Die Gewaltkultur

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik

Die verstörenden Verbrechen der letzten Zeit haben ihre Wurzeln in einer verbreiteten Machtideologie und gewalttätigen „Vorbildern“. In den letzten Monaten berichteten die Medien nicht nur über schreckliche Gewaltverbrechen kriegführender Staaten, sondern auch über Kapitalverbrechen ganz „normaler“ deutscher und ausländischer Bürger. Kriminologen, Psychologen und auch Laien fragen sich: Woher kommt die Gewalttätigkeit? Ist sie Ausdruck der menschlichen Natur, notwendige Äußerung der menschlichen Wesensbeschaffenheit oder Produkt geschichtlicher und kultureller Bedingungen? Wird es möglich sein, der Gewalt Herr zu werden, sie auszuschalten aus den Beziehungen der Einzelnen und der Gemeinschaften? Zu einer zufriedenstellenden Antwort kommen Experten wie auch Laien selten. Im Folgenden versucht der Autor, sich der Beantwortung dieser für den Erhalt unserer Kultur relevanten Fragestellungen anzunähern.  Rudolf Hänsel

Schwere Gewalttaten Einzelner führen zu einem Klima der Angst

Man reibt sich verwundert die Augen und fragt sich, wie ist das möglich: eine Gruppe von 11 Jungen — zum Teil noch Kinder — setzen ein 18-jähriges Mädchen unter Drogen, vergewaltigen es und lassen es anschließend in einem Gebüsch liegen; ein 14-jähriger Sohn ersticht seine Mutter mit einem Küchenmesser; auf einem Campingplatz werden jahrelang Kinder sexuell missbraucht; eine deutsche Wissenschaftlerin wird auf einer Urlaubsinsel von einem Familienvater mit dem Auto angefahren und verletzt, dann vergewaltigt und schließlich in einer abgelegenen Höhle halbtot „entsorgt“; ein anderer Familienvater stößt einen 8-jährigen Jungen und dessen Mutter in einem Bahnhof vor einen einfahrenden Zug. Der Junge stirbt. Einige Tage später wird ein Mann auf offener Straße hingerichtet.

Die Liste der Gräueltaten ließe sich endlos fortsetzen.

Nicht nur in Deutschland macht sich inzwischen ein Klima der Angst breit und das Sicherheitsempfinden ist empfindlich gestört. Diese Kapitalverbrechen machen den Bürgern mehr Angst als die Bedrohung durch Kriege oder atomare Auslöschung.

Haben die Täter einen Migrationshintergrund, wird deren Abschiebung gefordert, die deutsche Migrationspolitik verflucht, und der Hass auf Ausländer nimmt neue Fahrt auf. Berechtigt oder auch nicht. Die deutsche Gesellschaft ist in dieser Frage inzwischen tief gespalten, was sie in einem veränderten Wahlverhalten zum Ausdruck bringt.

Immer wieder stellt sich die Frage: Welche Motive haben die Täter und wer ist schuld? Sind Teile unserer männlichen Jugend wegen gravierender Erziehungsdefizite und/oder destruktiver gesellschaftlicher Einflüsse inzwischen so verwahrlost, dass sie vor keiner Schandtat mehr zurückschrecken?

Rächen sich männliche Täter aus Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten möglicherweise an weißen Europäern für den erbarmungslosen Kolonialismus vergangener Jahrhunderte und den vielfachen Völkermord der letzten Jahrzehnte? Oder werden sie eher von religiösen Führern ihrer islamischen Heimatländer zu den Gräueltaten angestachelt? Sind diejenigen, die an dem laufenden „Bevölkerungsaustausch in Europa“ — so Hermann H. Mitterer — teilnehmen, eventuell gar nicht interessiert an einer Integration in unseren Kulturkreis? Haben sie ganz andere Ziele oder Aufträge? Fragen über Fragen.

Schließlich werden als weitere Ursachen für kriminelles Verhalten traumatisierende Kriegserlebnisse, unbehandelte Neurosen, schwere psychiatrische Erkrankungen sowie Tabletten-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch genannt, bei kriminellen Islamisten deren Menschen-, Frauen- und Weltbild. Verschwörungstheoretiker meinen gar, dass schwere Verbrechen und Attentate False-Flag-Operations dunkler Mächte seien; die Geheimdienste CIA, MI6, Mossad und die Nordatlantische Terrororganisation NATO haben demnach überall ihre dreckigen Finger im Spiel.

Der Ursprung des Bösen liegt nicht in der menschlichen Natur

Menschen haben die Möglichkeit der Wahl, die Möglichkeit des Guten und Bösen. Auch wenn Menschen sich immer wieder für das Böse entscheiden, bleibt es unumstößliche Tatsache, dass der Mensch von Natur aus gut ist und nicht gewalttätig. Dies ist die Erkenntnis der psychologischen Wissenschaft. Die Natur des Menschen ist friedlich; ein Großteil der Menschheit liebt es, seiner Arbeit nachzugehen, den Acker zu bestellen und in Freundschaft mit den Nachbarn zu leben.

Doch das Individuum wird durch die Gesellschaft geprägt, so zum Beispiel Erich Fromm. Und unsere Gesellschaft hat fatalerweise eine Gewalt- und Kriegskultur hervorgebracht. Macht- und Herrschaftsstreben in Wirtschaft und Politik treiben uns immer wieder in Katastrophen hinein. Die Ideologie der Macht, dieser fürchterliche Irrtum des Menschengeschlechtes, durchdringt die Atmosphäre unserer Kultur, und die allseitige Infektion durch den Bazillus der Machtgier muss immer wieder zu jenen epidemischen Äußerungen wie Krieg und Terror führen, die Millionen von Menschen dahinraffen wie die Pest des Mittelalters.

Der Weg des Einzelnen in einer gewalttätigen Kultur gerät deshalb unweigerlich in den Einflussbereich dieses Macht- und Herrschaftsstrebens.

Alle Vorbilder und Ideale, unter denen das Kind unserer Kulturkreise aufwächst, sind vom Machtwillen gefärbt. Der Drang des Menschen nach Selbstvervollkommnung nimmt so unwillkürlich die Leitlinie der Machtgier an: groß sein, mächtig sein wird zum Ziel, das sich die Schwäche setzt, um stark zu werden.

Das Blendwerk der Gewalt ergreift von der Seele des Einzelnen bereits zu einem Zeitpunkt Besitz, wo er noch weder über bewusste Einsicht, noch über ein ausgebildetes Gerechtigkeitsgefühl verfügt.

Auch das Hinüberwachsen der Jugendlichen von der Pubertät ins Erwachsenenalter ist von dieser Gewalt- und Kriegskultur durchtränkt: Die Jugendmusikszene — namentlich die Hip-Hop-Szene — glorifiziert das kriminelle Leben der Straßenbanden, gewaltverherrlichende Video- und Computerspiele bereiten die Jungen auf den Krieg vor und die Pornografisierung des Alltags führt zur sexuellen Enthemmung und Liebesunfähigkeit.

Der renommierte US-amerikanische Psychologe Philip Zimbardo ist davon überzeugt, dass wir alle in bestimmten Situationen — nicht nur im Krieg — zu Gewalttätern und Mördern werden. In seinem Buch „Der Luzifer-Effekt. Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen“ (Heidelberg 2008; Klappentext) vertritt er die These:

„Nicht die Veranlagung bringt gute Menschen dazu, Böses zu tun, sondern die Situation, in der sie sich befinden oder in die man sie versetzt. Die Macht der Umstände schafft Täter und Opfer, und in oft diffusen Verantwortungsgeflechten verlieren moralische Maßstäbe allzu leicht ihr Fundament.“

Wir sind immer mitschuldig — selbst dann, wenn wir Opfer sind!

Wenn wir in einer Welt leben, in der Krieg und Verbrechen an der Tagesordnung sind, sind wir dann nicht auch Mörder und Verbrecher? Denn die Welt ist so, wie wir sie eingerichtet oder — in Bezug auf bereits bestehende Verhältnisse — geduldet haben. Keiner kann sich der Verantwortung entziehen! Wir sind immer mitschuldig — selbst dann, wenn wir Opfer sind.

Tausendfaches Unrecht geschieht, nicht nur ‚hinten in der Türkei‘, sondern in unserer nächsten Nähe, aber wir empören uns nicht, wir verteidigen nicht die Schwachen und helfen nicht dem Hilflosen. Und indem wir nicht gegen sie kämpfen, billigen wir die Gewalttätigkeit, in der fragwürdigen Meinung, sie werde uns verschonen. Im Augenblick dann, wo sie über uns selbst hereinbricht, ist es gewöhnlich zu spät, sie einzudämmen. Die Krankheit, die wir am Anderen nicht zu heilen unternommen haben, rafft uns selbst hinweg.

Gemeinsinn als leitende Idee

Der Abbau der Machtgier und des Gewaltstrebens ist deshalb kein Postulat von Moralpredigern: er ist die schlichte Notwendigkeit des gemeinschaftlichen Lebens. Man kann die Mahnrufe des menschlichen Gemeinschaftsgefühls wohl unterdrücken; gänzlich ausmerzen kann man sie nie, denn das Geschenk der Evolution besteht im sittlichen Bewusstsein des Einzelnen, in der Einsicht in die Verantwortung aller gegenüber allen.

Unsere Aufgabe für die Zukunft scheint deshalb vor allem die Pflege und Verstärkung der Gemeinschaftsgefühle zu sein. Kein Mittel darf uns zu gering sein, keine Anstrengung zu mühsam, um Menschen besser in das soziale Gefüge einzuordnen, sie zu lehren, dass Gewalt und Machtgier nur ins Verhängnis führen können.

Aus der Einsicht um die Zusammengehörigkeit aller, die Menschenantlitz tragen, erwuchsen die Lehren der sittlichen Führer der Menschheit, die Weisheit des Laotse, das Gebot der Nächstenliebe und die unzähligen Formen des gesellschaftlichen Lebens und Verhaltens, in denen der Gemeinsinn zum Ausdruck kommt.

Unter uns Menschen spielen soziale Gefühle und gemeinschaftliche Verbundenheit ganz gewiss eine ebenso große Rolle wie der Wille zur Macht und der Eigennutz, denn der Mensch ist zur Hingabe und Selbstaufopferung fähig. Alle unsere Bestrebungen in der Welt und der Wissenschaft sollten das Leitmotiv haben, in Zukunft einen Menschentypus hervorzubringen, für den — wie es Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie formulierte — Gemeinschaftsgefühl und mitmenschliche Verbundenheit ebenso selbstverständlich sind wie das Atmen.

 

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuvor erschienen ist.

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