Für Rudi Dutschke und Fasia Jansen
AfD wurde drittstärkste Kraft bei der Bundestagswahl 2017
Selten war ich so fassungslos, das Ergebnis einer Bundestagswahl zu hören. Mein persönliches Leben ist bis heute durch die Naziherrschaft, den Krieg und besonders die Begegnung mit 2 Menschen, die durch die Geschichte des Nationalsozialismus Jahre nach dem Krieg ihr Leben verloren haben, bestimmt. (Ellen Diederich)
Das 20ste Jahrhundert war das blutigste der Menschheitsgeschichte.
In dem Jahrhundert sind mehr Menschen in Kriegen ums Leben gekommen, als in den 1.900 Jahren unserer Zeitrechnung zuvor.
Der 2. Weltkrieg war der Krieg, der die meisten Toten gefordert hat. Nach verschiedenen Berechnungen geht man von 71 Millionen Toten aus, darunter 22 Millionen Zivilisten.
„Keine Worte können die Realität des 2. Weltkriegs beschreiben, und auch nüchterne Zahlen versagen manchmal ihre Wirkung ob ihrer schieren Größe.“
Theresa Locker, Motherbord
Vor 72 Jahren, endete der 2. Weltkrieg. Die Zerschlagung der nationalsozialistischen Herrschaftsstrukturen begann. Es war zum Teil ein mühseliges Unterfangen. Auf der einen Seite wurden in Deutschland selber Entnazifizierungsprozesse eingeleitet. Viele ehemalige Nazis wurden befragt, verloren ihre Funktionen.
„Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher beziehungsweise Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess wurden nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Politiker, Militärs und NS-Funktionäre erstmals für die Planung, Vorbereitung, Einleitung und Durchführung eines Angriffskrieges, Verbrechen an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen sowie für den Massenmord in den Vernichtungslagern strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Von den vierundzwanzig Angeklagten wurden zwölf zum Tode und sieben zu Freiheitsstrafen verurteilt, drei Angeklagte wurden freigesprochen. Zwei Verfahren wurden ohne Verurteilung eingestellt.“ Wikipedia
Ein großer Teil der ehemaligen Nazis aber entging einer Bestrafung, kam zurück in Amt und Würden. Besonders auch im Bereich der Justiz. Viele flohen ins Ausland, vor allem nach Lateinamerika und agierten von dort weiter.
Nun gab es in dieser Woche Bundestagswahlen. Zum ersten Mal seit Kriegsende zieht eine neofaschistische Partei, die AdF mit 92 Abgeordneten in den Deutschen Bundestag ein.
„AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat einen Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit und eine Neubewertung der Taten deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg gefordert. In einer Rede vor Anhängern sagte Gauland Anfang September bei einem „Kyffhäuser-Treffen“ der AfD in Thüringen, kein anderes Volk habe „so deutlich mit einer falschen Vergangenheit aufgeräumt wie das deutsche“.
Mit Blick auf die NS-Zeit von 1933 bis 1945 fügte Gauland hinzu: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“
Gauland forderte in der Rede außerdem eine Neubewertung der Taten deutscher Soldaten in beiden Weltkriegen. Wenn Franzosen und Briten stolz auf ihren Kaiser oder den Kriegspremier Winston Churchill seien, „haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“, sagte der AfD-Vize.“ N24, 14.9.2017
Ich wurde 1944 in Dortmund geboren. Es war das Jahr der großen Angriffe auf das Ruhrgebiet. Jede Nacht Bunker, auch nach der Geburt. Die Angst meiner Mutter in der Schwangerschaft und nach meiner Geburt ist mir tief vermittelt worden. „Ich habe kaum gehofft, dass du groß werden könntest!“ sagte meine Mutter oft zu mir. Nach dem Krieg die Hungerzeit. Für Kleinkinder gab es einen Teller Suppe am Tag. Meine Mutter lief jeden Tag die 8 km, damit ich diese Suppe bekam. Sie selber hatte großen Hunger, bekam aber keine Suppe.
Sie und mein Vater lehrten mich Antikriegslieder, spielten mit Kindern ein Antikriegsstück. Mit vier Jahren konnte ich alle Texte und spielte das Stück in der Küche nach. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, war ein Satz, den ich früh hörte.
Durch die Erfahrungen in der Kindheit ist mein Weg als Pazifistin und Friedensarbeiterin vorgezeichnet gewesen.
Auf diesem Weg traf ich zwei Menschen, mit denen mich Liebesbeziehungen verbunden haben, Rudi Dutschke und Fasia Jansen.
Beide wurden Opfer faschistischer Gewalt und starben an deren Spätfolgen.
1968 war die Studentenbewegung auf dem Höhepunkt. Einer ihrer Sprecher war Rudi Dutschke. Eine Medien- und Hasskampagne, vor allem durch die Bildzeitung, schürte die Stimmung. Der junge Arbeiter Josef Bachmann aus München gehörte dem neonazistischen Umfeld an, wurde durch diese Hass-Kampagne erreicht. Er kündigte seinen Job, ließ sich sein Restlohn auszahlen und fuhr nach Berlin.
Hier versuchte er, herauszufinden, wo Rudi Dutschke lebte. Rudi war am Morgen des 11. April 1968 auf dem Weg zu einer Apotheke, um für seinen erkrankten Sohn Hosea ein Medikament zu holen. Bachmann sah ihn, rief ihn an: Sind Sie Rudi Dutschke? Als Rudi bejahte, schoss er drei Kugeln auf Rudi, zweimal in den Kopf, einmal in die Brust. Schwer verletzt brach er zusammen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und stundenlang operiert. Seine Frau Gretchen und Freunde warteten verzweifelt im Krankenhaus.
Der SFB verbreitete die Nachricht: Dutschke sei gestorben. StudentInnen versammelten sich im überfüllten Audi Max der TU Berlin. Die Nachricht, dass Rudi schwer verletzt noch lebte, beruhigte ein wenig. Sein Freund Bernd Rabehl machte die Springer Presse für das Attentat verantwortlich.
In den nächsten Tagen fanden in vielen Städten der BRD Protestaktionen gegen den Springer Verlag statt. Autos wurden gehindert, die Zeitungen auszufahren, es gab gewaltsame Blockaden. Molotow Cocktails flogen. Die Verzweiflung und der Zorn waren groß.
Rudi hatte einen langen Weg der Rehabilitation vor sich. Sein Sprachzentrum und ein Auge waren zerstört. Er musste mühselig viele Funktionen, wie das Sprechen erst wieder lernen. Die Familie verließ Deutschland. Eine Odyssee durch verschiedene Länder begann, bevor die Familie eine Aufenthaltserlaubnis im dänischen Arhus bekam.
Durch die Schüsse hatte Rudi bleibende Schäden zurück behalten, so Epilepsie.
Am 24. Dezember 1979 starb er bei einem Epilepsie Anfall in der Badewanne.
Am Tag seiner Beerdigung bei der Trauerfeier im Audi Max der FU sang Wolf Biermann dieses Lied:
Mein Freund ist tot, und ich bin zu traurig,
um große Gemälde zu malen
– sanft war er, sanft, ein bisschen zu sanft
wie alle echten Radikalen.
Er redete viel, und er hörte zu,
und er hatte ein offenes Gesicht.
Er wurde geliebt, er wurde gehasst,
und das hielt ihn im Gleichgewicht.
Das war eine offene Zeit! Das war
im achtundsechziger Jahr,
da fing alles an mit Vietnam
und mit dem Mörder, dem Schah.
Und das kranke Westberlin, es hing
wie eh und je am Tropf
– da schoss einer mit einem alten Colt
drei Kugeln in Rudis Kopf.
Wir haben es nicht vergessen, wer
die wahren Mörder sind!
Es war nicht der Mann mit dem Ballermann,
dieses irre gemachte Kind.
Und Rudi lag da in seinem Blut
auf offener Straße erschossen.
Der Tod ließ sich Zeit. 11 Jahre lang
hat er gewartet. Ach! Possen,
todtraurige Possen treibt das Leben
mit den Toten auf Urlaub! Wie fade!
Jetzt sollen wir wohl denken: der starb im Bad
und nicht auf der Barrikade.
Mein Freund ist tot, und ich bin zu traurig,
um große Gemälde zu malen
– sanft war er. Sanft. Ein bisschen zu sanft
wie alle echten Radikalen.
Der zweite Mensch in meinem Leben, der in der Spätfolge von medizinischen Versuchen und ihrer Zeit im Außenlager des KZ Neuengamme gestorben ist, ist Fasia Jansen.
Fasia wurde als Tochter eines deutschen Kindermädchens und des ersten afrikanischen Diplomaten in Deutschland, Momolu Massaquoi, er stammte aus Liberia, 1929 in Hamburg geboren.
Die afrikanische Familie ging zurück nach Liberia, wollten Fasia mitnehmen. Sie blieb aber bei ihrer Mutter in Hamburg. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was es bedeutete als schwarzes Kind im faschistischen Deutschland, noch dazu unehelich, aufzuwachsen. Sie wurde in jeglicher Form diskriminiert, sei es in der Schule, auf der Straße. Die Mutter war arm, bekam nur schwer eine Wohnung, dachte mehrfach daran, ihr Leben und das ihres Kindes zu beenden. Zum Glück tat sie es nicht. Sie fand einen Mann, sie heirateten, er nahm Fasia liebevoll auf.
Er war Kommunist, wurde dann politisch verfolgt, kam ins Zuchthaus.
Fasia wurde zu einem Arzt zwangsweise bestellt. Sie gaben ihr Spritzen, ohne dass der Mutter gesagt wurde, was sie gespritzt bekam, wurde sehr krank.
Als im Alter von 14 Jahren das Pflichtjahr für Mädchen anstand, sagte man ihr, mit ihrer Hautfarbe sei sie einer deutschen Familie nicht zuzumuten. Stattdessen wurde sie zwangsverpflichtet, in der Küche des KZ Außenlagers Neuengamme zu arbeiten. Dort waren vor allem ungarische Jüdinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa eingesperrt.
Fasia überlebte den Krieg schwerkrank, hatte seit dem ständig Herzprobleme, war nach dem Krieg jahrelang in Krankenhäusern, hat aber nie aufgegeben.
Sie entdeckte die Musik für sich, sang in Hamburg in einem antifaschistischen Chor, spielte Akkordeon auf Ausflugsschiffen und wurde zu einer wichtigen Sängerin der Friedensbewegung. Ihr ganzes Leben hat sie der Friedensarbeit gewidmet. Sie hatte eine großartige Stimme, schrieb viele Lieder selber, hatte einen umwerfenden Humor. In ihrer Nähe war es nicht möglich, im Selbstmitleid zu versinken: „Los, kommt mit!“ war ihr ständiger Aufruf.
Trotzdem kamen manchmal die Erinnerungen der Vergangenheit wie Schatten hoch, Geräusche und Gerüche. Sie hörte die Schläge wieder, die die Wärter auf die ausgemergelten Frauen abgaben, „als wenn Holz auf Holz schlägt“, sagte sie. Die Gerüche der Frauen, die sich nicht waschen konnten, auch wenn sie ihre Tage hatten.
Fasia kämpfte für Frieden, gegen jede Form der Naziherrschaft, engagierte sich sehr für Kinder, war ein tief solidarischer Mensch gegen jede. Form der Unterdrückung und Ausbeutung.
Wir haben 16 Jahre lang zusammen Friedensarbeit in vielen Teilen der Erde gemacht. Mit unseren Friedensbus sind wir über 200.00 km durch Europa gefahren, immer in dem Bemühen, Feindbilder abzubauen und Verständigung von Menschen aus so genannten Feindesländern zu erreichen.
Fasia starb am 27. Dezember 1997, ihr Herz versagte endgültig.
„Sag mal, was macht eigentlich die Fasia J?
Immer noch auf Achse hört man und
der Rücken tut wieder weh auf Wolke
Nummer neun vom Schleppen der Gitarre
und vom Hochalten der Transparente
„Krieg den Luftschlössern und Friede den
den Wolkekuckucksheimen“. Auch
im Himmel ist nicht alles in Ordnung
und die Rechte der Engel müssen von Zeit zu Zeit
eingespielt werden. Aber was
willste machen, was willste machen
wenn du was machen willst, sagt sie
kichert mit tiefer Stimme (nur sie
kann das), holt sich Quetschkommode
vom Buckel und fängt an. Dann noch
die vielen Solidaritäts-Konzerte
mit der Erde (die tut ihr leid). Menschens-
kinder, was die sich da unten immer noch
antun, man hält das hier oben nicht aus
sagt sie und bei Oberhausen beginnt es
zu regnen. Aber da kommt schon mal
Paul Robson auf die Bühne und
Billie Holiday und die gute alte Bessie Smith
und John Lennon kommt dazu und allen
zusammen gelingt ein ziemlich gutes
„Give peace a chance“und in Oberhausen
geht die Sonne auf.
Peter Maiwald, in: Fasia, geliebte Rebellin, 2004, S.293
Diese beiden Menschen sind an den Folgen unterschiedlicher nazistischer Formen der Gewalt gestorben.
In ihrem Namen rufe ich dazu auf, jede Form der Etablierung nationalsozialistischer Politik zu bekämpfen. So auch die AfD.
Ellen Diederich