Deutsche Landschaften

 In Politik (Inland), Umwelt/Natur

Der größte Problembär unter den Spezies ist zweifelsohne der Mensch. Er, der auf unserer Erdoberfläche wütet wie kein anderes Wesen vor ihm, sieht überall Schädlinge am Werk. Unzumutbar, dass Biber mal einen Baum anknabbern, der von Rechts wegen Menschen gehört. Schlimmer noch, wenn der Fuchs mal Gans stiehlt oder Wolf ein Schaf. Schuld sind immer die anderen (Spezies). Projektion nennt man so was. Ludwig Schumann berichtet aus seiner Heimat Sachsen-Anhalt von einem besonders dramatischen Fall. Das scheint es inzwischen mehr Wölfe zu geben als in den Weiten Sibiriens, und ganz dringend mahnen Politiker da an, was sie eigentlich immer anmahnen: mehr menschliche Kontrolle. Als könne man die Krankheit mit eben jenem Gift heilen, das sie ausgelöst hat. (Ludwig Schumann)

Möckern. Deutschlands viertgrößte Stadt, was die Fläche betrifft. Mit freilaufendem Wolfsrudel. Jeder, aber auch jeder Fahrradfahrer bzw. jede -rin kann von einer Begegnung mit so einem gefährlichen Tier erzählen. Es wimmelt von Wölfen in den aufgeregten Augen der von Jägern aufgehetzten Meute. Denn die befeuern die Abschussdiskussion. Der Wolf ist ein Konkurrent. Ist er das? Muss man die Fragen nicht anders stellen? Gäbe es ein so freudiges Wachstum der wieder nach Hause kommenden Wölfe, hätten die Jäger in ihrer Gehfaulheit und Schießgeilheit nicht die Wälder voller Rot- und Schwarzwild gestellt? Für die Wälder ist der Wildbestand längst eine Last. Der finale Räuber fehlte. Das Wild konnte sich bei bestem Nahrungsangebot – im Winter hilft man gern weiter und die Maisfelder sind ein, wenn auch ungesundes, Nahrungsparadies für die Wildschweine – über Jahrzehnte ungehindert vermehren. Die Entnahmen von Rot- und Schwarzwild sind für den Bestand viel zu wenig, also sollte man froh sein, dass Kollege Wolf wieder da ist. Wenn das Nahrungsangebot geringer wird, schmälert das auch die Nachwuchsfreudigkeit der Wölfe. Es wird sich einpendeln.

Was den Jägern nicht passt, was sie geradezu fuchsig macht, ist, dass es mit dem Kollegen Wolf an der Seite schwieriger wird, zu jagen. Nicht weil der Wolf so hohe Schäden macht, sondern weil das Wild sich in seiner Überlebensstrategie auf die Gefahr einstellt und scheuer wird. Es taucht in kleineren Stückzahlen auf. Ist beweglicher als früher. Eigentlich würde hier die Jagd wieder eine Jagd. Aber wer will das schon, wenn man bisher das Wild wie an der Fleischtheke bequem direkt vor Korn und Kimme gelaufen sah. So haben wir auch die Landschaften eingerichtet. Anstand neben Anstand. Nein, nicht gegenüber dem Menschen. Ich meine die Anstände an den Dorf- und Feldrändern. Die Wiesen und Felder sehen wieder sehr deutsch aus. Genauer gesagt altdeutsch. Spazierengehen im Konzentrationslager-Ambiente. Wachturm an Wachturm. Man muss das mögen.

Wie kommt der langsame Leser auf den Wolf? Nun, kürzlich bat die Landwirtschaftsministerin auf den Offenen Brief von 18 landwirtschaftlichen Verbänden, darunter auch den Jagdgenossenschaften Sachsen-Anhalts, hin zum Gespräch ins Landwirtschaftsministerium. Das Gespräch platzte nach zwei Minuten, weil die Ministerin auch Nichtunterzeichner des Briefes wie den Bauernverband und die Öko-Höfe eingeladen hatte. Die Wunschliste der Verbände bestand aus einem kräftigen Weiter-so-wie-bisher. Weniger Tierwohl. Keine Beschränkungen für die industrielle Agrarwirtschaft. Wölfe und Biber dem Jagdrecht anheimgeben etc. Herhalten müssen als Begründung immer die Schäfer, deren Herden Verluste hatten. Ja, das muss den Schäfern ersetzt werden. Über Sicherheitskonzepte, und zwar machbare, muss nachgedacht werden. Da muss man halt mit den Experten reden, mit den Ländern Kontakt aufnehmen, die seit jeher mit dem Wolf leben. Und der Biber kann nur dort Deiche durchlöchern, wo sie zu dicht am Fluss liegen.

Die deutsche Lösung sieht anders aus: Deutsches Denken reicht bis Abschuss. Übrigens, von all den Dorfbewohnern, die per Rad an jeder Ecke einen Wolf sahen, ist noch keiner gerissen worden. Ich gehe mit meinen Hunden dort spazieren. Noch nicht einmal haben sie mir angezeigt, dass es hier eine Bedrohung gäbe. Nicht der Wolf ist die Gefahr, wir, unter dem Rotkäppchensyndrom leidend, sind für den Wolf die Gefahr. Befeuert wird all das von den Jägern, die natürlich das Tierwohl im Auge haben. Na, ich sehe da eher einen großen Splitter.

Was das Ganze aber nun so interessant macht: Es gibt eine Regierungskoalition, die rein kräftehalber aus drei demokratischen Parteien besteht. Frau Dalbert sitzt im Kabinett als bestallte Umwelt- und Landwirtschaftsministerin. Die rebellierenden Landleute sind die wichtigste Wählerklientel der CDU. Das Gespräch im Ministerium nach zwei Minuten platzen zu lassen, muss man wollen. Mit anderen Worten, es war Teil eines Putschs. Der Ministerpräsident spielt das Spiel mit und packt sich die Angelegenheit auf den eigenen Schreibtisch. Eigentlich wäre das der Moment gewesen, in dem die Koalition hätte platzen müssen.
Nun macht der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion einen ersten Vorstoß. Das politische Bauernopfer heißt „Wolf“. Nach Detlef Radkes Vorstellungen gehört der Wolf nun ins Jagdrecht. Der Wolf gehöre „in die aktive Kontrolle der Jägerschaft“. Was heißt, er soll seinem Todfeind als Spielgefährte dienen. Der Altmärker Abgeordnete Carsten Borchert bezeichnet gar die Wiederkehr des Wolfes „als riesigen Feldversuch. Deutschland sei ein dichtbesiedeltes Industrieland mit urbanen Kulturlandschaften.“

Ich sehe sie vor mir, die Millionenstädte in der Altmark, umgeben von den riesigen Zechen und Stahlwerken, die den Sand der Altmark zu Müllsortieranlagen formen. Oder den Fläming: Klar, Möckern ist die viertgrößte Stadt der Bundesrepublik, weil nur alle 10 km ein Dorf kommt. Aber wenn man auf diese Weise Schritt auf Schritt noch mehr Natur abbauen will, wenn man in weiteren Bereichen immer noch auf den Irrweg des agrarindustriellen Blocks zählen will, also vollständige Aufhebung des Tierschutzes für die Nutztierarten, ungebremste Gülleentsorgung in unseren Landschaften mit Güllewerten, die längst die Horrorwerte, die es während der DDR-Landwirtschaft in der Börde gegeben hat, überschreiten (lt. Spiegel 11/2017 526 mg Nitrat pro Liter Grundwasser in der Altmark), setzt auf ein dem Untergang geweihtes Irrtums-Modell des vorigen Jahrhunderts.

Das muss sich die Landesregierung überlegen, weil sie spätestens 2021 dann mit den neuen EU-Richtlinien überquer liegen wird – es ist also auch im Sinne der Landwirte kein Zukunftsmodell, was ihre Verbände da mit der ihnen eigenen Sturheit durchboxen wollen. Meine Großmutter hat mir seinerzeit auf den Weg gegeben: Wenn dir der Arzt ein Rezept von gestern mitgeben will, such dir einen anderen Arzt. Ich glaube, da wären die Landwirte gut beraten. Die neue Zeit leuchtet anders als die alte. Und zu der gehört auch, dass wir unsere Landschaften wieder teilen müssen. Auch mit dem Wolf. Haben Sie kein Mitleid mit den Jägern. Die sollen sich ruhig wieder bewegen, wenn sie ein Wild schießen wollen.

Und, unbedingt auf die EU-Seite gehen und dort für eine neue Landwirtschaft stimmen: Dem EU-Agrarkommissar Phil Hogan ist es ernst. Einem Iren kann man da auch trauen. Die sind stur: http://ec.europa.eu/eusurvey/runner/FutureCAP?surveylanguage=DE

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