«Du und ich» – Abschiedsgedicht für ein Schwein

 In Daniela Böhm, Umwelt/Natur

Eine Kerze aufstellen für ein leidendes oder gerade verstorbenes Schwein? Wie viele müssten das sein, und gibt es dafür überhaupt genügend Kerzen im Handel? So “hilflos” die Geste unserer Autorin Daniela Böhm auch wirken mag – man nähert sich dem grauenhaften “Ganzen” immer, indem man einen Einzelfall aufmerksam und mitfühlend betrachtet. Wie in diesem Gedicht, das von der letzten Nacht im Leben eines Wesens handelt, das uns gar nicht so unähnlich ist wie es schein – und das eigentlich nie richtig leben durfte. (Daniela Böhm, Erstveröffentlichung auf http://www.fellbeisser.net)

Abends brennt ein Licht für dich.
Ich weiß, was diese Nacht für dich bedeutet.
Sie wird kurz sein, deine Nacht, und doch
so lange und qualvoll, wie keine zuvor.
Wenn ich die Kerze für dich anzünde,
bist du schon auf dem Weg zu jenem dunklen Ort,
an dem der Tod mit seinen blutigen Händen wartet.
Wenn dein schaukelndes Gefängnis zum Stehen kommt,
wirst du es ahnen.
Und wenn dich die barschen Rufe und Stöcke aus ihm heraustreiben,
wirst du es fühlend wissen.

Ich streichle meinen Hund und denke an dich.
Bist du schon in jenem Raum,
den sie Ruheraum nennen?
Zusammengepfercht mit den anderen,
die du nicht kennst, aber mit denen du das gleiche Schicksal teilst.
Wer hat dich je gestreichelt?
Ein liebevolles Wort gesagt?
Wer hat das Wunder des Lebens in dir gesehen?
Jenes Wunder, das sich auch jetzt noch in
in deinen angsterfüllten Augen spiegelt.
An einem Ort, an dem der Tod dieses Wunder tausendfach entreißt.

Was, wenn es mein letzter Tag wäre?
Ich könnte noch einmal über die Wiesen laufen
und die Schönheit dieser Erde bewundern.
Ich könnte dankbar auf mein Leben zurückblicken –
aber du …?
Worauf blickst du zurück?
Wofür könntest du dankbar sein?
Für ein Leben voller Qual, Enge und Langeweile?
Ein kurzes Leben, das keines war?
Von dem du nur eine flüchtige Ahnung hattest,
als der Wind den verheißungsvollen Duft
von Freiheit durch die kleinen Öffnungen jenes Gefährts trug,
das dich deinem besiegelten Schicksal entgegenfuhr.

Du und ich …
wir sind nicht so verschieden.
Der Wunsch nach einem glücklichen Leben
und dieser Lebensfunke, der allen Wesen innewohnt,
ist das unsichtbare Band, welches uns verbindet.
Nur unsere Form ist eine andere, unsere Ausdrucksweise,
unsere Sprache, unsere Vorlieben und Abneigungen.
Und der Verstand, dessen sich die Menschen so gerne rühmen
– mit dem sie trennen, unterscheiden, verurteilen
und richten.
Auch dich, der du zum Tode verurteilt bist,
weil du anders bist und aussiehst, als sie.
Deine Richter haben die Waffen geschmiedet
und den Teufel erfunden,
und verstehen dabei noch immer nicht,
dass sie die Hölle auf Erden erschaffen.
Kein Gott oder Teufel ist für irgendetwas verantwortlich.

Was kann ich anderes tun, als dir einen schnellen und gnädigen Tod zu wünschen,
und dir zu sagen, dass es Menschen gibt, denen du nicht gleichgültig bist?
Die sich für dich einsetzen und versuchen, andere davon zu überzeugen,
dass jedes Leben kostbar ist, auch das deine.
In Gedanken schicke ich dir ein Licht der Liebe,
und ein Regenbogenherz, das für dich leuchtet und deine Angst lindert.
Doch ich weiß, es ist nur ein verzweifelter und und kindlicher Wunsch,
dass es dich auf deinem dunklen Weg erreicht.
Es ist spät in der Nacht, bevor ich mich schlafen lege,
und ich denke für heute ein letztes Mal an dich.
Du und ich …
Ich darf weiterleben, weil ich ein „Mensch“ bin.
Das ist nicht gerecht.
Denn dich und mich eint das Band des Lebens.

In Gedenken an die getöteten Schweine im Münchner Schlachthof, denen ihr Leben tief in der Nacht entrissen wird. Während München schläft, findet an diesem Ort, mitten in der Stadt, ein unsagbares Grauen statt.
R.I.P all ihr unschuldigen Seelen.

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