Ein Fleischesser plädiert für Veganerbeiträge

 In Holdger Platta
Eine derartige "Ästhetik" ist auf der Narrenschiffsbrücke beliebt

Eine derartige “Ästhetik” ist auf der Narrenschiffsbrücke beliebt

Wussten Sie, dass HdS das “Guantanano von Kleinbloggersdorf” ist, die “Eso-Schleuder Jenseits der Realität” oder schlicht “gequirlte Moppelkotze”? Derartige Erkenntnisdurchbrüche verschafft uns “Das Narrenschiff”, der Blog eines rhetorisch hochbegabten Antikapitalisten, der sich Charlie nennt, erkennbar am gruftigen Layout: Totenkopf auf schwarzem Grund. Charlie ist ein enttäuschter ehemaliger Fan unserer Seite, der – zunächst höflich, aber bestimmt argumentierend – völlig ausgetickt ist, als wir trotz mehrfacher Ermahnung nicht auf seine inhaltliche Linie eingeschwenkt sind: anti-spirituell, pro Gewaltfilme, pro Fleisch. Da mutierte Charlie zum Hater und zum Wüterich. “Wenn hochsensible Esos die Hosen herunterlassen, sieht man auch nichts anderes als ein schnödes Arschloch”, dichtete er etwa anlässlich eines HdS-Artikels über besonders sensible Menschen. Schuld an solchen Beleidigungen ist – man ahnt es – der Beleidigte. Dieser spaltet die Bewegung der vereinigten revolutionären Linken, indem er eine andere Position zu vertreten wagt als die Charlies. So geschehen auch bei V.C. Herz, der in einem Artikel mehr vegane Angebote im öffentlichen Raum forderte. Holdger Platta zerlegt gekonnt die “Argumente” des verhaltensoriginellen Blog-Betreibers. (Holdger Platta)

Du meine Güte: die Sünden des V.C. Herz müssen riesig gewesen sein! Da veröffentlicht er vor wenigen Tagen einen Artikel bei uns, in dem er für mehr Angebote veganer Speisen in Geschäften, Kantinen und Gaststätten plädiert, und prompt zieht er sich bei einem Zeitgenossen von uns den Vorwurf zu, er „spalte“ in unserer Gesellschaft „die so dringend notwendige Opposition“ gegen den Kapitalismus und er beschwöre mit Eifer das Ende unserer Demokratie herauf, ganz so, als befänden wir uns in der Endphase der Weimarer Republik (tatsächlich: sie wird allen Ernstes in diesem Beitrag unseres Zeitgenossen als drohende Folgeerscheinung solcher „Spalterpraxis“ genannt!). Fazit des Betreffenden, der offenbar nicht mehr ganz bei Troste ist: „Es ist ein Fanal der Dekadenz und des Unterganges, dass sich solche Stimmen einmal mehr Gehör verschaffen.“ Und wir, die Redakteure von „Hinter-den-Schlagzeilen“, verwalten angeblich eine Website, die sich „Jenseits der Realität“ nennt. Tja, wer bewegt sich da eigentlich jenseits aller Realitäten? Und befindet sich, womöglich, eher auf einem Narrenschiff?

Regelmäßige HdS-LeserInnen wissen es: Ich bin weder Veganer noch Vegetarier. Ich bin auch nicht, um einen weiteren Lieblingsvorwurf unseres Zeitgenossen zu nennen, „Eso“ oder sonstwie religiös. Doch hiermit plädiere ich ganz ausdrücklich dafür, dass auch weiterhin Artikel von Vegetariern und Veganern auf HdS veröffentlicht werden können. Wieso auch nicht?

Im Kern wirft der aufgeregte Zeitgenosse unserem Autor Vincent Herz und uns Redakteuren zweierlei vor:

Erstens, der Autor habe in seinem Beitrag gefordert, dass „an jeder Wegecke vegane Speisen anzubieten seien“; sie, diese veganen Speisen, müßten nach Auffassung von Vincent Herz „überall verfügbar sein“.

Und zweitens: wer solche Themen „beackere“, „mit viel Energie“, wie es bei unserem Kritiker heißt, lasse „die tatsächlichen Probleme“ der Welt „unter den Tisch fallen“, vor allem die Probleme des Kapitalismus.

Ich frage mich allen Ernstes: Liest unser Kritiker überhaupt, was er kritisiert? Oder: versteht er permanent miss, weil er permanent missverstehen will?

Wer V.C. Herz’ Artikel gelesen hat, weiß: er hat mehrfach für mehr Wahlfreiheit bei Essensangeboten plädiert, für Speiseangebote auch für Veganer, das ist alles, mehr nicht. Was sollte mich, den Nichtveganer und Nichtvegetarier, an dieser Forderung stören? Was wäre falsch an der Feststellung, dass es nach wie vor in fast allen Kantinen, Restaurants, Lebensmittelgeschäften vegane Angebote nicht gibt? Und wieso bedroht Herz mit seinem Artikel gar das Abendland? Wenn unser Kritiker meint, unser Autor habe „derlei Schmonzes“ überall gefordert, hat er schlicht nicht kapiert, dass unser Autor zu kritisieren wagte, dass es vegane Angebote fast nirgendwo gibt, kaum in einem Lebensmittelgeschäft, kaum in einem Lokal, kaum in einer Kantine? Und was wäre falsch an der Forderung, dass es überall auch solche Esswaren gäbe? Ich versteh’s nicht. Und dann noch dieser Vorwurf: Derlei Wunsch nach Ergänzung und Zusatzangeboten „spalte“ die bundesrepublikanische, die antikapitalistische Opposition? Ja, mehr noch: Derlei beschwöre den Untergang unseres Gemeinwesens herauf wie seinerzeit der Faschismus den Untergang der Weimarer Republik? Kann mir einer dieses absurde Angstgemälde erklären?

Wer solches schreibt – sorry, es tut mir leid, das feststellen zu müssen! –, hat wohl selber jenen Sprung an der Schüssel, den er V.C. Herz andichten will. By the way: einen Autor, den unser Zeitgenosse permanent als „Hartwut Schmerz“ tituliert. Was witzig sein soll! Nun, wohlan denn also: lachen wir mal kurz!

Noch bekloppter hingegen ist der Vorwurf Nummer zwei: über Themen wie Veganismus (oder Vegetarismus) zu schreiben und Beiträge darüber zu veröffentlichen auf HdS, das hieße, „die tatsächlichen Probleme“ der kapitalistischen Welt „unter den Tisch fallen zu lassen“. Allen Ernstes, zum zweitenmal bereits: liest unser Kritiker überhaupt, was er kritisiert?

Zigfach pro Tag und Woche, zigfach pro Monat und seit Jahren schon widmet sich HdS dem Thema Kapitalismus! Kein Tag vergeht, da auf HdS nicht Themen wie Faschismus und Globalisierung, Neoliberalismus und Flüchtlingsnot, kaputtmachende Austeritätspolitik und Militarismus, Demokratieabbau, Sozialstaatsvernichtung und Menschenverrohung angesprochen würden – und dieser Kritiker kennt das alles nicht, liest das alles nicht, leugnet schlicht dessen Existenz?

Und einmal zur „Logik“ dieses Vorwurfs gefragt (= weil bei uns über Veganismus geschrieben werden dürfe, fiele angeblich alles andere unter den Tisch): Seit wann verhindert Publikation zum Thema A Publikation zum Thema B? Oder anders: Muss man in jedem Artikel über Kapitalismus schreiben, um dem Vorwurf entgehen zu können, man würde niemals über Kapitalismus schreiben? Welch bekloppte Logik ist das? Und weiter: Was ist mit der Publikationspraxis unseres Kritikers auf dessen eigener Website, der selber nicht davor zurückscheut, Computerspiele vorzustellen, das ganze „Stabat Mater“ von Rossini zu bringen – „gut dem Dinge“! –, Weltschmerz-Lyrik von Expressionisten, die ebenfalls nicht permanent mit Kapitalismus kamen und mit ihrem klaren Anti dazu – ganz prima selbstverständlich auch das!? Wessen Tisch ist größer, unter den da permanent etwas fällt? Wo liegt mehr an Fallengelassenem unter dem Tisch? Oder läuft das ganze gar auf zweierlei Maßstäbe hinaus: Ich, der gestrenge Kritiker darf, Ihr aber, Ihr depperten Leutchen jenseits der Realität, Ihr dürft natürlich nicht!?

Um es klar zu sagen, denn das ist der entscheidende Punkt: Unserem Kritiker gebricht es ganz grundsätzlich an dem, was man gemeinhin Toleranz nennt. Er mag’s ja auf seiner eigenen Website halten, wie er will: Meinetwegen mag er (was, wie gesagt, nicht der Fall ist!) dort seinen „Marxismus“ präsentieren und sonst nix! Uns und unseren AutorInnen sollte er die Freiheit lassen, neben Antikapitalismus und Marxismus auch über Veganismus und Vegetarismus schreiben zu dürfen! Wenn er das nicht zubilligen kann und Totalverbot von allem, was ihm nicht in den Kram passt, seine Grundhaltung ist, dürfte eher er, dieser eifernde Kritiker, derjenige sein, der „spaltet“ und alle Gemeinsamkeiten antikapitalistischer Opposition in der Bundesrepublik kaputtzumachen hilft, nicht aber unsereiner, der als Fleischesser auch Beiträge von Veganern ertragen kann. Wer mit seiner Lesart von „Marxismus“ keinerlei Besonderheiten und Verschiedenheiten auszuhalten vermag, scheint Marxismus selber noch nicht klar verstanden zu haben: dass Marxismus nämlich Marxismus nur ist, wenn er für die Menschenrechte aller eintritt, für Buntheiten und Verschiedenheiten und Besonderheiten und Individualitäten, sofern diese nicht ihrerseits die Menschenrechte anderer tangieren. Was bedeutet: Echter Marxist – und nicht nur Talmi-Marxist! – ist derjenige, der auch für die Menschenrechte jener eintritt, die nicht, wie wir Mehrheitsmenschen, Fleischesser und Tierproduktverzehrer sind, sondern Vegetarier oder – OhGottohGott! – Veganer sogar! Es ist schon merkwürdig, welche Selbstverständlichkeiten zwischenmenschlicher Toleranz man zuweilen betonen muss!

An Veganern jedenfalls wird diese Bundesrepublik nicht zugrundegehen. Eher am Mangel an wirklichen – und das heißt: freiheitlichen und humanen – Marxisten. Und die Einheit der Linken wird eher an „Marxisten“ scheitern, die immer gleich drauflosschlagen müssen, wenn ihnen irgendeine Abweichung nicht passt, an “Marxisten“ ohne menschenfreundliche Toleranz und menschliche Güte im Leib, statt an Marxisten, die – du meine Güte! – derart Sündhaftes auszuhalten vermögen wie den bösen, bösen Veganismus! – Glaubt wirklich einer von uns, dass V.C. Herz’ Veganerbekenntnis diese albernen Zänkereien ausgelöst hat? Oder war der Geist, der sich zu derlei Streithammelei verführen ließ, nicht vorher schon zänkisch?

Ich jedenfalls, der Fleischesser, werde lieber mit Vincent Herz ein Tofusteak verzehren als mit diesem Zeitgenossen ein Rinderfilet!

Guten Appetit!

Empfehlenswerte Beiträge, die auf HdS Bezug nehmen, finden sich – wie könnte es anders sein – in der Rubrik “Esoterik”
http://narrenschiffsbruecke.blogspot.de/search/label/Esoterik

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