Der Sog des Krieges

 In FEATURED, Kultur

Prinz Pi, Foto: Henry W. Laurisch, Lizenz: Creative Commons

Rapper Prinz Pi führt uns mit „Drei Kreuze für Deutschland“ vor Augen, wie der Krieg auch abseits der Gefechte seinen Blutzoll fordert. Kriege sind ein Moloch, der auch jenseits der Kampfhandlungen Menschenleben verschlingt. Der Track „Drei Kreuze für Deutschland“, veröffentlicht von Prinz Pi im Jahr 2011, veranschaulicht, wie der Sensenmann auch außerhalb der Schlachtfelder seinen Tribut fordert. Es ist ein sogenannter „Story-Telling-Track“, in welchem Pi vom Schicksal einer vierköpfigen Soldatenfamilie erzählt. Der Vater ist ein Kapitän bei der Marine, die Mutter eine Zivilistin, die beide Söhne sind zurückgekehrte Soldaten aus dem illegalen Afghanistan-Kriegseinsatz. Mit jeder Strophe verstirbt ein weiteres Familienmitglied. Der Vater geht nachts über Bord des Kriegsschiffes, der ältere Sohn begeht aufgrund seiner posttraumatischen Belastungsstörung Selbstmord, und der Jüngste lässt sich im sicheren Innendienst stationieren, wird dann aber in der Heimat von Neonazis ermordet. Am Ende ist nur noch die Mutter am Leben, der von ihrer Familie nichts weiter übrig bleibt als drei Kreuze, die ihr die Armee für ihre verlorenen Männer verlieh. Ein Text zu der Aktion #Friedensnoten. Nicolas Riedl

 

Von „drei Kreuze machen“ ist im allgemeinen Sprachgebrauch dann die Rede, wenn eine entbehrungsvolle Zeit oder Herausforderung unbeschadet überstanden wurde. Die verwitwete und nun kinderlose Mutter macht in der letzten Strophe zwar auch „ihre drei Kreuze“, doch sind das „drei Kreuze für Deutschland“. Ihr bleibt nichts weiter als diese drei Kreuze. Es ist eine bittere Demaskierung des militärischen Patrioten-Kults mit seinen Orden und Anhängern.

„Mutter steht vorm Admiral, guckt auf die Orden /
So viel bunte Stecker kriegt man fürs Morden“

Abgesehen von der letzten Strophe verzichtet Prinz Pi im Track weitestgehend auf Bewertungen. Er beschreibt das Leben und Sterben der Soldaten und überlässt es dem Zuhörer, eigene Schlüsse daraus zu ziehen. So verliert er auch kein Wort über den illegalen Charakter der Bundeswehreinsätze. Der Track soll den Hörer dazu anhalten, die Absurdität des Krieges und seiner Folgen selbst zu entlarven. Denn am Ende steht die Frage, wozu diese Kriegseinsätze gut gewesen sein sollen. Wofür hat die Bundeswehr sich angeblich eingesetzt?

Im Refrain wird die ursprüngliche, aber nur nach Außen hin scheinende Idylle der Familie skizziert, die nach und nach zerfällt.

„Da steht ein Haus am Meer, ein kleines Haus am Meer /
Mit Mutter, Vater und zwei Söhn‘ und sie liebt sie sehr /
Und einem Labrador und ei‘m Familienwagen /
Und in der Küche sieht man Mutter warten /“

Und mit der Vernichtung der Familienidylle bleibt neben den drei Kreuzorden nur das absolute Nichts. Weder hat der Vater am persischen Golf, noch haben die Söhne in Afghanistan in irgendeiner Weise zu einer besseren Welt beigetragen und dennoch ihr Leben gelassen.

Und auch das beschriebene Deutschland, das vorgeblich in anderen Erdteilen Freiheit und Demokratie bringen soll, hat Probleme vor der eigenen Haustür. Am Ende stirbt der jüngste Sohn bei dem Versuch, einen dunkelhäutigen Mitbürger vor Neonazi-Angriffen zu schützen. Ist das dieses Deutschland, für welches die Mutter die Kreuze erhält?

Verstummende Friedensnoten

Zehn Jahre nach dem Erscheinen von „Drei Kreuze für Deutschland“ war die Frage nach dem Sinn des „Einsatzes“ aktueller denn je, als sich der Westen 2021 fluchtartig aus Afghanistan zurückzog. In langen Instagram-Storys äußerte sich Pi ausführlich zu 20 Jahren Afghanistan-Einsatz. Die größtenteils lesenswerte Insta-Story entbehrt dabei nicht äußerst bizarrer Äußerungen zu Corona und Klimawandel, womit wir zu Prinz Pis schleichender Anbiederung an den Mainstream und der damit einhergehenden Selbstverleugnung kommen.

Bestand früher ein nicht unwesentlicher Teil seiner Musik aus dem, was heute als „Verschwörungsideologie“ und „Schwurbelei“ verschrien und gecancelt würde, ist Pi mittlerweile berechenbar geworden und bewegt sich seit Jahren nun schon im radiotauglichen Fahrwasser. Freilich war die frühere Systemkritik von Prinz Pi / Porno maßlos überspitzt, aber genau mit dieser Überspitzung vermochte er es, reale Missstände und machtpolitische Verstrickungen aufzuzeigen. Doch mittlerweile ist der Rapper mit dem bürgerlichen Namen Friedrich Kautz in Sachen Ideologiekritik ein zahnloser Tiger geworden. Und mit dieser Anbiederung gab er leider auch seine pazifistischen oder zumindest kriegskritischen Positionen auf.

Als der acht Jahre währende Bürgerkrieg in der Ukraine im Februar 2022 in den Ukraine-Russland-Krieg überging, postete er ein etwas verstörendes Video auf Instagram, in welchem er seine Community dazu aufrief, an Hilfsorganisationen für die Ukraine zu spenden — dagegen spricht natürlich nichts — oder durch Postings auf Social Media darauf aufmerksam zu machen, dass in diesem Land ein Krieg herrscht. Was aber dabei herauskommt, wenn Menschen ohne geopolitisch-historisches Hintergrundwissen ihren Senf zur aktuellen Lage geben, können wir auf Twitter bestaunen. Darüber hinaus echauffierte er sich, dass in Deutschland die Menschen in den letzten zwei Jahren nur für irgendwelche „wirren Verschwörungstheorien“ — das versteht der Prinz wohl unter den Grundrechten — auf die Straße gehen würden und ja im Gegensatz zu Demonstranten in Russland nicht verprügelt und verhaftet würden. Blanker Hohn für alle Menschen der Demokratiebewegung, denen das in Deutschland widerfahren ist.

Einige Wochen später schoss Pi den Vogel ab, mit einer Reihe haarsträubender Insta-Storys. Leider wurden diese nicht als „Highlight“ abgespeichert, sie können hier nicht verlinkt und nur aus dem Gedächtnisprotokoll wiedergegeben werden. Anlass war der offene Brief mehrerer Intellektueller an Kanzler Scholz, in dem sie dessen Zaudern bei Waffenlieferungen an die Ukraine loben und darüber hinaus appellieren, auch weiterhin kein schweres Waffengerät in das Kriegsgebiet zu schicken.

Prinz Pi zeigte sich angesichts dieser — für jeden Pazifisten logischen — Forderung fassungslos. In geradezu infantilen Argumentationsketten, die man als langjähriger Hörer seiner Musik so nicht kennt und erwartet hätte, verglich Pi die Ukraine mit einem Jungen auf dem Schulhof, der vom großen starken Schulhofschläger Russland drangsaliert werde.

Ein Unterlassen von Waffenlieferungen würde demnach bedeuten, die schwache, unschuldige Ukraine im Stich zu lassen. Außerdem würde Putin sich veranlasst sehen, sofern die Ukraine sich nicht verteidigen könne, weitere Länder in Europa zu überfallen. Die Gefahr eines Atomkrieges sei für den Prinzen kein Grund, die Waffenlieferungen zu verweigern. Geopolitische und historische Hintergründe ließ Pi in ungewohnter Weise entweder ganz aus oder bagatellisierte sie. Die Ungeheuerlichkeit der NATO-Osterweiterung bezeichnete er verniedlichend als „nicht so cool“.

Angesichts dieses Instagram-Ergusses wirken alte, kriegskritische Friedensnoten wie „Teufel im Schafspelz“, „Die Bomben schlafen“, „Krieg @Home“ oder „Schornsteine“ wie vergessen, als kämen sie aus einer anderen Feder.

Prinz Pi ist hierbei leider kein Einzelfall. Beispielsweise verstörte im Juni der „Tote Hosen“-Punksänger Campino mit einer Aussage, dass er unter den heutigen Umständen den Wehrdienst nicht verweigern würde. Auch zahlreiche andere Künstler waren sich nicht zu schade, auf „Friedensdemos“ zu spielen, auf denen Waffenlieferungen gefordert wurden.

Wie lässt es sich erklären, dass vormals ehrbare Künstler ihre Werte vergessen zu scheinen, ihren Pazifismus in Zeiten verleugnen, da die Kriegstrommeln laut werden? Was entkoppelt sie von ihrer früheren Genialität und im Besonderen von ihrer Authentizität, von ihrer Treue gegenüber sich selbst und ihren Werten?

Eine mögliche Antwort könnte uns ein Aufsatz von José Ortega y Gasset über Goethe liefern. In „Um einen Goethe von innen bittend“ stellt Ortega y Gasset die These auf, dass jeder Mensch zu einer Aufgabe, zu einem bestimmten Sein berufen wäre. Und Zeit seines Daseins befinde sich der Mensch in einem steten Ringen mit der ihn umgebenden Welt, die ihn mit ihren materiellen Mängeln und Nöten, den Normen und den Wertevorstellungen, wie man zu sein hat, davon abhalte, seiner Berufung den Widerständen zum Trotz nachzugehen. Eben dieses Ringen sei es, woran der Mensch reife, wenn er sich selbst gegenüber treu bliebe und dafür die Entbehrungen in der äußeren Welt in Kauf nehme. Goethe hingegen sei in jungen Jahren — so schließt der spanische Philosoph — durch seine Einkehr in den wohlhabenden Hof von Karl August in Weimar von eben diesem Ringen mit der Umwelt abgeschottet worden, zum Preis des Selbstverrats und der Selbstaufgabe:

„Goethe nimmt die Einladung des Großherzogs Karl August an. Und nun möchte ich Sie bitten, sich ein Leben Goethes ohne Weimar vorzustellen — einen Goethe, eingesenkt in das Dasein des ehemaligen Deutschlands (…), einen Goethe, allen Unbilden preisgeben, ohne die Basis materieller — wirtschaftlicher und gesellschaftlicher — Sicherheit (…) kurz, das Gegenteil jenes Goethe, der mit fünfundzwanzig Jahren unter die sterile Glasglocke von Weimar gesetzt (…) wird. (…)

Wir können (…) die versteinernde Wirkung verfolgen, die Weimar auf ihn übt. Der Mensch erstarrt zur Statue. (…) Goethe beginnt, gegen den Sinn seiner Sendung zu leben, sich zu ‚entleben‘. (…) Goethe ist ein Feuer, das viel Holz braucht, aber in Weimar gibt es keinen Brennstoff, wie es keine Atmosphäre gibt (…). Goethe ist ein furchtbares Beispiel dafür, daß ein Mensch nur ein echtes Leben haben kann: das, wozu er berufen ist. Wenn seine Freiheit ihn verführt, sein unwiderrufliches Ich zu verleugnen und ihm ein anderes willkürliches unterzuschieben, (…) schleppt er ein gespenstisches, unbefriedigendes Dasein, ein Dasein zwischen — Dichtung und Wahrheit. Goethe hatte sich an eine derartige Lebensform schließlich so sehr gewöhnt, daß er die Wirklichkeit nicht mehr braucht (…).

Nichts lockert die tiefen Spannkräfte des Lebendigen so sehr wie allzu leichte Gelegenheiten. Etwas derart bedeutete in jener entscheidenden Epoche aber Weimar für Goethe. Weimar ermöglichte es ihm, sich in seiner Jugend zu verkapseln (…). Das Problem seiner Stellung in der Welt ist mit einem Schlag für ihn gelöst, ohne daß irgend etwas Bestimmtes von ihm verlangt wird. Goethe gewöhnt sich daran, auf dem Leben zu schwimmen — er vergißt, daß er ein Schiffbrüchiger ist“ (1).

Wir können hier stellenweise Parallelen zu Prinz Pi ziehen. Was Weimar für Goethe darstellte, ist für Pi gewissermaßen sein Angekommen-Sein im Mainstream. Chart-Erfolge, ausverkaufte Tourneen und Preise wie die 1 Live Krone brachten eine Veränderung mit sich, sodass Pi in seinen Texten mit jedem Album zahmer wurde. Gleichzeitig stieg mit dieser Entwicklung der Snobismus des Rappers, der ursprünglich aus weniger wohlhabenden Verhältnissen kam. So lebt er nun in einer schicken Designer-Wohnung, fährt teure Sportwägen und ist auch sonst nicht sparsam damit, seine Dekadenz auf Instagram zur Schau zu stellen.

Fairerweise muss man dazu sagen, dass Pi sich seinen Wohlstand selbst erarbeitete und nicht wie Goethe in einen wohlhabenden Hof eingeladen wurde. Doch der gemeinsame Nenner liegt in der Abschirmung vor den Stürmen des Lebens, zumindest was die materiellen Nöte anbelangt. Und aus der Abwesenheit dieser Not ergibt sich wiederum eine Wohlstandsfallhöhe. An dem neu gewonnenen Wohlstand, der auch die inneren Zweifel zu betäuben vermag, wird natürlich krampfhaft festgehalten. Da fällt es irgendwann nicht mehr so leicht, in diesem Milieu anzuecken und gegen den Strom zu schwimmen.

Die von Moralhysterie geschwängerte Grundstimmung der Gesellschaft und die immer aggressivere Cancel Culture tut ihr Übriges, um in den Reihen gut situierter Wohlstandskünstler aus dem Mainstream Konformität zu erzeugen.

So lässt es sich erklären, wie Musiker, die wir früher für ihre Haltung oder ihre Authentizität bewundert haben, heute in das Horn des Mainstreams blasen und sich vor den Karren jeder Agenda — ob nun Corona oder Ukrainekrieg — spannen lassen.

Wenn es um Krieg und Frieden geht, beißt sich hier die Schlange in den Schwanz. Denn ein Krieg frisst selbsterklärend diesen, die Schmerzen der Künstlerseele betäubenden Wohlstand auf, wenn das Gefecht sich geografisch ausbreitet.

Während wir also an dem gegenwärtigen Gebaren und dem Einknicken zahlreicher Künstler verzweifeln, können wir an den alten Werken festhalten, die Erinnerung an das frühere Schaffen wach- und damit den Künstlern immer eine Türe offenhalten, wenn sie sich eines Tages zurückbesinnen sollten.

 

 

Medienpartner

Nacktes Niveau (Paul Brandenburg), Punkt.preradovic, Kaiser TV,
Hinter den Schlagzeilen, Demokratischer Widerstand,
Eugen Zentner (Kulturzentner), rationalgalerie (Uli Gellermann), Protestnoten, Radio München (Eva Schmidt), Basta Berlin, Kontrafunk und Ständige Publikumskonferenz.

Weitere können folgen.

 

Ablauf

Samstag 9.7.2022 SONG Fortunate Son (Creedence Clearwater Revival)
TEXT Marcus Klöckner, Die Doppelmoral der Kriegsmacher — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 15.7.2022 SONG Redemption Song (Bob Marley)
TEXT Jens Fischer Rodrian, Botschafter für eine gerechte Welt — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 23.7.2022 SONG Friedensbewegung (Kilez More)
TEXT Eugen Zentner, Liebe und Leidenschaft — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 30.7.2022 SONG Es ist an der Zeit (Hannes Wader)
TEXT Roland Rottenfußer, Der wirkliche Feind — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 6.8.2022 SONG War — what is it good for? (Edwin Starr)
TEXT Lüül, Wozu ist Krieg gut? — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 13.8.2022 SONG Another brick in the wall (Pink Floyd)
TEXT Alexa Rodrian, Der Ziegel in der Wand — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 20.8.2022 SONG Anthem (Leonard Cohen)
TEXT Madita Hampe, Durch alles geht ein Riss — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 27.8.2022 SONG Feeding off the love of the land (Stevie Wonder)
TEXT Nina Maleika, Zurück zur Verbundenheit — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 03.9.2022 SONG Drei Kreuze für Deutschland (Prinz Pi)
TEXT Nicolas Riedl, Der Sog des Krieges — zur Aktion Friedensnoten

Die Reihe wird fortgesetzt.

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) Siehe Ortega y Gasset, José: „Um einen Goethe von innen bittend“, Bonn, 1982, Seite 38 bis 47.

 

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