Eulenfeder hat (und erklärt) den Blues

 In Kultur
Blues-Legende John Lee Hooker trat auch im Film "Blues Brothers" auf.

Blues-Legende John Lee Hooker trat auch im Film “Blues Brothers” auf.

Manche werden sich über die in letzter Zeit verstärkte Präsenz des Blues in unserer Musikvideo-Rubrik gewundert haben. Dies liegt daran, dass die HdS-Redaktion seit kurzem über einen ausgezeichneten Experten dieser Musikrichtung verfügt (sofern “verfügt” bei einem derart freiheitsliebenden Menschen der richtige Ausdruck ist). Blues und Bluesrock in ihrer direkten, erdigen Art bildet die ideale Ergänzung zum üblichen Musikgeschmack der Redaktions-Softies, denen vor allem Klassik und Chanson gefällt. Konstantin Wecker ist ja im übrigen (neben anderen Qualitäten) auch ein ausgezeichneter Blues-Pianist. Selbst bei einer etwas “rauheren” Klangsprache, ist es unüberhörbar, dass der Blues ein Herz hat: speziell auch für die Unterdrückten und Ausgebeuteten, aus deren Kreisen er ursprünglich hervorgegangen war. Und, egal ob wir es so nennen oder nicht, als Seelenzustand kennen wir ihn alle: den Blues. Wie wäre es anders möglich angesichts der Weltzustände? Auf Wunsch der Redaktion erzählt besagter Experte, der auch bei einem hopfenhaltigen Getränk über beträchtliche Expertise verfügt, hier von “seiner” Blues-Philosophie.

“ois is blues” hat der Willy Michl mal gesagt und gesungen, der münchner stadtindianer – recht hat er. und “nothin’ but the blues” bedeutet nicht, dass es ausser ihm nichts gäbe – nein ! “man hat nichts anderes als den blues, den blanken blues quasi” – das blanke gefühl . “blues is a feelin’, ‘ain’t nothin’ like the blues”. und so war es auch zu jener zeit, als man eben kein anderes mittel hatte, um seine gefühle auszudrücken: die starken gefühle, entstanden aus unterdrückung, not, leid, ungerechtigkeit. der blues als einziges mittel, um hoffnung zu bewahren, auszudrücken, zusammenhalt in der not zu schaffen: durch ein gemeinsames ausdrücken der gefühle. blues war auch ausdruck und festigung eines glaubens, des glaubens an gerechtigkeit, heimat, ein besseres leben, die verbundenheit in menschenunwürdigen zeiten.

so wurde er geboren, der blues, aber nicht nur um leid auszudrücken – eben auch die lebensfreude, eine fröhlichkeit, mut und hoffnung trotz schlimmster zustände. das allheilmittel, die medizin gegen alle plagen des lebens, wurde damit auch geboren, und sie kostete keinen cent – nur das öffnen und zulassen von etwas, das jeder in sich trägt: gefühl!

aber was unterscheidet denn nun den blues so entscheidend von anderen musikformen, die ja ebenfalls gefühle audrücken? was macht ihn derart ausdrucksstark bezüglich tiefer gefühle? die mollstimmung, wie in der klassik, kann es nicht sein, schon weil der blues auch in dur dieses “blue feelin” zaubert. es sind jene (zumindest) zwei besonderen töne pro tonleiter, die den blues kreieren: die “blue notes”. zwei kleine zusätzliche halbtonschritte, die in der klassik meist sofort als “missklang” auffallen würden, öffnen eine gefühlswelt, die unerschöpflich ist und drücken das bluesgefühl aus, das von schmerz bis glück alles umfasst. lässt man in eine “normale” tonleiter nur eine dieser bluenotes einfliessen, dann fährt diese in den bauch und erzeugt jenes gefühl, das jeder sofort spürt. es ist, als würde man in ein anderes musikalisches universum kommen, wenn man einem “normalen” ton eine bluenote folgen lässt. das ist sehr erstaunlich.

wie kaum eine andere musik drückt der blues auch die gefühle direkt aus, unmittelbar: das ganze spektrum  in “reiner” form. man könnte ihn als gefühlsverstärker bezeichnen. vor allem, wo leid und trauer gespürt wird, macht er das  erleben intensiver, reisst einem die seele aus dem leib und heilt damit zugleich. man kann sich an ihm festhalten. es gab kein anderes mittel zu jener zeit, als er geboren wurde, und so verwundert es nicht, dass er zu einer heilenden medizin wurde. so unmittelbar erdig und echt die bedürfnisse waren, so drückt sie der blues aus: unverfälscht. und dann bekommt er einen anderen, verständlichen sinn: “nothin but the blues”. zudem beschäftigt er sich textlich mit den tatsächlichen nöten und bedürfnissen, hat eine eigene sprache entwickelt, und die ist ebenso erdig, ehrlich, erzählt von blanken notwendigkeiten und bringt dabei die hoffnung und die freude, auch die unbeschwertheit zum ausdruck, die nötig ist, um zu heilen.

“drei akkorde und die wahrheit” – ja, so kann man ihn bezeichnen. den blues hast du, wenn du “nine below zero” bist, also ein stück weiter unten als ganz unten. “if blues was money, I would be a millionaire”. “if it wasn’t the bad luck i wouldn’t have no luck at all”. “drownin’ in the blues”… aber es ist, als würde er dir die hand auflegen und dich dadurch heilen, dass du dich auf ihn einlässt.

John Lee Hooker war ein wahrer meister darin, ein sieben minuten langes stück mit nur einem akkord zu spielen. und keine sekunde war es eintönig! sein ganzes gefühl hat er da reingelegt, und dies erzeugte diese fülle trotz minimalismus in den mitteln. meist nur eine angewandte “blue note” in nur einem akkord schaffte einen ungeheuren reichtum an ausdruckskraft – fast ein wunder.

aber er hat sich auch weiterentwickelt, der blues. Natürlich – und nicht unbedingt zu seinem vorteil. er hat sich vermischt, ist eingeflossen in die popmusik, wird verzerrt und damit seiner ureigenen kraft beraubt. zudem sterben sie aus, die alten meister des blues, die “hüter” seiner kraft. jedoch ist er immer rückführbar auf das, was ihn eigentlich ausmacht: die einfachheit im ehrlichen gefühlsausdruck. “the blues had a baby and they named it rock’n roll” hat B.B. King mal treffend gesagt. kein poblem eigentlich, denn auch der “rock” hat’s in sich. aber er führte eben auch zu einer entfremdung, entfernung vom eigentlichen wesen. ohne ihn, den blues, gäbe es heute keinen jazz, keinen rock, keine popmusik. jedoch darf man die wurzel nicht vergessen, muss sie pflegen, behüten. ihre unerschöpflichkeit besteht weiter, wenn man sich weiterhin einlässt auf den “bare naked blues”.

 

 

 

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