Angst vor Fanatikern

 In Politik (Inland), Spiritualität
Straßenszene aus Homs, Syrien, Quelle: eine dem Autor persönlich bekannte syrische Frau

Straßenszene aus Homs, Syrien, Quelle: eine dem Autor persönlich bekannte syrische Frau

Im vierten Teil seines Tagebuchs über das Zusammenleben mit syrischen und afghanischen Flüchtligen berichtet Wolf Schneider über die Ängste der Bevölkerung, aber auch einiger der Zuwanderer untereinander. Er erzählt aber auch, wie solche Bedenken durch Humor entkräftet werden konnten. Unterdessen häufen sich in Syrien die Todesfälle durch Attentate. Im Gegensatz zu den Toten von Paris werden diese Opfer von den Medien ganz überwiegend ignoriert. (Wolf Schneider, Erstveröffentlichung: www.connection.de)

Zwei Tage nach den beiden Familien aus Damaskus und Kabul kamen bei uns drei Männer aus Afghanistan an. Die zuständige Asylsozialberaterin wies ihnen die Zimmer zu und teilte dabei einem Hazara (eine mongolisch-stämmige Ethnie aus Zentralafghanistan) ein Zimmer zusammen mit einem Pashtunen zu. »Das geht nicht«, sagte der Hazara in gebrochenem Englisch, »ich habe Angst!«. Die Pashtunen hätten an den Hazara Massaker begangen, sie würden mit den Taliban paktieren. Da wusste ich erstmal nicht, was ich damit anstellen sollte.

»Wer wo wohnt, das ist kein Wunschkonzert«, sagte die Sozialberaterin mit fester Stimme. Also vertröstete ich Nasir, so heißt er, wir würden das morgen entscheiden oder am Montag. Erst müssten alle da sein, die hier wohnen werden, dann sehen wir weiter. Ein paar Tage später aber gab ich ihm doch eines der beiden Einzelzimmer. Sein Mitbewohner heißt auch noch Talib Gul, klar, dass dieser Name an die Taliban denken lässt und Furcht wecken kann.

Das ist nun einen Monat her. Inzwischen verstehen sich Nasir und Talib prima, und die ganze WG hält zusammen. Talib war erst sehr schüchtern. Mit so einem Namen hier unter denen zu leben, die vor allem vor den Taliban geflohen sind, das war vermutlich nicht leicht für ihn. Talib ist schüchtern, lernfaul (dem Deutschunterricht bleibt er meist fern) und telefoniert viel mit seiner Heimat.

Krieg und Alltag

Am Sonntag saß ich mit May und Maxem zusammen, zwei von den Syrern, als sie erschüttert auf ihre Smartphones starrten, auf die Bilder von den Attentaten in Homs und Damaskus. Mehr als 130 Tote bei zwei Selbstmordattentaten, also ungefähr die Größenordnung der Anschläge in Paris vom 13. November. Aber Paris ist wichtig, Homs und Damaskus offenbar nicht. Die Anschläge in Paris hatten in Frankreich zur Staatstrauer geführt, zu Hollandes Kriegserklärung an den IS, die Deklaration des Ausnahmezustandes im ganzen Land und zu Beileidserklärungen aus der ganzen Welt. Eine neue Zeitrechnung habe damit für die Franzosen begonnen, hieß es, nichts sei nun mehr so vor vorher. Die Anschläge vom Sonntag in Syrien aber jucken bei uns und sonstwo in der Welt offenbar keinen. Ich hatte Mühe, unter den westlichen Medien überhaupt etwas dazu finden. Erst beim Guardian wurde ich fündig, und auch dort waren die Anschläge nur ein Nebenthema, obwohl dort inzwischen mehr Tote gezählt werden als bei den »berühmten« Anschlägen in Paris.

May und Maxim, die den Krieg in Syrien genau mitverfolgen, lachen aber auch viel, auch noch an demselben Abend. Wir trinken miteinander Tee, May turtelt mit ihrem deutschen Freund, der zu Besuch gekommen ist, und wir reden über den Haushalt und den 9-jährigen Zain, der hier gerade von seiner deutschen Schulklasse so freundlich aufgenommen wurde. Es ist Krieg, aber das Leben geht weiter.

Hier ist eines der Fotos, das May mir von dem Anschlag in Homs zeigte. Sie kennt die Straße, enge Freunde von ihr haben hier gewohnt. (Siehe Foto oben)

Auf der Hut vor Strenggläubigen

May und Maxem sind mit Mays Vater und Mays neunjährigen Ziehkind Zain aus Syrien geflohen, weil ihre ethnisch-religiöse Gruppe, die Alawiten, von sunnitischen Fanatikern zu Ungläubigen (arab. Kafir) erklärt wurde und sie daraufhin Morddrohungen erhielten. Kein Wunder, dass sie auch hier im Haus vor den afghanischen Sunnis auf der Hut sind. Vor allem vor einem von ihnen. Mike war anfangs der einzige, der täglich gebetet hat, und auch sonst fiel er auf. Wir alle waren ein bisschen vorsichtig mit ihm; er erschien uns als eventuell traumatisiert und jedenfalls leicht erregbar.

Hat Mike die anderen mit dem Beten angesteckt? Anfangs war Mike der einzige, der sein tägliches Gebet verrichtete, nun sagten auf einmal alle Anwesenden, sie würden beten. Ein Beitrag des Weltspiegel (ARD) über Marokka widmete sich kürzlich der Haltung der Marokkaner gegenüber Frauen. Dort sei kaum einer so richtig religiös, sagte die Filmemacherin Hind Bensara, aber alle hätten Angst, als schlechte Moslem bezeichnet zu werden und würden deshalb, und nicht aus Überzeugung, die traditionelle Frauenverachtung fortsetzen. Die Angst vor üblen Nachreden der Nachbarn habe dort zu einem zu einem strengeren islamischen Verhalten geführt, so das Fazit dieses Films.

Hoffentlich ist das nicht auch bei uns so. Mike scheint mir aus Angst fromm geworden zu sein, also eher ein Fall für Psychotherapie als für die Moschee. Und die anderen in der WG haben sich möglicherweise seiner forschen Religiosität ein bisschen angepasst.

Auch deshalb habe ich Ingo Taleb-Rashid zu uns eingeladen. Ich möchte, dass sich die Religiösen unter unseren Gästen (besonders Mike) durch das »von einem echten Sheik« angeleitete Ritual in ihrer Frömmigkeit verstanden und aufgehoben fühlen, und dass die anderen beim Mitmachen merken, wie unwesentlich die kulturellen Formen für die religiöse Erfahrung sind. Man kann in einer Moschee religiöse Ekstasen erleben ebenso wie in einer Kirche, auf einer Waldwiese ebenso wie in einem buddhistischen Tempel. Ob man dabei an einen Gott glaubt, ist egal, und erst recht, ob Mohammed der letzte Prophet ist.

Paff, Paff

Wie verschieden die Wirkung doch ist, wenn ich die Schahāda, das religiöse Glaubensbekenntnis der Muslime, bei uns in der afghanischen WG im Dachgeschoss sage – auf Arabisch –, oder das eine Etage tiefer tue, in der syrischen Familie. Oben ernte ich Respekt ob meiner Gelehrtheit, was für die Jungs dort fast dasselbe ist wie Frömmigkeit – religiöses Wissen und Glaube sind für sie noch nicht scharf getrennt. Eine Etage tiefer ernte ich damit Gelächter – nach dem anfänglichen Schrecken, dass ich vielleicht doch ein Moslem sein könnte. Ich mag diese arabischen Laute und spreche sie auch gerne mit religiöser Inbrunst aus. Dann aber witzeln wir darüber, wie viel es besser es sei, das Connectionhaus sieben Mal zu umrunden als die Kaaba in Mekka, und dass nach all den männlichen Propheten nun endlich eine Prophetin dran sei, zum Beispiel unsere May – und verbeuge mich tief vor ihr, unter großen Gelächter aller Anwesenden.

Auch die Erwartung der Sprengstoffattentäter, nach ihrem Märtyrertod sofort im Paradies zu landen und 70 Jungfrauen zur Verfügung zu haben, ist hier eine endlos ergiebige Quelle von Witzen. Ohne dazu Worte aussprechen zu müssen (wir reden immer noch hauptsächlich basic english), deuten wir durch einfache Gesten einen Sprengstoffgürtel an und »Paff« – alles explodiert. Es ist wie bei bei Kindern im Spiel, die »Paff, Paff« sagen, »und dann bist du tot«. Hier aber wird das gemimt von Menschen, deren Verwandte von Fanatikern ermordet wurden. Sie spielen es und machen diese Witze vor Bildern auf ihren Handys von der Straße, in der nach dem letzten Paff mehr als fünfzig Menschen tot liegen blieben und andere sich in ihrem Blut wälzten.

Die Gemeinschaft der Ungläubigen

Vor gut einer Woche saß ich mit dem 67-jährigen Vater von May und Maxim, ihrem Cousin, beim Teetrinken in ihrem Wohnzimmer. Ich sprach mit ihm – nennen wir ihn aus Gründen der Sicherheit lieber einfach Ali – wieder mal von der Verfolgung der Ungläubigen und davon, dass ihre gesamte schiitisch-religiöse Gruppe, die der Alawiten, von vielen Sunni-Moslem als »keine richtigen Moslem« denunziert werden.

Die Idee, ihn mithilfe eines Arabisch sprechenden Freundes zu interviewen und den Film dann ins Netz stellen, erstarb heute sehr schnell, weil seine Frau noch in Damaskus ist, und wenn einer vom IS oder Al Nusra das Interview Web findet, könnte sie bedroht werden oder sonst einer der Verwandten.

Ali sage ich gerne, dass auch ich ein Kafir sei, ein Ungläubiger. Damit ernte ich bei ihm immer große Freude, und es entsteht zwischen uns ein Gefühl der Verbundenheit. Wir seien eine Umma der Ungläubigen, sage ich, wir halten zusammen. Das Wort Umma verstörte unsere syrische Familie zunächst, denn es wird, vielleicht ähnlich dem für die buddhistische Gemeinschaft, die Sangha, von gläubigen Moslem fast nur für ihre Religion verwendet. Die Denkweise, dass auch Ungläubige zusammenhalten können, in einer Art areligiöser, »heiliger« Gemeinschaft, die sich nicht Allah unterwirft, sondern dem Ideal von »Liebe, Frieden, Freundschaft«, das war ihnen erstmal fremd. Nun aber wiederholt Ali das immer wieder: »Wir sind alle Kafir« – und strahlt dabei.

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