CD-Tipp: Hannes Wader, Nah dran
Die jüngste Studio-CD Hannes Waders mit neuen Liedern hat – wie Weckers „Wut und Zärtlichkeit“ – das Zeug zum modernen Klassiker. In gutem Sinne „konservativ“ und doch am Puls der Zeit, fasst sie in der Spätphase von Waders Karriere noch einmal vieles zusammen, was den Reiz und die Bedeutung von Liedermacherkunst ausmacht. Dabei fällt – bei aller Seriosität – vor allem auch der grimmige Humor ins Gewicht. (Roland Rottenfußer)
Hannes Wader wird in die NPD eintreten. Erst ganz am Ende seines Lebens, aber er wird. Der Grund für diese – sagen wir – überraschende Entscheidung: Um einen verstorbenen Linken wäre es jammerschade – aber um einen verstorbenen Nazi …? Dieser Scherz aus Hannes Waders „Lied vom Tod“ mag als Beispiel für seinen skurrilen, aber erfrischenden Humor dienen. Gerade das genannte Lied gehört zu den lustigsten der CD „Nah dran“, Waders jüngster Veröffentlichung (vom Sampler „Trotz alledem“ abgesehen). Die Kunst liegt hier vor allem darin, dass Wader in jeder Strophe das Grauenvolle und das Witzige so mischt, dass der Hörer zwischen den Stimmungslagen in der Schwebe bleibt:
Nehmen wir mal an, ich würde – so wie Gunter Sachs – dement,
müsste ich den Mut aufbringen, den entscheidenden Moment,
mir die die Kugel zu geben, nicht noch so weit rauszuschieben,
dass ich es vergesse.
„Nah dran“, das kann durchaus bedeuten: nicht allzu weit vom Lebensende entfernt (wenn wir es auch bei einem so wichtigen Künstler natürlich nicht hoffen wollen). Nah dran, das kann bedeuten: nah an den Menschen und dem, was sie im Alltag bewegt. Es bedeutet aber im Speziellen auch: Wader war of nah dran, von ihm begehrte Frauen zu erobert. Knapp daneben ist leider auch daneben. Diese selbstironische Beobachtung ist der rote Faden im Titellied „Nah dran“. Darin erzählt Wader, wie ihm Zicken, Lesben und andere Angehörigen des schönen Geschlechts das (Liebes-)leben schwer machten. Eine stand sogar (statt auf den Sänger) auf einen Rockgitarristen, der auf der Bühne „Heute hier, morgen dort von Reinhard Mey“ anstimmte.
Eine doppelte Kränkung für den Liedermacher, der ja – wie man weiß – immer darunter zu leiden schein, dass ihn seine Kollegen in der einen oder anderen Weise ausstachen. Gegenüber Konstantin Wecker kam der Vorwurf, dieser habe ihm auf der gemeinsamen Tournee all die Groupies weggeschnappt, die rechtmäßig eigentlich ihm zugestanden hätten. Mit seinem Freund Reinhard Mey verbindet Wader das Trauma, dass seine Mutter ihn dereinst ermahnt hatte, auch einmal so schöne und anständige Lieder zu schreiben wie sein berühmter Freund. Nichts ist typischer für den Humor Waders als eine derart schonungslose, lakonisch vorgetragene Selbstironie.
Hannes Wader ist traditionsbewusst. Er weigert sich, sich stets neu erfinden zu müssen, nachdem einmal die gültige, für sich selbst und seine Fans stimmige Form gefunden war. Daran ändert auch sein fulminanter Auftritt bei der Echo-Preisverleihung für sein Lebenswerk nichts. Dort ließ er seinen Klassiker „Heute hier, morgen dort“ zusammen mit den Toten Hosen rockig schänden und adelte die Coverversion durch eigene Mitwirkung. Ein Anlass, gleich ein Rock-Album nachzuschieben, ist das für Wader jedoch nicht. Dergleichen tut vielleicht ein Heino, doch bei dem bedeutet jede stilistische Veränderung ja Hoffnung. Bei Hannes Wader dagegen ist die Feststellung „Er ist der Alte geblieben“ ein Ausdruck von Erleichterung und Wertschätzung.
So würdigt Hannes Wader auf seinem Album vor allem auch die Väter seiner Musikrichtung und die Brüder im Geiste. Uneitel scheint er nach dem Motto zu verfahren „Wenn es gut ist, muss es nicht unbedingt von mir sein.“ „Ich werd’ es überstehn“ ist eine wunderschöne deutsche Version des bekannten Trennungslieds von Folksänger Tom Paxton. Wader gibt in seinen Erläuterungen zum Text an, er habe das Lied schon in den Anfangstagen seiner Karriere gesungen, als sein noch schmales Repertoire durch Fremdbeiträge „gestreckt“ werden musste. „Die welken Blätter“ (Les feuilles mortes) von Jacques Prevert und Joseph Kosma wurde, wie der Künstler selbst in seinen Begleitworten erklärt, dutzende Male vorher gecovert: Yves Montand, Edith Piaf, Miles Davis, Serge Gainsbourg, Eric Clapton, Marlene Dietrich, Frank Sinatra, Barbra Streisand …
„Jeder Traum“ ist ein Lied des unlängst verstorbenen Franz Josef Degenhardt, Waders väterlichem Freund. Dem schließt sich gleich „Alter Freund“ an, eine Hommage an Degenhardt, die dieser nicht mehr hören, wohl aber – als zugesandte Verse – lesen konnte. Wader widersteht darin der Versuchung, den „ganzen“ Degenhardt porträtieren zu wollen und konzentriert sich auf ein anrührendes Detail, einen Kirschbaum, den der Freund noch in hohem Alter gepflanzt hatte. Mit seinen stimmungsvollen Naturbildern gehört „Alter Freund“ zu den schönsten ernsten Texten, die ich von Wader kenne.
Warten wir, alter Freund, nur noch die paar Jahre,
und dann sitzen wir im Sommer zur Reifezeit
unter diesem Baum, und es machen die Stare
sich in seiner Krone hoch über uns breit.
Und sie schwatzen nur, schweigen nie,
die Kirschkerne spucken sie
in unsere Gläser, die
niemals leer werden. In denen funkelt
der Rotwein aus dem Midi,
und wir sitzen und trinken und singen, bis es endlich dunkelt.
„Seit Ewigkeiten“ ist eine gelungene Coverversion von „Turn, turn, turn“, einem Hit der Folk-Legende Pete Seeger – mittlerweile ebenfalls verstorben, zum Zeitpunkt der CD-Aufnahme jedoch noch am Leben. „Was keiner wagt“ ist, wie viele wissen werden, die Vertonung eines Zenetti-Gedichts von Konstantin Wecker. Auch Reinhard Mey hatte das Lied schon aufgenommen. Sollte es jemals wieder zu einem „Wecker Wader Mey“-Konzert kommen, wäre es nicht schwierig, ein gemeinsames Programm zusammenzustellen. „Es ist an der Zeit“ und „Was keiner wagt“ wurden z.B. schon mehrfach verwertet. Auch beim Eröffnungslied und „Hit“ des Albums, „Dass wir so lang leben dürfen“, stammt der Text nicht von Wader selbst, sondern von Manfred Hausin. Das tut der Qualität jedoch keinen Abbruch, das Lied hat das Zeug zum Klassiker und klingt schon beim ersten Hören so, als ob man es schon ewig kennt.
Die selbstgetexteten Lieder stehen den „gecoverten“ aber in nichts nach. Meist sind sie sperriger und wortreicher, aber „reich“ eben im Sinne von unerschöpflichen Ideenergüssen. „Der Drachen“ beschreibt eine nostalgische Jugenderinnerung, die thematisch an „Der gekaufte Drache“ von Udo Jürgens erinnert, in der detailreichen Präzision des verwendeten Vokabulars jedoch an Reinhard Mey. Im Gegensatz zu wertkonservativen Werken wie „Es gibt keine Maikäfer mehr“, war in Waders „Der Drachen“ jedoch nicht „früher alles besser“. Der Vater des Sängers hatte damals offenbar keine Zeit, ihn zum Drachensteigenlassen zu begleiten, was in einer kleinen Katastrophe geendet hatte.
„Boulevard St. Martin“ ist das anrührende, historisch wahre Porträt Peter Gingolds, der als Deutscher Teil der französischen Résistance gewesen war, verhaftet wurde und fliehen konnte. Wader war von einer Rede des alten Gingold auf einer Großkundgebung gegen Neonazis, die er besucht hatte (nicht untypisch für den Liedermacher) tief beeindruckt gewesen. Es ist eine spannende Ballade über Mut und Charakterstärke, die in der Molltonart auch musikalisch einen besonderen Akzent setzt. Wie in Weckers „Die Weiße Rose“ wird eine Brücke zur Gegenwart geschlagen. Wader beschreibt, wie er als Parisbesucher auf dem Boulevard St. Martin jene Tür berührt, die für Gingold das Tor zur Freiheit war:
Aber während meine Hand noch immer dieses Tor berührt,
dein Tor zur Freiheit, Peter Gingold, habe ich nicht nur gespürt,
dass mein Herz ganz plötzlich viel kräftiger und freier schlägt.
Ich kann sogar fühlen, wie sich jetzt etwas von deiner Stärke
auf mich überträgt.
Ganz der Gegenwart und ihrem galoppierenden Irrsinn zugewandt ist dagegen das Lied „Mahlzeit“. Hier zeigt sich wieder der sarkastische, fast wienerisch makabere Hannes – „Darth Wader“ sozusagen. Der Sänger geht vom Erlebnis eines Restaurant-Besuchs aus und verfolgt verschiedene „Mahlzeiten“ bis zurück an ihren Ursprung: der Krabbencoctail, das argentinische Ribeye-Steak, das Schnitzel von der deutschen Sau, der Espresso, das T-Shirt, das er am Leib trägt: All diese Produkte sind in der globalisierten Wirtschaft auf menschenschinderische, tierquälerische und Ressourcen verschwendende Weise hergestellt worden und teilweise um den ganzen Globus gereist. Ein Rundumschlag, der den ganzen ökonomischen und ökologischen Wahnsinn aufdeckt. Wader gefällt sich aber nicht allein in der Position des Anklägers, sondern zeigt sich selbstkritisch-nachdenklich, zumal er privat den Vegetarismus noch nicht hundertprozentig realisieren konnte:
Ja, mit alten Gewohnheiten zu brechen,
kannst du versuchen, nicht versprechen.
Aber damit geht es dir
so wie den meisten hier.
Die schonungslos realistische wie ironisch gebrochene Wortkunst, die Wader hier entfaltet, ist einzigartig:
Wiederkäuer
Würgen jeden Bissen, den sie fressen, vier mal wieder hoch,
weil sie vier Mägen haben, wogegen nichts zu sagen wäre,
rülpsten sie dabei nicht noch Mega-Tonnen von Methan
zu all den Treibhausgasen in die Atmosphäre.
Und ich mit meiner Gier nach Fleisch bin auch noch schuld daran.
Leider habe ich waderkundlich zu viele Lücken, um die Stellung dieser CD in seinem Gesamtwerk letztgültig bestimmen zu können. Mir scheint aber: sie ist selbst für diesen Künstler überdurchschnittlich gelungen, „rund“, schon klassisch. Wie Weckers „Wut und Zärtlichkeit“ ist es ein großes Spätwerk, geeignet, nicht nur den Wünschen von „Altfans“ voll gerecht zu werden, sondern auch Chanson-Neulingen eindringlich vor Augen zu führen, was Liedermacherkunst vermag und warum man dergleichen hören sollte.
Und so wirkt es wie ein Bekenntnis im Namen des gedachten „Kollektivs“ engagierter Liedermacher, wenn Wader in „Dass wir so lang leben dürfen“ singt:
Dass wir unsre Lieder singen,
sie durch Laute Zeiten bringen,
manchmal nur ganz leise summen,
aber niemals ganz verstummen.