Felicia Langer ist tot

 In FEATURED, Politik (Ausland)

Felicia Langer, Bildquelle: www.rightlivelihoodaward.org

Felicia Langer verteidigte als Jüdin Palästinenser vor israelischen Militärgerichten. Auch Kriegsdienstverweigerer in Israel konnten sich auf den Schutz der Anwältin und Menschenrechtsaktivistin verlassen. Felica Langers Familie hatte sehr unter dem Holocaust, aber auch unter dem Stalinismus zu leiden gehabt. Die Schlussfolgerungen, die Langer aus der Geschichte zog, unterschieden sich jedoch in vielem von denen der israelischen Regierung: “Wir Juden wissen, was es heißt zu leiden; deshalb dürfen wir andere nicht unterdrücken.” Ellen Diederich erinnert an eine aufrechte Frau.

 

Einmal in meinem Leben habe ich innerhalb von 5 Wochen 6 Bücher der gleichen Autorin gelesen, Bücher von Felicia Langer. Ich konnte einfach nicht aufhören. Die Bücher haben Titel wie:

– Lasst uns wie Menschen leben – Schein und Wirklichkeit in Palästina
– Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser
– Nahost oder: Die geduldete Heuchelei
– Zorn und Hoffnung – ihre Autobiographie
– Wo Hass keine Grenzen kennt
– Brücke der Träume – Eine Israelitin geht nach Deutschland
– Miecus später Bericht

Seit langem war ich mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern beschäftigt, bin mehrfach dort hin gefahren, habe bei den Weltfrauenkonferenzen Dialoge zwischen Frauen aus so genannten Feindesländern, so auch aus Israel und Palästina, initiiert, an einem Versöhnungscamp zwischen Israelis, Palästinensern und Deutschen in Portugal mitgemacht.

Unter anderem haben zwei Frauen mir das Bild dieses Konfliktes durchsichtig gemacht: Felicia Langer und Sumaya Farhet-Naser. (Sumaya ist palästinensische Professorin, sie beschreibt den Konflikt weitgehend auf der Basis von kaum vorstellbaren autobiografischen Spuren)

Felicia Langer, wurde 1930 in eine jüdische Familie in Tarnów in Polen geboren. Alle historischen Dramen einer solchen Herkunft hat sie erlebt. Ein großer Teil der Verwandten starben im Holocaust. Ihre Familie floh 1939 vor der deutschen Invasion aus Polen in die Sowjetunion. Ihr Vater wurde dort unter Stalin verhaftet und starb an den Folgen der Haft.

Felicia Langer heiratete 1949 Mieciu Langer. Seine ganze Familie wurde durch die Nationalsozialisten ermordet. Er selber überlebte 5 Konzentrationslager. Seine Geschichte hat Felicia in dem Buch: „Miecius später Bericht- eine Jugend zwischen Getto und Theresienstadt“ aufgeschrieben. Erst nach 1990 begann er langsam, über seine Erfahrungen zu sprechen.

Beide waren 1950 nach Israel ausgewandert. Felicia studierte an der Universi-tät Jerusalem Jura, 1965 wurde sie als Anwältin zugelassen und eröffnete eine eigene Kanzlei. Der 6 Tage Krieg von 1967 erschütterte ihr politisches Bild vom Nahostkonflikt.

Vor dem 6 Tage Krieg war Israel etwa 20.000 qkm – etwa so groß wie Hessen. In diesem nur 6 Tage andauernden Krieg erweiterte Israel sein Staatsgebiet um das dreifache: Ägypten wurde aus Gaza und von der Sinai Halbinsel verjagt. Syrien hatte die Golan Höhen und Jordanien das West Jordan Land verloren.

Die Palästinenser bewohnen heute noch etwa 25% ihres ursprünglichen Landes. Ein großer Teil von ihnen wurde unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel, im Laufe der Zeit aus immer weiteren Teilen vertrieben.

460.000 Israelis leben heute in 122 völkerrechtswidrig errichteter Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem.

Die Vertreibungen waren mit Kämpfen verbunden. Viele tausend Palästinenser kamen ins Gefängnis oder verloren ihr Leben.

Felicia Langer entschied sich als erste israelische Anwältin, angeklagte Palästinenser vor den israelischen Militärgerichten zu verteidigen. 23 Jahre lang übte sie diese Arbeit aus. Allen nur vorstellbaren Schwierigkeiten war sie dabei ausgesetzt. Sie verteidigte auch israelische Kriegsdienstverweigerer, die in Israel einen sehr schweren Stand haben. 1977 wurde ihr die Lizenz zum Verteidigen von Palästinensern entzogen.

Sie war Vizepräsidentin der israelischen Liga für Menschenrechte.

1990 beschlossen Miecu und sie, nach Deutschland auszuwandern. Felicia schloss ihre Anwaltskanzlei, sie übersiedelten nach Tübingen, wo ihr einziger Sohn be-reits lebte und als Schauspieler am dortigen Theater arbeitete.

In Deutschland war sie weiter politisch sehr aktiv, hielt Vorträge zum Nahost Konflikt, hatte Lehraufträge an verschiedenen Universitäten, engagierte sich für Flüchtlingskinder im Libanon, war Jury Mitglied im Russell Tribunal zu Palästina.

Diese Engagements wurden auf der einen Seite mit unzähligen Preisen ausgezeichnet. So erhielt sie u.a. den „Alternativen Nobelpreis“, das Bundesverdienstkreuz, wurde zu einer der 50 bedeutendsten Frauen der israelischen Gesellschaft gewählt und bekam den palästinensischen Orden für besondere Verdienste.

Auf der anderen Seite wurde besonders in Deutschland ihr Engagement heftig kritisiert. Zusammen gefasst hieß es: Sie sei eine „Feindin Israels“. Ihr schärfster Kritiker war der jüdische Schriftsteller Ralph Giordano, er und weitere drohten mit der Rückgabe ihrer Bundesverdienstkreuze, falls die Verleihung an Felicia Langer nicht rückgängig gemacht würde.

Wodurch zeichnet sich das Engagement Felicia Langers aus?

Grundlegend: Ihr Bezug zu Menschenrechten ist ein universeller. Das bedeutet: Kein Konflikt kann dazu genommen werden, die Menschenrechte für eine Seite zu reklamieren.

Als Deutsche, am Ende des 2. Weltkrieges geboren, sind die Verbrechen des Holocaust Teil unserer politischen Sozialisation, die nur in geringem Maße versuchen kann, das unfassbare zu begreifen. Mit 13 Jahren las ich das erste Buch über ein KZ: Walter Pollers „Der Arztschreibe von Buchenwald“.

Ich besuchte das Anne Frank Haus in Amsterdam und 10 ehemalige Konzentrationslager, darunter Auschwitz.
Die Sehnsucht der Menschen, die direkt oder über Familien vom Holocaust betroffen waren, einen Ort zu haben, von dem sie nicht mehr vertrieben werden können, wo ihr Glauben, ihre Sprache respektiert werden, ist nur zu verständlich.

Wie aber kann ein solcher Ort gefunden werden?

Sicherlich nicht, indem Menschen, die dort leben, vertrieben werden, in dem über eine Hochrüstung bis hin zu Atomwaffen ein Bedrohungszenario aufgebaut wird, das sich auf der Basis dieser militärischen Stärke meint, sich jeder Form von Willkür zu bedienen.

Mir war besonders in diesem Konflikt immer sehr schwer verständlich, dass gerade Menschen, deren Familien eine unendliche Leidensgeschichte haben, sich solcher Mittel bedienen und nicht für immer daraus die Lehren gezogen haben, dass gerade das nicht zu friedlichen Verhältnissen führen kann. Das war meine Übereinstimmung mit vielen Aussagen von Felicia Langer.

Am 22. Juni 2018 ist Felicia Langer im Alter von 88 Jahren in Tübingen an einer Krebserkrankung gestorben.
Mit ihr haben wir eine der kenntnisreichsten Stimmen über den Nahostkonflikt verloren. Eine Stimme, die sich nicht aus dem sicheren Abstand, sondern aus dem eigenen Erleben dieses Konfliktes Gehör verschafft hat.

Sie wird uns fehlen.

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