Eine Politik der leeren Hand: vollmundig verkauft

 In GRIECHENLAND, Holdger Platta

118. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ / Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

 

vor wenigen Tagen bekam ich von Evi und Tassos Chatzatoglou deren Abschlußbericht zu ihrer Hilfsreise nach Griechenland in diesem Frühjahr (selbstverständlich wird es nicht deren letzte Hilfsreise nach Griechenland in diesem Jahr sein!). Diese Mitteilungen – vom Freitag, den 18. Mai – möchte ich an den Anfang stellen meines heutigen Berichts. Abgesehen von den vielen Einzelinformationen, die uns Evi und Tassos Chatzatoglou in dieser Mail mitzuteilen haben – wichtige Informationen wie immer! -, vermittelt der Bericht unserer ‚Außenteamer‘ aus Graz vor allem auch einen präzisen Eindruck von der Stimmungslage in Griechenland. Daß es um diese nicht gut bestellt ist, wird niemanden von Euch und uns überraschen. Doch hier zunächst der ausführliche Brief von Evi und Tassos, im vollen Wortlaut:

„Lieber Holdger, liebe Alle,

die Frühjahrsreise geht zu Ende, und dies ist unser letzter Bericht aus Griechenland. Das Land hat sich verändert, die Menschen haben sich verändert. Ein Volk, das früher für seine stoische Ruhe bekannt war, ist jetzt in permanenter Bewegung und Unruhe, pausenlos auf der verzweifelten Suche nach Geldmitteln. Denn das Geld ist knapp. Die Kaufkraft ist gesunken. Die Möglichkeiten, Geld zu verdienen, sind gering, einen Job zu finden, nahezu aussichtlos. Die griechische Gesellschaft ist längst in zwei Klassen geteilt: in die, die Arbeit haben, und in  die, die ums Überleben kämpfen müssen. Letztere  oft mit Hilfe von Omas oder Opas Rente. Sterben die Großeltern, ist es vorbei, und die überlebenden Nachkommen haben keine, aber auch gar keine Möglichkeit – außer vielleicht durch Sozialhilfe -, ihr karges Dasein zu finanzieren. Um in den Genuss von Sozialhilfe in Höhe von 200,- € gelangen zu können, darf man keine oder lediglich eine maximal 45 m² große Wohnung besitzen. Der Besitz eines Autos schließt den Empfang von Sozialhilfe aus. Alle diese Menschen sind auf die Hilfe sozialer Einrichtungen der Gemeinden, Kirchen und von Nichtregierungsorganisationen – wie der unseren – angewiesen. Dieser Teil der Bevölkerung bedarf unserer Hilfe.

Bewusst habe ich den Teil der Bevölkerung, der (noch) ein Geschäft betreibt oder eine Firma besitzt oder Teilhaber des Systems ist, ausgelassen. Diese Menschen leben nach wie vor wie vor wie auf einem anderen Planeten.  Die Preise steigen merklich weiter. Grundnahrungsmittel sind zum Teil teurer als in Österreich. Auffallend ist, dass alle griechischen Produkte teurer sind als ausländische. Die Mehrwertsteuer beträgt derzeit 24 %. Fällt es jemandem aus finanziellen Gründen schwer, sich für ein griechisches Produkt zu entscheiden, dann greift er automatisch auf das billigere, das ausländische Produkt zurück, zumeist bei Lidl oder im China-Shop. Die griechischen Bauern, Klein- und Mittelbetriebe, kleine Lebensmittelhändler und Ladenbesitzer, Architekten und Ingenieure  tragen die Krise in voller Breite. Für die Wirtschaftstreibenden kommt die Besteuerung dazu, die, gemessen an den  mitteleuropäischen Verhältnissen,  zu hoch ist. Die Steuer wird für ein geschätztes Einkommen im vorhinein kassiert. Das treibt viele Gewerbetreibende in den finanziellen Ruin. Das Resultat sind die Baracken der Krise sowie die im Wachstum befindliche Schattenwirtschaft.

In Griechenland hat die Troika alles falsch gemacht, was falsch zu machen war. Jetzt steht das Land da, wo es ist, nämlich am finanziellen Abgrund. Im nächsten Jahr werden die Pensionen abermals gekürzt. Was  kann man bei jemandem, der 460,- € Pension erhält, kürzen? Die Milliarden Steuerschulden werden nicht angetastet. Ich habe ja eingangs erwähnt, dass ein Teil der Bevölkerung nach wie vor ohne finanzielle Einbußen lebt.

Der Gedanke, welcher uns beide zur Zeit beherrscht, ist: wir müssen weitermachen. Die Not ist groß, die Regierung als Verwalter der Krise trägt wenig zur Linderung bei. Im Gegenteil, die Maßnahmen, die sie trifft, dienen der Rekrutierung von Wählern. Die Menschen müssen jedoch mitmachen, so groß ist die Not.

Etwas Erfreuliches haben wir zum Schluss zu berichten.

Vor längerer Zeit halfen wir der Familie von Themis K. auf der Insel Tinos, indem wir ihre Stromrechnungen zahlten. Themis konnte zwischenzeitlich eine Idee verwirklichen. Auf der Insel Tinos, die eine Insel der Künstler ist, gab es keinen einzigen Ausstellungsraum, der entsprechend genutzt werden konnte. Eine Institution, die auf der Insel gefehlt hatte. Ein aufgelassenes Lager schien ihm das Richtige zu sein. Er renovierte es eigenhändig mit Hilfe seiner Frau und seiner Freunde. Nach einer gelungenen Eröffnung mit Fotoausstellung ist diese Einrichtung nun bis Ende August ausgebucht.

Mit dieser erfreulichen Nachricht verlassen wir das Land am Rande der EU in Erwartung, dass unsere Politiker diesen menschenfeindlichen Maßnahmen bald ein Ende setzen.

Die nächste Reise möchten wir den Menschen auf der Insel Andros widmen. Pater Kalinikos, der außergewöhnliche Geistliche in Gavrion, hat uns eine lange Liste mit Namen von  Bedürftigen zugeschickt, darunter von vielen Familien mit Babys und Kleinkindern. Die Sensibilisierung der Mitmenschen kann uns mit Mitteln ausstatten, um bedürftigen Griechen zu helfen. Bitte – helft uns weiter zu helfen! Menschlichkeit ist eine Eigenschaft, die uns Menschen von Politikern unterscheidet.

Zuletzt noch ein Spruch von Bertolt Brecht (Exil, III):

‚Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen
Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen,
Wie man schneller sägen könnte, und fuhren
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen,
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter.‘

Herzliche Grüße Euch allen, insbesondere an unsere Spenderinnen und Spender, aus dem krisengeschüttelten Griechenland,

Tassos und Evi“

Eigentlich, so könnte man meinen, bedarf es weiterer Auskünfte zur Lage in Griechenland nicht! Eine ganze Bevölkerung – von den Reichen und Superreichen abgesehen – wird in Grund und Boden gespart. Die Lasten steigen an, vor allem für die Ärmsten und Armen, die Lebens- und Überlebensnot nimmt zu, gerade für diejenigen Menschen, denen eh schon fast alles genommen worden ist: die reale Möglichkeit zum Weiterexistieren ebenso wie die Hoffnung, daß wenigstens in absehbarer Zeit eine Wende zum Guten hin am Horizont auftauchen könnte. Und die Verzweiflung der vielen ist längst schon zum Zweifel fast aller geworden, die vor Jahr und Tag noch auf die SYRIZA setzten beziehungsweise auf die Tsipras-Regierung. Lediglich noch 19 Prozent aller Griechinnen und Griechen würden derzeit dieser Partei erneut ihr Vertrauen schenken. Und was die weiteren Kürzungspläne bei den Renten betrifft, trauen lediglich 36 Prozent der Befragten dieser vormals sozialistischen Regierung noch eine soziale Kurskorrektur zu, im Sinne einer nicht auszuschließenden „Möglichkeit“ jedenfalls (so die „Griechenland-Zeitung“, die GZ, in ihrer neuesten Ausgabe vom 23. Mai). Zwar haben am vergangenen Montag, den 21. Mai, bereits zum zweiten Mal anarchistische Gruppen das Gebäude des Staatsrates in der Athener Panepistimiou-Straße gestürmt – über das erste ‚Go-In‘ dieser Art, Ende April war das, berichtete ich bereits -, aber ‚selbstverständlich‘ blieb auch diese Protestaktion, die sich vor allem gegen die weiteren Rentenkürzungen richtete, ohne Erfolg. Im zweiten Stock dieses Gebäudes entschied am selben Tag das Oberste Verwaltungs- und Verfassungsgericht Griechenlands erneut über diese sogenannte „Rentenreform“, und erneut deklarierte das Richtergremium das Wegreglementieren der Lebensbasis für Millionen von Menschen als „verfassungskonform“. Ungerührte rühren sich halt nicht, wenn es ‚nur‘ um das Bewahren eines menschenwürdigen Existenzminimums geht. Wo kämen wir da ansonsten auch hin? – Nun, vielleicht in ein Deutschland der Hartz-IV-Gesetze, wo ebenfalls ein menschenwürdiges Existenzminimum für Millionen von Menschen nicht mehr gewährleistet ist!

Man kann, was da in Griechenland, von Regierungs- bzw. Staatsseite aus, betrieben wird, auch mit nackten, mit banalen Zahlen belegen. Hier eine kleine Auswahl nur:

  • Inzwischen beläuft sich der Schuldenstand der sogenannten „Öffentlichen Hand“ in Griechenland gegenüber Privatpersonen auf 3,4 Milliarden Euro.
  • Allein der Betrag ausstehender Steuerrückzahlungen des Staates an Privatpersonen hat inzwischen ein Volumen von 675 Millionen Euro erreicht.
  • Und selbst die Tatsache, daß im März dieses Jahres 118,4 Millionen überzahlte Steuern an verarmte Griechinnen und Griechen zurückerstattet worden sind, kann kaum fröhlicher stimmen: ein Großteil dieses – eh mickrigen! – Rückzahlungsbetrages ging als Abschlag an Rentenberechtigte, die bereits seit längerem auf Rentenzahlungen überhaupt warten mußten. Kurz: es handelt sich um Teilrückzahlungen an Menschen, die ohne Hilfe von Verwandten oder Freunden – Evi und Tassos wiesen in ihrem Bericht darauf hin – schlicht in der Zwischenzeit hätten verrecken ‚dürfen‘. Ist das noch Sozialstaat? Ist das noch Menschenwürde? Ist das noch ernstgenommene und ernstzunehmende Demokratie?

Und selbst jeglicher Linkstendenzen unverdächtige Mediendienste in der Bundesrepublik konstatierten unlängst im Internet: die Ersparnisse der Griechinnen und Griechen sind im vergangenen Jahr 2017 „so stark zurückgegangen wie noch nie zuvor“ – so das Website-Portal „Deutsche Wirtschafts Nachrichten“ am vergangenen Samstag, den 19. Mai. Unter Berufung auf Daten der Eurobank wird mitgeteilt, daß die Ersparnisse der Griechinnen und Griechen im vergangenen Jahr 2017 um 8,3 Milliarden Euro zurückgegangen sind, daß seit 2011 der Gesamtrückgang an Ersparnissen 32,5 Milliarden Euro betragen hat, daß – infolge dieser Tatsache (unter anderem jedenfalls) – der Inlandskonsum in Griechenland zwischen 2008 und 2017 von rund 163 Milliarden Euro auf 123 Milliarden Euro zurückgegangen sei und daß aufgrund dieses Rückgangs selbstverständlich auch das Investitionsvolumen in Griechenland dramatische Einbußen hat hinnehmen müssen. Lagen im Jahre 2009 die Investitionen noch bei 18,3 Prozent der Wirtschaftsleistung insgesamt, so ging diese Investitionsrate im Jahre 2017 auf 11,6 Prozent zurück. Heißt: nichtmal fernab aller humanen Erwägungen funktioniert dieses entsetzliche „Austeritätsmodell“, selbst rein mathematisch betrachtet, lediglich analysiert mithilfe volkswirtschaftlicher Kategorien, hat das Kaputtsparen Griechenlands (und seiner Menschen dort!) keinerlei Aufschwung, keinerlei Konjunktur in Gang zu setzen vermocht! Mit dem Wegsanieren des Sozialstaates und der Humanität in Griechenland bleibt sogar die funktionierende Ökonomie dieses gepeinigten Landes auf der Strecke. Und das alles passiert in einem Staat, wo angeblich noch eine sozialistische Regierung das Sagen hat und ein Alexis Tsipras seinen Landsleuten das alles als eine „Strategie des Wachstums“ verkaufen will. Wahrlich: es wäre besser, er nähme bei seiner Politik der leeren Hand den Mund nicht so voll und es verhielte sich eher umgekehrt – man investierte endlich wieder in die Wohlfahrt und Lebensqualität der Menschen, in materieller Hinsicht vor allem, und man träte bei den eigenen Großreden eher mit sehr viel mehr Bescheidenheit auf. So jedenfalls ernährt man die Menschen nicht mehr, sondern speist sie nur noch mit Gefasel ab!

Zum Abschluß meines heutigen Berichtes selbstverständlich unsere neuesten SpenderInnen- und Spendenzahlen! Nunja, dem „Zwischenhoch“ der vorletzten Woche folgte nunmehr ein „Zwischentief“. Hatten in der Vorwoche 5 SpenderInnen 585,- Euro auf unser Hilfskonto überwiesen, waren es diesesmal, während der letzten sieben Tage, nur 55,- Euro, die an Neuspenden auf unserem Hilfskonto gelandet sind, überwiesen von lediglich 2 Unterstützern an uns. Selbstverständlich gilt auch diesen beiden Spendern unser herzlicher Dank (um so mehr, als es sich um Helfer handelt, die beide schon sehr häufig für unsere Spendenaktion Geld an uns überwiesen haben)! Wie ich ja überhaupt – wieder einmal! – feststellen muß: viele, sehr viele Leserinnen und Leser unter Euch erhalten unsere Hilfsaktion am Leben, weil sie wieder und wieder, manche in jedem Monat sogar, dieser Hilfsaktion ihr beharrliches Vertrauen schenken. Ich persönlich jedenfalls empfinde sehr, sehr viel Dankbarkeit dafür, und ich bin sicher, daß dieses auch für alle anderen aus unserem Aktionsteam gilt! Dank also für diese bewundernswerte Solidarität, nunmehr über fast drei Jahre hinweg! Wir werden weiter bemüht bleiben, Euch nicht zu enttäuschen mit unserer Arbeit, vor allem aber nicht die leidgeprüften Menschen in Griechenland!

Womit ich wieder einmal bei meinen obligaten Schlußbemerkungen bin:

Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“,  der überweise uns bitte Spendengelder auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 200,- Euro erforderlich -, wende sich bitte an unseren neuen Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen ,oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Und wer noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e. V“, wäre eigentlich sehr dringend mal wieder auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „IHW“ versehen. Wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.

Mit herzlichen Grüßen wie stets

Euer Holdger Platta

 

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