Entfesselte Grausamkeit

 In Kultur, Roland Rottenfußer
Sind sie nicht cool? Waltz und Foxx auf Menschenjagd

Sind sie nicht cool? Waltz und Foxx auf Menschenjagd

US-amerikanische Filme wie Quentin Tarantinos „Django Unchained“ vermitteln unter dem Vorwand, der Humanität und Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, ein zutiefst reaktionäres Menschenbild. Im Sinne eines „Anti-Mitgefühlstrainings“ bewirken sie – ästhetisch verbrämt – außerdem eine Gewöhnung an abstoßende Gewalt und schnoddrig-beiläufig vollzogene Grausamkeit. Anstatt dass sich kultureller Widerstand regt und die impliziten ideologischen Muster analysiert werden, huldigen selbst intelligente Medien und Zuschauermassen den Protagonisten einer gewaltpornografischen Spaßkultur. Das Massenbewusstsein gleitet bedrohlich auf einer abschüssigen Ebene in Richtung Entmenschlichung. (Roland Rottenfußer)

„Django Unchained“ ist ein ungewöhnlich abstoßendes, ja perverses und fragwürdiges Werk. Freundlicher ausgedrückt, könnte man sagen, dass Herr Quentin Tarantino und ich völlig verschiedene Geschmäcker haben. Er steht auf Italo-Western (auch die trashigen), auf Martial Arts und auf Serien der 80, aus denen er dann seine “Schauspiel-Legenden” rekrutiert (früher David Carradine, diesmal Don Johnson – “Miami Vice” – als Nebendarsteller). Tarantino tritt ja in “Django” kurz auf, und schon sein Gesichtausdruck bringt mich unweigerlich zu der Hypothese, dass er eigentlich ein großes, brutales Kind ist. Sein Film bestätigt das. Nebenbei ist er auch noch ein Genie in einem ähnlichen Sinn wie Sergio Leone eins war: grandios in Dramaturgie und Bildgestaltung, tolle Schauspielerführung, ausgefeilte Dialoge. Aber, um ein etwas drastisches Beispiel zu wählen – bekanntlich hatte der Film “Triumph des Willes” auch “ästhetische” Qualitäten.

Dieser Vergleich scheint nur ungerecht, da sich ja Tarantino in “Inglourious Basterds” als Antifaschist und in “Django” als Rassismus-Gegner profiliert hat. Es mag sein, dass er beides tatsächlich ist, aber den Humanismus nehme ich ihm in keiner Weise ab. Die Nazis und Sklavenhalter in den Filmen Tarantinos sind vor allem “Orks”, d.h. untermenschliche Kreaturen, deren blutige Hinrichtung Teil einer gewaltpornografischen Spaßkultur ist. Rache ist Tarantinos Leib- und Magenthema – d.h. das Bestreben, sich dem Niveau der Täter durch Imitation ihrer Mittel quasi nach unten anzupassen, eine Art Anti-Christentum, das sich als Gerechtigkeit tarnt. Rachedramen sind in jedem Fall der Vorwand für zweifache Gewaltdarstellung, indem nämlich zuerst der Anlass für die Rache, dann die Rache selbst blutig zelebriert werden – beides unter dem Vorwand betroffenen Mitgefühls für die Opfer. Diese gutmenschliche Hilfskonstruktion funktionierte in “Basterds” noch besser, weil in der schönen Shosanna (Mélanie Laurent) eine wirklich sympathische Identifikationsfigur zur Verfügung stand und weil die Ermordung Hitlers selbst unter Pazifisten gelegentlich als denkbare Option gehandelt wird. In “Django” wird jede Identifikation allerdings dadurch erschwert, dass die beiden Helden Django (Jamie Foxx) und Dr. King Schultz (Christoph Waltz) beruflich als Kopfgeldjäger arbeiten.

Django als befreiter Sklave kann die Sympathie des Zuschauers anfangs noch auf sich ziehen, bis er unter der Anleitung von Schultz eine Art Kopfgeldjäger-Ausbildung absolviert, d.h. ein Anti-Mitgefühlstraining, das es ihm möglich macht, Fremde aus der Ferne ohne Skrupel abzuknallen. Dies wird besonders deutlich und abstoßend gezeigt in einer Szene, in der Django zögert, einen Fremden in Gegenwart seines kleinen Sohnes aus dem Hinterhalt abzuknallen. Lehrmeister Schultz erklärt ihm aber, da müsse man als Kopfgeldjäger durch. Das durch gemeinsames Morden zusammengeschweißte Helden-Duo macht sich nun im Finale auf, die schöne Frau Djangos (Kerry Washington) aus den Klauen eines berüchtigten Sklavenhändlers (Leonardo diCaprio) zu befreien. Um der Frau willen hofft man trotz allem, dass dies gelingt. Schultz und der Sklavenhändler liefern sich nun ein Duell sadistisch-langgezogener, gestelzter Dialoge. Das hat seinen Reiz, zumal bei zwei so guten Schauspielern, wird jedoch dadurch getrübt, dass Dialogkunst bei Tarantino nur die Funktion eines retardierenden Moments vor dem Ausbruch von Gewaltexzessen hat. Die werden dann vor allem durch das Stilmittel spritzenden Blutes ausagiert, so als träfe die Kugel jedes Mal nicht menschliches Fleisch, sondern prall gefüllte rote Farbbeutel. Die Kultiviertheit der Sprache, speziell von Waltzs Figur, hilft dabei, der Gewalt den Anstrich kultfähiger Coolness zu verleihen. Im Kern wird eine Ideologie transportiert, die menschlichem Leben nicht mehr Wert beimisst als computergenerierten Moorhühnern, die von degenerierten Wohnstandskindern zu dutzenden virtuell abgeknallt werden – den Blick immer stolz auf das eingebaute Zählwerk gerichtet: schon 70 Leichen, mein Rekord!

Ich würde Lesern nicht unbedingt vom “Genuss” des Films abraten, wenn sie Waltz und DiCaprio mögen, die hier wirklich auf der Höhe ihrer Kunst agieren – ebenso übrigens wie Samuel L. Jackson als sadistischer (natürlich!) Verräter seiner eigenen “Rasse”. Ich finde es allerdings höchst bedenklich, dass man in der Presse gegen den Film kaum Vorwürfe im Sinne meiner Ausführungen gelesen hat. “Django Unchained” ist kultureller Ausdruck einer kollektiven Psyche, die schwerstens erkrankt ist. Dies gilt natürlich in erster Linie für das Urheberland, die USA, aber auch für uns, die „Satellitenstaaten“ und alle, die einer derartigen Entmenschlichungskultur, Eintritt zahlend, Popkorn kauend, feixend und fiebernd huldigen. In den Weihnachtsferien habe ich mir ja zudem bewusst eine selbst zusammengestellte Mainstream-Trilogie angeschaut, weil auch ich mir nicht ununterbrochen korrekte und intellektuell hochwertige Kost à la Bergmans „Schweigen der Erdbeeren“ reinziehen kann. Die Trilogie bestand aus dem Zombie-Streifen “World War Z” mit Brad Pitt, “Man of Steel”, dem jüngsten Superman-Film, sowie “Star Trek: Into Darkness”, in der die Kirk-Spock-Crew mit jungen Darstellern wiederbelebt wird.

Mein Eindruck von den Filmen ist: Meine ohnehin schon geringen Erwartungen wurden – vor allem was das ethische und politisch-weltanschauliche Niveau betrifft – noch unterboten. Alle drei Filme sind Dokumente eines Phänomens, das Thomas Mann einmal besorgt den “Abfall der Epoche vom Humanen” genannt hat. Der Zombie-Film thematisiert den gerechtfertigten Genozid an einer Untermenschen-Spezies zum Zweck der Selbstverteidigung. Der Feind, die Zombies, wird als Ekel erregend wimmelnd dargestellt. In einer besonders drastischen Szene überrennt er die Mauern der Zivilisation durch die pure Masse des zum Einsatz kommenden Untermenschenmaterials. Interessanterweise handelt es sich dabei um die Mauer, die Israel vor den Palästinensern schützt. Ich glaube nicht, dass die Filmemacher um Regisseur Marc Forster damit einen Kommentar zum Israel-Palästinenser-Problem abgeben wollten. Erkennbar schürt der Film aber die Angst der „Ersten Welt“, von den Menschenmassen der armen Länder überrannt zu werden.

“Man of Steel”, ein tricktechnisch aufgeblähtes, ohnehin erwartungsgemäß seichtes Machwerk, spiegelt erkennbar die Angst des US-Bürgers vor der Übernahme seiner Kultur durch das bedrohliche Fremde, dem wiederum nur durch Gewalt begegnet werden kann. Die Übelwichte von Supermans Heimatplaneten „Krypton“ setzen eine Megamaschine, den „Weltenwandler“ ein, der die Erde in kurzer Zeit den Lebensbedürfnissen der Aliens anpasst. Nach vollzogener Wandlung wäre die Erde für „einheimische“ Menschen unbewohnbar und könnte von den Ausländer, äh: Außerirdischen „übernommen werden.“ Zum Glück gibt es da den wohlmeinenden Übermenschen, hart wie Kruppstahl, der sich der Überfremdung im Alleingang entgegen stemmt. Eine ähnlich xenophobe Fabel hatte Steven Spielberg schon in seinem Film „Krieg der Welten“ präsentiert. Aliens werden darin von Bakterien getötet, die die Immunabwehr des heimatlichen Wirtskörpers gegen alles Fremde symbolisieren. In der Sprache bayerischer Stammtische lautet die Botschaft: „Da hockan de, de wo oiwei do hockan, und de, de ned dazua ghörn, soin wegbleibn.“

„Star Trek: Into Darkness” ist eine Parabel auf den Terrorismus und auf das Recht einer Nation, zur Selbstverteidigung auch auf das Territorium anderer Länder überzugreifen. Hier ist es Bösewicht Khan, der sich nach vollendetem Bombenanschlag auf eine hochrangige Sternenflotten-Konferenz im Luftraum der Klingonen versteckt. Die allen Star-Trek-Fans bekannte „Oberste Direktive“, also das Gebot, sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Planeten einzumischen, wird im Film durch die autokratischen Space-Heroen massiv in Frage gestellt. Sie repräsentieren somit auch die USA und die ihr ergebene westliche „Wertegemeinschaft“, die beansprucht, jeden Winkel der Welt nach Belieben mit werteorientierten Kriegen überziehen zu dürfen. Die Rüstungsfirmen freut’s.

In diesen und vergleichbaren Filmen zeigt sich das ur-amerikanische Dilemma, das schon im grandios gespielten, aber rechtslastigen Drama “Die Fremde in mir” mit Jodie Foster angedeutet war: Inwieweit ist das Gesetz zur Abwehr des Bösen hilfreich, und inwieweit ist es nur ein lästiger Hemmschuh, der von moralisch überlegenen Einzelkämpfern abgestreift werden darf oder sogar sollte. Arbeiten die Mühlen des Gesetzes nicht allzu langsam und ineffizient? Müssen ganze Kerle (und Kerlinnen) das Gesetz des Handelns nicht unter Berufung auf eine gefühlte höhere Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen? Gehören Verbrecher nicht einfach abgeknallt, anstatt ihnen in zähen, betulichen Gerichtsverhandlungen auch noch die Gelegenheit zu larmoyanter Selbstdarstellung zu bieten? Wer aufpasst, wird dieses implizite Argumentationsmuster in vielen, vor allem US-amerikanischen Filmen wiederentdecken.

Man kann und sollte nun einen Zusammenhang herstellen zu solch infantil-patriotischen, fahnenselig in Gewalt schwelgenden Machwerken wie „Olympus has fallen“, in dem ein bewaffneter Good Guy im Alleingang das von Terroristen besetzte Weiße Haus (!) befreit. Man kann und sollte auch eine gedankliche Brücke schlagen zu der unerträglichen Mode der so genannten „Torture Porns“, Streifen wie „Saw“, die das explizite und anhaltende Quälen von Menschen kult- und mainstreamfähig gemacht haben. (Ich gebe zu, dass ich die Filme nur vom Hörensagen kenne, mich ihnen verweigert haben, um nicht unauslöschlich solche Bilder in mein Gehirn zu pflanzen.) Wer hier nicht abschaltet oder das Kino verlässt, sieht sich unvermeidlich einem Anti-Mitgefühlstraining ausgesetzt. Er muss seine Emotionen abschalten, muss leugnen, mit dem publikumswirksam Gefolterten Teil ein und derselben fühlenden, leidensfähigen Spezies zu sein, um das Gezeigte überhaupt ertragen zu können. Da Mitgefühl nicht aushaltbar wäre, muss es eben auch ohne Mitgefühl gehen. Und so sitzt der Zuschauer wie eingefroren da: glotzend, Bier trinkend, gegenüber gleichermaßen coolen Kameraden mit seiner Unberührtheit durch derartige Gewaltexzesse prahlend.

Man kann und sollte schließlich auch eine Verbindung herstellen zum unerträglich abstoßenden und ekelhaften „Dschungelcamp“. Erschreckend ist dabei nicht nur die bloße Existenz dieses sadistischen Torture-Big-Brother-Formats. Erschreckend ist weniger, dass sich am unteren Rand der Niveauskala ein geschmacks- und ethikfernes Publikum für dergleichen findet. Wirklich erschreckend finde ich, wie viele willfährige Zubringermedien diesen Stuss durch kritiklose PR hofieren – dabei den gleichen flapsig-schadenfroh-gefühlskalten Ton anstimmend, der in der Sendung selbst vorherrscht. Auf Seiten wie t-online.de oder web.de werden Neuigkeiten aus dem Dschungelcamp mit gleicher Frequenz und Selbstverständlichkeit vermeldet wie Fußball-News zu WM-Zeiten. Wenn Weihnachten ist, sind alle Medien auf Weihnachten gepolt; läuft gerade “Dschungelcamp”, scheint es auf allen Kanälen nichts wichtigeres zu eben. Fast alle – auch leidlich intelligente – Medien, versuchen ihren Frieden mit dem „angesagten“ TV-Format zu machen, kuschen vor der voyeuristischen Lust, Menschen entwürdigt zu sehen. Larissa im Kakerlakenbad – Dschungel-Zicke versagt bei Ekel-Prüfung. Dezent kritische Untertöne mischen sich witzelnd-verharmlosend mit einem resignierten Gruß vor dem Gesslerhut, zumindest mit einem impliziten Bekenntnis zur Relevanz des Themas und zur Existenzberechtigung derartiger Sendungen.

Betrachtet man das ganz Panorama – die hier angesprochenen Filme und Sendungen wie auch andere, die ich „genießen“ durfte – so kann einen freilich das Grauen packen. Aber es ist kein wohlig-zustimmendes Gruseln mehr. Ich schwanke diesbezüglich zwischen verschiedenen Gefühlsregungen: Abscheu, die Lust am satirischen “Zerlegen” derartiger Kulturschöpfungen, auch ein bisschen Hoffnung noch, dass es möglich sein könnte, eine Art geistiger Brandmauer dagegen zu errichten. Aber all diese Regungen verdecken wohl auch bei mir eine noch tiefer liegende. Konstantin Wecker hat es einmal sehr schön ausgedrückt: „Da ist zwar ein Sehnen in mir …

… aber eigentlich habe ich Angst.“

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