Ein CD Tipp: Johannes Kirchberg singt eigene Vertonungen von Johannes R. Becher Texten
Die im Juli 2017 im eigenen Label Dermenschistgut Musik veröffentlichte CD „einmal frei. und einmal glücklich sein“ des 1973 in Leipzig geborenen Chansonniers und Schauspielers Johannes Kirchberg bietet, musikalisch aufbereitet mit dem Canea Quartett Hamburg, 16 eigene Vertonungen von Texten des 1891 in München geborenen und 1958 in Ost-Berlin gestorbenen Dichters und Politikers Johannes R. Becher. „Schritt der Jahrhundertmitte“ daraus findet sich im September 2017 übrigens zusammen mit Konstantin Weckers „Das ganze schrecklich schöne Leben“ auf Platz 4 der http://www.liederbestenliste.de/. Wer war Johannes R. Becher? (Alexander Kinsky)
Johannes R. Becher wird hier als sensibler Dichter gewürdigt, der aber auch als DDR-Minister für Kultur, als erster Präsident des Kulturbundes der DDR und als Textautor der DDR-Nationalhymne bekannt wurde. Bechers schillerndes Leben kann man etwa bei wikipedia nachlesen, hier komprimiert: Sohn eines Münchner Juristen, Doppelselbstmordversuch 1910 zusammen mit seiner Jugendliebe (der für sie tödlich endet), Morphiumsucht, Schulden, expressionistische Literatur, Selbstmord des jüngeren Bruders Ernst 1918, Heirat mit und Scheidung von einer Nichte des Schriftstellers und Theaterkritikers Alfred Kerr, Morphium-Entzug, nach dem 1. Weltkrieg in einer anarchistischen Kommune, Eintritt und wieder Austritt bei den Kommunisten in Jena, danach katholische Kirche, Verlagslektor, ab 1923, nun in Berlin, wieder KPD Mitglied, Parteidichter und Parteikarriere, Verfahren wegen Hochverrats, fünf Tage Untersuchungshaft, Vorsitz im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, 1933 Flucht vor der SA in die Tschechoslowakei, von dort 1934 weiter nach Moskau, insgesamt 12 Jahre im Ausland, nach dem 2. Weltkrieg mit der Rückkehr nach Deutschland Präsident des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, als einer der drei PEN Präsidenten umstritten, Autor der Nationalhymne der DDR, ins ZK gewählt, erster DDR-Kulturminister ab 1954, Entmachtung, 1958 Tod nach einer Krebsoperation.
Die CD „einmal frei. und einmal glücklich sein“, aufgenommen am 5. und 6.3.2017 im Rudolf Steiner Haus Hamburg, gibt dem Dichter Becher eine Chance, als sensibler Lyriker zwischen Lebenserkenntnissen und –bekenntnissen wahrgenommen zu werden, auch als einer, der Emigration als Heimatverlust voller Sehnsucht erlebt – der ambitionierte Versuch einer künstlerischen Ehrenrettung einer umstrittenen Persönlichkeit.
Johannes Kirchberg hat die Texte Bechers harmonisch-harmonisierend vertont, vielfach volksliedhaft, manchmal im Marschduktus (damit ins Hymnische weisend), dann wieder verhalten lyrisch – mit Kirchbergs heller Chansonbaritonstimme und den Streichquartett-Arrangements von Jens-Uwe Günther (vom Canea Quartett geradlinig auf den Punkt gespielt) den Liedern eine zusätzlich einschmeichelnd „heimelige“ Dimension verleihend.
Liedtitel wie „Ein Mensch wie du“, „In dir gehen viele Schritte“, „Schritt der Jahrhundertmitte“ (hier geht es um die Friedenssehnsucht im Atomzeitalter), „Testament des Dichters“, „Schön wird das Leben, schön“, „Lied vom Anderssein“ oder „Ein Wandern endlos weit“ genauso wie das die CD eröffnende Titellied deuten die Spannbreite zwischen Verlorenheit des Emigranten und persönlichen Empfindungen auch jenseits davon bereits an.
Dem Schreiber dieser Zeilen gehen die ganz verhaltenen, musikalisch wie textlich besonders poetischen Lieder besonders nahe, „Umfangen“, „Still, mein Herz“ (unterschwellig bedrohlich – ein Schlaflied für ein Kind, das seinen Vater im Krieg verloren hat) und „Wohin“ (das fragt ein untergetauchter Sinnsucher, der sich der Welt entzogen hat).
Weitere Infos und Bestellmöglichkeit: