Auf Seiten der Menschlichkeit: Erich Kästner

 In FEATURED, Holdger Platta, Poesie

Poesie und Widerstand: Die Lyrik-Reihe auf „Hinter den Schlagzeilen“

Erich Kästner: Ansprache an Millionäre

Warum wollt ihr so lange warten,
bis sie euren geschminkten Frauen
und euch und den Marmorpuppen im Garten
eins über den Schädel hauen?

Warum wollt ihr euch denn nicht bessern?
Bald werden sie über die Freitreppen drängen
und euch erstechen mit Küchenmessern
und an die Fenster hängen.

Sie werden euch in die Flüsse jagen.
Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein.
Sie werden euch die Köpfe abschlagen.
Dann wird es zu spät sein.

Dann wird sich der Strahl der Springbrunnen röten.
Dann stellen sie euch an die Gartenmauern.
Sie werden kommen und schweigen und töten.
Niemand wird über euch trauern.

Wie lange wollt ihr euch weiter bereichern?
Wie lange wollt ihr aus Gold und Papieren
Rollen und Bündel und Barren speichern?
Ihr werdet alles verlieren.

Ihr seid die Herrn von Maschinen und Ländern.
Ihr habt das Geld und die Macht genommen.
Warum wollt ihr die Welt nicht ändern,
bevor sie kommen?

Ihr sollt ja gar nicht aus Güte handeln!
Ihr seid nicht gut. Und auch sie sind’s nicht.
Nicht euch, aber die Welt zu verwandeln,
ist eure Pflicht!

Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.

Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen –
das lohnt, drüber nachzudenken.

Macht Steppen fruchtbar. Befehlt. Legt Gleise.
Organisiert den Umbau der Welt!
Ach, gäbe es nur ein Dutzend Weise
mit sehr viel Geld…

Ihr seid nicht klug. Ihr wollt noch warten.
Uns tut es leid. Ihr werdet’s bereuen.
Schickt aus dem Himmel paar Ansichtskarten!
Es wird uns freuen.

Zu Erich Kästners Ansprache an Millionäre – Holdger Platta, 25. September 2019

Wahrlich, 1930 war kein gutes Jahr für die Weimarer Republik! Seit Ende Oktober 1929, dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, stiegen die Arbeitslosenzahlen auf dramatische Weise an. Kleine Gewerbetreibende und Handwerker mußten ihre Betriebe schließen. Ende März 1930 gab die letzte demokratisch gewählte Reichsregierung auf (Kabinett Hermann Müller/SPD), und die Zeit der sogenannten „Präsidialkabinette“ begann. Auf der Basis des „Notstandsartikels 48“ setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg alle nachfolgenden Regierungskabinette ein, beginnend  mit Heinrich Brüning (Zentrum), endend mit Adolf Hitler am 30. Januar 1933, einem Antidemokraten durch und durch, der bedenkenlos von Rhein-Ruhr-Schwerindustrie, ostelbischem Großgrundbesitz und von reaktionären Politikern – unter anderem der republikfeindlichen „Deutschnationalen Volkspartei“ – an die Macht intrigiert worden war. Und: die NSDAP stieg bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 zur zweitstärksten Partei in Deutschland auf – nach 2,6 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen bei den Reichstagswahlen am 20. Mai 1928 auf nunmehr 18,3 Prozent (lediglich die SPD hatte mit 24,5 Prozent dieses mal noch den ersten Platz halten können). Die Republik war am Ende mit dem Beginn der Kanzlerschaft eines Heinrich Brüning – weshalb der renommierte Historiker Arthur Rosenberg seine Geschichte des ersten Demokratieversuchs auf deutschem Boden auch mit eben diesem Jahr 1930 enden ließ, nicht erst mit dem 30. Januar 1933, wie die meisten anderen Historiker dieser Epoche.

In diese Situation hinein veröffentlichte der schon zu dieser Zeit berühmte Lyriker Erich Kästner (1899-1974) seinen Gedichtband „Ein Mann gibt Auskunft“ – „Gebrauchslyrik“, wie er das nannte – und präsentierte den LeserInnen die neueste Ausgabe seiner pazifistischen und zeitkritischen Texte. „Asphaltliteratur“ nannten die Nazis das später, Literaturhistoriker sprachen von Gedichten im Stile der „Neuen Sachlichkeit“. Und Kästner tat dieses in einer Situation, in der die Größtverdiener im Lande nach wie vor ihre Geschäfte zu machen verstanden – während die Lebensverhältnisse für Millionen von Menschen ganz unten von Woche zu Woche bedenklicher wurden. Vor allem Kästners „Ansprache an Millionäre“ beschwor diese Widersprüchlichkeit seiner Epoche mit einem Mut ohnegleichen herauf – und mit besonderer Eindrücklichkeit. Zweifelsfrei handelt es sich um ein Langgedicht, das den Magnaten seiner Zeit mit kaum überbietbarer Schärfe die Leviten las.

Deutlich dabei: Kästner setzte kaum auf die Mitmenschlichkeit der Millionäre, aber er setzte auf deren intellektuelle Erreichbarkeit – „Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig“, heißt es im Gedicht. Und mit der ganzen Kraft eines Poeten setzte er auf die Macht seiner konkretisierenden Fantasien. Bis in zahlreiche Details hinein hielt er den Superreichen die Gefahren vor Augen, die ihnen drohen würden, wenn sie auf altgewohnte Weise weiterzumachen gedächten mit der Knechtung der Menschen. Nicht ohne Strafe, so Kästners rabenschwarze Utopie, könne ein Kurs fortgesetzt werden, der den Menschen ganz unten ihr menschenwürdiges Lebensrecht vorenthält. Hat Kästner selber an die Wirksamkeit seiner Warnung geglaubt? Hat es genutzt?

Nun, letzteres ganz gewiß nicht! Mehr und mehr setzten Großindustrielle auf die demokratiefeindliche, auf die antikommunistische und antisemitische NSDAP, finanzierten sogar mit großen Beträgen diese vormalige Splitterpartei am rechten Rand der Weimarer Republik. Und auch bei der anderen Frage sind wohl Zweifel erlaubt. Kästner – so meine Deutung – hielt den Millionären einen Spiegel vor, aber daß diese selber in den Spiegel sehen würden, das glaubte der politisch-hellwache Autor mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht. Stattdessen war wohl anderes mit dieser langen „Ansprache“ intendiert: Schwankende, Unsichere, Unentschlossene wieder auf die eigene Seite zu ziehen, auf die Seite von Humanität und Demokratie, auf die Seite eines sozialen Gewissens. Dabei gilt selbst für diese kleinere, für diese vorsichtigere Utopie: auch sie war vermutlich von manchen Zweifeln durchsetzt – wenn nicht von Verzweiflung sogar. Denn wie endet dieses Gedicht? – Mit der Vorwegnahme des Mißerfolgs dieses Gedichts, und die gesamte letzte Strophe dieser „Ansprache an Millionäre“ handelt davon, wir können es bei Kästner lesen: nein, sie würden nicht zur Besinnung kommen, diese Geldgierigen aller Couleur, sie würden weitermachen wie bisher. Freilich, so Kästner:

Bereuen würden sie es dereinst! Mit dem Tode bezahlen würden sie dann ihre Unvernunft und ihren Mangel an Einsicht! Doch: ist dieses Strafgericht wirklich eingetreten, das Erich Kästner in seiner „Ansprache“ beschwor? – Nicht einmal das!

Die „rabenschwarze Utopie“ seines Gedichts wurde vom Fortgang einer Geschichte übertroffen, die noch schwärzer war, als sich Kästner auszumalen verstand. Seit‘ an Seit‘ mit den Faschisten zogen diese Millionäre in ein Drittes Reich ein, das ihre Privilegien völlig unangetastet ließ, und viele dieser Millionäre gehörten auch im Nachkriegsdeutschland sehr bald wieder zur Privilegiertenschicht – bis tief in unsere Gegenwart hinein. Kästners Gedicht klagt eine Gerechtigkeit ein, die es in der Realität auch später niemals gab, auch im zweiten Demokratieversuch auf deutschem Boden nicht, und auch anderswo nicht. Auf fatalste Weise ist dieses Gedicht also immer noch aktuell. Es formuliert eine Utopie, die bis heute nicht eingelöst worden ist: die Utopie menschenwürdiger Verhältnisse für alle Menschen auf diesem Planeten!

Insofern hinterläßt diese Lyrik auch das Gefühl einer großen Traurigkeit.

Holdger Platta 

 

 

 

Ergänzend sei hier eine Information aus dem Konstantin Wecker Archiv hinzugefügt: Konstantin Weckers Vertonung dieses Erich Kästner Textes findet sich auf der Doppel CD “Wut und Zärtlichkeit live” sowie hier. (ak)

 

 

 

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