jimdo.com/