Ein großer Komponist und Völkerverständiger

 In DER BESONDERE HINWEIS

Mikis Theodorakis

Heute, am 29. Juli 2017, hat ein Komponist und Politiker Geburtstag, der mit seinen unerschöpflichen Kompositionen, einer Fülle an Symphonien und mit seinem lebenslangen engagierten politischem Wirken im Dienste der Völkerverständigung unser heutiges Weltbild entschieden gestaltet und geprägt hat. Mikis Theodorakis wird 92 Jahre alt. (Bettina Beckröge)

Ich möchte diesen Tag zum Anlass nehmen und einen Ausschnitt aus seinem Leben und seinen Kompositionen aufzeigen, Ausschnitte, die uns einen Teil seines großen Lebenswerkes vergegenwärtigen.

Kindheit , Jugend in Griechenland und Musikstudium in Paris (1925–1959)

Mikis Theodorakis, 1925 auf der Insel Chios in Griechenland geboren, ist ein griechischer Komponist, Schriftsteller und Politiker. Er gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen Komponisten. Trotz der schwierigen politischen Umstände, die sein Leben stets begleiteten, war sein vorrangiges Interesse zeitlebens die Musik und der selbstlose Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. Bereits mit 15 Jahren richtete sich das Leben von Mikis Theodorakis auf sein Hauptziel aus, Komponist zu werden. Während der Besetzung Griechenlands durch italienische und deutsche Truppen 1941- 44 engagierte sich der junge Theodorakis in der Widerstandsbewegung, weswegen er mit achtzehn Jahren erstmals inhaftiert wurde.

Während des griechischen Bürgerkriegs (1944- 49) durchlebte Mikis Theodorakis eine leidvolle Zeit. Aufgrund seines Engagements für die linke Befreiungsfront wurde er verhaftet und im Zeitraum von 1947- 1949 erst auf die Insel Ikaria, anschließend auf die KZ-Insel Makronisos verbannt, wo er den Repressalien schutzlos ausgesetzt war. Verbannung, Hunger und Folter, gefolgt von einer schweren Krankheit, überlebte er einzig durch seinen eisernen Willen und seine Zuflucht in die Welt der Musik. Theodorakis:

„Keiner von uns wusste, ob er den morgigen Tag überlebt. Wie es mich in dieser Situation, als ich im Zelt saß, plötzlich überkommen konnte und ich zu komponieren begann, das ist mir selbst ein Rätsel (…) Oft gingen meine Aufzeichnungen verloren. Aber das Komponieren waren für mich der Ausweg, so wie ein Gestrandeter vom Glauben an seine Rettung eine Flaschenpost ins Meer wirft“ (aus: Mikis Theodorakis – Ein Leben in Bildern von Asteris Kutulas).

Als Theodorakis 1949 aus der Haft entlassen wurde, war er physisch am Ende. Erst nach längerem Aufenthalt auf Kreta erholte er sich von den Folgen der unmenschlichen Misshandlungen. Er bekam eine Anstellung als Leiter der Musikschule von Chania und gründete sein erstes Orchester. Anfang der 1950er Jahre bestand Theodorakis erfolgreich am Athener Konservatorium seine Musik-Examina. Er arbeitete zunächst als Komponist von Hörspiel- und Ballettmusik, bevor er, nach seiner Heirat 1954 mit seiner Frau, nach Paris zog. Am Pariser Konservatorium belegte er ein Zusatzstudium in der Kompositions- und Dirigentenklasse, das er 1959 mit Auszeichnung abschloss. Mit der Aufführung seiner Ballettmusik feierte er riesige Erfolge. 1960, nach der Geburt seines Sohnes, zog es ihn zurück nach Athen, zu den Wurzeln der griechischen Musik.

Der junge Komponist in Athen (1960-1967)

Von 1960 bis 1967 entwickelte sich Theodorakis zum erfolgreichsten Komponisten Griechenlands. Es war gleichzeitig der Beginn einer Zusammenarbeit mit bedeutenden griechischen Lyrikern und der Vertonung ihrer Gedichte. 1964 komponierte er den weit über alle Ländergrenzen hinaus bekannt gewordenen Liederzyklus, die Mauthausen Trilogy (Ballade von Mauthausen), basierend auf den Gedichten des griechischen Schriftstellers und Lyrikers Iacovos Kambanellis. Aus den folgenden Worten Mikis Theodorakis lässt sich entnehmen, dass er in der musikalischen Umsetzung der Ballade von Mauthausen den höheren Auftrag sah, ein Werk zu gegen das Vergessen zu schaffen, gegen das Vergessen der unsagbaren Leiden und Sterben von Millionen von Juden, Sinti und Roma in den Konzentrationslagern, gegen das Vergessen des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte: die Verbrechen des Nazis im 3. Reich. Aus den folgenden Worten Mikis Theodorakis lässt sich entnehmen, dass er in der musikalischen Umsetzung der Ballade von Mauthausen den höheren Auftrag sah, ein Werk zu gegen das Vergessen zu schaffen, gegen das Vergessen der unsagbaren Leiden und Sterben von Millionen von Juden, Sinti und Roma in den Konzentrationslagern, gegen das Vergessen des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte: die Verbrechen des Nazis im 3. Reich.

Theodorakis: „Ein guter Freund von mir, der Dichter Iacovos Kambanellis, war während des Zweiten Weltkriegs Gefangener in Mauthausen. Er schrieb Anfang der sechziger Jahre seine diesbezüglichen Erinnerungen unter dem Titel ‚Mauthausen‘. 1965 verfasste er zu diesem Thema auch vier Gedichte, die er mir gab, damit ich sie vertone. Ich habe das sehr gern gemacht, weil mir erstens die Poesie in diesen Texten gefallen hat und weil ich zweitens während der Besatzungszeit selbst in italienischen und deutschen Gefängnissen eingesperrt war; vor allem aber, weil ich sah, dass wir die Möglichkeit haben würden, mit Hilfe dieser Kompositionen den Jugendlichen die Geschichte in Erinnerung zu rufen, jene Geschichte, die niemals vergessen werden darf. Die Mauthausen-Lieder richten sich natürlich in erster Linie an all jene, die unter Faschismus gelitten und gegen ihn gekämpft haben. Wir alle müssen uns aber immer wieder die Verbrechen der Nazis vor Augen halten, weil dies das einzige Mittel dagegen ist, dass sich solche Dinge wiederholen könnten. Wir sehen täglich, dass der faschistische Geist noch längst nicht erloschen ist. Er zeigt oft nicht sein wahres Gesicht, aber faschistische Kulturen und Mentalitäten gibt es überall auf der Welt. Für uns, die diese Schreckenszeit durchleben mussten, ist es die wichtigste Aufgabe, unsere Kinder vor dieser Gefahr zu schützen.“

Diese Worte von Mikis Theodorakis entsprechen den Worten von Simon Wiesenthal in seiner bekannten Rede: „Aber wir, die Überlebenden, sind nicht nur den Toten verpflichtet, sondern auch den kommenden Generationen: Wir müssen unsere Erfahrungen an sie weitergeben, damit sie daraus lernen können. Es genügt nicht, dass alles schon in Büchern festgehalten wurde, denn ein Buch kann man im Gegensatz zu einem Menschen nicht befragen. Ein Zeuge muss ein ‚lebendiger‘ Zeuge sein…“

Für sein musikalisches Gesamtschaffen wurde ihm 1965 der Sibelius- Preis verliehen. Bei der neugegründeten Lambraki- Jugendbewegung, einer kulturellen Bewegung, die sich über das ganze Land verbreitete, übernahm Mikis Theodorakis den Vorsitz. Die Lambraki-Bewegung entwickelte sich in Griechenland zu einer kulturellen Revolution. Dank seiner politischen Meinungsäußerungen wurde Theodorakis zu einer Leitfigur der politischen Erneuerung Griechenlands. 1964 wurde er ins griechische Parlament gewählt.

Leben im Untergrund während der griechischen Diktatur (1967–1970)

Als im April 1967 die griechischen Faschisten putschten, war Mikis Theodorakis gezwungen, sich zu verstecken und im Untergrund zu leben. Er avancierte zum Symbol des Widerstands gegen die Militärjunta. Bis 1974 wurde seine Musik unter Androhung von harten Strafen in Griechenland verboten. Es folgten erneut schlimme Zeiten für den Komponisten: Festnahme, Gefängnisaufenthalte, Hausarrest und Verbannung und Einlieferung ins Konzentrationslager Oropos (Athen). Die desolaten Lebensbedingungen führten zu einem Tuberkuloseausbruch, den Theodorakis in einem Militärhospital auskurierte. Im Mai 1970 gelang es einer internationalen Solidaritätsbewegung, angeführt von namhaften Komponisten, Theodorakis aus dem Gefängnis der Militärjunta ins französische Exil zu befreien.

Exil in Paris (1970–1974)

Im Pariser Exil lernte Theodorakis in den siebziger Jahren den chilenischen Dichter und Schriftsteller Pablo Neruda, kennen, der zu dieser Zeit als chilenischer Botschafter in Paris arbeitete. Neruda und Theodorakis freundeten sich an. Aus dieser fruchtbaren Freundschaft entstand die Idee zum musikalischen Gesamtkunstwerk, dem Canto General, einer noch heute über alle Grenzen hinaus bekannten 13-teiligen Komposition. Der Canto General ist ein Zusammenspiel von Orchester, Solostimmen und Chorgesang sinfonischen Ausmaßes. Pablo Neruda schrieb die Gedichte, Mikis Theodorakis komponierte die Musik dazu.

Politische und künstlerische Aktivität nach der Rückkehr nach Griechenland (ab 1974)

1974, nach Beendigung der Diktatur in Griechenland, kehrte Theodorakis nach Athen zurück, wo er von seinen Landsleuten wie ein Volksheld gefeiert wurde. Die vielen Stadionkonzerte waren gefüllt mit begeisterten Anhängern. Er war weiterhin politisch aktiv und wurde 1990-92 Mitglied der Landesregierung, in der er sich für die Reform des Erziehungswesens und der Kulturpolitik sowie für verbesserte Beziehungen zur Türkei einsetzte. Politisch engagierte sich Theodorakis immer wieder aufs Neue, wenn die Umstände dies von ihm verlangten, so auch im Protest gegen die Bombardierungen in Jugoslawien (1999) und gegen den Irakkrieg (2003).

In seiner Heimat konzentrierte er sich fortan auf das Komponieren von Symphonien. 1993 übernahm er für zwei Jahre das Amt des Generalmusikdirektors des Symphonie-Orchesters und Chores des Griechischen Rundfunks und Fernsehens (ERT), bevor er sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurückzog. Seit dem Rückzug widmet er sich der Tätigkeit als Komponist und Dirigent, ohne auf gelegentliche Stellungnahmen zur Weltpolitik zu verzichten. 2012 nahm er, im Rollstuhl sitzend, in Athen an einer Demonstration gegen die Troika teil. Dabei wurde er durch eine Ladung Tränengas im Gesicht schwer verletzt. Noch heute leidet er an diesen Verletzungen.

Mikis Theodorakis lebt heute zurückgezogen in Athen.

Dank für sein Werk und sein lebenslanges Engagement

Wenn es um die Bewahrung von Demokratie und um die Verteidigung des hohen Gutes der Freiheit des Einzelnen geht, hat sich Mikis Theodorakis Zeit seines Lebens engagiert und tut es heute noch. Aufgrund seines politischen Engagements wurde er mehrmals in Griechenland inhaftiert und zu unmenschlichen, lebensbedrohenden Bedingungen in Isolationshaft abgeschoben. Mikis Theodorakis hat nie aufgegeben, sich für die Ideale von Menschlichkeit, Freiheit und Frieden einzusetzen. Seine Kraft zieht er aus seinen Kompositionen und seiner Musik. In seinen Kompositionen zeigen sich sein musikalisches Können und die unglaubliche Schaffenskraft auf höchster Ebene. Die Verbindung von kulturellem Gedächtnis und die musikalische Umsetzung eigener Lebensanschauungen in die Kraft der Musik machen Mikis Theodorakis zu einem außergewöhnlichen Komponisten. Seine Werke, in denen Traum und Umsetzung vereint sind, wecken bei Menschen das Bewusstsein und fordern, die tägliche Wirklichkeit nicht einfach so hinzunehmen, sondern sich gegen Missstände aufzulehnen. Sein ungebrochenes Engagement für sein Heimatland, für den Dialog mit der Jugend, den Unterdrückten und Verfolgten, sein Einsatz für das Vermitteln und Bewahren der internationalen Kultur und Musik, als auch sein völkerverständigendes Engagement machen ihn zu einem einzigartigen Politiker und Komponisten unserer heutigen Zeit.

Dem großartigen Musiker und politisch engagierten Menschen wurden viele Ehrungen zuteil, u. a die Ehrendoktorwürde von der Universität Montreal und der Universität Thessaloniki. Internationale Preise unterstreichen seine Stellung im Musikleben unserer Zeit.

Uns zeigt sein Engagement und Wirken, ob als Komponist oder als politischer Streiter für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, dass wir in Mikis Theodorakis einen ganz besonderen Menschen haben, dessen Seele aus Griechenland zu uns herüberleuchtet.

Wir gratulieren Mikis Theodorakis zu seinem Geburtstag und wünschen ihm alles Gute und Gesundheit. Mögen ihm viele Menschen, Freunde, Familie aber auch all jene, die ihn schätzen, heute an ihn denken und ihm danken. Danke, Mikis Theodorakis, dass es Sie gibt.

 

Literaturhinweise- und Musik von Mikis Theodorakis:

„Mikis Theodorakis – ein Leben in Bildern“ von Asteris Kutulas, Verlag: Schott

Mikis Theodorakis: Völkerverständigende Werke
https://www.youtube.com/playlist?list=PLdOfWZ4biGXIPdbmaJ8MK_M74dhvf1zpj
Mikis Theodorakis und Maria Farantouri
https://www.youtube.com/playlist?list=PL3XFIsqQkKutMoHl3uww1KLtLnH0t7NRz

 

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