Aus dem Tagebuch eines Revoluzzers (1)

 In Kurzgeschichte/Satire

“Nehman’s hoit bloß de Bohnen und de Mandarinen” – Krankenhausessen ist eine echte Herausforderung

“Wer macht sich schon die Plag und revoluzzt den ganzen Tag?” fragt Konstantin Wecker in einem Lied. Einer macht sich die Mühe: Eulenfeder, der Anlässe zum Revoluzzen in fast jeder Alltagssituation aufspürt – der aber ebenso bereit ist, Freundlichkeit und Menschlichkeit, wo sie ihm begegnet, zu würdigen. Hier berichtet er von einem Krankenhausbesuch mit Hindernissen. Veganern wird in solchen Situationen nämlich beschieden, sie mögen fressen, was auf den Tisch kommt, oder hungern. Witzig aufbereitet von unserem Autor, aber doch eine ernstes Problem, wenn man darüber nachdenkt. Übrigens revoluzzt Eulenfeder gegen eines nicht mehr: die üblichen Groß- und Kleinschreibregeln. Die Kleinschreiberei hatte bei ihm nämlich ihre Ursache nicht in poetischer Verstiegenheit, sondern schlicht darin, dass die Großschreibtaste seines alten Computeres klemmte. (Eulenfeder)

8.2.17

Seit Anfang Oktober laufe ich mit erheblichen Schmerzen in der linken Wade, ununterbrochen bei Bewegung,
fühlte sich an wie ein Muskelkrampf, heftig also. Aber trotzdem meine täglichen Wanderungen gemacht, meine “sportlichen” Übungen – die Zähne zusammengebissen, niemandem davon erzählt. “Wird sich mal wieder lösen, dieser Krampf”, so dachte ich stets, die Berge und Hügel wohl nicht mehr gewohnt, von München her.

Aber nach 4 Monaten dann doch berechtigte Zweifel daran, dass es “nur eine Verkrampfung” ist. Zunächst ins Orhopädische Fachzentrum, nach kurzer Untersuchung dort zu einem “Normalarzt”, zum möglichen Ausschluss einer Thrombose, weitervermittelt zu einem Professor für Kardiologie, und der hat mich
quasi sofort ins Krankenhaus beordert.

Verschluss der Arterie oberhalb des Knies, ein sogenannter “Dawos-Schmerz” meinte der Prof noch, also: “da wos weh tut ist nicht immer die Ursache.” Die Risiken und Nebenwirkungen einer Operation waren leicht in Kauf zu nehmen, denn: “sehr selten Herzstillstand, selten halbseitige Lähmung oder Amputaion” – das Risiko, mal von einem Polizisten erschossen oder erschlagen zu werden war stets höher.

Liege verkabelt und nackt auf dem Seziertisch, Spotlight auf den Revolutionsführer. Die Assistentin des Operateurs deckt im Umkreis des Tatorts alles mit transparenten Folien ab, “wegen der Blutspritzer”, meint sie, nachdem sie sich von Ihrem Lachkrampf erholt hatte. Der Auslöser dafür war die tätowierte “Rolling Stones-Zunge” auf meiner linken Arschbacke. Dann rasiert sie immer noch grinsend meine linke Leiste bis zum Sack – ich grinse zurück.

Das Grinsen vergeht mir abrupt, als der operierende Arzt, bis zu auf die Augen verschleiert, hinter dem grünen Plastikvorhang erscheint, zunächst einen “Zugang” zur Arterie an der Leiste legt und ein Kontrastmittel hineinspritzt – so dass auf den Monitoren hinter den Folien direkt über mir jene Stelle sichtbar wird, wo das Blut nicht mehr nach unten weiter fließt. Dann schiebt er nacheinander spezielle Katheder in die Arterie und versucht damit zum Verschluss damit vorzudringen. Auch in diesem Bereich war ich widerspenstig (nicht anders soll es sein bei einem Revoluzzer bis in jede Zelle). Nach eineinhalb Stunden “der letzte Versuch”, und der gelang.

Gespannt verfolge ich weiterhin alles live an den Bildschirmen (denke über meine Tantiemen nach) und sehe wie der an der Spitze des Katheders angebrachte “Ballon” zum Zwecke einer Erweiterung der Verschlussstelle aufgepumpt wird – zunächst mit 4 Atü, dann 6 – ohne Erfolg. Also befielt der Arzt der Assistentin letztlich: “2 Minuten 16 Atü!” Ich bin entsetzt und bemerke spontan: “Das hält nicht mal ein Autoreifen aus!” Die Augen des Arztes zeigen ein Grinsen unter der Maske, und es gelingt, das Blut schießt wieder in den Unterschenkel, das Pumpgeräusch aus den Lautsprechern der Geräte deutet auf einen wiederhergestellten Kreislauf hin, und irgendwie beruhigt das.

Das Hintergrundrauschen meiner Gedanken während dieses ganzen Vorgangs war auch von anderer Art: “Ich kann meine Freunde Roland, Holdger und Monika nicht im Stich lassen – auch meine revolutionären Schwestern und Brüder auf HdS nicht – und wie bitteschön sollte eine Revolution ohne mich gelingen!?”

Die blutverschmierten Hände des Arztes in grünen Plasikhandschuhen verchwinden hinter dem
grünen Plastikvorhang. Hätte mich gerne bedankt, ganz ehrlich, für einen gutgemachten Job.

Nach 4 Stunden Liegen mit dem Druckverband – vorgeschrieben so – schieben zweieinhalb Zentner
Krankenschwesterlichkeit das Abendessen herein, ich hebe den Kopf, um erkennen zu können was da gebracht wird. “Nein”, fährt sie mich scharf an. “Sie rühren sich nicht!” Ich war genervt davon. “Ja kruzefix”, sage ich, “wie soll ich sehen, was sie mir da bringen, wenn ich den Kopf nicht heben darf?” – “Sie brauchan nix sehng, I schmier eana a Brot mit Kaas und oans mit Wuascht.” – “ich bin Veganer!” protestiere ich. “Naja”, meint sie, “nacha lassma d’Wuascht halt weg, griangs halt bloß a Kaasbrot.” Hantiert dabei mit ihren Wurstfingern an den Brotscheiben und dem Käse.

Ich bin angewidert und sage: “Nehmens des Zeug wieder mit, mir ist der Appetit vergangen.” – Mia san koa Hotel ned, mia san a Kranknhaus, wos veganisch homma ned”, meint sie noch beleidigt und schiebt ab. Seit 20 Stunden nichts gegessen. Naja – der Kräutertee ist ganz o.k.

Das Ganze ja eine ambulante Sache eigentlich, und man könnte nach der Inspektion und Abnehmen des Verbandes wieder gehen – allerdings nur wenn man eine Person “hat”, die einen abholt. Deshalb wurde mir untersagt zu gehen. Müsste über Nacht bleiben und am nächstem Morgen dürfte ich dann alleine gehen.

Eine furchtbare Vorstellung in diesem Moment und unter diesen Umständen, also ziehe ich mich spät abends in einem günstigen Moment an, packe den Rucksack wieder und schleiche mich davon… Kühle, klare Nacht, einen Joint gedreht, die Notration – das Bier – aus dem Rucksack geholt, und von Schmerzen und sonstigem Druck befreit schlendere ich zurück in die Herberge.

Kommentare
  • Hope
    Antworten
    Sehr schön!

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