Der Polizeistaat

 In FEATURED, Politik (Inland)

Im Film “Minority Report” werden Menschen verhaftet, weil sie Verbrechen begehen KÖNNTEN.

Das Bundesland Bayern feiert in diesem Jahr zwei Jubiläen. Vor zweihundert Jahren wurde eine Verfassung für das damalige Königreich erlassen und vor hundert Jahren wurde Bayern zur Republik. Aber heute wird der Freistaat immer mehr zum Polizeistaat. Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger sollen durch ein neues Polizeiaufgabengesetz massiv eingeschränkt werden. Vorwand dafür ist eine angebliche Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus. Davor müsse der Staat seine Bevölkerung schützen. Doch wer schützt die Menschen vor dem Staat? (Patrick Münch)

Recht auf Sicherheit

Das Recht auf Sicherheit beinhaltet den Schutz der Bürger vor Armut durch einen Sozialstaat, der dem Reichtum des Landes entspricht. Dazu gehören selbstverständlich eine Vermögenssteuer und der Ausbau von sozialen Leistungen. Im Mittelpunkt steht der Kampf gegen den Skandal der Kinderarmut. Der Staat schützt die Umwelt vor der Zerstörung durch die Auswirkungen einer destruktiven kapitalistischen Produktionsweise, indem er Umweltzerstörung unter Strafe stellt und die Produktionsweise so organisiert, dass sie den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen entspricht. Den Menschen wird ein sicherer Arbeitsplatz garantiert, es gibt ein Recht auf Arbeit. Die Arbeitenden haben das Recht, sich selbst zu organisieren. Sie haben das Eigentum an den Produktionsmitteln.

Das ist die Beschreibung einer demokratischen Gesellschaft, die in Zukunft noch anzustreben ist. Sie zu verhindern macht sich die bayerische Regierung zur Aufgabe, indem sie alle diejenigen, die diese demokratische Ordnung anstreben, als Gefährder und Extremisten denunziert und kriminalisiert. Ziel der Regierung ist die Verteidigung einer ungerechten Ordnung, in der der Reichtum der Gesellschaft immer ungerechter von unten nach oben verteilt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, will die Exekutive nun auch juristisch aufrüsten. Dazu erfindet sie den Rechtsbegriff der „Drohenden Gefahr“ im Polizeiaufgabengesetz (PAG). Was verbirgt sich dahinter?

Drohende Gefahr

Prof. Dr. Josef Franz Lindner von der Juristischen Fakultät Augsburg führt dazu aus:

„Durch Art. 11 Abs. 3 PAG wird als neue polizeirechtliche Kategorie der Begriff der ‚drohenden Gefahr‘ eingeführt. Während bislang für den polizeilichen Zugriff auf Rechtsgüter des Einzelnen als Eingriffsschwelle eine konkrete Gefahr gefordert wurde, soll nun die ‚drohende Gefahr‘ genügen. Die ‚drohende Gefahr‘ ist dadurch gekennzeichnet, dass noch keine hinreichend konkretisierten Tatsachen vorliegen, die das Wahrscheinlichkeitsurteil zulassen, dass es bei unbehindertem Ablauf des Geschehens zu einem Schaden für ein polizeiliches Rechtsgut kommen wird. Die drohende Gefahr liegt also nach dem Verständnis des Gesetzes noch vor der Schwelle der konkreten Gefahr.“

Dr. Martin Heidebach von der Ludwig-Maximilians-Universität München bemerkt dazu:

„Besonders gravierend ist die Neuregelung der Präventivhaft. Deshalb soll deren Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht noch einmal besonders hervorgehoben werden. Künftig würde schon eine ‚drohende Gefahr‘ genügen, um aus präventiven Gründen in Haft genommen zu werden. In Kombination mit der Streichung der zeitlichen Beschränkung der Haft würde in Bayern damit das Guantanamo-Szenario eintreten: unbeschränktes Einsperren potenziell gefährlicher Personen.“

Dr. Heidebach führt weiter aus:

„Es ist evident, dass eine Präventivhaft auf Grund nur ‚drohender Gefahr‘ darüber hinaus gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK verstieße.“

In der Europäischen Menschenrechtskonvention heißt es konkret: „Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“ Alle Freiheitsrechte wurden historisch von den Menschen gegen die Gewalt des Staates erkämpft. Sie sollen die Menschen vor dem Zugriff durch die Gewalt des Staates schützen. Das ist die große historische Errungenschaft des Rechtsstaates, der Gewaltenteilung und der Republik. Aber, so schreibt Dr. Heidebach:

„Mit diesem Gesetzesentwurf trägt die Bayerische Staatsregierung zur Erosion des Rechtsstaats bei. Allein die Tatsache, dass ein solcher Vorschlag gemacht wird, ist deshalb ein verheerendes Signal. Dass die Aufregung darüber bislang verhalten ausgefallen ist, ist ebenfalls ein beunruhigendes Zeichen der Zeit.“

Präventivhaft

Die bayerische Regierung will in Zukunft jeden beliebigen Menschen vorsorglich inhaftieren können, denn womöglich könnte dieser Mensch eine Straftat planen. Damit würde das Prinzip des Rechtsstaats, also der Schutz der Menschen vor dem Zugriff des Staates, in sein Gegenteil verkehrt. Es wäre ein zivilisatorischer Rückschritt um mehrere hundert Jahre in die Zeit der Willkürherrschaft von Kaisern, Königen und Fürsten. Es wäre ein Hohn gegenüber den Werten und Ideen der Aufklärung.

Der Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler warnt anlässlich einer Expertenanhörung von Innen- und Verfassungsausschuss des bayerischen Landtags: „Das betrifft nicht nur potenzielle Terroristen, sondern auch Normalbürger“. Wächtler kritisiert, dass bei der präventiven Festnahme, die per richterlicher Verfügung unbegrenzt dauern könne, den Betroffenen nicht einmal ein Pflichtverteidiger gewährt werde und dass ein Beschuldigter in Präventivhaft, der noch nichts getan habe, damit schlechter gestellt sei, als ein Verdächtiger im Strafverfahren mit konkretem Tatverdacht. Wächtler kommt deshalb zu dem Schluss:

„Das ist eines Rechtsstaats unwürdig.“

Pseudowissenschaft Extremismustheorie

Nach der pseudowissenschaftlichen Extremismustheorie gibt es eine bürgerliche Mitte und rechts und links davon abweichende Tendenzen, die als extrem bezeichnet werden, wenn sie nicht den Maßstäben der freiheitlich demokratischen Grundordnung entsprechen. Ziemlich schnell werden dann links und rechts als gleichermaßen gefährlich für die Demokratie zusammengewürfelt. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht des Jahres 2017 heißt es dazu:

„Linksextremistische Gewalt bedroht die Grundlagen unseres Rechtsstaats ebenso wie jede andere Form des Extremismus.“

Aus dem massiven Einsatz von Polizeigewalt gegen Bürgerinnen und Bürger bei der legitimen Demonstration anlässlich der G20-Veranstaltung in Hamburg gewinnt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann in seiner Analyse des aktuellen Verfassungsschutzberichts die Erkenntnis, dass die Gefahren des Linksextremismus brandaktuell seien.

Protestaktionen gegen die zum Teil demokratie- und menschenfeindliche Partei AfD gehören für Herrmann auch nicht zur Meinungsfreiheit. Immerhin handelt es sich hier, ganz im Gegensatz zur Partei „Die Linke“, um einen potentiellen Koalitionspartner. „Die Demokratiefeindlichkeit der Linksextremisten zeigt sich insbesondere bei ihren zahlreichen Übergriffe (sic) auf Veranstaltungen der AfD“, empört sich der Staatsdiener.

Das kapitalistische Gesellschaftssystem und seine Eigentumsordnung werden von der herrschenden Meinung selbstverständlich als Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung betrachtet, ohne zu berücksichtigen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt sind vom Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit. Widerstand gegen die ungerechten Verhältnisse im Kapitalismus kann so einfach als linksextremistisch de-legitimiert und damit kriminalisiert werden. Jeder Form des Protests ist damit die legale Grundlage entzogen und Polizei und Justiz werden ermächtigt, gegen kritische Menschen vorzugehen.

Echte Demokratie

In einer echten Demokratie geben sich die Menschen ihre Verfassung selbst. Das ist die Idee der Republik. Eine Verfassung ist nach dieser Vorstellung ein lebendiger Prozess, in welchen neue gesellschaftliche Entwicklungen einfließen und von den Menschen demokratisch verhandelt werden. Eine solche Ordnung wäre am ehesten in einer rätedemokratischen Struktur gewährleistet. Eine solche Möglichkeit kategorisch auszuschließen ist weder freiheitlich noch demokratisch, sondern vielmehr das Gegenteil. Dringend notwendig ist deshalb eine breite und offene Diskussion darüber, was Demokratie eigentlich bedeutet und ob sich hinter dem heutigen parlamentarisch verfassten System eigentlich etwas ganz anderes verbirgt.

 

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

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