Corona, und was jetzt?

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik (Inland), Spiritualität

Erzählungen bestimmen den Lauf der Welt

Das erste Coronajahr liegt hinter uns, das zweite hat grad begonnen. Wie stehen wir dem gegenüber jetzt? Klar, dass uns Narrative steuern! Das ist der große Bogen. Aber welche unter den zur Verfügung stehenden großen Narrativen sind es, die uns in eine bessere Welt führen können, und welche führen uns in die Irre? Wolf Schneider

Die Mainstreams der Imperien und großen Kulturen sind immer hypnotische Massenveranstaltungen, in denen die Eliten einander gratulieren, auf dem richtigen Weg zu sein, mit dem vermeintlich richtigen Blick auf das, was wahr ist, und der richtigen Auswahl und Einordnung der Fakten. Das ist gefährlich. Aber das gilt auch für alle anderen Narrative, auch die der kleineren Kollektive. Es gilt sogar für den Stream einer dominanten Clique, die auf dem Schulhof die schwächeren untern ihren Mitschülern hänselt und demütigt. Kritik an der Herdenmentalität darf nicht vor den kleineren Herden haltmachen, nur weil sie in absoluten Zahlen weniger Schaden anrichten als die großen. Wie bizarr, wenn der kollektive Wahnsinn einer kleinen Herde den der großen Herde kritisiert und dabei glaubt, selbst nicht hypnotisiert zu sein. Brainwashed sind immer die anderen.

Leben und Tod

Wissenschaftler machen Fehler, ja, so ist es, und auch »die Wissenschaft«, the scientific community, hat ihre eigene Arroganz und Selbstgerechtigkeit. Dennoch ist der wissenschaftliche (im Sinne von scientific) Zugang zur Realität immer noch der vielversprechendste und politisch am wenigsten gefährliche. Das hat sich auch in der Zeit des Corona-Virus gezeigt. Allerdings gilt auch hier: Wer finanziert was? Was sind unsere Werte? Wie sehr und wie lange soll ein Menschenleben noch mit höchstem Einsatz an Geld, Menschen und wirtschaftlichen Einschränkungen um ein paar Monate verlängert werden, auch wenn die meisten der Betroffenen das gar nicht wollen? Unsere Gesellschaft muss ihre Scheu vor dem Tod verlieren, vor dem Tod als dem natürlichen Ende des Lebens, das ’notwendig’ auf die Geburt folgt. Wenn sie das tut, werden wir künftige Pandemien besser bestehen.

Wir: Sterbliche – Philosophie nach Corona, dieses Podcast des BR vom 18.11.20 enthält viel Lebensweisheit, weil es sich mit dem von uns gemiedenen Thema des Todes beschäftigt. Mit Vivian Dittmar, Gerald Hüther und anderen klugen Stimmen über unseren Umgang mit dem Tod.

Und noch etwas, grad eben erst entdeckt: Yuval Harari in seinem Büro an der Universität von Jerusalem, wo er im November 2020 über die Folgen der Corona-Krise für unsere gesamte Weltkultur spricht: Wenn wir mit dieser Krise nicht gut umgehen, die ja noch keine wirklich schlimme Krise ist, was soll man dann über unsere Chancen in den wirklich schlimmen Krisen sagen, wie etwa dem Klimawandel und den Herausforderungen, die uns durch KI bevorstehen.?

Hitler, QAnon und die Proud Boys

Für kurze Zeit hatte der »Sturm aufs Kapitol« am 6. Januar in den Tagen danach Corona als Mega-Thema für kurze Zeit abgelöst. Nicht nur wegen der Bilder, die dabei ähnlich denen von 9/11 schon Stunden danach um die Welt gingen, sondern auch, weil vielen bewusst ist, dass Trump noch lange nicht weg ist, v.a. weil seine Anhängerschaft noch da ist: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

Franz Alt schreibt auf sonnenseite.com über den Sturm aufs Kapitol und die Gefahr, die noch immer von den Trumpisten ausgeht und von dem System, das sie erzeugt hat, und von dem auch Biden nicht groß abweicht. Wer stolz auf diese Demokratie ist, die sich da gegen solche Putschisten verteidigt, irrt. Wir brauchen eine Demokratie, die vor der Manipulierbarkeit der da abstimmenden Bürger nicht die Augen schließt, sonst wird dieses System weiter solche Potentaten an die Macht befördern wie Trump, Bolsonaro, Putin, Erdogan, Orban und andere.

Zu diesem Thema habe ich kürzlich wieder mal mit meinem Freund Martin Frischknecht, den Verleger des Schweizer Magazins SPUREN gechattet. Er hatte mich zu dem Buch Hitler – die wenig bekannten Fakten befragt und zu dem, was diese Fakten für uns bedeuten, heute, in der Zeit nach diesen vier Jahren Trump-Regierung, in der die Proud Boys und QAnon noch immer aktiv sind: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Das Buch von Claus schlägt übrigens zu unserem Erstaunen gerade im Mainstream ein. Leser, die im politischen Spektrum eher links oder rechts angesiedelt sind, schweigen daraufhin oder kündigen Claus die Freundschaft. Und die Spiris? Immerhin hat die Zeitschrift Tattva Viveka in ihrer Ausgabe 85 meine lange, auch das „Erwachen“ Hitlers thematisierende Rezension gebracht, die auch auf Amazon steht, unter meinem Realnamen.

Die Heiligung des Homo sapiens

Unsere Spezies »sapiens« zu nennen, den Weisen, ist schon mal eine krasse Übertreibung. »In der ihm eigenen Bescheidenheit« lässt es diese Spezies des Homo aber nicht dabei bewenden, sondern macht sich auch noch zum Maße aller Dinge, aller Moral und Ethik, er ‚vergöttlicht sich‘, wie Harari es in Homo Deus so überzeugend ausführt. Außer der eigenen Spezies gibt es für diese Spezies nichts Heiliges in der Welt. Auch die fühlenden Tiere dienen nur unserer Fleischerzeugung, wenn sie nicht das Glück haben, als Haustiere der vom Menschen bekuschelten Tierelite anzugehören.

Auch wenn die prähumanen Ideologien nach unseren heutigen Standards überwiegend deutlich schlimmer waren als der Humanismus, ist auch die Ideologie des Humanismus noch so beschränkt, dass man sie eigentlich eine Religion nennen muss, argumentiert Yuval Harari in »Homo Deus«, das neben »Eine kurze Geschichte der Menschheit« mit ähnlicher Wucht auf unsere heutige Weltideologie trifft wie einst (1848) Karl Marx’ »Das kommunistische Manifest« auf das sich industrialisierende 19. Jahrhundert.

Impulse von einem Indigenen

Die Menschen in der Steinzeit hatten es besser als die im Zeitalter der Landwirtschaft, ist einer der bei Harari wiederkehrenden Punkte. Und die Industrialisierung? Schickte die Mehrheiten ins Proletariat. Und die Dienstleistungsgesellschaft? Brachte uns Callcenter, die Lagerarbeiter bei ALDI und Amazon und die Fahrer von DHL und American Express, neben – immer noch – den Näherinnen in Bangla Desh und den Minenarbeitern im Ostkongo.

Von den Indigenen, die doch immerhin noch einiges Wenige von den Kulturen der Frühzeit des Menschen in die Gegenwart hinübergerettet haben, gelangt nur selten mal eine/r zu politischer Macht, obwohl es (laut dt. Wikipedia) immerhin 350 Millionen von ihnen gibt. Seit Evo Morales 2009 in diesem Land Präsident wurde, ist Bolivien eine Ausnahme. Zu seinem Amtsantritt im vergangenen Dezember hat nun der bolivianische Vizepräsident David Choquehuanca, ein Indigener vom Volk er Aymara, eine Rede gehalten, die Hoffnung macht. Sie enthält so viele ganzheitliche, spirituelle Impulse, dass sie auf der Suche nach einem weltzivilisatorischen Narrativ, welches das heute dominierende neoliberale ablösen könnte, eine Fundgrube ist. Trotz der Stereotype, mit denen Choquehuancas Rede gespickt ist, wie sie in ähnlicher Weise auch die NewAge-Bewegung der westlichen Kulturen jahrzehntelang propagiert hat, bin ich erstmal hoffnungsvoll, dass hier vielleicht etwas entstehen könnte, das weit über Bolivien hinaus Geltung erlangt.

Gibt es ein Weltwissen?

Seit langem beschäftigt mich, was man überhaupt sagen kann und wie die Darstellung eines Faktums, einer Tatsache, im Unterschied zu dem, was wir »fiktiv« nennen, zustande kommt. Mit welchen (sprachlichen) Mitteln geschieht das, und was kann dabei trotz guter Absichten schiefgehen? Entsprechend groß war schon zu meiner Studentenzeit mein Interesse an Enzyklopädien, und punktuell meine Verachtung für die Britannica oder den Brockhaus, wenn ich dort Einseitigkeit oder krasse Verzerrung von Tatsachen fand.

Heute nutze ich die Wikipedia, die am 15. Januar 20 Jahre alt wird und in 300 Sprachen mehr als 55 Millionen Artikel bringt, ausgiebig. Ich wechsle dabei zwischen drei, vier Sprachen und gehe manchmal den Quellen nach, allerdings ohne dem, was ich da vorfinde, voll zu vertrauen. Das gilt auch für die dort angegebenen Quellen. Aber so, wie die Demokratie in den meisten Fällen (?) immer noch die am wenigsten schlechte Regierungsform sein könnte, so zeigt die aktuelle Wikipedia immerhin eine gute Auswahl aus dem Mainstream-Wissen der heutigen Weltzivilisation. Fast immer ist sie eine bessere Quelle als das schlichte Googeln eines Themas. Ein Film von Arte beschäftigt sich mit dem Pro und Contra dieser Art von Wissensvermittlung: das Wikipedia-Versprechen.

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