Ellen Diederich zum Tod von Roger Willemsen

 In Ellen Diederich, Kultur, Politik (Ausland), Politik (Inland)

Roger Willemsen

Obwohl der Tod Roger Willemsens schon eine Weile her ist (7. Februar), tut es gut, dieses sehr persönliche und kenntnisreiche Würdigung seiner Person zu lesen. Ellen Diederich, selbst über Jahrzehnte Aktivistin an verschiedenen „Fronten“, sieht in Willemsen den großen Stilisten, der durch Sprachkunst und Beobachtungsgabe aus scheinbar unwesentlichen Details Wesentliches herausdestilliert. Die Absurdität unserer politischen und medialen Realität wird so besonders deutlich. Willemsen begab sich aber auch – abseits seines Erscheinungsbilds als gepflegter Intellektueller – in Gefahr und setzte sich an Brennpunkten des Weltgeschehens (z.B. Afghanistan) verstörenden Eindrücken aus. Sie machten das, was er an die Adresse der Deutschen zu sagen hatte, noch glaubwürdiger. (Ellen Diederich)

Roger Willemsen. Nun also auch er. An Krebs gestorben. So unerwartet. Keine Sylvestersendung mehr im WDR 5, keine Musikkommentare, kein Raten mehr bei „Ich trage einen großen Namen“, keine Reden, bei denen es immer, gleich welchen Inhalt er beschrieb, ein Genuss war, ihm zuzuhören.

In den letzten Monaten gab es in meinem Freundeskreis und bei Menschen, die ich aus der Ferne gesehen habe, eine Reihe von Todesfällen. Menschen, von denen ich gerne gelernt habe, bei denen ich das, was sie geschrieben, gesungen, an Aktivitäten unternommen haben, aufgesogen und teilweise bewundert habe. Alle waren an Krebs erkrankt und sind an dieser Krankheit verstorben.

Eduardo Galeano, 14. April 2015, der große Lehrer zum Thema Geschichte der Kolonisierung und Unterdrückung in Lateinamerika, aber auch des Widerstandes, der scharfe Beobachter und Kommentator der aktuellen Entwicklungen.

Walter Mossmann, 29. Mai 2015, der Sänger der Anti-AKW-Bewegung und der wunderbaren Lieder über Alltagsleben, Geschichte und Widerstand. Er bekam Kehlkopfkrebs, konnte nicht mehr singen. Kaum vorstellbar, was das für einen Sänger bedeutet, welcher Schmerz das sein muss.

Arno Klönne, 4. Juli 2015, der kluge Analyst von politischen Zuständen. Wir teilten Erfahrungen in der dj.1.11 (Deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929), bei Ostermärschen und unzähligen Veranstaltungen in der Friedensbewegung.

Peter Strutynski, 27. September 2015, der Friedensforscher und Aktivist. Auch wenn wir oft verschiedene Meinungen hatten, waren wir in unseren Zielen verbunden.

Henning Mankell, 5. Oktober 2015, dem ich so viele Stunden im Leben verdanke, in denen ich über seine Literatur und deren Verfilmungen Welten erfahren durfte.

Kurt Holl, der erste alternative Ehrenbürger aus Köln, Aktivist mit unendlich phantasie- und wirkungsvollen Aktionen, dem von Staatsseite bescheinigt wurde, er habe nicht die charakterliche Eignung, seinen Beruf als Lehrer auszuüben. Er bekam Berufsverbot, arbeitete und kämpfte unermüdlich, wurde ein Schutzpatron der Roma, hat bis zur Erschöpfung gekämpft.

Andreas Buro, 19. Januar 2016, Wissenschaftler und Aktivist in Friedenssachen. Beide waren wir vom ersten Ostermarsch an dabei, arbeiteten im Sozialistischen Büro zusammen, im Koordinationsrat der Friedensbewegung und bei unzähligen Veranstaltungen,

Und jetzt Roger Willemsen. Als ich die Nachricht hörte, war ich fassungslos. Er war so lebendig. Er hatte etwas sehr besonderes. Willemsens Umgang mit Sprache war einzigartig. Manchmal schämte ich mich fast, wenn ich mich an seiner Sprache manchmal sogar dann noch erfreuen konnte, wenn sie grauenhafte Zustände beschrieb. Sein Sprachvermögen war so pointiert, dass einem sofort Bilder in den Kopf kamen.

Roger Willemsen hatte diese große Beobachtungsgabe, eine fast kindliche Neugier und die Fähigkeit zu staunen behalten. Er bekam so viele vermeintliche Kleinigkeiten mit, die im Augenblick vielleicht unwichtig erschienen, aber ohne die das Leben in all seinen verschiedenen Facetten und Aspekten nicht wirklich zu erfassen wäre. Seine Sprache war ausdrucksstark, kaum urteilend, sondern beschreibend, sein Wortschatz war grenzenlos, so schien es mir.

Ich gebe ein paar Beispiele aus dem Buch „Afghanische Reise“, die mir in den Sinn kommen:

„Noch im Flugzeug stehe ich dauernd vor der Wahl: Kaffee mit oder ohne, Mineralwasser mit oder ohne, Salat mit welchem Dressing, Käsekuchen mit oder ohne Passionsfruchtsirup. Ich reise in ein Land ohne Wahl. Neben mir ist ein Mann gerade ernsthaft missvergnügt, weil er sein Mineralwasser nicht ‚Medium‘ bekommt. (…) Der Steward kommt mit dem Dessertwagen und sagt: ‚Wie gut, dass Sie Platz gelassen haben. Es lohnt sich.‘ Das unbewusste Obszöne am Reichtum: Inmitten des Überflusses Platz zu lassen für mehr Überfluss, und schon erscheint einem das Nachlassen des Völlegefühls als Hunger.“ (Roger Willemsen, Afghanische Reise, S. 14 ff.)

„Im Hotelfernseher erscheint plötzlich in einem Schneeregen der Bildstörung Harald Schmidt. Ein Programmhinweis der ARD. Schmidt geht durch das Sportschaustudio, redet und lacht sein hauptberufliches Lachen. Seltsame Reibung: Von hier aus betrachtet, das Bild eines Menschen, der den Ernst preisgegeben hat. In einem Land, das aus kaum etwas anderem besteht.“ (a.a.O. S. 74)

„Der Rauch ist stark und würzig, er brennt nicht im Mund, nicht in der Lunge, er hebt meinen inneren Zustand, verdichtet ihn, aber plötzlich passiert, was seit dem Kiffen in meiner Schulzeit nicht mehr passiert ist: Angst materialisiert sich, Angst, die über die Straße heranrollt, durch den Hof kommt, aus den Wänden tritt, über meinem Lager zusammenschwappt. Plötzlich ist jede Angst, die sich in der Stadt je befunden hat, zielgerichtet und bei mir. Sie hat keine genießbare Seite und erlaubt auch kein Abschweifen. Vielmehr meint sie es ernst als Einschüchterung und Bedrohung. Wenn Orte geronnene Erfahrung sind, wenn sie sich zusammensetzen aus allem, was je in ihnen gefühlt wurde, dann ist die Angst eine Art Offenbarung. Kunduz gibt sich zu erkennen. In das Weichbild der Stadt haben sich Bombenabwürfe und Raketenbeschuss, Vergewaltigungen, Folter und Morde eingedrückt. Heckenschützen haben gelauert, Späher haben Häuser auf der Suche nach Versteckten durchsucht, Marodierende haben zerstört, Soldatentrupps haben Bauwerke gestürmt und verwüstet, Frauen haben geschrieen, Kinder das Weite gesucht. Jede denkbare Konstellation kann sich wiederholen. Es ist alles noch zu frisch. Die Gewalt ist nicht archaisch, nicht Kultus. Sie ist nur für ein paar Tage nicht hier her gekommen und wir reden schon vom Frieden.“ (a.a.O. S. 116 ff.)

Wir hatten Roger Willemsen zu einer Veranstaltung über den Zusammenhang von Medien und Krieg eingeladen. Nach zwei, drei Minuten eine nahezu grenzenlose Aufmerksamkeit, zwei Stunden lang. Nicht einmal schaute er in ein Manuskript. Er war unbedingt glaubwürdig.

Das letzte große Buch: „Das hohe Haus“ ist einfach genial, das ganze Buch. Was für eine Idee, ein Jahr lang auf der Tribüne des Bundestags zu sitzen und nur zu beobachten. Es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Ich habe in meinem Leben oft Debatten im Bundestag verfolgt. Oft ärgerlich bis zornig, absolut fassungslos, wenn man die Verhaltensweisen sieht, die ein demonstratives Nicht-Interesse vieler Abgeordneter und MinisterInnen auf der Regierungsbank zeigen, wenn jemand aus einer anderen Fraktion redet. Von der Zuschauertribüne aus sieht man all das noch viel besser, so hat uns Roger Willemsen eine klarere Sichtweise, aber natürlich vor allem auch Einsicht in Dummheiten, Lügen, Eitelkeiten, aber auch vom Sachverstand vermittelt.

In dem Buch Afghanische Reise überlegte er: „Die eigene Kultur infrage stellen. Wie bewege ich mich, wie lächle ich, wann berühre ich mein Gegenüber? Ist mein Gesprächsstil konfrontativ, evasiv, ornamental? Stehe ich zu meinen Versprechen? Nichts, was wir psychologisch nennen, hat hier noch diese Bedeutung…“

Aus dieser Position heraus ist ihm die Beobachtung des Bundestages hervorragend gelungen. Danke, Roger Willemsen. Wir werden Dich schmerzlich vermissen.

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