Bringt uns Hubertus das Heil?

 In FEATURED, Politik (Inland)

St. Hubertus

“Solidarisches Grundeinkommen” – das klingt schockierend sozial aus einer Partei, die in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich durch Sozialabbau von sich reden machte. Hat der neue Arbeitsminister Hubertus Heil etwa mal gegoogelt, was das Kürzel “SPD” eigentlich bedeutet? Das Problem ist: Heil bleibt in seinen Aussagen so schwammig, dass man nichts Gewisses wissen kann, jedoch vieles befürchten muss. Eine wirkliche Abkehr von den Fehlleistungen der Generation Hartz IV innerhalb der SPD: Fehlanzeige. Auch die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit bleiben ausgeblendet. Wenn der “Erneuerungsprozess” der Partei so aussieht, hätte es die 17-Prozent-Partei gleich beim Alten lassen können. (Egon W. Kreutzer, www.egon-w-kreutzer.de)

Da saß er, das Schwergewicht im XXL-Gabriel-Format, bei Anne Will, und wollte einfach nicht sagen, wie es mit Hartz-IV weitergehen soll.

Hätte man aus seinen Redebeiträgen alles herausgeschnitten, was er mindestens drei Mal gesagt hat, um Fragen auszuweichen, er wäre nur bei der Vorstellungsrunde noch in Erscheinung getreten.

Alles, was mit der Hartz-IV-Vergangenheit zu hat, alle Fehler, Irrtümer und verheerenden Folgen tat er eins ums andere Mal mit dem Spruch ab, er wolle jetzt vorwärts und/oder in die Zukunft denken. Hat er nie gehört, dass, wer aus der Vergangenheit nicht lernen will, alle Fehler wiederholen muss?

Schon alleine an dieser Haltung prallte so ziemlich alles ab, was der Grüne Habeck und die Linke Hannemann in die Debatte warfen. Während Heil Habeck noch als Diskussiospartner akzeptierte, war seine Haltung gegenüber Frau Hannemann unerträglich. So zum Beispiel, als Frau Hannemann erklärte, es gäbe durchaus Stimmen, die sagten… Und Heil darauf billig konterte: “Sie hören Stimmen?”.

Alles, was dringende Anforderungen für die zukünftige Gestaltung des Arbeitsmarktes der Zukunft betraf und nicht in das passte, was er sein Konzept nannte, wurde damit abgebügelt, dass es erstens erste Schritte gäbe und dass diese zweitens von nun an – ich bin ja jetzt erst Minister – langfristige Perspektiven bieten sollten.

Was er nicht will: Müllers solidarisches Grundeinkommen. Was er will: Einen sozialen Arbeitsmarkt. Wer ernsthaft versuchte herauszufinden, was der Unterschied zwischen beiden Konzepten sei, konnte herausfinden, dass sie sich vor allem durch die Überschrift unterscheiden.

Es soll also weitergehen, mit Fordern und Fördern, und mit einem sozial-solidarischen Arbeitsmarkt, in dem die Langzeitarbeitslosen – sind ja nur 845.000 – alle? Nein, alle, bis auf 700.000! – dazu bewegt werden sollen, Tätigkeiten auszuführen, für die bei den Kommunen, den Wohlfahrtsverbänden und bei der Freiwilligen Feuerwehr ohne den Bundeszuschuss kein Geld vorhanden ist.

Dass in fünf Jahren, also wenn Heil schon zwei Jahre lang nicht mehr Arbeitsminister sein wird, Hartz-IV nicht mehr Hartz-IV sein wird, weil es nicht mehr so heißt, weil es offiziell sowieso nirgends so heißt, war der Schlusspunkt einer Diskussion, die nur einen Schluss zulässt: Es wird weiter auf Kosten der Arbeitslosen, Unterbeschäftigten und prekär Beschäftigten plan- und ziellos herumexperimentiert.

Denn die Ursache des Problems der Massenarbeitslosigkeit und der Notwendigkeit Millionen von Aufstockern mit staatlichen Hilfen am Leben zu erhalten, wird weiterhin fein säuberlich ausgeklammert.

Frau Hannemann wagte es, darauf hinzuweisen, dass es rund 8 Millionen Menschen in Deutschland gibt, die nichts oder nicht genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Was heißt das denn? Das heißt, dass es nicht genug Arbeit gibt. Die 1,2 Millionen offenen Stellen, die immer wieder ins Feld geführt wurden, ändern daran nichts, denn selbst wenn man unterstellt, dass diese Zahl tatsächlich die offenen Stellen angibt, woran aus mehreren Gründen starke Zweifel angemeldet werden dürfen, bleiben ja immer noch 6,8 Millionen übrig, die keine Chance haben.

Kurz zu den offenen Stellen: Leiharbeitsunternehmen melden offene Stellen. Wo mehr als ein Leiharbeitsunternehmen (regional) am Markt ist, gibt es für jede tatsächlich offene Stelle auch mehrere gemeldete offene Stellen. Alles, was Außendienst ist, meldet großzügig eine Vielzahl offener Stellen – man könnte ja jeden Mann/jede Frau brauchen – und Provision wird ja nur fällig, wenn ein Vertragsabschluss zustande kommt. Nicht zu vergessen die Politik der Großindustrie, die gerne alleine für die Statistik offene Stellen meldet, um mitzuhelfen, die gerade erwünschte Stimmung herzustellen.

Aber diese offenen Stellen sind ja nur der kleinere Teil der Realitätsverweigerung. Der größere Teil liegt weiter im Kleinrechnen der Arbeitslosenzahlen und neuerdings in der Beschränkung auf die so genannten Langzeitarbeitslosen. Und perfide wie seit Müntes “Wer nicht arbeitet, soll auch nichts esssen!”, dreht sich alles darum, wie man diese Menschen zum Arbeiten bewegen könnte, ob mit Fördern, oder lieber doch mit Fordern, während die Tatsache, dass es die benötigte Anzahl von Stellen nicht gibt, wie seit nunmehr fünfzehn Jahren auch heute noch konsequent ausgeblendet wird.

Ich schieße jetzt einmal ein paar Zahlen in die Diskussion, für die ich keinerlei Nachweis führen kann, doch gehe ich davon aus, dass alleine 1,5 bis 2 Millionen EU-Ausländer, hauptsächlich osteuropäische (Polen, Tschechen, Bulgaren, Rumänen, Ungarn, usw.) in Deutschland regelmäßig beschäftigt sind. Die meisten davon als Pendler.

Mindestens eine Million Stellen wurden – dem Spardiktat folgend – seit 2002 im Öffentlichen Dienst abgebaut. Zugleich lässt man die Infrastruktur verfallen, was ebenfalls Beschäftigung in der Größenordnung von einer Million Stellen im Bau- und Ausrüstungsgewerbe, auch in der Industrie, verhindert.

Deutschland wird – trotz voller Kassen – weiterhin kaputtgespart, und das zu Lasten der Beschäftigten und der nicht, bzw. nicht ausreichend oder nur zu Hungerlöhnen Beschäftigten.

Aber mit denen beschäftigt man sich. Deren Schicksal nimmt man ernst!!!!

Die sollen doch arbeiten dürfen!!! Schon alleine, damit ihr Tag wieder strukturiert ist, und da ist es immer noch besser, zu sanktionieren, auch bis auf null, um die Motivation zu erhöhen.

Nein, sagt Hubertus, nicht bis auf null. Die Vermieter bekommen ihr Geld weiterhin, für die Miete und die Heizung. Die kann man nicht auf dem Trockenen sitzen lassen.

Verdammt! Es ist doch nicht so, dass die Miete bezahlt wird, damit die Hartz-IV-Leute ein Dach über dem Kopf haben. Sie wird bezahlt, damit das Einkommen der Vermieter gesichert ist. Den Regelsatz, also das Existenzminimum, den kann man bis auf null wegsanktionieren. Oft aus lächerlichen Gründen. Das sagt doch alles. Außerdem, so Heil, gibt es ja überhaupt nur 2 % Sanktionen. Mag ja sein, aber solange er nicht sagt, 2 Prozent von was, sagt mir das gar nichts.

Nun nimmt Hubertus also jährlich eine Milliarde Euro in die Hand (4 Milliarden bis zum Ende der Legislaturperiode), um für 150.000 Menschen, also für jeden fünften Langzeitarbeitslosen, einen Vollzeit-Job zum Mindestlohn zu finanzieren. Dabei tut er so, als sei dieser Aufwand neu und zusätzlich. Hätte man Frau Hannemann an dieser Stelle ausreden lassen, hätten wir wahrscheinlich erfahren, dass nicht der Betrag neu ist, sondern nur das Etikett und die Art, in der das Geld ausgegeben werden soll.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zahl von 150.000 rein rechnerisch entstanden ist, indem man feststellte, dass man für diesen Zweck ungefähr eine Milliarde jährlich auszugeben bereit ist, und dass – wenn man Hartz-IV-Leistungen und die vom Lohn einbehaltenen Sozialbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gegen den Brutto-Lohn rechnet, ein Netto-Mehraufwand von monatlich nur rund 550 Euro (6.600 jährlich) pro Nase zu finanzieren ist – und wenn man die Millliarde durch diesen Betrag dividiert, kommt 150.000 heraus.

Ob es für diese 150.000 auch Stellen gibt? Das ist mehr als fraglich. Sicher kann man dazu heute nur sagen: Diese Stellen wird es nur solange geben, wie der Bund die Finanzierung übernimmt, also nach dem Müller-Modell den Lohn zahlt. Dann sind die 150.000 nämlich mit Null-Kosten für den Arbeitgeber billiger als jeder Rumäne – und sie kosten auch nicht mehr als Ehrenamtliche, die schon gerne mal eine große Lippe riskieren, weil sie wissen, dass man auf sie und Ihre Umsonstarbeit angewiesen ist.

Nun wird immer wieder das Märchen erzählt, und bei Anne Will war es Rainer Hank von der FAZ, der den Märchenonkel gab, mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen sei Deutschland vor dem Untergang gerettet worden – und die Menschen seien zufrieden, dass alles so gekommen sei.

Die guten Feen, Schröder, Clement und Müntefering haben nicht Deutschland gerettet, sie haben nicht die Arbeitslosigkeit halbiert, sie haben nur die Kosten der Arbeitslosigkeit gesenkt – und die Kosten der Arbeit gleich mit – und zugleich haben sie Steuererleichterungen für jene geschaffen, die man gemeinhin als “starke Schultern” bezeichnet.

Damals wurde die Solidarität aufgekündigt, mit der – seit Ludwig Erhard – das Modell der Sozialen Marktwirtschaft für eine allgemeine, wenn auch nicht gleichmäßige, Teilhabe am Wohlstand sorgte. Denen, die man nicht mehr brauchte, hielt Schröder vor, sie seien selbst schuld, wer arbeiten wolle, fände auch Arbeit. Zugleich wurde die größte Entlassungswelle in der deutschen Nachkriegsgeschichte losgetreten – und denjenigen, die sich dabei Kosten sparen und eine goldene Nase verdienen konnten, hat man obendrein die Steuer erlassen oder gesenkt.

Solange die Parole nur heißt: “Hartz-IV abschaffen!”, ohne dass es einen sinnvollen und tragfähigen Gegenentwurf gibt, ist für die Abgehängten nichts gewonnen.

Dieser Gegenentwurf braucht, um tragfähig zu sein, mehrere Komponenten:

1. Rückkehr zur Besteuerung von Einkommen und Vermögen auf dem Stand von 1996. Die Staatskassen würden sich kräftig füllen, die Notwendigkeit an allen Ecken und Enden zu sparen, entfiele weitgehend.

2. Rückkehr zu den Grundsätzen und Regelwerken der Sozialversicherungen (Rente, Kranken- und Arbeitslosenversicherung) auf den Stand vor 2002.

3. Beendigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Freizügigkeit von Dienstleistern (Entsenderichtlinie) innerhalb der EU, notfalls im deutschen Alleingang.

4. Anhebung des Mindestlohnes auf ein Niveau, das aufstockende Leistungen von vornherein überflüssig macht, Abschaffung sämtlicher Ausnahmeregelungen und strenge Überwachung der Einhaltung der Mindestlohnregelung.

5. Einleitung aller erforderlichen Maßnahmen, um die Absolventen von Hauptschulen, Mittelschulen und Gymnasien wieder auf ein Wissens- und Leistungsniveau von 1960 zu bringen.

6. Beenden der Zuwanderung in Sozialsysteme und Arbeitsmarkt, Ausnahmen nur für ausgesprochene Spezialisten – nicht für so genannte “Fachkräfte”. Fachkräfte kann und muss die Wirtschaft selbst ausbilden und heranziehen.

Nun mag Hubertus tausendmal versichern, dies sei rückwärtsgewandt, er sei zukunftsorientiert:

Vergleicht man Deutschland von 1980, von 1990, ja sogar noch von 2000 mit dem Deutschland von 2018 und verlässt sich dabei nicht auf kunstvoll manipulierte Statistiken und geschönte Umfrageergebnisse, dann gibt es keinen Zweifel, dass es uns heute weit weniger gutgeht als damals. Es gibt aber auch keinen Zweifel, dass die deutsche Wirtschaft damals im internationalen Vergleich auch schon sehr gut dastand und keineswegs dabei war, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.

Der Weg in die Entsolidiarisierung, den Schröder 2002 eingeschlagen hat, hat sich als schlechter Weg für das deutsche Volk herausgestellt – und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass alle negativen Folgen, unter denen wir heute zu leiden haben, bewusst gewollt und in Kauf genommen wurden.

Wenn es denn auf Hubertus Heils Zukunftspfad keine bessere Lösung gibt, als das, was in der Vergangenheit besser funktioniert hat, warum dann nicht endlich umkehren?

Die Antwort, hinter vorgehaltender Hand:

Es sind halt immer noch die Genossen der Bosse, die bei uns das Sagen haben.

Umfassender, weniger emotional, wenn auch nicht gänzlich frei von zorniger Attitüde, informiert auch Stefan Sell, ein anerkannter Sozialwissenschaftler, in seinem jüngsten Artikel: Die abgehobene und letztendlich verlogene Hartz-IV-Debatte.

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