Der Liedermaler
Torsten Krutsch hat 28 Lieder von Konstantin Wecker und Hannes Wader in eigenwillige Bildkompositionen umgesetzt. „Ich male, weil ich ein Bild hab“, lautet sein Motto in Anlehnung an einen Vers Weckers. Den Zusatz „…nicht weil es euch gefällt“ muss man aber nicht zu wörtlich nehmen, man darf von diesen Bildern begeistert sein. Die farbenfrohe Umsetzung orientiert sich sehr präzise an den Liedinhalten und transportiert ohne Abstriche auch die zeitkritische Stoßrichtung der beiden Groß-Liedermacher. Mehr noch: Im Betrachten der Bilder lernen wir den Liedern auf ganz neue und intensive Weise zuzuhören. (Roland Rottenfußer)
Im Bildvordergrund kauern zwei seltsame Gestalten: Einer, mit grünem, langgezogenem Gesicht und lauerndem Blick scheint ein Alien zu sein, der andere ein Arbeiter mit blauer Mütze. Zwischen beiden geht Geld über den Tisch. Auf den Geldscheinen erhebt sich ein großes „T“, gebildet aus zwei Gewehren: Mordwaffen. Im Hintergrund signalisiert eine graue Trümmerlandschaft, was Krieg bedeutet. Ein spanisches Tänzerpaar performt – scheinbar gar nicht zum Bildinhalt passend – einen Tango. Die Ornamente sind zu einem Mauerwerk angeordnet, welches ein Fenster freigibt, durch das man die gesamte Szenerie beobachten kann. Das Mauerwerk ist aus den Buchstaben H und K geschaffen worden. Das kann „Heiliger Krieg“ bedeuten oder auch „Heckler und Koch“, Deutschlands größte Waffenschmiede. Dieser Künstler hat Mut, er nennt Ross und Reiter.
Was aber hat die merkwürdige Kombination mit dem Tango zu bedeuten? Fans von Konstantin Wecker fühlen sich dabei unvermeidlich an dessen „Waffenhändler-Tango“ erinnert. Darin heißt es:
„Man kann das nennen wie man will,
humanitärer Overkill,
heiliger Krieg, gerechte Sache,
die Fahne hoch, dass ich nicht lache.
Die ganzen Sprüche schenk ich Ihnen –
beim Krieg gehts immer nur ums Geldverdienen.
Und unsre Freiheit ist, auch dieses Lied beweist es,
nur die des Marktes, nicht mehr die des Geistes.“
Der Tangorhythmus prägt die musikalische Gestalt des Liedes, „Heckler und Koch“ kommt zwar nicht im Text vor, wohl aber in einem anderen Lied: „Absurdistan“, was das Interesse des Liedermachers an besagtem deutschen Waffenexporteur belegt.
Krutsch-Wecker-Wader – ein Trio, das sich gut ergänzt
„Waffenhändler-Tango“ ist nur eines von 28 Hörbildern, die der in Italien lebende deutsche Maler Torsten Krutsch zu Bildern von Konstantin Wecker und dessen Kollegen Hannes Wader geschaffen hat. „Liedermaler interpretiert Liedermacher – Krutsch-Wecker-Wader“ heißt seine umfassende Kunstaktion, die in Ausstellungen und Vernissagen in mehreren Städten gipfeln soll (Termine stehen noch nicht fest). Wecker und Wader haben der Umarbeitung ihrer Werke ausdrücklich zugestimmt und werden entsprechende Präsentationen durch ihre Präsenz ehren.
Torsten Krutsch schrieb selbst in seiner Bildinterpretation zum „Tango“: „Konstantin bringt die ewige Geschichte der Waffenschmieden und deren skrupellosen Händler kurz und bündig auf den Punkt. Ein scheinheiliges Geschwätz über sog. Gerechte Kriege zum Wohl der Menschheit, wobei Begleiterscheinungen wie Hunger, Tod und Qual zwar bedauerliche Schäden seien, aber nur co- und lateral.“
Politisch ist Torsten Krutsch durch kraftvolle Statements bekannt, die demonstrieren, dass er in der Gesellschaft Weckers und Waders gut aufgehoben ist. So äußerte er gegenüber der HdS-Redaktion: „Ich habe sechs Kinder und vier Enkel. Denen und dieser ganzen Generation gegenüber haben wir alten Säcke einfach die Pflicht, uns den Arsch für Frieden und Freiheit aufzureißen. Wenn man Grips hat, ist man verdammt noch mal dazu verpflichtet, ihn für die Menschen einzusetzen, die damit nicht so gesegnet sind.“ Als seine politischen Haupttriebkräfte nennt der Künstler: „Würdevoller Umgang mit unserem Planeten, Pflanzen- und Tierwelt sowie der Menschheit. Die Reihenfolge ist von ihm bewusst gewählt, da unser Planet die Basis von Allem ist, während die letztgenannte Menschheit für dessen Vernichtung verantwortlich zeichnet.“ Krutsch fordert, das Wort „Staatsgewalt“ aus allen Wörterbüchern zu streichen. „Die Staaten und deren gewählte Volksvertreter haben lediglich die Aufgabe, objektiv für ein optimales, humanes Zusammenleben zu sorgen. Das gilt ebenso für die Gesamtheit der Staaten, die ein respektvolles, friedliches, freiheitliches und soziales Zusammenleben der Völker untereinander zu organisieren haben. Deshalb brauchen wir in Zukunft keine Waffen mehr (arme Waffenschmieden!).“
„Ich male, weil ich ein Bild hab“
Es ist schon an und für sich eine erfreuliche Sache, wenn sich auch bildende Künstler kritisch in aktuelle politische Diskussionen einmischen. Man muss nicht unbedingt auf Otto Dix oder Käthe Kollwitz zurückgreifen, um Engagement und scharfsichtige Zeitanalysen zu finden. Fast noch revolutionärer ist aber die Tatsache, dass Krutschs „gemalte Lieder“ die Art der Kunstrezeption überhaupt verändern. Durch eine multimediale Präsentationsform wird ein ganz neuer Zugang zu den Liedern ermöglicht, während die Kenntnis der Lieder natürlicherweise auch das Bildverständnis erhöht. Zu empfehlen ist auf jeden Fall, das Lied anzuhören, während man die Augen gleichzeitig über das Bild wandern lässt. Es erschließen sich dabei immer neue Parallelen und Assoziationen. Die Dauer des Lieds (meist um die 4 Minuten) hindert den Bildbetrachter gleichzeitig daran, zu schnell zum nächsten Kunstwerk überzugehen. Dies dient zweifellos der Vertiefung des empfangenen Eindrucks.
Eine wertvolle Quelle zum Verständnis der Hörbilder Krutschs ist das Vorwort von Ingolf Habermann zur geplanten Buchveröffentlichung. “Sein Leitmotiv, ‘Ich male weil ich ein Bild hab’ drückt die Entschlossenheit aus, sich von nichts und niemandem bei der künstlerischen Ausführung des Projekts beeinflussen zu lassen. Gradlinig, konsequent und überschwänglich ging er an die Arbeit, die er nach 3 Jahren und 4 Monaten sehr erfolgreich abgeschlossen hat.” Wobei „überschwänglich“ noch ein schwacher Ausdruck ist für die Wesensart des in Telefongesprächen vor Energie und Enthusiasmus schier berstenden Künstlers.
Im März 2014 vollendete Krutsch seinen Wecker-Wader-Zyklus (Maltechnik: Dispersion auf Holz). Über den Entstehungsprozess gab der Maler zu Protokoll: „Während meiner intensivsten Malphase nach 1999, das Jahr des Umzuges in die Wahlheimat Toskana, hörte ich immer häufiger die CDs ‚Mey-Wader-Wecker – das Konzert’, bis eines Tages nach den Abendnachrichten eine Stimme zu mir sprach, die mir sagte, diese vielen aktuellen Informationen aus Politik, Wirtschaft und sozialgesellschaftlichen Themenkreisen kennst du doch schon lange. Es wurde mir bewusst, dass in den vielen Liedern von Reinhard Mey, Hannes Wader und Konstantin Wecker diese Themen musikalisch und textlich schon seit 1975 auf den Schallplatten und CDs dieser, für mich herausragenden deutschen Liedermacher, dargeboten wurden. Zu meinem Entsetzen hat sich bis heute nichts an Aktualität verloren. In diesem Moment war das Projekt geboren und die Umsetzung meiner Ideen in die Realität begann“.
Dialog zwischen Hörbild und Lied
Die verwendeten Lieder von Wecker und Wader umfassen einen Entstehungszeitraum von 1975 bis zur unmittelbaren Gegenwart (der Veröffentlichung der aktuellen Alben „Wut und Zärtlichkeit“/Wecker sowie „Nah dran“/Wader). Ingolf Habermann weist in seinem Vorwort auch auf den Aspekt der Unvergänglichkeit hin, der das gemalte Bild vom im Konzert erklingenden Lied unterscheidet, bei dem jedes Wort, jeder Ton ja im Moment des Erklingens bereits in die Vergangenheit abgleitet. Udo Jürgens hatte diesem Wesensunterschied zwischen Musik und Malerei auch in seinem Lied „Mein Bruder ist ein Maler“ Ausdruck gegeben. „Das Projekt mauserte sich langsam zu dem Gesamtkunstwerk, welches vom Künstler Krutsch von Anfang an angedacht war, welches bedeutete, dass nicht Bilder nur ‚gemalt’ und während der Ausstellung mit Musik leicht ‚berieselt’ werden, sondern die Werke sind Interpretationen dieser Lieder, die somit nicht verklingen, da diese miteinander untrennbar verbunden sind.” Habermann benennt die „nonverbale Kommunikation zwischen Hörbild und Lied.“
Offensichtlich interpretieren Krutschs Bilder aus Weckers und Waders Werke nicht nur einiges heraus, sondern auch etwas hinein. Man denke etwa an den „außerirdischen“ Waffenhändler. Was mag er bedeuten? Krutsch denkt die Lieder weiter und fügt ihnen assoziativ eigene Gedankeninhalte hinzu. Dies ist jedoch kein Fehler. Im Gegenteil entsteht so ein lebendiger Dialog zwischen den Künstlern und ihren Kunstformen – ein Dialog, in dem der Betrachter assoziierend und weiterdenkend als Dritter eintreten kann. Die Umsetzung des „Nacheinander“ textlicher Abläufe in die Gleichzeitigkeit der Bildaufteilung stellt eine weitere Herausforderung für den Bildermaler dar. Während im Text die Abfolge oft (auch) der Reimlogik folgt, gelten in der Bildaufteilung ganz andere Gesetze, jene der Harmonie von Farbe und Form (oder der bewussten Brechung des allzu „Harmonischen“). Die Reihenfolge des Wahrgenommenen wird vom Betrachter wesentlich mitgestaltet, indem er seinen Blick auf dieses oder jenes Detail richtet und ihn dort länger oder kürzer verweilen lässt. Dieses interaktive Element erfordert und fordert den mündigen Betrachter
„Vissi d’arte“ – ein Leben für die Kunst
Torsten Krutsch wurde 1943 in Kuttenberg (Schlesien) geboren. Neben einem Kunststudium absolvierte er eine universitäre Ausbildung in Drucktechnik, Grafik und Design sowie für Buchkunst an der TH-Darmstadt. Seine erste Kunstausstellung erfolgte 1972. Krutsch lehrte Drucktechnik und Neue Kommunikations-Medien an der gewerblichen Berufsakademie Heidenheim. 1999 nach seinem Umzug in die Toskana widmete er sich ganz seiner Passion, der Malerei. Bis 2007 schloss sich die Phase der toskanischen Impressionen an. „Paesaggi“ (Landschaftsbilder) nennt Krutsch die Eindrücke des toskanischen Lebens, besonders der Maremma, die er in dieser Phase schuf. 2006 versuchte er sich erstmals in der Kombination von Bild und Musik, als der berühmte Jazz-Saxophonist Lee Konitz auf seiner Vernissage in Castiglione della Pescaia auftrat. Zu diesem Zeitpunkt gingen seine Werke in Privatsammlungen nach Rom, Mailand, Florenz, Berlin, München und Moskau. Die Vielzahl der Ausstellungen und Events, die Torsten Krutsch in seiner toskanischen Phase gestaltete, können in diesem Rahmen unmöglich vollständig dokumentiert werden.
Während der Arbeiten an dem “Krutsch-Wecker-Wader” Projekt folgte der Künstler noch einer sehr emotionalen Einladung einer Behinderteneinrichtung aus Grosseto (Toskana): Die Kunstausstellung, von jungen Musikern zusammen mit Behinderten in ihrer Behinderteneinrichtung “Fondazione Il Sole” am 21. Dezember 2012 gestaltet, wurde für alle ein großer Erfolg. Das Bild mit dem Titel “Il coro dei bambini di strada” (Der Chor der Straßenkinder), überließ er der Einrichtung als Geschenk. Zu seiner Überraschung erhielt er bald darauf Post vom Kunstmuseum Pisa, wonach sein Bild dort permanent ausgestellt würde. Seit April 2014 arbeitet Krutsch an seinem Projekt „Mamma Blues und ihre Kinder“, das sich wieder mit der Verbindung eines Musikstils mit Malerei beschäftigt.
Die Traumlogik des Bildaufbaus
Der Kunstkritiker M. Mali beschrieb Krutschs Stil so: „Das bestimmende Element in den Ausführungen des Künstlers Torsten Krutsch ist ohne Frage die Emotion zwischen der künstlerischen Umsetzung seiner Ideen, der Farben, seinen fantasievollen Formen, den Darstellungen von Gemütszuständen und den im Gesamtwerk handelnden ‚Geschöpfen’. So kreiert er seine eigene ‚malerische’ Welt, die er selbst als ‚Kaleidoskopie’ bezeichnet.“ Ein Kaleidoskop kennt man normalerweise als Kinderspielzeug, bei dem Farben und Formen mit Hilfe von optischen Spiegelungen und Brechungen zu neuen, reizvollen Mustern angeordnet werden. Der typische flächige Stil des Malers, der keine Schattierungen, Verwischungen und Übergänge, sondern nur nebeneinander gesetzte einfarbige Flächen kennt, erinnert ein wenig an „Malen nach Zahlen“. Der Künstler selbst führt seine Technik auf den Einfluss farbiger Mosaike in Kirchenfenstern zurück. Wie im Schaffen von Paul Klee oder Picasso dient ein und dasselbe Segment oft gleichzeitig als Bestandteil mehrerer Formen, wird somit vieldeutig und fordert den Betrachter zur Spurensuche auf.
Statt auf Details oder Atmosphäre verweist diese Art von Malerei auf das Wesentliche eines dargestellten Gegenstands. Perspektive und vordergründiger Realismus sind überwunden. Der Bildaufbau entspricht eher den Inhalten von Gedanken und Träumen, in denen sich die Motive dynamisch vermischen, als der beobachtbaren Wirklichkeit. Assoziative Verknüpfungen des scheinbar „Nicht-Zusammengehörigen“ sind so möglich und regen den Betrachter zu eigener Gedanken- und Deutungsarbeit an. Auch die Montage bzw. Kollage gehört zu Krutschs Techniken, wenn er etwa in verschiedenen Wecker- und Wader-Bildern die von ihm gemalten Portraits von Marx, Hegel oder Brecht einbaut. „Eastereggs“ laden zu vergnüglicher Spurensuche ein, wenn dem Betrachter bestimmte Bildmotive verdächtig bekannt vorkommen und sich diese dann als Anleihen an Werke von Tizian oder Jacques-Louis David erweisen. Ein multidimensionaler Bildkosmos entsteht, nicht unähnlich dem Umgang der Musik mit Motiven und Klang-Farben.
Chanson Art für Anspruchsvolle
Kehren wir nun zum Krutsch-Wecker-Wader-Projekt zurück, so stellen wir fest, dass der Stil des Malers etwas mehr dem „üppigen“, klangfarbenreichen Stil Weckers als dem kargen, konzentrierten Waders ähnelt. Die Lieder des letzteren haben bei Krutsch aber gerade wegen ihrer sachlichen Präzision und ihrer Nähe zur sozialen Realität nicht minder strömende Inspiration ausgelöst. In Anlehnung an die „Pop-Art“ eines Roy Liechtenstein oder Andy Warhol, könnte man Krutschs Kunst also mit gutem Recht „Chanson-Art“ nennen. Das Wort „Chanson“ passt zu den zeitkritischen, anspruchsvollen Themen des Malers ebenso wie zu den visuellen Vorbildern, auf die er sich bezieht: Tizian und Hegel statt Monroe oder Elvis.
Zu empfehlen ist stets die unmittelbare Kombination von Bildbetrachtung und Musikgenuss. Die Leserinnen und Leser können dies anhand dieses Links zum Lied „Waffenhändler-Tango“ und des dazugehörigen Bildes sofort ausprobieren.
In den nächsten Wochen werden wir auf HdS eine Serie zum „Krutsch-Wecker-Wader“-Projekt veröffentlichen. Jeweils zeigen wir dann mit kurzem Kommentar aus meiner Feder ein Bild mit dazugehörigem Musikvideo. Es empfiehlt sich, in diesem Fall ausnahmsweise nicht den Liedermacher beim Performen, sondern das Bild zur Musik zu betrachten.