Easy Dying – etwas Besseres als das Leben finden wir überall

 In Kurzgeschichte/Satire, Roland Rottenfußer
Romantisch sterben wie Tristan und Isolde - auch das ist organisierbar mit "Easy Dying"

Romantisch streben wie Tristan und Isolde – auch das ist organisierbar mit „Easy Dying“

„Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“, beschließen die Tiere im Märchen von den „Bremer Stadtmusikanten“. Stimmt das wirklich? Die Erkenntnisse der Sterbeforscher wie Raymond Moody oder Elisabeth Kübler-Ross legen ganz andere Schlussfolgerungen nahe: Licht am Ende des Tunnels, Lichtwesen und die Erfahrung grenzenloser Liebe erwarten uns jenseits der Schwelle. Warum also so lange warten, bis sich der Tod von selbst einstellt? „Wo das Leben zunehmend als feindselig erlebt wird, erscheint der Tod oft als einziger Freund“, sagt der professionelle Sterbehelfer Zerberus Zausel. Und er setzt sein humanes und obendrein kostensparendes Projekt mit ein bisschen Schützenhilfe der öffentlichen Kassen tatkräftig um. Die Novalis Klinik für Positive Sterbegestaltung verknüpft das ökonomisch Notwendige mit dem spirituell Wünschenswerten. (Satire von Roland Rottenfußer)

Der dämmernde Himmel über den Klippen von Cornwall war von einem rötlichen Leuchten entzündet. Durch das offene Fenster sah man, wie der Küstenwind in das saftig-grüne Gras fuhr, während sich das schäumende Meer in weißen Gischtspritzern an den Felsen brach … Von irgendwo sang eine weibliche Opernstimme, langsam und schleppend wie in Zeitlupe und doch unendlich süß, gesättigt von weichen Harmonien, die schmerzlich klangen und begehrend zugleich: „Wir sind durch Not und Freude gegangen Hand in Hand. Vom Wandern ruhen wir beide nun überm stillen Land …“

Der Sterbende lag in einem Holzbett mit weichen Kissen, das sich organisch in das gemütliche Interieur eines Zimmers im englischen Landhausstil einfügte. Vor ihm auf einem Stuhl saß eine wunderschöne Frau im verspielten Laura-Ashley-Kleid, das offene kastanienbraune Haar nur von einem blassgelben Bändchen in Zaum gehalten. Sie hielt die Hand des Sterbenden, zu dem sie mit unendlich sanftem und gütigem Blick aus ihren großen träumerischen Augen hinsah.

„Die Liebe ist stärker als der Tod“, sagte die Frau. „Unser Körper mag vergehen, die Liebe jedoch vergeht nie. Sie war, bevor wir waren, und sie wird sein, wenn wir nicht mehr sind. In unserer Liebe leben auch wir weiter – in Ewigkeit.“

„Und doch werde ich dort, wo ich jetzt hingehe, nicht mehr in diese Augen schauen können, die ich so geliebt habe, nicht mehr diesen Mund küssen …“, sagte der Sterbende.

Letzter Liebesdienst

„Noch etwas Sedativum“, sprach mein Begleiter, Zerberus Zausel, ins Mikrofon. „Der Patient ist zu aufgewühlt.“ Neben Zausel sitzend, konnte ich die Sterbeszene durch den Monitor live mitverfolgen. Offenbar wurden seine Anweisungen von einem Techniker am anderen Ende der Leitung genauestens ausgeführt. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Arm des Sterbenden mit Kanülen an ein Infusionsgerät angeschlossen war. Ein Display zeigte uns seine Lebensfunktionen in flacher werdenden Zacken an.

„Du stirbst in Gottes Liebe hinein, mein Liebling. Sie bedeutet mehr als Leben, gesteigertes Leben“, beruhigte die Frau den Ermatteten.

„Und doch würde ich eine Ewigkeit in Gottes Liebe gern eintauschen gegen nur einen einzigen Augenblick deiner Liebe“, erwiderte der Sterbende mit immer schwächer werdender Stimme. „Oh bitte, lieb mich … noch einmal“, hauchte er.

„Das Instant-Aphrodisiakum“, befahl mein Begleiter ins Mikrofon. Auf dem Display schoss die Lebenslinie des Sterbenden noch einmal in die Höhe. Die Frau beugte sich mit ihrem Gesicht zum Unterleib des Mannes hinunter, tauchte unter die Decke, und der Beobachter konnte ahnen, wie sie dem mit pharmazeutischer Nachhilfe noch einmal unverhofft erstarkten Geschlecht des Sterbenden eine letzte lustvolle Entladung abrang.

„Ist dies etwa der Tod?“

„Oh weiter, stiller Friede, so tief im Abendrot …“, sang die Opernstimme, und das Orchester leuchtete in dunklen Farben sterbensreifer Schönheit. Die Frau war wieder aufgetaucht und zwinkerte uns für einen Augenblick durch die Kamera an. Dann wandte sie sich wieder dem Mann zu.

„Wie bin ich wandermüüüde …“ erklang es nun, provozierend langsam und schwelgerisch. „Ist dies etwas – DER TOD???“

„Todesspritze!“ sprach mein Begleiter sachlich ins Mikrofon. Die Streicherklänge verdichteten sich zu einer Phrase namenlosen Verlangens. Der Sterbende bäumte sich noch einmal auf und umfasste mit einem letzten Krampf die Hand der Schönen. Dann sackte er zusammen.

Die flache Linie auf dem Display zeigte das Aussetzen seiner Lebensfunktionen an. Im Augenwinkel meines Begleiters stand eine Träne, die er sich verstohlen mit dem Hemdsärmel wegwischte. „Wunderbar, Judith“, sprach er in sein Mikrofon. „Obwohl ich schon so oft dabei war, berührt es mich jedes Mal neu!“

Judith bedankte sich mit einem leisen Nicken, lächelte versonnen und warf Zerberus Zausel einen etwas spöttischen Blick ihrer großen, melancholischen Augen zu. Dann verließ sie das Thanatodrom. Dort, wo das Fenster gewesen war, sah man statt der Klippen Cornwalls nun eine weiße Wand. Das weiche Dämmerlicht war einer grellen, nüchternen Neonbeleuchtung gewichen. Die Musik war nach einem letzten schwelgerischen Aufbäumen verebbt. Der Tote lag noch immer mit selig entrücktem Lächeln auf seinem Bett.

Die Große-Liebe-Darstellerin

Zerberus Zausel war der leitende E.M., der Extinction Manager der Novalis Klinik für positive Sterbegestaltung (NKPS). Der Beobachtungsraum, von dem aus wir alles verfolgt hatten, lag unmittelbar neben dem Thanatodrom, dem zentralen Sterbezimmer der NKPS. Als erster Journalist überhaupt hatte ich die Erlaubnis bekommen, als Beobachter einer Sterbeinszenierung beizuwohnen. In diesem Fall war ich Zeuge der letzten Stunde im Leben des 38jährigen Dethlef Wehsal gewesen.

„Sie ist wunderbar, nicht?“, wandet sich Zausel an mich, während wir vom Thanatodrom durch einen langen Gang in sein Arbeitszimmer wanderten. Noch immer lag kaum verhohlene Rührung auf seinem Gesicht. „Judith ist unsere absolute Top-Kraft auf dem R.L.Sektor.“

„R.L.?“

„Romantische Liebe“, ergänzte Zausel. „Wir haben außerdem S.D. (Sexuelle Dienstleistung), S.P. (Spirituelle Begleitung), Verköstigung, Musik und noch einige andere Abteilung, alle mit absoluten Experten ihres Faches bestückt. Bei Novalis dürfen die Patienten das Ambiente ihres Sterbezimmers, die Musikuntermalung und natürlich die Begleitperson frei wählen und sogar das Drehbuch für ihre Sterbeszene selbst schreiben. Nun, wie Sie sehen konnten: Herr Wehsal ist ein Romantiker.“ Zausel sagte das mit einem süffisanten Lächeln, so als spräche er von einer schwerwiegenden Geisteskrankheit.

„Ist es nicht traurig, dass man diesen Menschen die große Liebe vorspielen muss?“, warf ich ein.

„Traurig? Haben Sie nicht das Glück auf seinen Gesichtszügen gesehen? Schauen Sie, nirgendwo klaffen Angebot und Nachfrage so weit auseinander wie bei der Großen Liebe. In diese Marktlücke stoßen wir mit unseren Große-Liebe-Darstellerinnen. Judith ist beileibe nicht die einzige Frau, die Liebe nur spielt, sie ist nur eine der professionellsten.“

Des Todes PR-Berater

Wir waren inzwischen in Zausels funktional eingerichtetem Arbeitszimmer angekommen und blickten durch das Fenster auf eine von grauen, wabenartigen Wohnblöcken dominierte Stadtlandschaft. Als ob er meine Skepsis spüren würde, brachte Zausel selbst das Gespräch auf das brisante Thema: „An Wehsals Beispiel sehen Sie, wie unberechtigt all die Vorwürfe der Presse sind – von wegen wir würden Euthanasie betreiben, wie im Dritten Reich. Es ist keinesfalls so, dass wir nur Schwerkranke in den Tod begleiten. In mehr als 60% der Fälle sind es soziale und psychische Indikationen. Hoffnungslos überschuldet z.B. oder chronischer Liebeskummer. Herrn Wehsal repräsentiert einen Kliententypus, den leider immer häufiger betreuen müssen: den chronischen Minderleister, der lange auf Kosten der Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen gelebt hat. Wegen seiner Depression ist er ein Jahr lang bei jedem 0-Euro-Job rausgeflogen, das ihm das Amt in seiner grenzenlosen Langmut vermittelt hat. Es mag Ihnen vielleicht hart vorkommen, aber urteilen Sie doch selbst: Was soll die Gesellschaft denn anderes mit solchen Personen anfangen? Das ist doch nur nur eine Quälerei, so ein Leben. Er fällt dem Amt auf die Nerven und das Amt ihm, und dem Staat fehlt es hinten und vorn an Geld – z.B. für die längst überfälige Anschaffung der neuen Steel Fighter Bomber. So ein Sterberitual, das kostet das Staatssäckel drei Monatsraten Stütze einschließlich der Begräbniskonsten. Das ist nicht wenig, aber dann ist auch Schluss mit den Ausgaben.

Man muss der Wahrheit ins Auge schauen: Wie es „Failed States“ gibt, gescheiterte Staaten, gibt es auch „Failed Persons“, Menschen, die sich – ob gewollt oder ungewollt – unrettbar jeder Effizienz und Verwertbarkeit für den Produktionsstandort Deutschland widersetzen. Ich meine das nicht einmal als Vorwurf. Ich verteile hier keine Schuld und möchte nicht darüber urteilen, ob sich Herr Wehsal mit etwas mehr Willenskraft dem Abwärtssog hätten entziehen können. Fakt ist, er hat jetzt die Konsequenz gezogen, und ich ziehe den Hut vor so einer Einstellung. Der Mann hat Ehre im Leib. Sie hätten Herrn Wehsals erlöste Gesichtszüge sehen sollen, kurz nachdem er die Tötungserlaubnis unterschrieben hatte. ‚Herr Zausel, die Menschen wissen gar nicht, wie gut es tut, einfach aufzugeben!‘, sagte er unter Tränen der Erleichterung zu mir. Ja, das Aufgeben ist gesellschaftlich wohl deshalb so verpönt, weil es das ist, wovor sich die Menschen am meisten fürchten und was sie insgeheim am meisten ersehnen.“

„Seien Sie mir nicht böse, aber das klingt doch sehr nach Tötung ‚unwerten Lebens’„, beharrte ich.

„Schauen Sie“, begann Zausel etwas gönnerhaft, als ob er mit einem Kind spräche, „wir alle sind doch unendlich kostbare Seelenfunken vom göttlichen Feuer, die auf ihrer Reise durch die Verkörperungen wechselvolle Erfahrungen machen. Ein Mensch selbst ist natürlich niemals ‚unwertes Leben‘. Es könnte aber sein, dass jemand aus freiem Entschluss bestimmt, dass sein jetziges Leben für andere Menschen eine Belastung und damit nicht mehr lebenswert ist, dass er es vorzieht schmerzfrei in neue Erfahrungsräume hinüber zu treten. Und wir von Easy Dying erleichtern ihm den Weg über die Schwelle, das ist alles. Der Unterschied zwischen dem Euthanasieprogramm der Nazis und uns ist doch, dass wir niemandem den Tod aufzwingen. Vielmehr werben wir für den Tod. Wir haben die größte PR-Kampagne für den Tod gestartet, die unser Land je gesehen hat – aber alles auf der Basis absoluter Freiwilligkeit.“

Der große Grenzenauflöser

„Todessehnsucht war lange Zeit eine Mode, die von intellektuellen Avantgarde-Kreisen geradezu gepflegt wurde. Heute hat der Tod sein gutes Renommee völlig verloren. Der große Grenzenauflöser wird nur noch als verhasster Begrenzer des Lebens gesehen. Wir klammern uns krampfhaft an diesem armseligen physischen Leben fest und versuchen es mit geradezu absurdem und obendrein teurem medizinisch-technischem Brimborium künstlich zu verlängern. Wir verleugnen den Tod, während wir gleichzeitig ein Leben führen, das dem Tod immer ähnlicher wird: ein reduziertes, in Verpflichtungen und Routinen erstarrtes Leben. Dabei ist es so einfach, loszulassen, hinüberzugleiten …“

„Aber es liegt doch offenbar in unserer Natur, am Leben so lange wie möglich festzuhalten.“

„Nicht unbedingt. Die Naturvölker pflegten da z.B. einen viel natürlicheren Umgang mit dem Tod. Sie sträubten sich nicht gegen den ewigen Prozess von Werden und Vergehen, der ja nichts anderes als ein Prozess der Verwandlung ist. Der todgeweihte alte Indianer spürte einfach, wenn es so weit war. Er klagte nicht und fiel seinen Angehörigen nicht zur Last. Der Schamane des Stammes feierte mit ihm ein Übergangsritual, dann ging er hinaus in die Wildnis und legte sich hin zum Sterben.“

Eine wirklich konsequente Gesundheitsreform

„Das klingt alles sehr romantisch“, warf ich ein. „Was sollen unsere Leser dann aber davon halten, dass die Kosten für Ihre Form der Sterbebegleitung von der SVK (der Staatlichen Versorgungskasse) getragen wird? Liegt da nicht der Verdacht nahe, dass Kranke entsorgt werden, damit sie der Kasse nicht finanziell zur Last fallen?“

Hinter Zausels professioneller Gelassenheit wurde nun eine leichte Gereiztheit spürbar: „Wenn Sie im Vorfeld besser recherchiert hätten, wüssten Sie, dass es das Konzept von Easy Dying schon viel länger gibt, genauer gesagt seit 1984. Es ist in seinem Wesen ein ideelles, kein kommerzielles Konzept. Novalis musste lange im Untergrund arbeiten, solange der unsinnige gesetzliche Vorbehalt gegen vorsätzliche Tötung mit Einwilligung des Getöteten bestand. Heute ist unsere Pionierleistung allgemein anerkannt. Erst letztes Jahr entdeckte die SVK auch die enorme kostensparende Komponente von Easy Dying, und so verband sich das in Jahrzehnten gesammelte Know How von Novalis mit der Finanzkraft der öffentlichen Kassen.

Easy Dying wurde als logische Konsequenz des Reformprozesses erkannt, der bald nach der Jahrtausendwende seinen Anfang nahm. Die Finanzlage der Kassen wurde damals immer knapper und man begann auszurechnen, welch horrender Anteil der allgemeinen Gesundheitskosten für die Pflege von alten und unheilbar kranken Menschen draufging. Schrittweise verweigerten die Kassen daraufhin die Kostenübernahme für solche Operationen, die sich bei realistischer Einschätzung der Lebenserwartung des Kranken einfach nicht mehr rechneten und der Allgemeinheit angesichts der brenzligen Kassenlage nicht mehr zugemutet werden konnten.“

Das Gesetz der Wildnis

„Als Folge davon kam es zu einer epidemischen Ausbreitung sogenannter ‚wilder Tode‘. Die Menschen starben in ihren Wohnungen und auf der Straße an Herzinfarkt, weil ihnen notwendige Operationen nicht mehr erstattet wurden, andere begingen Suizid, weil ihnen zum Beispiel schmerzlindernde Medikamente vorenthalten wurden.

Im Grunde sind wir seit der Gesundheitsreform von 2015 zu einer Wildnis-Situation zurückgekehrt. Wie bei den Naturvölkern spürten die Menschen wieder ein archaisches Ausgeliefertsein an die Kräfte der Natur und des Schicksals. Nur fehlte häufig die soziale und humane Einbindung, die ein sterbendes Stammesmitglied dort durch seine Gemeinschaft erfuhr. Wer nicht das seltene Glück hatte, bei Verwandten unterzukommen, die zur lebenslangen Pflege bereit waren, oder sich ausreichend privat versichert hatte, der starb einfach, wenn es so weit war, eines raschen oder – wenn er Pech hatte – eines langsamen und qualvollen Todes. Erkennen Sie jetzt, welchen humanen Fortschritt Easy Dying mit der kassengestützten Finanzierung darstellt? Den Menschen wird nicht nur unnötiges Leid erspart, sie erfahren den Tod sogar als ultimatives Event, als Highlight eines ansonsten oft ereignislosen Lebens. Schon viele verpfuschte Leben sind so gekrönt worden durch einen gelungenen Tod.“

Eine neue Stufe der Bewusstseinsevolution

„Sie haben demnach kein Verständnis für Kritiker, die von einem ‚unmenschlichen System‘ reden?“

„Unmenschlich ist es doch nur für diejenigen, die sich hartnäckig weigern, die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, die nicht einsehen wollen, dass niemand als sie selbst Schöpfer ihres Schicksals sind. Menschen, die heute aufwachsen, werden Verantwortung dafür übernehmen, dass ihre Gesundheit erhalten bleibt, sie werden Geld für eine private Krankenkasse aufbringen oder Kinder zeugen, von denen sie sich ggf. pflegen lassen. Zumindest die Starken werden das schaffen. Die Schwachen werden ohne Klagen ihr Scheitern vor den Herausforderungen des Lebens eingestehen und sich freiwillig verabschieden. Man kann dieses System ‚hart‘ nennen, es birgt aber große Chancen für die evolutionäre Entwicklung des Menschen zu immer höheren Stufen in der Bewusstseinshierarchie. Eine starke, freie Menschheit wird entstehen, die dem Tod jederzeit ins Auge schaut …“ Bei den letzten Worten war ein grimmiges Leuchten in Zausels Augen getreten und seine Stimme bekam einen martialischen, etwas schnarrenden Klang.

Ebenen des Lichts

„Aber selbst wenn das Sterben bei Ihnen relativ angenehm abläuft“, fragte ich, „ist nicht das Totsein für Viele noch immer eine erschreckende Vorstellung?“

„Angst vor dem Totsein beruht in der Regel auf Unwissen. Wenn das, was die Sterbeforschung herausgefunden hat, Allgemeinwissen würde, gäbe es keine Angst mehr.“

„Sie meinen: Licht am Ende des Tunnels, Lebensrückschau, Begegnungen mit verstorbenen Verwandten, Lichtwesen …“

„Das sind nur die Dinge, die den Schritt über die Schwelle markieren. Die Autoren des späten 20. Jh. hatten noch sehr viel Respekt vor diesem Übergang. Sie trauten sich nicht, den zweiten Schritt zu gehen und die bewusste Inszenierung des Todes zu empfehlen. Dabei ist dieser Schritt mehr als naheliegend. Jenseits der Schwelle machen wir die überwältigende Erfahrung, in einen Raum unendlicher Liebe einzutreten, in dem alles Wirklichkeit wird, wovon wir hier nur träumen können.“

„Woher wissen Sie das so genau?“

„Wir von Easy Dying berufen uns hier vor allem auf Galadriel Ludendorff und ihr Buch ‚Ebenen des Lichts. Durchsagen von jenseits der Schwelle‘. Es ist eine Art Reiseführer durch die jenseitigen Erfahrungsräume, die ja eigentlich Schwingungsebenen zunehmender Vergeistigung und Durchlichtung sind. Es sind zugleich Räume unbegrenzter Machtfülle, in denen sich alles, was wir imaginieren können, in Gedankengeschwindigkeit realisiert. Dergestalt kreiert sich jeder im Jenseits gemäß dem kosmischen Gesetz der Schwingungsangleichung genau die Erwahrungswelt, die seinem Entwicklungsstadium auf der nach oben offenen Skala der Bewusstseinsevolution entspricht.“

Politik und Spiritualität Hand in Hand

Mir war von Zausels Wortkaskaden ganz schwindelig geworden, und ich musste mich setzen. Der Extinction Manager aber redete unverdrossen weiter: „Verstehen Sie, welche emotionale Entlastung sich durch unsere Arbeit für die Menschen ergibt? Angesichts der Schönheit des Todes erübrigt sich jede Notwendigkeit, im Leben selbst Erfüllung zu finden. In Erwartung der jede Vorstellung übersteigenden Lichterfahrungen im Jenseits können wir im Diesseits endlich zu einer Haltung bedingungsloser Annahme finden – mehr noch: zur Bejahung all dessen, was IST. Und ich füge in Klammern hinzu, dass sich auch jede Rebellion gegen herrschende politische Verhältnisse damit erübrigt.

Ich weiß noch, wie Herr Biederstedt von der SVK mir beim Vertragsabschluss ergriffen die Hand drückte und sagte: ‚Herr Zausel, Sie und ich, wir gehören zusammen. Politik und Spiritualität gehen heute eine Allianz ein, wie es sie seit der engen Verbindung von Thron und Altar im Mittelalter nicht mehr gegeben hat. Unsere Zusammenarbeit macht für das 21. Jahrhundert erst deutlich, was spirituell inspirierte Politik oder sollten wir besser sagen: politisch inspirierte Spiritualität zu leisten imstande ist!‘„

Ein letzter Wunsch

Als ich mich von Zausel verabschiedet hatte, begegnet mir überraschend Judith auf dem Gang. Ihre großen, melancholischen Augen streiften mich für einen kurzen Augenblick, und doch genügt dieser Moment, um mich in einer ungeahnten Tiefe zu berühren. Meine Gedanken begannen unwillkürlich in eine gewisse Richtung zu schweifen. Ich war freiberuflicher Journalist. Obwohl ich energetisch vollkommen ausgebrannt war und mehr arbeitete als mir guttat, reichten die spärlichen Einkünfte nicht einmal, um meine Miete zu bezahlen. Ich war hoch verschuldet – hoffnungslos. Alle meine bisherigen Beziehungen waren gescheitert – aus Mangel an Liebe, aus Mangel an einfachsten Formen des Mitgefühls, manchmal auch aus Mangel an Unvernunft. Wenn ich ehrlich zu mir war, musste ich eingestehen, dass es bei mir nicht mehr allzu lange gehen konnte.

Und mit einem letzten Blick in Judiths Augen, die Türklinke nach draußen schon in der Hand, richtete ich im Gedanken noch eine Bitte, fast ein Gebet an die schöne Frau. „Wenn es soweit ist, würdest DU dann bei mir sein? Würdest du mich mit deiner Liebe in den Tod geleiten?“

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