«Buddhismus – Religion ohne Anfang und Ende»

 In FEATURED, Spiritualität

Gonsar Rinpoche

„Philosophie und Psychologie des Buddhismus sind außerordentlich tief und weit“, sagt Gonsar Rinpoche. „Deshalb gibt es auch manche Leute, die sagen, der Buddhismus sei keine Religion, sondern lediglich eine Philosophie. Manche modernen Philosophen jedoch sind der Auffassung, der Buddhismus sei keine Philosophie, sondern eine Religion, weil es im Buddhismus auch Mönche und Gebete gibt. Tatsächlich verhält es sich jedoch so, wie es der Dalai Lama, beschreibt: Aus dem Verbund der Religionen wird der Buddhismus hinausgeworfen mit der Behauptung, er sei eine Philosophie; aus dem Verbund der Philosophien wird er hinausgeworfen mit der Behauptung, er sei Religion. Von beiden Seiten hinausgeworfen, wird der Buddhismus zu einer Brücke zwischen Religion und Philosophie.“ Ein Interview mit dem tibetischen Meister Gonsar Rinpoche von Monika Herz und Roland Rottenfußer. Begleitender Text: Monika Herz.

Diese Brücke habe ich immer gern betreten, besonders wenn sie mir von einem so glaubwürdigen und weisen Lehrer wie Gonsar Rinpoche gebaut wird. Etwa zwei Mal im Jahr  besucht Gonsar das Münchner Tibet-Zentrum des Vereins Püntsok Rabten. Der Vortragsaal ist nicht recht viel größer als ein Wohnzimmer. Dennoch hat man schon beim Betreten den Eindruck, in eine andere Welt einzutauchen. Tangkas von tibetischen Gottheiten wie Tara und Manjuschri und Fotos von Meistern wie dem Dalai Lama zieren die Wände. Man kann Kunst- und Kultgegenstände, darunter die berühmten „gelben Mützen“ der von Meister Dsche Tsongkapa gegründeten Gelugpa-Linie, bewundern. Der Vortragende thront auf einem erhöhten Podest; die Belehrungen über das Dharma sind eingerahmt von einem feierlichen Ritual. Trotz der Enge finden viele der meist westlichen Tibet-Freunde den Platz für rituelle Niederwerfungen, die ihren Respekt bekunden. Viele können sogar die seitenlangen Gebete auswendig, die in tibetischer Sprache in einem monotonen Sprechgesang dargebracht werden. Die Abdrucke des Gebetstextes, die herumgereicht werden, helfen mir nicht viel. Sie sind in tibetischer Sprache und ich verstehe kein Wort, obwohl etwas in mir innerlich angerührt wird, als würde eine Erinnerung anklingen, von weit her.

Ich lasse mich gerne von der ernsten, feierlichen und achtungsvollen Atmosphäre ergreifen, die in diesem Raum herrscht. Gonsars Belehrungen sind außergewöhnlich klar und ausführlich. Jedes mal weist er zuerst darauf hin, dass die Gelegenheit, sich hier versammeln zu können, um dem Dharma zu lauschen, ein besonderes Glück darstellt. Wir könnten auch gar nicht in einem Menschenkörper inkarniert sein, wir könnten krank, geistig umnachtet oder in einer Region der Welt aufgewachsen sein, in der uns die Ausübung von Religion, in welcher Weise auch immer, unter Androhung harter Strafen verboten wäre. Ich höre den Belehrungen gerne zu, die sich um den berühmten Meister Atisha und seinen Text „Die Lampe auf dem Pfad zur Erleuchtung“ drehen.

Als ich Gonsar Rinpotsche um ein Interview bat, war mir nicht klar gewesen, dass er ein Tulku ist und was es damit auf sich hat. Das war vielleicht besser so, denn möglicherweise hätte ich sonst gar nicht gewagt, ihn zu fragen. So aber folgte ich einfach einem spontanen Impuls: Ohne zu wissen, wie bedeutend dieser bescheidene Mönch aus Tibet ist, bat ich einen der hochrangigsten tibetischen Gelehrten einfach um ein Interview und bekam es – wie wunderbar!

Ein Tulku ist ein Mensch, der in der Lage ist, vor seinem eigenen Tod relativ präzise Angaben über den Ort, die Zeit und die Umstände seiner nächsten Geburt sowie über seine künftigen Eltern zu machen. Die Wiedergeburt eines Tulkus wird von ehemals sehr vertrauten Kontaktpersonen des Verstorbenen gefunden. Das Kind, auf das man bei seiner Suche stößt, kann sich an Begebenheiten seines Vorlebens erinnern und erweist sich einwandfrei durch das Bestehen gewisser Prüfungen als „echt“. Die Tradition der Tulkus ist eine Besonderheit des tibetischen Buddhismus. Der bekannteste Tulku ist seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama, der in jeweils unterschiedlichem Verkörperungen seit Jahrhunderten das geistige und politische Oberhaupt Tibets war.

Gonsar Rinpoche ist der fünfte Gonsar seiner Linie. Er und sein spiritueller Lehrer Geshe Rabten stehen in einer ganz besonders innigen spirituellen Beziehung zueinander. Gonsar wurde von Geshe Rabten erzogen und ausgebildet. Dieser Meister, der in seiner Autobiografie „Mönch aus Tibet“ eine bewegende Schilderung seiner Jugend in Tibet, seiner Flucht nach Indien und seiner Tätigkeit als Dharma-Lehrer im Westen gibt, hat sich in besonderer Weise für die Ausbreitung des tibetischen Buddhismus in der Schweiz, in Deutschland und in ganz Europa verdient gemacht. Gonsar Rinpoche folgte seinem Meister auf Wunsch des Dalai Lama in die Schweiz und führte nach dessen Tod im Jahr 1986 seine Aufgabe als Abt des Klosters Rabten Choeling fort. Gonsar fand die Wiederverkörperung seines einstigen Lehrers in Indien, nahm ihn gemäß der Tradition zu sich und bildete ihn aus. Der einstige Meister ist nun der Schüler Gonsars. Er ist heute schon ein junger Mann, und vermutlich wird dereinst Gonsar wieder sein Schüler sein – in jenem Kreislauf von Werden und Vergehen, von Leben, Sterben und Wiedergeburt, das eine der Säulen buddhistischer Weisheit ist.

Im Buddhismus selbst wird der Begriff „Buddhismus“ übrigens gar nicht verwendet, die Endung „-ismus“ ist eine typisch westliche Sprachgewohnheit. Buddhisten verwenden das Wort „Dharma“, wenn es um die Glaubenslehre geht. Es hat seine Wurzel in der Sanskrit-Silbe dhra, was „halten“ bedeutet. Im Zusammenhang mit Religion wird das Wort Dharma für Unterweisung und Erkenntnis verwendet. Denn die richtigen Unterweisungen führen, wenn sie angewendet werden, zu richtigen Erkenntnissen. Und diese Erkenntnisse schützen den Anwender vor Leid oder ziehen ihn aus Leid heraus. Deshalb spricht man von Dharma als dem, „was uns hält“.

Es gibt eine Geschichte über den jungen Geshe (ich nenne ihn so, obwohl das nicht seine korrekte Bezeichnung ist, denn „Geshe“ ist eigentlich ein Titel, vergleichbar mit einem Professorentitel). Der 10-jährige sollte damals seine erste Vorlesung für seine Lehrer geben. Spontan, unangekündigt und unvorbereitet gab der junge Geshe eine Belehrung über die Zufluchtnahme. Seine Lehrer waren tief berührt, manche weinten sogar und fühlten sich in besonderer Weise an die unvergleichliche Art des verstorbenen Geshe Rabten erinnert, der ebenfalls mit besonderer Hingabe und großem Nachdruck über die Bedeutung der Zufluchtnahme zu den »drei Juwelen« zu sprechen liebte.

Das Vertrauen zu den »drei Juwelen«, also „Buddha“ (der Religionsstifter), „Dharma“ (die Lehre) und „Sangha“ (die Gemeinschaft), ist für den Übenden wie ein Fels in der Brandung. Der Buddha ist so vertrauenswürdig, wie es ein menschliches Wesen nur sein kann – wie Jesus für einen Christen, wie eine Mutter für ihr Kind; die Lehre ist so logisch, so klar, so einleuchtend, dass man nichts weglassen und nichts hinzufügen kann; und die Gemeinschaft der Lehrer und Lehrerinnen, der Freunde und Freundinnen, die mit uns gemeinsam auf dem Weg sind, ist so wohltuend, dass das Wort „Juwelen“ eigentlich nur unzureichend ausdrücken kann, was gemeint ist.

Diese Geschichte über den 10-jährigen Geshe erinnert mich an den jungen Jesus, der damals auch im zarten Alter von etwa 12 Jahren die Schriftgelehrten durch sein tiefes Verständnis der Schrift und seine bewegende Rede in Erstaunen versetzte. Seit ich mich mit den Religionen der Welt beschäftige, haben mich Buddhismus und Christentum gleichermaßen fasziniert. Für mich persönlich sind Jesus und Buddha wie Brüder, oder mehr noch: Wie eins. In Gesprächen aus letzter Zeit sind mir jedoch immer wieder Menschen – katholische Priester oder Anthroposophen begegnet, für die Jesus Christus „höher“ steht als der historische Buddha Shakyamuni oder als irgendeine andere religiöse Gestalt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jesus selbst  an einem solchen Vergleich irgendetwas gelegen wäre. Ich höre ihn schon in der ihm eigenen Art sagen: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“.

Gonsar Rinpoche und der junge Geshe jedenfalls sind Tulkus. Ich wünschte, ich könnte auch die Umstände meiner nächsten Geburt bestimmen, von sehr vertrauten Menschen aufgefunden und erzogen werden, damit ich meine wahre Bestimmung nicht verfehle.

Welch eine geistige Größe, welch ein umfassendes Bewusstsein muss einem Menschen eigen sein, der bereits so weit entwickelt ist? Wie würde die Welt aussehen, wenn diese Stufe des Bewusstseins nicht nur von Wenigen erreicht ist, sondern von den Vielen? Ich war sehr gespannt, diesem Menschen dann persönlich gegenüber zu treten.

Frage: Im Christentum ist das zentrale Glaubensgebot der Glaube an die Auferstehung Jesu. Gibt es das Phänomen der Auferstehung auch bei tibetischen Meistern – dass jemand gestorben und später als Lichtgestalt erschienen ist? Und wenn ja, hat das dann im Buddhismus auch diese herausragende Bedeutung?

Gonsar: Aus buddhistischer Sicht ist das alles ganz normal. Das ist nichts besonderes.

Frage: Es ist also aus buddhistischer Sicht keine spezielle, einzigartige Sache, die nur Jesus zukommt?

Gonsar: Für eine Person von hohem geistigem Niveau ist Auferstehung oder so etwas ganz leicht.

Frage: Kann man also durch fortgeschrittene Meditationspraktiken einen Lichtkörper erzeugen, der zum Beispiel gegen Krankheiten oder Schmerzen unempfindlich ist?

Gonsar: Durch Anwendung von Meditation gewinnt unser Geist allmählich vollständige Kontrolle über die Elemente. Dann ist all das möglich. Dafür müssen wir unsere geistige Kraft entwickeln. Unsere geistige Kraft muss über einen langen Zeitraum entwickelt werden,  bis hin zu dem Punkt, wo die geistige Macht über die Elemente eintritt, dann ist alles möglich: Verschwinden, Levitieren (Aufsteigen) oder Versinken, Schweben …

Frage: Das wesentliche wäre aber doch nicht, dass man Macht gewinnt oder Kunststücke vorführt, sondern dass man die Erlösung der Wesen voranbringt!?

Gonsar: Natürlich, wenn ein Bodhisattwa*  diese  besonderen Fähigkeit erlangt hat, dann nur für den einen Zweck, damit den Lebewesen wirkungsvoll geholfen wird. Das wird nicht praktiziert, um ein Spektakel zu erzeugen oder um eine große Show zu veranstalten.

Frage: Im Christentum gibt es die Offenbarung des Johannes, die das Ende der Welt voraussagt, das jüngste Gericht. Gibt es dafür eine Entsprechung im Buddhismus?

Gonsar: Das ist für einen Buddhisten unakzeptabel, vollkommen unakzeptabel. Solche Geschichten gibt es bei uns nicht!

(Wir lachen, weil Gonsar das Wort „unakzeptabel“ so vehement ausspricht!)

Gonsar: Was Christus selbst gelehrt hat über die Liebe, die Vergebung, die Geduld, sein ganzes  Leben, das alles ist kein Widerspruch zum Buddhismus. Ganz im Gegenteil, hier ist die christliche Lehre der buddhistischen sehr nahe. Das ist ganz logisch und sehr gemeinsam mit der Lehre von Dharma. (Gonsars Stimme ist hier beinahe zärtlich). Aber diese Geschichte vom Anfang der Welt und von ihrem Ende, das gibt es im Buddhismus nicht.

Frage: Aber warum ist denn dann der ganze Kreislauf von Leiden und von der Befreiung aus dem Leiden, von Karma und so weiter überhaupt geschaffen worden, wenn es kein Ende gibt?

Gonsar: Das beantwortet der Buddhismus auf zwei Ebenen: auf der letztlichen Ebene und auf der konventionellen Ebene. Auf der konventionellen Ebene wird jedes Phänomen entstehen und wieder vergehen. Entstehen und Vergehen, das ist die Natur der Phänomene. Aber auf der letztlichen Ebene akzeptiert der Buddhismus kein Konzept von Anfang und Ende. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Wir sprechen nur von anfangloser Zeit. Das ist jedoch für einen Geist, der eng ist, nicht so leicht zu verstehen. Für einen solchen Geist ist es einfacher, sich einen Anfang und ein Ende vorzustellen. Deshalb haben viele Religionen Schöpfungsgeschichten von einem Gott, der am Anfang alles geschaffen hat. Für einen Buddhisten jedoch gilt das Anfanglose. Wir kennen keinen Anfang in dem Sinne, dass plötzlich etwas in die Existenz getreten wäre, was vorher nicht da war. Natürlich gibt es das Werden und Vergehen, selbst in den Universen. Ein Universum entsteht, bleibt einige Zeit und geht dann über in das Vergehen und in das Werden eines neuen Universums. Dass die Formen beginnen, bestehen und sich ablösen, das sind Prozesse, die ständig stattfinden, das ist endlos.

(Während Gonsar spricht, formen seine braunen, schlanken Hände wie in der Bewegung einer liegenden Acht das Entstehen und das Vergehen von Universen – und ich kann förmlich „sehen“ was er meint.)

Frage: Es gibt doch das Bodhisattwa-Gelübde, alle Lebewesen zu retten. Gibt es denn einen Punkt, an dem dann glücklich alle gerettet sind? Wäre das dann nicht doch auch eine Art Ende?

Gonsar: Wenn alle Wesen gerettet wären, dann wäre das ja nicht das Ende der Wesen. Aber das wäre sehr gut, wenn alle gerettet wären.

(Wir lachen. Dass alle Wesen gerettet wären ist für mich eine so unvorstellbare Vorstellung und in so weiter Ferne liegend, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als einfach zu lachen. Vielleicht ist es auch eine Art Vorfreude. Jedenfalls lacht Gonsar mit!)

Frage: Danke. Noch eine Frage zur Politik. Meines Wissens nach ist seine Heiligkeit der Dalai Lama der Einzige, der zugleich spirituelles und politisches Oberhaupt eines Staates ist. Ich finde, das ist ein geniales System, wenn die Verkörperung des Erbarmens, der Boddhisattwa Avalokiteshwara selbst immer wieder kommt, um die Menschen zu leiten. Wie funktioniert denn das?

Gonsar: Ob es das beste System ist, kann ich nicht sagen. Meine persönliche Meinung ist, dass diese Vermischung von Politik und Religion keine wirklich geniale Sache ist. Wenn Sie die Geschichte von Tibet lesen, dann kann man auch sehen, dass diese Vermischung nicht so viel gebracht hat.

Der tibetische Mythos spielt dabei eine große Rolle. Wir glauben, im alten Tibet wäre alles wunderbar und harmonisch gewesen. Aber auch die Tibeter sind  voller Ärger, voller Probleme, voller Egoismus und Auseinandersetzungen. Nicht alle Tibeter sind  Boddhisattwas! Andererseits hat Tibet ungewöhnlich viele außergewöhnliche Meister hervorgebracht, die den Dharma in Tibet verbreitet haben. Das ist wirklich so und in keinem anderen Land findet man eine solche Häufung herausragender Meister. Durch deren Vorbild und die Anwendung des Dharma wurden sehr viele Tibeter auf einen guten Weg gebracht, das ist wahr. Aber allgemein gefragt: Ob der Lamaismus so viele Vorteile hatte?

Frage: Ach schade, ich glaubte, es wäre ein System, das man übernehmen könnte …

Gonsar: Nein, überhaupt nicht! Tibet war ganz am Anfang eine richtige, gewöhnliche  Monarchie, mit Königen als Herrscher. Erst mit dem V. Dalai Lama wurden die Dalai Lamas die politischen und geistigen Führer Tibets. Die ersten vier Dalai Lamas übten lediglich eine spirituelle Funktion aus. Zur Zeit des V. Dalai Lama, des „Großen“, wie die Tibeter ihn nennen, war Tibet in viele kleine Fürstentümer auseinandergefallen und unter die Herrschaft der Mongolen geraten. Auch stand Tibet am Rande eines Bürgerkrieges und in dieser sehr schwierigen Zeit gelang es dem V. Dalai Lama die politische und spirituelle Führung in seiner Person zu vereinigen, welche auch sehr bald von allen Provinzen Tibets anerkannt wurde und so zu Frieden führte.

Jedenfalls war diese Mischung aus Politik und Religion in mancher Zeit vielleicht sehr gut für die Tibeter, aber manchmal war es auch nicht so gut. Ich glaube nicht, dass diese Vermischung wirklich gut ist. Denn die Politik stört die Religion und die Religion stört die Politik. Man kann dann nie wirklich wirkungsvoll sein in beidem. Stellen Sie sich vor, ein wirklich spiritueller Meister wäre an der Spitze, müsste all diese politischen Entscheidungen treffen. Das ist gar nicht so einfach.

Frage: Viellecht wäre dann doch ein spititueller Rat oder ein Kulturrat eine Alternative – weise Menschen, die den Politiker richtungsweisenden Rat geben?

Gonsar: Ja, was auch immer das politische System sein mag, das wäre die innere Essenz von Religion. Es hieße: wirkliche Ehrlichkeit, wirkliche Gerechtigkeit anmahnen. Wenn Politiker und die Regierung Entscheidungen wirklich zum Wohl der Menschen treffen und eine Einstellung von Frieden und Harmonie kultivieren, wenn das in die Politik einfließt, das würde ein sehr gute Wirkung für die Menschen entfalten.

Und auch hier wünschte ich, den Tonfall eines aufrichtigen Wunsches, der aus Gonsars Stimme spricht, wann immer er das Wort „wirklich“ in den Mund nimmt, auf diesem Stück Papier transportieren zu können.

Als wir den Interview-Raum verlassen, springt ein junger rotgewandeter Mönch die Treppe herauf. Er fragt mit einer Stimme nach Gonsar, der man die große Nähe, die Vertrautheit und die „Zufluchtnahme“ anhört. Es ist der junge Geshe.

Mein Herz kann nicht anders, als in spontane Zuneigung auszubrechen. Er ist so jung, dass er einer meiner Söhne sein könnte. Er wirkt so frisch, so zuversichtlich und lebensfroh, wie es auch meine Söhne sind. Ich frage mich, ob der junge Geshe wohl auch gerne am Computer spielt und ob es ihm gelingen könnte, junge Menschen hier in unserer westlichen Welt für Religion zu interessieren. Wie würde sich wohl ein Debatte zwischen unseren Gymnasiasten und dem jungen Geshe gestalten? Würden sie sich angeregt darüber unterhalten, was der Unterschied zwischen Energie nach physikalischen Gesetzen und der Leere nach buddhistischem Verständnis ist? Würden sie gemeinsam darüber nachdenken, welche Rolle die Zeit in diesen Denkmodellen spielt? Oder ob die Relativitätstheorie in irgendeiner Weise vergleichbar ist mit der buddhistischen Sutra „Form ist nichts anderes als Leere. Leere ist nichts anderes als Form“? Ich wünschte, der junge Geshe würde in unsere Schulen eingeladen werden, um einen Dialog mit unseren jungen Leuten zu führen.

Ob wohl ein Wunder geschehen muss, damit so etwas geschieht?

 

* Bodhisattva (Sanskrit) – eine Person, deren Charakter vom Erleuchtungsgeist vollständig geprägt ist

 

Der Ehrwürdige Gonsar Rinpoche ist Direktor und geistiger Leiter des Tibetischen Hochschul-Instituts und Klosters Rabten Choeling in Mont-Pèlerin am Genfer See. Er wurde in Schigatse, Tibet geboren. Mit sechs Jahren begann seine traditionelle Ausbildung unter dem Ehrwürdigen Geshe Rabten Rinpoche im Kloster Sera.

Zusammen mit seinem Lehrer und vielen anderen Tibetern floh er 1959 vor den Chinesen nach Indien. Dort konnte er unter der Obhut und Fürsorge Geshe Rabtens trotz der schwierigen Umstände, unter denen sie jahrelang in dem indischen Flüchtlingslager Buxa lebten, seine Studien fortsetzen. 1974 kam er mit seinem Lehrer in die Schweiz, wo er ihm, wie schon zuvor in Indien, als Übersetzer und Assistent diente. Nach Geshe Rabtens Tod 1986 fiel die Verantwortung der Klosteruniversität wie auch der angeschlossenen Zentren in Deutschland und Österreich an ihn. Rinpoche führt seither alle Aktivitäten im Sinne Geshe Rabtens weiter. Er wird immer wieder gebeten, Vorträge über Buddhismus und im besonderen über die verschiedenen Aspekte des tibetischen Buddhismus zu halten. So erhielt er unter anderem einen Lehrauftrag an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt und unterrichtet regelmäßig an verschiedenen Volkshochschulen in der Schweiz.

 

Quellen:

www.buddhismus.edu

http://www.buddhismus.edu/EinfuhrungBuddhismusMainFrame.htm

 

Literatur:

Geshe Rabten, Schatz des Dharma, Edition Rabten

Geshe Rabten, Mönch aus Tibet, Edition Rabten

Gonsar Rinpoche, Egoismus besiegen, Edition Rabten

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